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E-Book

Lesereise Kulinarium Frankreich

Kapaune, Austern und ein Glas Champagner

VerlagPicus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783711751164
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Vom Erfinder der Sauerkrautstraße im Elsass bis zu Korsikas wilden Schweinen, vom Geschmack der französischen Provinz bis zur Suche nach dem letzten Bistrot von Paris wissen die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbands unterhaltsam und informativ zu erzählen. Dabei erfährt man nicht nur, wie Armagnac, Cognac oder Champagner in die Flasche kommen, sondern nimmt auch an einem Austerngelage teil, kostet von der Salade Niçoise, erntet kostbaren Safran und tafelt wie ein echter Burgunder. Mit Beiträgen von: Michael Bengel, Stefanie Bisping, Rudolph Chimelli, Inken Herzig, Ellen Katja Jaeckel, Gerd Kröncke, Volker Mehnert, Peter Peter, Susanne Pollak und Christiane Schott.

Dorothea Löcker, geboren in Wien, arbeitete seit 1974 als Lektorin und Grafikerin für diverse Verlage in Wien, seit 1984 als Verlegerin, Buchgestalterin, Übersetzerin und Illustratorin.

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Leseprobe

Vom Geschmack der französischen Provinz


Armagnac: ein geruhsamer Landstrich für Genießer


Wie flüssiger Bernstein funkelt der Armagnac im Sonnenlicht. Ein durchdringendes Aroma von Backpflaumen steigt aus dem Glas, allmählich kommen auch Duftnoten von Feigen, Vanille, Kakao und Kaffee zum Vorschein. Beim ersten Schluck entfaltet sich ein Bukett aus delikaten Gewürzen, eingehüllt von einem leicht rauchigen Ton. Der feine Weinbrand aus der Gascogne offenbart sich als überschwängliches Aromakonzentrat – ein Resultat jahrhundertelanger Erfahrung durch Generationen von Winzern sowie der Geduld des Kellermeisters, der ihm die nötige Reife im Eichenfass erlaubt, ohne dabei auf Konsumtrends oder schnellen Gewinn zu achten. Ein Stück destillierte Zeit in der Flasche.

Wo wäre ein solch althergebrachter Tropfen besser zu genießen als auf der Place Royale in dem winzigen Dörfchen Labastide d’Armagnac? Dort sind ganze Epochen vorübergegangen, ohne dass sich an den mittelalterlichen Fassaden etwas Grundlegendes verändert hätte. Aus dem 13. Jahrhundert stammen die Fachwerkgemäuer der Wohnhäuser und die massiven Holzbalken, mit denen die wohlproportionierten Arkadengänge gestützt werden, die den Platz von drei Seiten her einrahmen. In einem der Häuser übernachtete schon König Heinrich IV. von Navarra, der dem Reiz dieses Platzes so verfallen war, dass er ihn in Paris als Place des Vosges nachbauen ließ.

Das architektonische Ensemble der Place Royale war Zentrum einer sogenannten Bastide, einem jener typischen Wehrdörfer, die Franzosen und Engländer während des hundertjährigen Krieges in der Region Armagnac gründeten.

Eine ganze Reihe dieser Bastiden hat nicht nur Mittelalter und Industrialisierung unbeschadet überstanden, sondern auch dem unbedingten Veränderungswillen des 20. Jahrhunderts getrotzt. Labastide d’Armagnac hat nicht nur seinen zentralen Platz erhalten, sondern ist ein vollkommen unversehrtes Dorf geblieben, das noch in einer abgeschiedenen Welt zu leben scheint. Es herrscht dort natürlich nicht mehr das Mittelalter, aber man findet französische Provinz aus anderen Tagen vor: Im einzigen Restaurant unter den Arkaden versammeln sich mittags ein paar Einheimische und trinken zum ausgiebigen Menü eine Karaffe Rotwein, während die meisten Bewohner wohl irgendwo draußen auf dem Feld ihre Mahlzeit einnehmen. Die Atmosphäre ist ländlich-schläfrig, die Fensterläden sind geschlossen, das kleine Geschäft mit Armagnacflaschen im Schaufenster macht Mittagspause. Auch die versprengten deutschen oder englischen Touristen können an dieser provinziellen Trägheit nichts ändern. Respektvoll und leise bewegen sie sich über den Platz, wie in einer Kirche, deren andächtige Stille sie nicht stören möchten. Dass auch das bescheidene Touristenbüro zur Mittagszeit zwei Stunden lang geschlossen ist, stört nicht einmal den wissbegierigsten Besucher, denn eigentlich hat niemand eine Frage zu diesem offensichtlichen Idyll, das man mit einem Blick und ein paar Schritten nach links oder rechts vollständig erfassen kann.

Die Bastidensiedlungen fügen sich auch heute noch harmonisch in die abwechslungsreiche Landschaft des Armagnac ein: Laubwälder, Hecken und Platanenalleen erstrecken sich über die weitläufigen Hügel. Man fährt auf Landstraßen, die noch Landstraßen sind, gewunden zwischen den einzelnen Gemarkungen und Grundstücken, ohne Leitplanken oder Begrenzungspfähle. Zu beiden Seiten liegen die weit verstreuten Gehöfte mit ihren sorgfältig angelegten und bebauten Feldern und Weinbergen. Es herrscht keine Monokultur des Weinbaus, sondern Weizen und Mais, Sonnenblumen und Tomaten, hin und wieder eine Viehweide sorgen für Abwechslung. Auf Wiesen und an Teichen watscheln Enten und Gänse.

Jede Kleinstadt, jedes größere Dorf veranstaltet einen Markt, auf dem sich einmal pro Woche die gesamte Bevölkerung der Region einzufinden scheint – zum Kaufen oder Verkaufen und in der Regel vermutlich zu beidem. Es sind bodenständige Märkte mit Obst, Gemüse, Pilzen und Produkten der Saison, die sich nicht mit der mediterranen Buntheit der Märkte in der Provence, mit deren Überfluss an Oliven, Gewürzen und Exotischem messen können. Und doch sind auch sie angefüllt mit Raritäten und ungewöhnlichen Erzeugnissen. Ein Metzger bietet Wildschwein-, Pferde- und Eselswurst an, die Speckschicht an den Schinken ist mindestens fünf Zentimeter dick. Dutzende von Honigsorten stehen zur Auswahl, und die Produzenten von Weinbrand postieren neben aktuellen Jahrgängen stolz auch Flaschen aus ihrer Schatzkammer, die unter hundert Euro nicht zu haben sind. Von der Atlantikküste kommt gelegentlich ein Fischhändler, bei dem die Leute einen Teller geöffneter Austern erstehen. Beim Bäcker nebenan kaufen sie dazu eine baguette, bestellen im nächsten Café ein Gläschen Weißwein und verzehren dort das mitgebrachte Essen, ohne dass sich der Kellner daran stören würde. Der Markt in Eauze hat sogar eine eigene Abteilung für lebendes Geflügel. Dort flattert, schnattert, gackert und gurrt es, wenn die Bauern in kleinen und großen Käfigen ihre Enten, Gänse, Hühner und Tauben anschleppen. Vor allem Küken wechseln den Besitzer, gleich im Dutzend werden sie aus den Käfigen gegriffen und wie Obst und Gemüse in Kartons abgepackt.

Die Hauptrolle auf allen Märkten aber spielen eingemachte Delikatessen und Konserven, die vorwiegend aus Enten und Gänsen hergestellt werden. In Dosen und Gläsern gibt es die Spezialitäten confit de canard und rillette, pâté und cassoulet, gésier und magret: Eingekochtes, Eingelegtes, kross Gebratenes, Geräuchertes und Getrocknetes. Und nicht zu vergessen foie gras in allen Variationen: die Stopfleber von Gänsen und Enten. Auch wenn die Tierschützer in ganz Europa zetern und Verbote fordern, im Südwesten Frankreichs wird das Geflügel noch auf traditionelle Art und Weise gemästet und fett gemacht. Schon die Ägypter und Römer der Antike kannten die Methode des systematischen Überfütterns, um die aromatische Fettleber zu erzeugen, und vor hundert Jahren wurde auch auf jedem größeren Bauernhof in Deutschland noch eine Gans fürs Weihnachtsfest gestopft. Während hierzulande diese Art der Aufzucht mittlerweile verboten ist und Stopfleber nur selten angeboten wird, gehört die foie gras im Armagnac ganz selbstverständlich zur einheimischen Küche. Sie ist die Grundlage der Gastronomie im gesamten französischen Südwesten und kommt in Pasteten und Terrinen auf den Tisch oder pur als foie gras entier, ganze Leber, oder foie gras en bloc, hergestellt aus kleinen Stücken.

Mag sich auch vor einem Vierteljahrhundert mit der nouvelle cuisine in Frankreich eine Art Küchenrevolution ereignet haben, mag sich die Form des leichten und kalorienarmen Kochens in Europa ausgebreitet haben, mag sie sogar bis nach Amerika und Asien vorgedrungen sein – im Armagnac hat diese Umwälzung nur geringe Spuren hinterlassen. Hier geht es am Herd zu wie eh und je. Gekocht werden mächtige Mahlzeiten mit Ente und Gans, Fett ist kein Problem und Kalorien werden nicht gezählt. Fast jedes Restaurant bietet ein Menu de Terroir an, bei dem sich die Einheimischen ihre deftige Feinkost auftischen lassen und der Besucher die Geschmacksvielfalt der ländlichen Kochkunst begutachten kann. Dieses Essen passt zweifellos zum Land; es ist bodenständig wie die Menschen, althergebracht wie die Architektur der Bastiden, gewachsen mit der Landwirtschaft und deren Produkten. Und nichts könnte natürlich eine solche Mahlzeit besser abschließen als ein alter Armagnac: Je üppiger das Essen, desto ausgereifter sollte der Weinbrand sein.

Armagnac ist nicht gerade ein Kultgetränk, weder in Frankreich noch in Europa und schon gar nicht in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Spirituosen sind diese handgefertigten Brände einfach zu teuer. Und natürlich macht ihnen die Konkurrenz des Cognac zu schaffen – nicht weil dessen Qualität besser wäre, sondern weil dort die größeren Firmen sitzen, die ihren Weinbrand mit mehr Geld und geschicktem Marketing in aller Welt bekannt gemacht haben. So jedenfalls sehen es die heimischen Winzer, und so ganz von der Hand zu weisen ist ihre Argumentation nicht. Denn in der Geschmacksfülle steht ein alter Armagnac auch dem besten Cognac in nichts nach. Dieser ist aufgrund des angewandten doppelten Destillationsvorgangs zwar schneller reif und etwas milder, verliert dadurch aber die Intensität des Aromas, das einen reifen Armagnac auszeichnet.

Nicht zu bestreiten ist auf jeden Fall, dass aus der Region Armagnac der älteste Weinbrand Frankreichs stammt. Während Cognac erst im 17. Jahrhundert entstand, wurde der Armagnac bereits im Jahr 1285 zum ersten Mal von einem Leibarzt des Papstes erwähnt: als Elixier gegen das Altern und deshalb lange Zeit in Apotheken verkauft. Heute gibt es in den Städten Condom, Eauze und Nogaro zwar einige große Firmen, die Armagnac brennen und vermarkten, doch letztlich geht die Herstellung des Weinbrands noch auf traditionelle Art und Weise vor sich. Die wirklichen Kostbarkeiten und Raritäten, und dies ist wiederum ein Unterschied zu Cognac, stammen nämlich von kleinen, unabhängigen Weinbauern, von denen es noch mehr als dreihundert gibt. Sie haben ein paar Dutzend alte und neue Fässer im Keller, aber viele von ihnen besitzen nicht einmal eine eigene Destillieranlage. Zu ihnen kommt während der Wintermonate der mobile Destillateur für zwei Tage und zwei Nächte und brennt den frischen Wein der letzten Ernte. Auf diese Weise entstehen bei manchen Winzern weniger als tausend Flaschen pro Jahrgang. Sie...

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