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E-Book

Lovetrotter

Eine Weltreise rund um die Liebe

AutorWlada Kolosowa
VerlagKailash
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641124533
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wie liebt die Welt?
Fünf Monate, fünf Kontinente: Wlada Kolosowa macht sich auf die Suche nach Liebesgeschichten - in Ägypten, Iran, Laos, Kambodscha, China, Brasilien, Russland, in den USA und in der Türkei. Sie trifft auf einen Buddhisten, der seinen Seelenfrieden für eine Frau auf gab; auf verbotene Lust im Iran; auf glückliche Vernunftehen und katastrophale Leidenschaft. Dabei lässt sie auch ihre eigenen Liebesgeschichten Revue passieren und durchlebt eine persönliche Entwicklung. Die Liebe ist überall. Und sie ist überall einzigartig: In jedem Land, in jeder Beziehung. Vor allem ist sie nicht immer das, was wir in Deutschland darunter verstehen.

Wlada Kolosowa, 26, ist Autorin und freie Journalistin u.a. für Spiegel online, jetzt.de und den Tagesspiegel. Nach ihrem Studium der Psychologie und Publizistik studiert sie zurzeit Kreatives Schreiben in New York. Ihr erstes Buch war 'Russland to go' (2012).

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Leseprobe

Kairo: Nazir und Rania – aus einem Teig, aber unterschiedlich gebacken

Nazir2 sieht erwachsener aus als vor einem Jahr, drahtiger. Aber er umarmt mich genauso überschwänglich und mit der Kraft einer Schrottpresse. Er lacht sein bellendes Lachen und kann es kaum fassen, dass wir uns tatsächlich wiedersehen. Zum ersten Mal sehe ich ein Fältchennetz um seine grün-gelben Augen. Honigfarben nennt man solche in Ägypten.

Wir laufen zu einer Bude, in der Kuschari serviert wird – ein Kohlenhydrateninferno aus Linsen, Reis, Nudeln, Zwiebeln und einer Spur Tomatensoße. Im erbarmungslosen Licht der Neonröhren sehe ich die Kanten, die das letzte Jahr in Nazirs Gesicht gemeißelt hat. Die hautengen T-Shirts sind einem Hemd gewichen. Beides steht ihm gut. »Ein Geschenk von Rania«, sagt er, als ich sein Hemd kommentiere, und sieht plötzlich sehr müde aus. »Es tut mir leid. Ich habe keine Liebesgeschichte für dich. Wir haben uns getrennt.«

Ich bin sprachlos. Um ehrlich zu sein, habe ich Kairo als die erste Station meiner Reise ausgesucht, weil ich bei meiner Reiseplanung noch den Status »engaged« in Nazirs Facebook-Account sah.

Wir lernten uns 2011 in Kairo auf einem Magazin-Workshop kennen, als wir gemeinsam eine Geschichte über Revolutionshymnen recherchierten.

Nazir war damals 27, er hatte Englische Literatur studiert und arbeitete in der Kulturredaktion einer Onlinezeitung. Er war sehr respektvoll, sehr höflich, sehr fürsorglich. Er trieb mich in den Wahnsinn.

Obwohl Kairo im Juli nach der Revolution bei weitem nicht so chaotisch war wie heute, und wir uns meistens in Gruppen bewegten, benahm er sich, als sei die Stadt ein Schlachtfeld und er meine kugelsichere Weste. Wo auch immer wir hingingen: Er war um mich herum, wie eine zweite Haut – ohne mich dabei ein einziges Mal zu berühren.

Nazir konnte auf einer sechsspurigen Straße den Verkehr mit einer ausgestreckten Hand aufhalten. Er kündigte alle Straßenlöcher in kilometerweiter Entfernung an. All die schmierigen Blicke, nach denen ich mich am liebsten gewaschen hätte, tötete er mit einem Gegenblick. Leider tötete er auch jeden meiner Versuche, allein auf die Straße zu gehen. Nazir hatte eine übersinnliche Begabung, genau dann vor der Redaktionstür zu rauchen, wenn ich mich gerade rauszuschleichen versuchte.

Die einzige Gelegenheit, seinem wachsamen Auge zu entfliehen, ergab sich, wenn sein Handy sich in einem süßlichen ägyptischen Lied ergoss. Dann vergaß er für 20 Minuten die Welt um sich herum. Erst am fünften Tag eröffnete er mir, wer die Verursacherin meiner persönlichen Freiheitshymne war: Rania, seine Kollegin, für ihn das schönste Mädchen der Welt. Sobald er das Geld für die Ringe beisammenhatte, wollte er sich mit ihr verloben.

Rania arbeitete bei derselben Onlinezeitung wie Nazir, aber in einer anderen Redaktion. Zuerst sprachen sie nicht viel: Rania war eine Hierarchiestufe über ihm, sie hatte in London studiert und schüchterte ihn etwas ein. Alles, was Nazir über sie wusste, war, dass eine Sammlung von Katzenfiguren auf ihrem Tisch stand und dass sein Herz höher schlug, wenn sie den gleichen Aufzug nahm wie er.

Nazir hielt Rania für unerreichbar. Bis zu dem Tag, an dem vor dem Fenster plötzlich ein dicker Regenvorhang hing und für mehrere Stunden blieb. Der Sturm hatte die wuselige Stadt menschenleer gespült stattdessen flutete eine dickflüssige Suppe aus Gemüseschalen, Müll und braunem Dreckwasser die Straßen. Normalerweise kann man in Kairo keine drei Schritte laufen, ohne dass ein Taxifahrer anhält und einem seine Dienste aufdrängt. An diesem Tag aber waren plötzlich alle ausgebucht – erst recht in dem abgelegenen Stadtteil, in dem die Redaktion lag.

Nazir dachte, er sei der Letzte, der unter dem Vordach auf ein Taxi wartete. Aber dann trat Rania aus der Dunkelheit und fragte verschämt nach einer Zigarette. Sie saugte hastig daran, jeden Moment bereit, sie wegzuwerfen, sobald jemand kam. Aber die Straße blieb leer: kein Mensch, kein Taxi. Nazir wünschte, es würde für immer so bleiben: Es war gemütlich sich vorzustellen, sie beide wären die letzten Menschen auf der Welt, und hinter dem Regen zu reden, über Nazirs fünf Geschwister, über Ranias Katzen, über den Sinn des Lebens.

Als endlich ein Auto vor dem Vordach abbremste und Rania einstieg, lief Nazir eine Dreiviertelstunde durch den Regen und spulte die Unterhaltung in seinem Kopf zurück. Zu Hause schrieb er ihr sofort eine SMS, ob sie gut angekommen sei. Daraus wurden schnell Hunderte, Tausende. Geküsst haben sie sich aber erst Monate später, an seinem Geburtstag, vor den Pyramiden. Für ihn war es nicht der erste Kuss, aber »der erste richtige«. Für sie war es der erste. Danach wurden die »Fahrstuhlmomente« zu Nazirs Höhepunkten des Tages: 30 gemeinsame Sekunden in einem einsamen Aufzug vom Erdgeschoss in den fünften Stock, wo sie arbeiteten.

Rania lernte ich ebenfalls 2011 kennen. Sie, Nazir und ich gingen zu dritt ins Ägyptische Museum. Rania hatte Apfelbäckchen, trug ein pink-braunes Kopftuch und ein pinkes T-Shirt mit einer Cartoonkatze darauf. Höflich bestaunten die beiden mit mir jede Scherbe, obwohl klar war, dass sie nur Augen füreinander hatten. Um ihnen einen zweisamen »Museumsmoment« zu lassen, schloss ich mich einer Führung an.

Als der Guide uns in den Schmuckraum brachte, sah ich sie wieder. Nazir führte Rania gerade von einer Glasvitrine zur anderen und rückte sie so hin, dass ihr Spiegelbild im Glaskasten die schweren Pharaonencolliers trug. Sie waren ein schönes Paar: Er stark und sehnig wie ein Windhund; sie klein, pausbackig, lebendig, an ihrem Hals Prachtketten längst vergangener Königreiche.

Echten Goldschmuck konnte Nazir sich nicht leisten. Vielleicht sei es daran gescheitert, sagt er.

Im Juli 2011 verlobten sie sich, ein Riesenschritt: »Es ist eine Sache, Küsse und Geheimnisse zu teilen«, sagt Nazir. »Und eine andere, Familien zu teilen.« Es sei der größte Moment in seinem Leben gewesen, erinnert sich Nazir, zum ersten Mal vor den Augen der Eltern nebeneinanderzusitzen. Mit der gesamten Familie fuhren sie auf einer Feluke, einem traditionellen Boot mit Musik, den Nil herunter. Vor der Bootsnase lagen die dreckigen Wellen, vor ihnen die Zukunft.

Doch die Zukunft trat nie ein. Die Hochzeit war für 2013 geplant, aber es war klar, dass er bis dahin nicht das Brautgeld beisammenhaben würde. In Ägypten müssen beide Parteien Geld in die Ehe einbringen, aber der Mann trägt meist den größeren Teil und muss eine Wohnung bereitstellen. Rania sagte jeden Tag, dass Nazir mehr arbeiten solle, aber die Wirtschaftsflaute machte es unmöglich, einen zweiten Job zu finden, oder eine Wohnung, die er bezahlen konnte.

Sie stritten. Aus ihrem Mund kamen nur Beschimpfungen. Seine Lippen wurden von ungesagten Worten schmal.

»Rania und ich waren aus einem Teig«, sagt Nazir, »aber sehr unterschiedlich gebacken.«

»Hast du das nicht gleich bemerkt?«, frage ich.

»Kennst du diesen schiefen Turm, der bei euch in Europa steht?«

»Den Schiefen Turm von Pisa?«

»Ich glaube, so heißt er. Also, wenn man von außen schaut, sieht man sofort, dass er krumm ist. Aber wenn man oben steht, soll der Ausblick trotzdem sehr schön sein, habe ich gehört. Ich glaube, wir haben zu sehr an die Zukunft gedacht, an die Hochzeit und die Kinder, und nicht gemerkt, dass die ganze Beziehung schief ist.«

Nach einem Riesenstreit, nach dem alles endgültig kaputt schien, ignorierte Rania drei Tage lang seine SMS. In seiner dritten schlaflosen Nacht schrieb Nazir ihr: Wenn ich Dir irgendwas bedeute, irgendwas, schick mir eine SMS. Ein Wort. Egal welches. Einen Punkt. Oder ein Ausrufezeichen. Aber lass von Dir hören.

Sein Handy blieb stumm. Erst zwei Tage später meldete sie sich, mit einer Einladung zum Familienabendessen, um alles gemeinsam zu besprechen. »Aber es war zu spät. Ich bin ein Mann der Entscheidung. Wenn es auch nur einen Moment gab, in dem ich ihr nichts wert war, ist die Beziehung nicht zu retten.«

Nazir ging nicht zum Abendessen, wechselte seinen Job. Im alten Büro konnte er nicht einmal mehr Fahrstuhl fahren, ohne dass sein Herz sich zusammenzog. Seit anderthalb Monaten sind sie nun getrennt: »Eine Verlobung ist wie eine Operation, die zwei Menschen aneinandernäht, ihre Zukunft und meine Zukunft«, sagt Nazir. »Die Amputation bringt dich fast um. Und damit ist es noch lange nicht vorbei. Ich habe manchmal immer noch Phantomschmerzen.«

Das nächste Mal will er sich von seiner Mutter verkuppeln lassen. »Liebe hat mit Emotion zu tun, Heirat mit Verstand«, sagt Nazir. »Die Alten haben von so was viel mehr Ahnung.« Er hat sowieso nicht vor, sein Herz wieder zu verlieren: »Wer sich einmal die Zunge an der heißen Suppe verbrannt hat, der pustet jetzt auch auf den Joghurt«, zitiert er ein arabisches Sprichwort.

»Du wirst sicher ein tolles Mädchen finden«, sage ich.

»Inschallah«, sagt Nazir. So Gott will.

Inzwischen habe ich meinen Erdbeersaft ausgetrunken und Nazir hat eine Schachtel Zigaretten geraucht. Ich schmiede strategische Pläne, wie ich es schaffe,...

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