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'Mal ehrlich, ihr Psychologen habt doch selbst einen an der Klatsche'

Geschichten aus dem Nähkästchen. Einblicke in die praktische Arbeit eines kritischen Psychologen.

AutorRainer Müller-Hahn
Verlagneobooks Self-Publishing
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl486 Seiten
ISBN9783748592532
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Psychologen und ihre Arbeit sind in der Öffentlichkeit umstritten. Ich erzähle meine Geschichte, wie ich zur Psychologie gekommen bin und was ich dort in fünf verschiedenen Arbeitsbereichen erlebt und gelernt habe. Da ist einmal der 'Knast' in dem ich nicht eingesessen bin, sondern als Psychologe gearbeitet habe, obwohl mir nach fünf Jahren der Unterschied nicht sehr groß erschien. Ich berichte von meinen Polizeieinsätzen in einem Entführungsfalll und einer Geiselnahme, von dem was in meiner Beratungspraxis geschah, über meine Wirtschaftsprojekte im In- und Ausland und was mir besonders wichtig ist, über meine Arbeit als Gutachtenkritiker im Familienrecht. Das sind problematische Leistungen meiner Kollegen, die tief in das Leben von Kind, Vater und Mutter eingreifen. Darüber berichte ich etwas ausführlicher. Ich hoffe, das ich mit dem Buch einiges zu eineer differenzierten Sicht einiger psychologischer Anwendungsbereiche beitragen kann..

Diplom-Psychologe, Studium Freie Universität Berlin, 45 Jahre Berufaspraxis, Hauptarbeitsbereiche: Sozialtherapie im Strafvollzug, eigene Beratungspraxis, Führungskräftetraining und Organisations- und Personalentwicklung in Unternehmen, Wirtschaftsprojekte im In- und Ausland, Gutachtenkritiker, Schwerpunkt psychologische Familienrechtsgutachten.

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Leseprobe

Teil 2 Ausbildung


Schule


In der Grundschule war ich ein guter Schüler, galt als freundlich und sympathisch, glänzte manchmal im Unterricht mit verständigen Beiträgen und beteiligte mich engagiert. Aber ebenso schnell, wie mein Interesse aufflammte, verlosch es auch wieder. Ich tarnte mich dann mit einem wachen und aufmerksamen Gesichtsausdruck, um dahinter zu träumen. Diese Mimikry hat mich später als Erwachsener gut durch viele öde Besprechungen gebracht. Damals war es mir gleichgültig, wie es mit mir in der Schule weitergehen würde. Ein Besuch des Gymnasiums stand überhaupt nicht zur Diskussion. Ich sollte die Realschule besuchen und etwas „Ordentliches“ lernen. Die gymnasiale Karriere meines älteren Bruders war trotz zahlreicher Nachhilfestunden gescheitert, und er durchlief nun lustlos eine Lehre als Maschinenschlosser.

Meine Mutter und mein verstorbener Vater besaßen beide die Mittlere Reife. Meine Mutter war überzeugt, dass das von ihnen vererbte intellektuelle Potenzial vom Nachwuchs nicht überschritten werden könne. Der Fehlschlag bei den Bildungsbemühungen meines Bruders schien diese erbbiologisch geprägte Annahme zu bestätigen. Eine solche Entwicklung wollte sie sich und mir ersparen. Es kam aber anders.

Kurz vor Ende der Grundschulzeit drängte ich plötzlich darauf, das Gymnasium besuchen zu dürfen. Ich hatte mich unsterblich in Monika verliebt - ein Mädchen aus meiner Schule. Sie würde das Gymnasium besuchen, und ich wollte ihr dahin folgen, um weiterhin mit ihr zusammenzubleiben.

Als ich zuhause erklärte, später einmal Lehrer werden und deshalb zur Oberschule gehen zu wollen - es war der einzige akademische Beruf, der mir eingefallen war - löste das sowohl Erstaunen, Freude, aber auch Zweifel aus. Gefangen im Zwiespalt zwischen dem Wunsch, dem Jüngsten Zugang zu höherer Bildung zu verschaffen und der pessimistischen Erfolgsaussicht, verstärkt durch die negative Erfahrung mit dem Erstgeborenen, berief meine Mutter eine Art Familienrat ein und lud ihren Cousin Rolf dazu. Er hatte den höchsten Bildungsgrad in unserer Familie erreicht, war in seiner schulischen Laufbahn bis zum Abitur gekommen, aber zweimal durch die Prüfung gefallen. Dennoch verlieh ihm das in den Augen meiner Mutter den Status eines Bildungssachverständigen.

Dieser Onkel Rolf sagte, dass ich einen sehr schwierigen, steinigen Weg gewählt hätte, und dass ich dabei Blut und Tränen schwitzen würde. Er ereiferte sich bei der Beschreibung der schulischen Anforderungen derart, dass man den Eindruck gewann, er wolle mit seinem Plädoyer gegen die gymnasiale Ausbildung das eigene schulische Versagen rechtfertigen. Nach längerer Aussprache - in der ich mein wirkliches Motiv schamhaft verschwieg - stand fest, ich würde das Gymnasium besuchen. Ich jubelte innerlich, konnte ich doch weiter mit Monika zusammen sein! Gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen, alle so unverfroren belogen zu haben.

Meine Mutter sagte zum Abschluss sehr eindringlich, ich solle mir darüber im Klaren sein, dass ich es war, der diesen Schritt gewollt habe. Ich gab ihr das Versprechen, dass es nicht an Einsatz und Fleiß mangeln werde. Dabei ahnte ich dumpf, etwas auf mich genommen zu haben, was ich nicht so einfach abschütteln konnte.

Start ins Gymnasium


Nun sollte für mich der „Ernst des Lebens“ beginnen, wie man mir prophezeit hatte. Am ersten Tag des neuen Schuljahres stand ich beklommen und unsicher vor dem Gymnasium, ein Bau, einer großen Villa ähnlich, mit unfreundlicher grauer Fassade. Der Putz war großflächig abgefallen und überall befanden sich in der Mauer Einschusslöcher aus vergangenen Kriegshandlungen. Wie wenig einladend das alles wirkte! Grau, wie grauenhaft. Etwas krampfte sich in mir zusammen. Und meine Befürchtungen sollten sich bald als berechtigt erweisen.

Ich betrat mit gemischten Gefühlen das Gebäude. Innen war es nicht wesentlich freundlicher. Decke und Wände, früher einmal weiß, hatten im Laufe der Zeit einen schmutzigen Ton angenommen. Vom grauen Panel der Wände war die Farbe an vielen Stellen abgeblättert, und es hatten sich Flächen gebildet, die wie Landkarten aussahen - Kontinente einer Fantasiewelt, umgeben von grauen Ozeanen.

Die Einschulung begann mit einer kleinen Feier. Die Direktorin begrüßte uns mit einer leblosen Einführungsrede. Ihre Kleidung war grau, der Gesichtsausdruck starr, die fahle Gesichtsfarbe und das ungepflegte graue Haar passten zum Gebäude und seiner Atmosphäre. Grau war wohl das Markenzeichen dieser Lehranstalt. Sie machte den Eindruck, als würde sie sich durch uns neue Schüler belästigt fühlen, die sie von Wichtigerem abhielten. Ein Ausdruck eines Willkommens war das nicht. Auch der Vortrag des Schülerchors konnte meine Stimmung nicht verbessern. Das alles wirkte lust- und lieblos. Aber wie konnte es in einer solchen freundlosen Umgebung anders sein?

Während der ganzen Veranstaltung saß ich wie auf Kohlen, weil ich danach fieberte, Monika endlich wiederzusehen. Sie konnte sie aber nirgends entdecken.

Nach Ende des ersten Schultages händigte mir eine Freundin Monikas einen Brief aus. Sein Inhalt war wie ein Faustschlag in den Magen. Dort stand, dass Monika mit ihren Eltern ins Ausland gezogen sei, wo ihr Vater Arbeit gefunden habe. Den Entschluss, auszuwandern, habe sie selbst erst wenige Tage vor der Abreise erfahren, als sie aus den Ferien bei den Großeltern auf dem Land zurückgekehrt war. Sie hatte geschwiegen, um nicht früher als notwendig, mir mein Herz schwer zu machen. Eine Adresse hatte sie nicht hinterlassen. Sie sah keine Chance mehr für uns.

Mehrere Tage lang war ich krank. Eine unstillbare Sehnsucht peinigte mich: Ich erlebte, wie es ist, wenn jemand stirbt, den man liebt. War das die Strafe für meine Lüge? Ich benötigte etwa ein Jahr, bis die Gedanken an Monika nicht mehr schmerzten. Von ihr habe ich nie wieder etwas gehört.

Die Ironie des Schicksals bestand nun darin, dass ich die die ich liebte verloren hatte, und das erhielt, was ich nie wollte. Ich war Gefangener meines Versprechens. Ich durfte nicht scheitern.

Gymnasiales Elend


Die nun folgenden schulischen Erfahrungen waren düster. Ich kam in dieser Schule nicht zurecht und schrammte gerade eben am Sitzenbleiben vorbei. Verantwortlich dafür war die Mischung aus meiner Interesselosigkeit, meinem gedrosselten Fleiß und den Eigenarten einiger Lehrer. Letztere machten mir schwer zu schaffen und verstärkten meinen schulischen Widerwillen - ein Teufelskreis. Vielleicht hätten sie mich motivieren und fördern können. Aber sie schüchterten mich wie viele meiner Schulkameraden gewollt oder ungewollt ein. Sie machten uns ständig klar, was für armselige Würstchen wir doch wären, und dass die meisten von uns nicht in diese Schule gehörten.

Ich erinnere mich noch sehr deutlich an zwei besonders engagierte und feinfühlige Pädagogen. Es handelt sich um die graue Direktorin, die Mathematik unterrichtete und den ähnlich farblosen Lateinlehrer.

Die Direktorin hatte sich auf Einzelförderung spezialisiert und mich dafür auserkoren. Ich wusste allerdings nicht, womit ich diesen Vorzug verdient hatte, dass sie mich zu Beginn jeder Unterrichtsstunde aufrief. Vielleicht hatte sie intuitiv meine spontane Antipathie gespürt. Offensichtlich wollte sie die Schere zwischen meinen schriftlichen und mündlichen Leistungen schließen. Erstere waren einigermaßen in Ordnung. Dabei ging sie wie folgt vor.

Ich musste aufstehen, sie musterte mich von oben bis unten mit kaltem Blick und stellte mir dann eine Aufgabe. Sie zu lösen, gelang mir schon deshalb nicht, weil ich sehr aufgeregt war. Ich hatte Probleme, meine Gedanken zu ordnen und selbst gut Gelerntes vollständig und zusammenhängend wiederzugeben. Von Mal zu Mal wuchs meine Aufregung. Ich errötete, stotterte und redete ungereimtes Zeug. Viele andere Lehrer hätten hier bereits aufgegeben, weil ihnen klar sein musste, dass ich so zu keiner vernünftigen Antwort in der Lage sein konnte. Nicht so die Direktorin. Sie ließ sich nicht beirren, sondern glaubte fest daran, dass sie in der Tiefe meines Bewusstseins doch noch auf solide mathematische Kenntnisse stoßen würde. Und so bohrte sie mit neuen Fragen beharrlich weiter. Vermutlich interpretierte sie meine Panik und meine Tränen als Versuch, meine Kenntnisse trotzig vor ihr verbergen zu wollen. Nach einiger Zeit ergebnisloser Befragung ließ sie dann doch von mir ab. Sie rief einen anderen Schüler auf und forderte diesen auf, die Lösung der mir gestellten Aufgabe herzuleiten. Dabei durfte ich weiterhin stehend dem Mitschüler lauschen und konnte so meine eigenen Defizite erkennen. Auf diesem Wege verschaffte sie mir eine wertvolle Orientierungshilfe, wie ich bei einer mathematischen Problemstellung vorzugehen hätte. Zum Abschluss dieses sensiblen pädagogischen Rituals, erklärte sie in launiger Art, dass sie weiterhin in diesem Topf rühren zu wollen. Und sie rührte fleißig. Jede Mathematikstunde. Sie gab mich nicht auf. Dennoch gelang es nicht, meine mündlichen Rechenleistungen zu verbessern. Meine Blockaden im Denken schienen unüberwindbar. Auch intensive Vorbereitungen auf diese Fördermaßnahme nutzten nichts. Ihre Ergebnisse verflüchtigten sich bereits auf dem Schulweg.

In vollkommener Verkennung des segensreichen Zwecks empfand ich diese Sonderförderung als demütigend und sadistisch. Kurz, ich litt wie ein Hund unter dieser Bevorzugung.

Eines Tages nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und wandte mich auf Anraten meines Bruders nach der Schulstunde direkt an sie. Ich spürte ihr Erstaunen, als ich sie bat, mir zu helfen, meine mündlichen Leistungen zu verbessern. Sie reagierte schroff und unwillig. Wahrscheinlich...

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