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Martin Luthers Konzeption einer Judenmission. Eine kritische Betrachtung des gängigen Luther-Bildes zum Jubiläum der Veröffentlichung der 95 Thesen

AutorFlorian Franz
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl62 Seiten
ISBN9783668185791
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Mit dem nahenden 500-jährigen Jubiläum der Veröffentlichung der 95 Thesen durch Martin Luther am 31. Oktober 1517 darf man gespannt sein, welche Aspekte des Lebens des Reformators hervorgehoben werden. Werden Ausrichter und Referenten den Reformator Luther nicht nur als den großen Intellektuellen seiner Zeit beschreiben, welchem nicht nur die Wiederentdeckung des Evangeliums in seiner Ausdruckskraft sowie tiefe theologische Überlegungen zum Verhältnis zwischen Mensch und Gott in Hinblick auf die Rechtfertigung des Sünders gelangen, sondern auch als jemanden, welchem eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung einer gemeinsamen deutschen Sprache zukam? Oder wird man dessen Bibelübersetzung in die Sprache der Deutschen als einschneidenden Akt in der Ausbildung einer neuen unabhängigeren Religiosität betonen? Sicherlich werden alle diese Aspekte (zurecht) zu würdigen sein. Allen gemeinsam ist, dass es sich bei ihnen um von der Nachwelt als positiv gewertete Ereignisse handelt. Bei aller Würdigung, welche Luther, sicherlich zu Recht, auch verdient hat, wäre eine Beleuchtung dieses dargestellten Luther lediglich einseitig. Denn es gab auch den anderen Luther, denjenigen, welcher von antijüdischer Polemik strotzende Schriften wie 'Von den Juden und ihren Lügen' verfasste und dessen Verhältnis zum jüdischen Volk bis heute immer wieder zu Debatten Anlass gibt. Wurde die vermeintliche Veränderung in der Haltung Luthers zu den Juden zwischen seinem frühen und späten Wirken immer wieder in der gängigen Fachliteratur thematisiert, so wurde der missionarische Eifer des Reformators und auf welche Art und Weise er sich eine Mission (nicht nur) unter Juden vorstellte, primär als Nebenhandlung in einer Darstellung seines Verhältnisses zu den Juden angesprochen. Diese Arbeit verfolgt das Ziel, Luthers Konzeption einer Judenmission zu beleuchten. Dabei soll analysiert werden, mit welchen (theologischen) Argumenten er dies anzustreben versuchte. Aus dem Inhalt: - Kritische Überlegungen zu Martin Luthers Vermächtnis - Luthers Argumentation und Konzeption einer Judenmission - Historische Einordnung - Textanalyse und Auswirkungen Luthers Konzepts

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Leseprobe

3. Martin Luther und die Judenmission


 

3.1. Vorbemerkungen


 

Die frühe Reformationszeit greift in den maßgeblichen Punkten die Missionspraxis des Mittelalters wieder auf bzw. führt diese weiter. Mit der aufkommenden Debatte zwischen Reuchlin und Pfefferkorn sowie der ihn unterstützenden Kölner Dominikaner um Erhalt oder Vernichtung jüdischer Schriftkultur wird im Grunde der spätmittelalterliche Disput erneut eröffnet, ob von jüdischen Schriften eher eine Gefahr oder eine Bestärkung der christlichen Religion zu erwarten sei.[73]

 

Wie bereits ausführlich dargestellt war die gesellschaftlich-rechtliche Situation der Juden an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert mehr als schwierig und kann „zu Recht mit dem Wort ‚Elend’ bezeichnet werden […].“[74] Mit dem Erstarken der reformatorischen Bewegung und der von Luther gegenüber den Juden augenscheinlich artikulierten Freundlichkeit wird sich auch bei der jüdischen Bevölkerung das ein oder andere Gefühl von Veränderung und Hoffnung geregt haben. So ließen sich aus verschiedenen Quellen gar messianische Erwartungen der Juden belegen, welche diese auf Luther projiziert hätten.[75] Maßgeblichen Anteil daran wird die vielleicht berühmteste ‚Judenschrift‘ des 16. Jahrhunderts gehabt haben, Martin Luthers Traktat Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei von 1523. Seine (offenkundig) missionarisch ausgelegte Argumentationsweise ist dabei zumindest derart eindrücklich, dass sie ihm die Bezeichnung als Luthers Missionsschrift eingebracht hat, obgleich die Frage, inwieweit es sich wirklich um eine reine Missionsschrift handelt, immer wieder Anlass zu Debatten gab.

 

3.2. Judenmission am Vorabend der Reformation


 

Spätestens mit der angesprochenen Debatte um Erhalt oder Zerstörung jüdischen Schrifttums zu Beginn des 16. Jahrhunderts wird deutlich, worum es eigentlich geht. Die jüdische Religion sei – wenn überhaupt – als Bekräftigung des christlichen Wahrheitsanspruchs anzuführen und werde auf kurz oder lang obsolet werden. Legt man diese These zugrunde, so kann der Umgang mit den Juden nur auf eine Bekehrung dieser hin zu Christus hinauslaufen.

 

Auch am Vorabend der Reformation waren seit dem Spätmittelalter breit angewendete Methoden zur Judenmission nach wie vor in Kraft. Der bereits mehrfach angesprochene Dominikaner Petrus Nigri war ein besonders intensiver Verfechter der Zwangspredigten, welche er selbst aktiv durchführte. So sind von ihm durchgeführte Predigten u.a. in Regensburg (1474), Nürnberg, Frankfurt, Bamberg und Worms überliefert.[76] Allgemein galt, dass Zwangspredigten von dem Zuspruch oder zumindest der Duldung durch die jeweilige weltliche Obrigkeit abhingen, weshalb sie längst nicht überall flächendeckend durchgesetzt werden konnten.[77]

 

Obgleich die Handlungsoptionen des zeitgenössischen Judentums nur gering waren, so lässt sich doch von dem Umgang mit den Juden nicht sprechen. Insbesondere in den 1530er Jahren gingen verschiedene Landesherren in Bezug auf die Judenfrage unterschiedliche Wege. An den Entscheidungsprozessen waren die jeweiligen Reformatoren nicht unbeteiligt und fungierten als Berater ihrer Landesherren, so Luther in Kursachsen und Bucer in Hessen.[78] Das energische Vorgehen der Landesherren, welches wiederum auf Ausweisung der jüdischen Bevölkerung hinauslaufen sollte, hatte sicherlich mit der angesprochenen Ausbeutung und anschließenden Abschiebung vermögender Juden zu tun. Heiko Oberman will jedoch insbesondere die Angst der Christen vor einer jüdischen „Missionsoffensive und Schwächung der Christenheit“[79] nicht unterschätzt wissen. In den meisten Fällen wird der Drang sich zu bekehren für die jüdische Bevölkerung mehr als hoch gewesen sein, waren doch die Aufenthaltsbestimmungen eng und changierten zwischen befristeter Duldung und Ausweisung.[80] Insbesondere in dicht besiedelten Räumen wie Städten wird die Abneigung der christlichen Bevölkerung gegenüber den Juden spürbar gewesen sein, da kaum Rückzugsmöglichkeiten vorhanden waren. Dass eine solche ausgrenzende Behandlung der jüdischen Bevölkerung nicht spurlos an deren Verhältnis zur christlichen Majorität vorbeigezogen sein wird, sondern „gewiß Haß bei den Juden gegen Christen und ihren tryrannischen Glauben erzeugt haben“[81] mag, liegt im Rahmen des Wahrscheinlichen.

 

3.3. Missionarische Argumentation


 

Die Auseinandersetzung mit der Judenfrage lässt sich innerhalb von Luthers Schriften bis um das Jahr 1513 zurückverfolgen.[82] Es handelt sich jedoch zunächst um vereinzelte Aussagen im Rahmen seiner ersten Psalmenvorlesung (Dictata super Psalterium).[83] Dies darf jedoch nicht über die Intensität hinwegtäuschen, in welcher sich Luther mit den Juden bzw. dem Judentum auseinandersetzte. So ist der Umgang mit den Juden zentraler Bestandteil durch seine gesamte Wirkungszeit hindurch, wobei diese Thematik im Rahmen von Bibelkommentaren, Briefen, Traktaten, Tischreden, Predigten u.a. – mal mehr, mal weniger polemisch – zur Sprache kommt.[84] Es ist daher angemessen, die Judenfrage als „ein[en] unveräußerliche[n] Grundsachverhalt seiner theologischen Existenz“[85] zu verstehen. Unangemessen wäre es hingegen meines Erachtens nach, Luthers Aussagen im Rahmen seines Traktats Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei als alleinige Beschreibung seiner missionarischen Absichten heranziehen zu wollen. Im Folgenden sollen daher einige derjenigen Aussagen Luthers, welche er zum Teil lange vor 1523 geäußert hat, zur Sprache kommen. Es ist jedoch zutreffend, dass Luther 1523 eine ausführliche Reflexion seiner eigenen Auffassung vom Judentum sowie eine ausführliche Kritik am mittelalterlichen Missionswesen vornimmt, wobei er Argumente seiner frühesten Wirkungszeit erneut aufnehmen wird.

 

3.3.1. Keine Zwangsmissionierung unter Juden


 

Aus Luthers vereinzelten Äußerungen aus jener Zeit lässt sich erkennen, dass er im Grunde an der Haltung des Innozenz und des Thomas von Aquin festgehalten hat, eine Judenmission nicht durch Zwang umsetzen zu wollen. So verurteilt er in seiner zweiten Psalmenvorlesung (Operationes in Psalmos, 1519-21), im Rahmen einer Auslegung von Psalm 14,7, diejenigen Christen, denen es gefalle, die Juden mit großem Hass zu verfolgen.[86] Dass es eben jene aggressive Haltung sei, welche die Missionsarbeit unter Juden mehr behindere als fördere, wird Luther dann auch nicht müde in seiner Schrift von 1523 zu betonen, doch dazu später.

 

Als Luther im Februar 1514 von Spalatin um eine Äußerung zum Streit zwischen Reuchlin und Pfefferkorn gebeten wird, ob er einer Verbrennung jüdischen Schrifttums zustimme oder dies ablehne, ergreift er Partei für ersteren, allerdings mit einer deutlich weniger humanistischen Begründung als dieser.[87] So betont er, dass in den jüdischen Schriften sicherlich Lästerungen gegen Christus vorhanden seien, diese jedoch nicht durch äußere Gewalt unterdrückt werden sollten, sondern durch geistige Mittel gegen die Christen:[88]

 

„Hundertmal schlimmer sind die Lästerungen, die man auf allen Gassen Jerusalems (überall in der Christenheit) findet, und daß alles voll ist von geistlichen Götzenbildern. Die sollten mit höchstem Fleiß ausgemerzt werden als die inneren Feinde. Wir aber lassen alles stehen, was uns am meisten zu schaffen macht, und richten unsere Aufmerksamkeit auf äußere Dinge, die uns nichts angehen; […].“[89]

 

Vernehmbar ist vor allem Kritik an den Christen, welche durch Lästerungen wider die Juden von ihren eigenen Vergehen ablenken wollten. Luther wirft im Grunde die Frage auf, inwieweit es überhaupt gelingen kann die Juden zu bekehren, wenn selbst die Christenheit noch voll von geistlichen Götzenbildern ist, sprich sich selbst nicht christlich verhält und sich versündigt. Wenn auch 1514 noch nicht so eindringlich formuliert wie 1523, so begegnet doch bereits erste Kritik an der christlichen Lebensweise, welche nach 1517 in der Kritik an der Papstkirche kulminiert.

 

3.3.2. Kein Unterschied zwischen Juden und Christen

 

In der bereits angesprochenen Auslegung von Psalm 14,7 greift Luther die Textstelle ‚und bleibt nichts von ihrer Hitze verborgen‘ auf und interpretiert diese folgendermaßen:

 

„Daß der Heilige Geist im allegorischen Sinn die Wärme der Sonne genannt wird, darüber besteht kein Zweifel. Damit aber hat er alles Ansehen der Person aufgehoben, und keinen Unterschied gemacht zwischen Heiden und Juden. Denn über allen steht ein und derselbe Herr, der sich aus Steinen Kinder (filios) Abrahams erwecken kann.“[90]

 

Luther betont hier, dass es keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden[91] gebe. Die Wärme der Sonne stehe symbolisch für den Heiligen Geist, welcher zwischen Juden und Heiden keine Unterscheidung vornehme. So spiele das individuelle Ansehen des Menschen keine Rolle, da...

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