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E-Book

Menschenwürde

Eine philosophische Debatte über Dimensionen ihrer Kontingenz

VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl363 Seiten
ISBN9783518751626
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Menschenwürde wird oft als »absoluter Wert« bezeichnet, als »unantastbar« oder »unverfügbar«. Während die einen sie für eine zentrale Idee der Moral halten, weisen andere sie zurück: Weil nichts »absolut« und »unverfügbar« sei, könne es auch keine Menschenwürde geben. In diesem Band wird neben diesen Positionen erstmals eine dritte ausführlich diskutiert. Ihr zufolge ist die Menschenwürde bezüglich Genese und Geltung zwar zumindest zum Teil kontingent, was jedoch nicht zu ihrer Verabschiedung führen muss. Nötig scheint vielmehr eine Deutung, die den Dimensionen dieser Kontingenz Rechnung trägt. Mit Beiträgen von u. a. Rüdiger Bittner, Christian Neuhäuser, Peter Schaber und Ralf Stoecker.



<p>Eva Weber-Guskar ist Heisenberprofessorin f&uuml;r Ethik und Philosophie der Emotionen an der Ruhr-Universit&auml;t Bochum.</p> <p>Mario Brandhorst ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Georg-August-Universit&auml;t G&ouml;ttingen.</p>

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Leseprobe

1 Peter Schaber

Würde als Status


Nach Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes ist die Würde des Menschen unantastbar und ihr Schutz die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Viele sehen die Würde des Menschen auch als die Grundlage der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte wie auch der Menschenrechte. Die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bezeichnet die »Anerkennung der angeborenen Würde […] aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen [als] die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt«. Es ist umstritten, was unter der Würde, von der in Verfassungskontexten die Rede ist, verstanden werden soll. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, was sie bedeutet und ob sie überhaupt etwas bedeutet.

Einflussreich in der Debatte ist Kants Auffassung, wonach Wesen, die eine Würde haben, einen absoluten Wert besitzen. Wer einen absoluten Wert hat, hat – anders als Dinge, die einen relativen Wert haben – keinen Preis. Ihr Wert kann nicht gegeneinander abgewogen werden, sie »verstatten«, so Kant, »kein Äquivalent«.[1] Unter »Preis« versteht Kant nicht bloß den Marktpreis, den wir für Güter und Leistungen bezahlen, sondern auch den Wert von Dingen, die wir nicht gegen Geld tauschen, die wir aber mit dem Wert anderer Dinge vergleichen. Solche Dinge haben keinen Marktpreis, aber, wie Kant sagt, einen »Affektionspreis«. Sie haben einen Wert für uns, ohne dass wir sie kaufen oder verkaufen würden. Wesen, die Würde haben, haben keinen Preis, sondern besitzen einen absoluten Wert. Was keinen absoluten Wert hat, »an dessen Stelle kann auch etwas Anderes, als Äquivalent, gesetzt werden, was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde«.[2] In Orientierung an Kant könnte man meinen, dass mit der Würde, von der in verschiedenen Verfassungen, aber auch in der Präambel der Allgemeinen Menschenrechtserklärung die Rede ist,[3] genau das gemeint ist: Würde besitzen Wesen, die einen absoluten Wert haben, der sich nicht gegen andere Werte abwägen lässt.[4]

Die Achtung, die wir nach Kant Wesen mit Würde schulden, ist Achtung für diesen absoluten Wert.[5] Die Würde von Menschen zu missachten würde nach diesem Verständnis heißen, ihrem absoluten Wert nicht angemessen Rechnung zu tragen. Das würden wir offensichtlich tun, wenn wir ihren Wert vergleichen würden.

Es gibt allerdings wichtigere Weisen der Missachtung der Würde. Die Würde von Menschen wird in paradigmatischer Weise missachtet, wenn sie erniedrigt und gedemütigt werden.[6] Hilft uns der Begriff des absoluten Werts, zu verstehen, was an erniedrigenden und demütigenden Handlungen würdeverletzend ist? Man könnte sagen, dass solche Handlungen dem absoluten Wert von Menschen nicht Rechnung tragen. Das, was die Erniedrigung von Menschen falsch macht, ist allerdings nicht dasselbe wie das, was den Vergleich ihres Werts falsch macht. Wer einen anderen Menschen erniedrigt, behandelt ihn nicht als etwas, das ein Äquivalent verstattet. Wer das tut, vergleicht den Wert des Opfers nicht mit dem Wert anderer Menschen, und das moralische Vergehen, das die Erniedrigung darstellt, kann entsprechend nicht in einem unstatthaften Wertvergleich bestehen. Der Begriff des absoluten Werts lässt uns im Dunkeln darüber, worin das besondere Vergehen der Erniedrigung besteht. Er erlaubt uns nicht, zu verstehen, was es heißt, Menschen in paradigmatischer Weise in ihrer Würde zu verletzen. Man kann natürlich sagen, dass der Wert von Wesen, die einen absoluten Wert haben, nicht gegen einen anderen abgewogen werden darf. Das ist aber nicht das, was wir tun, wenn wir Menschen erniedrigen oder demütigen. Ein angemessener Begriff der Würde sollte uns allerdings eine Antwort auf die Frage geben, was Erniedrigungen zu einer paradigmatischen Form der Würdeverletzung macht. »Ein angemessener Begriff der Menschenwürde wird diesen nicht nur als allgemeinen Status fassen, sondern auch ein Verständnis der Wichtigkeit des Verbots demütigender und erniedrigender Handlungen liefern.«[7] Der Begriff des absoluten Werts tut das nicht.

Alternativ zum Vorschlag Kants, Würde als absoluten Wert zu verstehen, haben in neuerer Zeit Autoren wie Jeremy Waldron dafür argumentiert, Würde nicht als Wert, sondern als Status zu begreifen.[8] Wenn wir Wesen Würde zuschreiben, so Waldron, schreiben wir ihnen einen Status zu. In der Moderne haben seiner Ansicht nach alle Menschen denselben Status, niemand ist anderen Menschen mehr untergeordnet.[9] Hatten in mittelalterlichen Gesellschaften Bauern, Bürger und Adelige einen unterschiedlichen Status, haben Menschen heute alle denselben höchsten Rechtsstatus. Alle sind gleichsam zu Adeligen geworden.[10] Und das sei mit der Zuschreibung von Würde an alle Menschen gemeint.

Um zu einem besseren Verständnis von Würde zu gelangen, ist es meiner Ansicht nach in der Tat hilfreich, Würde nicht als Wert, sondern als Status zu begreifen.[11] Würde zuschreiben heißt einen normativen Status zuschreiben. Wie deutlich werden soll, handelt es sich dabei aber nicht um einen Rechtsstatus, sondern um einen moralischen Status. Welcher moralische Status damit gemeint ist, ist der Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.

1. Normative Kompetenzen


Zunächst ist zu klären, was es heißt, einen Status zu haben. Es ist dabei in einem ersten Schritt durchaus hilfreich, sich an der Idee eines legalen Status zu orientieren. Einen legalen Status hat man, wenn man Rechte hat, und zwar Rechte, die einem vom jeweils geltenden positiven Recht zugeschrieben werden. Zum legalen Status gehören neben den zugeschriebenen Rechten unter anderem auch normative Kompetenzen, die einem aufgrund besonderer sozialer Rollen zukommen.[12] Ein Beispiel dafür sind die normativen Kompetenzen, die man als Richter besitzt. Als Richter hat man die normative Kompetenz, Recht zu sprechen. Dazu gehört beispielsweise die Kompetenz, Rechtsbrecher rechtsgültig zu Freiheitsstrafen verurteilen zu können. Das Urteil, das der Richter spricht, ist die Ausübung einer normativen Kompetenz, die für die anderen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft verbindlich ist. Ein Rechtsbrecher muss zwei Monate ins Gefängnis, weil er dazu vom zuständigen Richter verurteilt wurde. Sein Urteil erzeugt als Ausübung seiner normativen Kompetenz die Pflicht der rechtspflegenden Instanzen, die Freiheit des Rechtsbrechers für die fragliche Zeit einzuschränken, und die Pflicht der übrigen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft, diese Freiheitseinschränkung zu respektieren. Die Einschränkung der Freiheit des Rechtsbrechers, die vor dem richterlichen Entscheid unzulässig gewesen wäre, ist nun nicht nur zulässig, sondern rechtliche Pflicht. Der Richter übt dabei eine normative Kompetenz aus, welche die Welt in normativer Hinsicht verändert. Die Ausübung der normativen Kompetenzen verändert die normativen Eigenschaften von Handlungen: Aus unzulässigen werden zulässige oder gar gebotene Handlungen.[13] Der Richter, der bestimmte normative Kompetenzen besitzt, hat auch eine eigene Würde, die respektiert werden soll.[14] Was dabei respektiert werden soll, sind seine normativen Kompetenzen: Dass er Recht sprechen kann und dass das, was er dabei tut, für die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft verbindliche normative Resultate erzeugt. Man mag seine Rechtsprechung für falsch, für zu mild oder zu streng halten. Seine Urteile sind zu respektieren.

Die Würde des Menschen ist nicht die Würde des Richters. Man könnte sagen, dass die Richterwürde eine kontingente Würdeform ist,[15] die Würde des Menschen demgegenüber eine inhärente. Kontingent ist die Richterwürde, sofern man darunter den Umstand versteht, dass die Würde sozial zugeschrieben wird und auch wieder verloren werden kann.[16] Die Würde des Menschen kommt uns als Menschen und nicht als Inhaber sozialer Funktionen zu, die wir nur haben, sofern sie uns sozial zugeschrieben wurden. Und wir können die Menschenwürde auch nicht verlieren, weil sie auf Eigenschaften beruht, die wir als Menschen haben. Wie für die Würde des Richters ist allerdings auch für die Würde des Menschen der Besitz von Rechten und ihnen zugeordneten...

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