„Mit der Internet-Euphorie in den 1990er Jahren sahen zahlreiche Autoren und Analysten bereits das Ende von traditionellen Zahlungsverfahren und -instrumenten gekommen. Die mit großem Medienecho und entsprechendem Marketingaufwand eingeführten E-Payment-Systeme der ersten Generation scheiterten jedoch nahezu ausnahmslos – obwohl […] [diese, d. Verf.] zumeist technisch ausgereift und vollkommen funktionsfähig waren.“[84] Mit diesem Zitat von Lammer soll auf einen der entscheidendsten Punkte dieser Arbeit übergeleitet werden: Den allgemeinen Bedürfnissen, Erfahrungen und bestehenden Akzeptanzhürden gegenüber Mobile Payment und Mobile Wallet.
Bisher wurde die Mobile Wallet allgemein und voranging von technischer Seite betrachtet. Im folgenden Abschnitt wird diese unter Interessen- und Akzeptanzgesichtspunkten aus der Sicht der Kunden und Händler untersucht. Zunächst werden die Bedürfnisse herausgestellt (Unterpunkte „Anforderungen“ und „Interesse“), um anschließend jeweils zu untersuchen, worin die Gründe liegen, dass sich kontaktloses Bezahlen und die Mobile Wallet bisher nicht durchsetzen konnten (Unterpunkte „Erfahrung“ und „Akzeptanz“).
Um Aufschluss über das Nutzungsverhalten und die Interessengebiete der Kunden und Händler zu erlangen, werden empirische Studien und Umfragen herangezogen. In einer Studie zur Mobile Wallet haben goetzpartners und das ECC Köln im August 2013 eine Kundenbefragung unter etwa 1.000 Smartphone-Besitzern im Alter zwischen 16 und 69 durchgeführt. Um die Validität zu wahren, wurden zu Vergleichszwecken weitere Studien und Befragungen von TNS Infratest (mPayment Sonar, 2013), der KPMG AG (Consumer Barometer 2/2014), der GS1 Germany GmbH (Mobile in Retail 2014), der ibi research GmbH an der Universität Regensburg (E-Payment-Barometer Januar 2013) und dem Research Center for Financial Services an der Steinbeis-Hochschule Berlin (Mobile Payment – wohin geht die Reise?, April 2012) herangezogen.
In einer frühen Marktphase der Mobile Wallet, in der verschiedene Anbieter vor allem versuchen Marktanteile zu erlangen, wird es neben Händlern und Herstellern auch in den Händen der Verbraucher liegen, den Erfolg einer bestimmten Lösung herbei zu führen.[85] So stellt sich vor allem die Frage, was die Entscheidung des Kunden beeinflusst, ein bestimmtes Verfahren zu nutzen oder nicht.
Zunächst wird untersucht, welche Anforderungen der Kunde an die Funktionen einer mWallet legt. Anschließend werden Umfragen zum allgemeinen Kundeninteresse analysiert. Im darauffolgenden Abschnitt wird untersucht, welche Erfahrungen die Endkunden mit bestehenden Modellen bereits gemacht haben um anschließend der Frage nachzugehen, welche Gründe für das Scheitern der Modelle verantwortlich sind.
Richtet sich der Fokus auf das Kernelement der mWallet, die Zahlungsfunktionalität, sind für den Kunden die „[…] Komponenten ‚einfach‘, ‚bequem‘, ‚zuverlässig‘, ‚sicher‘ und ‚weltweit‘ […]“[86] von hoher Bedeutung. Vor allem auf Sicherheit legen die Nutzer Wert. Diese bezieht sich sowohl auf die Zahlungsabwicklung als auch auf die generelle Nutzung. Dies bestätigt eine Umfrage des Steinbeis Research Center for Financial Services unter der Bevölkerung in den USA im Jahr 2011, bei welcher 73% der Befragten angaben, besonderen Wert auf Sicherheit zu legen.[87] Bezüglich der Mobile Wallet schaut der Verbraucher zudem vor allem auf die Kosten, die schnelle Verfügbarkeit der Funktionen und die Akzeptanz in den Ladengeschäften. Auch dies bestätigt eine Studie des Steinbeis Research Center for Financial Services, in der die Kunden hohen Wert auf die Kosten, Bequemlichkeit und Sicherheit legen.[88] Auch auf die intuitive Bedienung und die Funktionsvielfalt der Mobile Wallet wird verstärkt geachtet. Nur auf das Design der mWallet, v. a. unter den potenziellen Nutzern, wird weniger Wert gelegt (vgl. Abb. 8 links).
Abb. 8: Wichtigkeit und Bewertung von mWallet-Funktionen[89]
Als gut bzw. sehr gut werden vor allem bisherige Sicherheitsstandards, die intuitive Bedienung und das Design bestehender Modelle eingeschätzt. Größter Schwachpunkt für den Verbraucher sind die mangelnde Akzeptanz in Ladengeschäften und die geringe Kompatibilität zu anderen Lösungen. Auch die Vielfalt an Funktionalitäten, also die Einbindung vielfältiger VAS, und mögliche „Offline“-Funktionen sind für den Kunden noch nicht ausreichend gegeben (vgl. Abb. 8 rechts).
Damit wird erneut deutlich, dass es sich bei den bisherigen mWallets um unvollständige Insellösungen handelt, welchen die Akzeptanzstellen und der Zusatznutzen fehlen. Denn die Mobile Wallet als Zahlungsverkehrsprodukt ist für den Kunden zur Selbstverständlichkeit geworden. Zusatzleistungen können hier ein Profilierungswerkzeug und ein Mittel zur erfolgreichen Etablierung von Mobile Payment und Wallet sein. „Dann ist der Erfolg des Zahlungsverkehrsprodukts nicht mehr durch die Kernleistung alleine, sondern auch durch die Zusatzleistung/en bestimmt.“[90]
Abb. 9: Optimale mWallet: Funktionen[91]
In einer weiteren Umfrage wurden potentielle mWallet-Nutzer aufgefordert, ihre optimale Mobile Wallet zusammen zu stellen. Dies ergab, dass 77,9 %, und damit der Großteil der Nutzer, die Zahlung im Ladengeschäft mit der mWallet fordern. Aber auch die Zahlung in Online-Shops und mit Hilfe von Apps sowie die Speicherung und Nutzung von Karten, Tickets, Coupons und Dokumenten sind von hoher Bedeutung. Coupons, Bonussysteme und Rabattaktionen sind ebenfalls laut Studie des Steinbeis Research Center for Financial Services für den Kunden wichtige Bestandteile eines Mobile Payment-Systems.[92] Im Mittelfeld der Bedürfnisse der Kunden befinden sich Finanzdienste und P2P-Geldtransfers. Bisher von weniger Interesse für den Endkunden ist die Verknüpfung mit Social Media-Plattformen und die Nutzung des Smartphones als Zugangskarte, Haustür- oder Autoschlüssel (vgl. Abb. 9). Hier wird deutlich, dass der Kunde die ubiquitäre Nutzbarkeit, Sicherheit und geringe Kosten der Vollständigkeit einer Mobile Wallet vorzieht.
Bei der Frage nach den Kosten waren 44 % der Interessenten der Meinung, dass eine Mobile Wallet kostenfrei sein muss. Dem gegenüber waren über 50 % der Verbraucher bereit, für die Nutzung einer Mobile Wallet zu zahlen. Davon sahen 42,3 % der Befragten eine einmalige Zahlung bei Kauf der mWallet als angebracht. Zahlung bei jeder einzelnen Transaktion bevorzugten 14,1 % und 9,4 % sprachen sich für eine monatliche Zahlung eines festen Betrages aus.[93] Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sich die Händlerseite im E-Payment-Barometer von ibi research mit einer deutlichen Mehrheit für niedrige Preise ausgesprochen hat. Diese waren der Meinung, dass vor allem günstigere Preise gegenüber anderen Zahlungsverfahren den Kunden vom Umstieg auf die Smartphone-Technologie überzeugen würden.[94] Dies bestätigt die Befragung des Steinbeis Research Center for Financial Services. Bei dieser waren nur 14,5 % der Konsumenten bereit, für Mobile Payment-Dienste zu zahlen.[95]
Das allgemeine Interesse an innovativen Wallet-Lösungen ist vorhanden. Vor allem „die ‚junge‘ Generation fordert attraktive Zahlmöglichkeiten.“[96] Richtet sich auch hier der Fokus auf die Zahlungsfunktion, zeigen Umfragen, „[…] dass Mobile Payment zwar lediglich knapp die Hälfte der Deutschen nutzen möchten, aber über 90 % gerne auf ihre Brieftasche verzichten würden“[97]. Dies zeigt erneut, dass Mobile Payment-Systemen der Zusatznutzen zur erfolgreichen Etablierung fehlt.
Andere Umfragen verzeichnen ein abweichendes Bild. Laut aktueller Studie von ECC Köln und goetzpartners, welche konkret nach den Nutzungs- und Anschaffungsplänen einer Mobile Wallet gefragt haben, gaben lediglich 55,7 % der Befragten an, generelles Interesse an einer Nutzung in den nächsten 2 Jahren zu haben und nur 7,3 % planen eine konkrete Anschaffung. Zudem bekundeten vor allem die Altersklassen der 20- bis 59-Jährigen das höchste Interesse an einer Nutzung (etwa 58 %). In der vermeintlich technikaffinsten Altersgruppe der unter 20-Jährigen bekundeten lediglich 44,6 % generelles Nutzungsinteresse. Dies wird jedoch mit dem geringeren Einkommen, weniger im Besitz befindlichen Zahlungskarten und der generell geringeren Anzahl von Transaktionsausführungen im jüngeren Alter begründet. Bei der Auswertung nach Geschlecht bekundeten die männlichen Befragten mit 61 % gegenüber den weiblichen...