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News-Bias in der Medienberichterstattung über 'Stuttgart 21'? Eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung der überregionalen Tagespresse

AutorEvgeni Aleksandrov
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl129 Seiten
ISBN9783656939887
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation, Note: 1,0, Universität Trier, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte im Jahr 2010 die Wortschöpfung 'Wutbürger' zum Wort des Jahres. Sie steht nach Auffassung der Jury für die Empörung der Bürger darüber, 'dass politische Entscheidungen über ihren Kopf hinweg getroffen werden'. Das wohl wichtigste Beispiel für die Wut der Bürger, 'Stuttgart 21', belegte den zweiten Platz. Aus dem geplanten Umbau des Stuttgarter Bahnhofs erwuchs ein Konflikt mit weit über die Stadt hinaus reichenden politischen Konsequenzen. Die Auseinandersetzung um das Infrastrukturprojekt mag in nicht unerheblichem Maße zum Regierungswechsel in Baden-Württemberg - und damit zugleich zur wichtigsten politischen Zäsur in der Geschichte des Landes - beigetragen haben. Auch wenn die Wahl zum Wort des Jahres nicht nach streng wissenschaftlichen Kriterien erfolgt, ist dies doch bezeichnend dafür, wie stark der Streit um das Bahnprojekt die öffentliche und mediale Diskussion im Jahr 2010 geprägt hat. Dass der Konflikt um 'Stuttgart 21' Gegenstand intensiver Berichterstattung war, ist an sich nicht verwunderlich, zumal die Medien kontroverse Themen für ausgesprochen berichtenswert erachten. Doch der Spielraum der Massenmedien in öffentlichen Konflikten beschränkt sich nicht nur darauf, als Vermittler politischer Botschaften über das aktuelle Geschehen zu berichten. Vielmehr können sie selbst die Rolle politischer Akteure im öffentlichen Meinungsbildungsprozess einnehmen, indem sie durch ihre Berichterstattung indirekt das politische Geschehen zu beeinflussen versuchen. Verschiedene Medien können dabei entweder konsonant über ein Thema berichten oder aber mit ihren Selektions- und Publikationsentscheidungen ein jeweils unterschiedliches Bild des Geschehens zeichnen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den journalistischen Publikationsentscheidungen hat die Erkenntnis hervorgebracht, dass vor allem die Printmedien eine über die aktuelle Ereignislage hinaus stabile politische Grundhaltung vertreten. Die Arbeit stellt eine umfangreiche Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung über den Konflikt um Stuttgart 21 dar. Im Anhang befindet sich ein sehr detailliertes Codebuch mit zahlreichen Erklärungen und Beispielen, die der gebotenen Transparenz der methodischen Vorgehensweise und der Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse dienen.

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Leseprobe

3. Untersuchungsanlage


 

3.1 Forschungsfragen und Hypothesen


 

Auf der Basis der theoretischen Vorüberlegungen wurden zwei zentrale Forschungsfragen formuliert, die die Untersuchung zu beantworten versucht. Diese lauten wie folgt:

 

1) Sind signifikante Unterschiede in der Berichterstattung der überregionalen Qualitätszeitungen über „Stuttgart 21“ zu erkennen?

2) Wenn ja, auf welche Konstruktionsmechanismen von Bias lassen sich die Unterschiede zurückführen?

 

Aus den Forschungsfragen wurden ferner entsprechende Hypothesen zu verschiedenen Merkmalen der Berichterstattung gebildet. Es wird zunächst angenommen, dass die Zeitungen entsprechend ihren redaktionellen Linien berichten. Anknüpfend an das vorangegangene Kapitel wird erwartet, dass sie die Kontrahenten im Konflikt zum einen unterschiedlich bewerten und zum anderen Akteuren, die ihre eigene Konfliktsicht stützen, bevorzugt zitieren bzw. zu Wort kommen lassen. Des Weiteren wird vermutet, dass bestimmte Aspekte des Konflikts im Sinne der jeweils präferierten Konfliktseite instrumentell aktualisiert werden. Die konkreten Hypothesen lauten:

 

1. Die Berichterstattung ist verzerrt und entspricht den redaktionellen Linien der einzelnen Zeitungen.

 

1.1. Die Gegner des Projekts werden in den liberalen Blättern (FR, SZ) positiver dargestellt, während die konservativen Zeitungen (FAZ, Welt) umgekehrt verfahren.

1.2. Die Gegner des Projekts kommen in den liberalen Blättern häufiger zu Wort, während die konservativen Zeitungen den Befürwortern mehr publizistischen Raum zur Verfügung stellen.

1.3. Themen und Ereignisse, die für die S21-Gegner und gegen die Befürworter sprechen, werden in der Berichterstattung der liberalen Blätter häufiger thematisiert. Die konservativen Zeitungen geben dagegen Gegebenheiten, die für die Befürworter und gegen die S21-Kritiker sprechen, größeres Gewicht.

1.4. Die liberalen Zeitungen bewerten das Projekt „Stuttgart 21“ insgesamt negativer als die konservativen Blätter.

 

2. Die in der Kommentierung manifestierte Konfliktsicht der Zeitungen wird durch Selektion, Aufmachung und Platzierung der Aussagen bei der Nachrichtengebung untermauert.

3. Die Tendenz der zitierten und referierten Aussagen korreliert mit der Tendenz der Kommentierung der einzelnen Zeitungen.

4. Die Berichterstattung aller Zeitungen wird von politischen Akteuren und Aspekten des Konflikts dominiert. Diese werden zudem negativer dargestellt als andere Aspekten und Akteure.

5. Die liberalen Zeitungen stehen partizipativen Verfahren der Entscheidungsfindung und dem Protest gegen S21 eher wohlwollend gegenüber, während die konservativen den Protest ablehnen und repräsentative Verfahren präferieren.

 

3.2 Untersuchungsmethode


 

Zur Überprüfung der Hypothesen wird eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung von vier überregionalen Tageszeitungen durchgeführt. Die Inhaltsanalyse gilt als Standardinstrument zur Erfassung bestimmter Merkmale der Medienberichterstattung. Sie ermöglicht Rückschlüsse sowohl auf die Kommunikatoren als auch – in Kombination mit zusätzlichen Methoden –auf die Rezipienten und die soziale Situation (vgl. Rössler 2004, S. 29). Die vorliegende Untersuchung lässt verlässliche Aussagen ausschließlich über die Kommunikatoren zu. Anhand der inhaltsanalytisch ermittelten Besonderheiten der Berichterstattung werden lediglich Hypothesen über ihre möglichen Auswirkungen auf das Publikum bzw. die soziale Wirklichkeit aufgestellt.

 

3.2.1 Materialauswahl und Untersuchungszeitraum


 

Die Inhaltsanalyse konzentriert sich auf die Berichterstattung der überregionalen Tageszeitungen „Frankfurter Rundschau“ (FR), „Süddeutsche Zeitung“ (SZ), „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) und „Die Welt“ (WELT). Berücksichtigt wurden alle Zeitungsausgaben im Zeitraum von 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010. Die Auswahl des Materials wurde aus dreierlei Gründen getroffen: Erstens sind die oben genannten Presseorgane die auflagenstärksten überregionalen, täglich erscheinenden Abonnementszeitungen. Zweitens werden diese wegen ihres hohen journalistischen Niveaus auch als „Qualitätszeitungen“ bezeichnet und gehören zu den sogenannten meinungsbildenden Medien, an denen sich Journalisten maßgeblich in ihrer Tätigkeit orientieren. Drittens weisen die ausgewählten Blätter unterschiedliche redaktionelle Linien auf und decken somit das publizistische Links-Rechts-Spektrum in Deutschland ab. Die FR gilt als „ausgeprägt links“, die SZ als „gemäßigt links“. Dagegen sind die FAZ als „gemäßigt rechts“ und die WELT als „ausgeprägt rechts“ dem konservativen Lager zuzuordnen (vgl. Staab 1990, S. 138f).

 

Die Festlegung des Untersuchungszeitraums ergab sich aus der Entwicklung des Konflikts. Der Anfangspunkt bildet die Intensivierung der Proteste gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ im Juli 2010. Der Endpunkt stellen der Schlichterspruch und die darauffolgenden Reaktionen der Konfliktparteien im Dezember 2010 dar. Da sich diese nicht auf bestimmten, abrupt aufgetretenen Ereignisse zurückführen lassen, wird der Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember angesetzt. Insgesamt kamen 680 Zeitungsausgaben in diesem Zeitraum für die Analyse in Frage.

 

3.2.2 Analyseeinheiten und Kategorien


 

Der Inhaltsanalyse liegt eine hierarchische Zerlegung des Untersuchungsmaterials zugrunde. Es werden drei Analyseeinheiten auf zwei verschiedenen Ebenen der Berichterstattung identifiziert. Auf der Artikelebene wurden alle Beiträge über „Stuttgart 21“ codiert. Insgesamt gingen 869 Artikel in die Analyse ein. Für jeden Beitrag wurden u. a. die Platzierung, die journalistische Darstellungsform und den groben Themenschwerpunkt ermittelt. Des Weiteren wurde der Umfang der Artikel in Spaltenzeilen errechnet.

 

Unterhalb der Artikelebene wurden wertende Aussagen und Pro- und Kontra-Argumente zur Analyse herangezogen. Insgesamt wurden auf der Aussagenebene 8971 Codiereinheiten identifiziert, davon 7444 wertende Aussagen und 1527 Argumente.

 

Wertende Aussagen sind Informationseinheiten, die durch einen Zusammenhang von Aussagegegenstand und/oder Aussageobjekt, Urheber und Tendenz der Bewertung definiert sind. Es wurden ausschließlich wertende Aussagen über Aspekte (Aussagegegenstände) und Akteure (Aussageobjekte) des S21-Konflikts berücksichtigt. Unter Aussagegegenständen werden verschiedene Aspekte des Konflikts um S21 verstanden, die jeweils einen unterschiedlichen Allgemeinheitsgrad aufweisen. Die vollständigen Listen der Aussagegegenstände und -objekte können dem Kategoriensystem im Anhang entnommen werden. Außerdem wurden die Tendenz und der Urheber jeder Aussage erfasst. Für jeden Urheber wurde zusätzlich seine Position zu S21 festgehalten, wobei diese für bestimmte Akteure vorgegeben war, für andere wiederum aus dem Kontext ermittelt werden sollte. Der Urhebercodierung wurde die gleiche Liste mit Akteuren wie beim Aussageobjekt zugrunde gelegt. Die Tendenz wurde auf einer vierstufigen Skala von „eindeutig negativ“ (-2) bis „eindeutig positiv“ (+2) unter Vernachlässigung des Nullpunktes ermittelt. Für jede Aussage wurde zudem der Grad ihrer Hervorhebung erfasst. Als Messinstrument diente hierzu eine fünffach abgestufte Skala von 1 („Aussage im Fließtext“) bis 5 („Aussage in der Überschrift“).

 

Argumente stellen eine Form impliziter Bewertungen dar. Es handelt sich hierbei im Unterschied zur Kategorie „Aussagengegenstand“ um Gegebenheiten (Ereignisse, Zustände), die allgemein für oder gegen die Kontrahenten sprechen. Es geht also in erster Linie nicht um die Bewertung neutraler Sachverhalte, sondern um die – mit einigen Einschränkungen (siehe unten) – neutrale Darstellung werthaltiger Sachverhalte (vgl. dazu Kepplinger 1988, S. 660). Der Aussagegegenstand „Staatliche und polizeiliche Ordnungsmaßnahmen“ ist an sich wertfrei und kann vom jeweiligen Urheber entweder positiv oder negativ bewertet werden. Das Argument „Gewaltanwendung von Polizisten gegenüber Demonstranten / Strafanzeigen gegen Polizisten“ beinhaltet bereits eine latente Tendenz zugunsten der S21-Gegner und kann durch die bloße Nennung zur Stärkung der S21-Gegner-Partei instrumentalisiert werden. Die identifizierten Gegebenheiten sind also Tatsachenfeststellungen, deren Gültigkeit von den jeweiligen Kontrahenten lediglich relativiert, jedoch nicht völlig abgestritten werden kann. Sie weisen eine klare Richtung auf und können somit der jeweiligen Seite im Konflikt nutzen oder schaden. Nicht alle Nennungen eines Arguments fallen jedoch gleichermaßen ins Gewicht. Durch den Einsatz...

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