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Nur über seine Leiche

Wie ich meinen Mann verlor - und verdammt viel übers Leben lernte

AutorBrenda Strohmaier
VerlagPenguin Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641224646
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ehrlich, witzig, selbstbewusst - der inspirierende Weg einer Frau, die nach einem Schicksalsschlag ihr Leben umkrempelt.
Zehn Jahre lang versuchte Brenda Strohmaier, ihren Freund vom Heiraten zu überzeugen. Kaum hatte er endlich »Ja« gesagt, war sie plötzlich: Witwe. Mit 44. Fort war ihr kluger, schöner Mann, zurück blieb sie mit Trauerschmerz plus Bürokratieirrsinn. Und Fragen. Wie soll das gehen, so ein Leben und Lieben danach? Kann man mit Mitte 40 noch mal von vorne anfangen? Sie beschließt, der erzwungenen Rückkehr ins Single-Dasein ein paar neue Erkenntnisse abzutrotzen. Reist ein paar Monate durch die Welt, konsultiert Nachlassexperten, Meditationslehrer, Friseure, küsst eine Frau. Fazit ihrer irrwitzigen Odyssee: Bedingt lustig, dieses 'verwitwet'. Aber verdammt lehrreich.

Brenda Strohmaier, geboren 1971, lebt seit 1990 in Berlin. Als Stilredakteurin bei der WELT kümmert sie sich um Trends aller Art, auch in einer Kolumne namens »Neue Moden«. Nebenher promovierte sie in Stadtsoziologie. Von 2005 an war sie mit dem Filmkritiker Volker Gunske liiert, seit 2015 verheiratet, 2016 wurde sie Witwe. Seither versucht sie, dem Familienstand neuen Glamour zu verleihen.

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Leseprobe

Lektion 1:


Learning by dying

Wie ich einen Crashkurs im Loslassen absolvierte. Und merkte, dass ein guter Abschied zu Lebzeiten beginnt

Mit so viel grotesker Fröhlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Als ich an Volkers Sterbebett eilte, dudelte in seinem Zimmer das Radio, aufgekratztes Morgengeplapper. Gerade als ich es abschalten wollte, schmetterte Adele ihr theatralisches »Hello«. Ausgerechnet. Eine Zeit lang hatten Volker und ich, beide sehr mäßige Sänger, uns gerne lauthals mit dem Liedanfang am Telefon begrüßt. »Hellooooo! It’s meeee!« Dabei war ich doch jetzt gekommen, um Tschüss zu sagen. Für immer.

Wie sollte das gehen, nie wieder Pärchenquatsch machen mit ihm? Wie bitte nimmt man Abschied auf alle Ewigkeit? Verrückt. Überall sterben ständig Leute. Im Krimi, in Syrien, der letzte Urberliner in unserem Haus in Berlin-Mitte. Und doch hatte ich keine Ahnung. Noch nie hatte ich einen Menschen beim Sterben begleitet. Warum musste es unbedingt ein Crashkurs am eigenen Mann sein? Learning by dying.

Also ein letztes Mal: Helllooooo! Ich bin’s. Schon seit zwei Wochen hatte Volker nichts mehr gesagt; so lange schon lag er künstlich beatmet und sediert auf der Intensivstation. Nun machte sich eine Krankenschwester an den unzähligen Perfusor-Spritzen zu schaffen, die bislang unablässig lebensrettende Lösungen in seinen Körper getröpfelt hatten. Der Oberarzt hatte mich vorher zur Seite genommen und erklärt, wie sie Volker sterben lassen würden: »Wir setzen gleich die Medikamente ab, die den Kreislauf Ihres Mannes stützen.« Nun stöpselte die Schwester eine Ladung Morphium an. Schließlich ließ sie all die Alarme verstummen, die sich vorher so oft gemeldet hatten, wenn die Situation lebensbedrohlich wurde. Plötzlich: Stille.

Noch einmal der Mann im Bett, ich daneben. Wie viele Tage hatten wir so in einem Krankenhaus verbracht? Mindestens zweihundert in den vergangenen acht Jahren. Eine Krankheit namens »primär sklerosierende Cholangitis«, kurz PSC, hatte sich über Volkers Gallengänge hergemacht. Sie waren derart verhärtet (sklerosiert), dass die Galle sich rückstaute und die Leber zerstörte. Erst seine eigene, nach einer Transplantation war Leber Nummer zwei dran. Als Volker mal wieder wochenlang im Krankenhaus lag, erzählte mir eine Bekannte, sie habe auf einer Dinnerparty einen Arzt kennengelernt: »Der hat von einem seiner Patienten berichtet, ein besonders tragischer Fall. Die Krankheit klang so ähnlich wie Volkers.« Es war natürlich einer von seinen Ärzten aus dem Virchow-Klinikum gewesen.

Wir sprachen fast nie über den Tod. Die »Death-Positive-Bewegung« (siehe Lektion 11), die einen offensiven Umgang mit dem Sterben propagiert, war an uns vorbeigegangen. Nur einmal brach Volker sein Schweigen und erzählte, dass er den Tod ab und zu herumsitzen sehe. Einen Mann, so alt wie er, also Mitte fünfzig, nicht böse, aber beharrlich. Auch ich spürte ihn. Längst hatte dieser stumme Beobachter jede Umarmung zu einer Kostbarkeit gemacht. Und doch war ich nicht vorbereitet.

Durch eine Glaswand sah ich den Patienten im Nachbarzimmer. Ein Mann mit langen schwarzen Haaren. Winnetou, dachte ich. Was man nicht alles denkt. Diese Stille. Ob Volker mich hörte? Lebte noch irgendetwas in seinem Hirn? »Du musst nichts mehr tun«, sagte ich und klang dabei wie unsere Yogalehrerin vor der Endentspannung Shavasana, der Stellung der Toten. »Du musst nichts mehr tun« war Volkers Yoga-Lieblingssatz. Also noch einmal: »Du musst nichts mehr tun.« Was man nicht alles sagt. »Ich hoffe, du hast einen schönen Rausch. Weißt du noch, als du nach der Transplantation aufgewacht bist, vollgeknallt mit Opiaten? Und die ganze Technik der Intensivstation so bewundert hast? Du sagtest: ›Toll hier, das ist ja wie eine Techno-Party.‹ Und: ›Wie schön, dass du da bist.‹«

Der Monitor zeigte einen absurd niedrigen Blutdruck und einen hohen Puls. Ich machte ein Foto, so wenig konnte ich die Werte glauben, die da auf dem Monitor erschienen. Und ich hatte ja schon sehr oft auf diese Werte gestarrt. Einmal nach einer OP hatte Volkers Atem zwischenzeitlich immer wieder ausgesetzt, der Marker für den Sauerstoffgehalt im Blut war ständig unter den Sollwert gesunken, der Alarm hatte immer wieder gelärmt. Jedes Mal war die Schwester gekommen und hatte fröhlich berlinert: »Na, jetzt atmen Se mal, Herr Gunske.« Und Herr Gunske atmete. Das war acht Jahre her. Nun kam der Oberarzt. »Das Herz strengt sich noch mal an«, erklärte er in die Stille. »Es wird nicht mehr lange dauern.« Dann reduzierte er die Sauerstoffzufuhr des Beatmungsgeräts. Abgang Arzt.

Volker und ich. Noch einmal allein mit ihm. Noch einmal seine Hand halten. »Du musst nichts mehr tun.« Ich dachte an unser gemeinsames Leben, das vor zehn Jahren so chaotisch begonnen hatte. Wir hatten uns auf der Hochzeit von Volkers bestem Freund kennengelernt, der auch Volker heißt. Ich verliebte mich sofort in den neuen Volker, als der das Leben des Bräutigams anhand von Musikstücken ebenso lustig wie liebenswürdig nacherzählte. Seine Witze hatten genau die richtige Mischung aus »auf den Arm nehmen« und »in den Arm nehmen«. Das war ein Mann, an den ich mich nur zu gerne rantraute: einer, mit dem man ins Wasser gehen konnte, ohne dass er einen untertunkte. Und der so lächelte, dass es wärmer wurde im Raum.

Ich war allerdings mit meiner Freundin Annette gekommen, und als der Bräutigam seine Gäste in großer Runde vorstellte, sagte er: »Das ist Brenda und ihre Freundin Annette.« Fortan dachte mein künftiger Ehemann, ich sei lesbisch (was nicht ganz falsch ist, siehe Lektion 19). Wir arbeiteten im selben Verlag, er beim tip im siebten Stock, ich bei der Berliner Zeitung im vierzehnten. Damals gab es unzählige Betriebsversammlungen wegen eines britischen Heuschreckeninvestors – und Volker wunderte sich zunächst, warum diese lesbische Frau währenddessen immer so hartnäckig seine Nähe suchte. Am 23. Dezember 2005 haben wir uns doch geküsst, am 24. Dezember wieder getrennt, am zweiten Feiertag kamen wir schon wieder zusammen. In diesem Stil holperten wir lange weiter.

Meine Mutter zählte dreizehn Trennungen, dann hörte sie auf. Meist ging den Trennungen ein Streit ums Kinderkriegen voraus. Ich, damals noch Mitte dreißig, wollte unbedingt, er auf keinen Fall. Drei Jahre nach dem ersten Kuss und eine Paartherapie später gab er nach, und von da an haben wir uns nie mehr getrennt. Kinder bekamen wir dennoch keine. Bei einer Fruchtbarkeitsuntersuchung 2009 staunten die Ärzte über seine schlechten Blutwerte. »Trinken Sie?« Kurz darauf hatte Volker eine neue Leber. Und nur ein paar Monate nach dem endgültigen Anfang begann der lange Abschied.

Wie soll das gehen, Abschied nehmen für immer? Ich hielt seine reglose Hand und dachte an die vielen Male, die wir zu Hause zusammen getanzt hatten, das letzte Mal war erst ein paar Wochen her. Dann fiel mir meine eigene Pärchen-Theorie wieder ein. Der zufolge können Paare mit guten Beziehungen sich besser voneinander trennen als solche mit offenen Rechnungen. Auf einmal war mir klar, dass wir schon alles getan hatten für diesen letzten Moment. Wir hatten nichts aufgeschoben. Auch, weil der Tod uns rechtzeitig gewarnt hatte.

Ich hatte nie »Kopfschmerzen« gehabt. Wenn Volker ins Kino wollte, um eine alte Filmrarität zu sehen, war ich meist mitgekommen, auch wenn ich keine Lust hatte. Volker wiederum hatte mich oft auch dann zu meinen Freunden begleitet, wenn er so müde war, dass er sich am liebsten im Bett verkrochen hätte. Wir waren einfach gerne zusammen. Erst acht Monate vor dem ultimativen Aufschlag auf der Intensivstation hatten wir geheiratet. »Bis dass der Tod euch scheidet« – jetzt war es so weit.

Ein Chirurg, der Volker eine Drainage legte, hatte ihm in die Lunge gestochen – und es nicht gemerkt. Tagelang hatten Volker und ich bei sämtlichen Ärzten und Pflegern immer wieder moniert, es gehe ihm elend, er fühle sich, als läge er auf irgendetwas. Tatsächlich lag er auf literweise Blut, das in seine Lunge gelaufen war. Das Personal war zu gestresst, um sich mit seinem Fall länger zu beschäftigen. »Diese ganzen Feiertage im Mai bringen mich noch um«, war einer der letzten Sätze Volkers. Erst als die Sepsis kam und die Lungenentzündung folgte, nahm man unsere Klagen ernst. Zu spät.

Wohl gerade weil der Tod schon so lange friedlich herumgesessen hatte, hatte ich mir nicht vorstellen können, dass er eines Tages wirklich die Sense herausholen würde. Und trotz aller Vorwarnungen war ich nicht vorbereitet auf die Bilder, die nun folgten. Ich lernte, was es heißt, wenn Augen brechen. Volkers graugrüne Augen, die so liebevoll-ironisch schauen konnten, wurden milchig-leblos. Wie er dalag, dieser vertraute Körper, grotesk aufgeschwemmt, noch ganz warm und mit diesen vertrauten blonden Haaren an den Armen. Volkers schöne Arme. Monatelang würden mich diese Bilder immer wieder überfallen.

Später las ich, dass viele Menschen nach dem Tod eines Angehörigen eine besondere Stimmung im Raum bemerken, manche empfinden tiefen Frieden, einige, dass Kräfte des Toten auf sie übergehen. Ich weiß nicht mehr ganz genau, was ich fühlte. Aber es war nichts Tröstliches. Eher schien es mir, als würde Volker, der so am Leben gehangen hatte, etwas Entsetzliches zustoßen. Oberarzt und Schwester kondolierten. Ich könne gerne noch bleiben. »Nachdem Sie gegangen sind, werden wir den natürlichen Zustand Ihres Mannes wiederherstellen.« Sollte heißen: Sonden, Kabel, Schläuche, Kanülen, alles weg. Natürlich tot. Keiner schloss Volkers Augen. Ich kam nicht auf die Idee, es zu tun.

Ich saß, stand, tigerte im Zimmer herum. Ich bewunderte die Krankenhausmenschen. Jahrelang...

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