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Objektivität durch Subjektivität oder umgekehrt ?

Phänomenologischer Versuch einer dekonstruierten Erkenntnistheorie

AutorRolf Friedrich Schuett
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783741217807
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Diese Arbeit versucht, die klassische Disziplin der Erkenntnistheorie, welche heute in Wissenschaftstheorien aufzugehen droht, wiederzubeleben durch Rückgriff auf tiefenpsychologische Methoden und aphoristische "Gnome" (griechisch: "Erkenntnisvermögen") - die den philosophischen Mainstream unterirdisch begleiten - am phänomenologischen Leitfaden von Heidegger, Sartre und Conrad-Martius. Das Unbewusste gilt seit Freud als missing link zwischen Leib und Seele. Die Erkenntnisbedingungen und -widerstände kommen nicht nur aus Verstand und Gegenstand, sondern auch aus leiblich fundierten Triebkonstellationen. Dass die Erkenntnis- und Selbsterkenntnisleistungen des menschlichen Bewusstseins hinterrücks oft mitbestimmt oder sogar systematisch verzerrt werden durch abgewehrte Anteile unreflektierter Subjektivität, wäre für anthropologisch relevante Erkenntnistheorien endlich fruchtbar zu machen. Und Aphoristiker der europäischen Moralistik waren immer auch de(kon)struierende Ur-Analytiker des Unbewussten hinter rationalisierenden Bewusstseinsfassaden ihrer Epochen gewesen.

Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie. Systemanalytiker in der Atom- und Raumfahrtindustrie.

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Leseprobe

Einführung in die Problematik


Die Erkenntnistheorie sucht zu erkennen, wie das Subjekt sein Objekt erkennt, wie das Ich es schafft, aus seinem Bannkreis herauszukommen, um den Graben zu überwinden, der es von seinem Erkenntnisobjekt trennt. Wer von diesem Bild ausgeht, setzt zwei verschiedene, fix und fertige Substanzen voraus, die einander unvermittelt gegenüberstehen und dann irgendwie nachträglich eine Verbindung miteinander eingehen, die zur Erkenntnis führt. Die erkennende Substanz, das Subjekt, muß die Eigenschaft haben, die Kluft zur anderen Substanz zu überspringen, um am Ufer des Objekts landen zu können. Erst geht man von zwei getrennten und grundverschiedenen Dingen aus und versucht dann zu erklären, wie sie wieder miteinander zu vereinigen sind. Das Subjekt wird gewöhnlich mit einer Aktivität ausgestattet, die es ihm erlaubt, die Passivität des Objekts zu überrumpeln. Nicht zufällig wird das Erkennen als Ziel des Sehens gefaßt: Mein Blickstrahl trifft das Objekt wie der Jäger das Wild. Aber die Absicht des Sehenden ist nicht, seine Beute zu erlegen, sondern sich ein objektives Bild vom Objekt zu machen. Gehe ich aus mir heraus und an den Gegenstand heran, um mir einen Abdruck von ihm zu verschaffen, mit dem ich dann in mein subjektives Gehäuse zurückkehre? Zwar schaue ich das Objekt an, aber jeder weiß, daß dabei „eigentlich“ das Objekt es ist, welches sich mir einprägt, wie der Stempel sich in die leere Wachstafel eindrückt. Ich muß meinen Blickstrahl auf das Objekt fallen lassen, damit der Lichtstrahl physikalisch in mein passives Auge fallen kann. Wenn wir nicht wie einige mittelalterliche Denker annehmen wollen, daß das Ding, weil es sich nicht selbst von der Stelle rühren kann, so etwas wie dünne Signalhäutchen unablässig aussendet, die sein Aussehen tragen und ins erkennende Auge fallen, muß der Prophet zum Berge kommen, der nicht zum Propheten kommt. Will sagen, der Erkennende muß sich in Bewegung setzen, um das zu Erkennende zu erreichen. Und das Ich muß dazu nicht erst seine Kapsel verlassen, sondern immer schon verlassen haben. Es darf nichts anderes sein als diese Selbstüberschreitung in Richtung auf seinen Gegenstand. Es muß nicht erst ein Drinnen verlassen, sondern draußen und außer sich erst eigentlich in sich und bei sich sein: Die Innenwelt des Erkennenden besteht aus dem Draußensein beim Objekt. Dazu müssen wir gerade nicht annehmen, daß das Subjekt sein Objekt nur erkennen könne, wenn beide von gleicher Seinsart sind, weil nur Gleiches Gleiches erfassen könne. Das Subjekt unterscheidet sich vorn Objekt grundsätzlich dadurch, daß es bei sich selbst gerade dann ist, wenn es draußen bei seinem Objekt ist und den Abgrund, der es davon trennt, immer schon hinter sich gelassen hat. So wird der Abstand des Subjekts vom Objekt die Distanz des Subjekts von sich selbst. Wenn ich meinen Gegenstand ansehe, bin ich nicht hier bei mir, sondern drüben bei ihm, und die Entfernung zwischen meinem Körper hier und meiner Anwesenheit dort beim Objekt, das bin ich, sofern ich mein Objekt erkenne, also seine Entfernung von mir ent-fernt habe. Die Existenzphilosophen haben diese Struktur des menschlichen Daseins herausgearbeitet, das „ek-sistiert“, d.h. nicht einfach da ist wie das Objekt, sondern „heraus-steht“ aus sich selbst und hin zum Objekt, das mir gegenübersteht.

Vorgebildet war dies bei Hegel, nach dem das Ich seine Grenzlinie gegen das Objekt nicht ziehen kann, ohne diese Grenze auch schon überschritten zu haben. Die Grenzlinie, an der das Subjekt endet, ist die Linie, an der das Objekt beginnt, und umgekehrt. Zwischen mir und dem Gegenstand liegt ein Abstand, eine Leere, ein Nichts, also nichts. Intentional bin ich hingespannt auf das, was ich nicht bin, und von dem her, was ich nicht bin, bin ich erst, was ich bin. Nur wer außer sich gerät, kommt zu sich, und wer ganz bei sich ist, ist auch schon außer sich beim Objekt. Die Immanenz des Subjekts ist gerade nichts als seine Transzendenz, und die Transzendenz des Objekts konstituiert sich nach Husserl gerade in dieser transzendenten Immanenz der Subjektivität. Wenn aber das Subjekt von sich getrennt ist genau um seine Entfernung vom Objekt, dann erkennt es sich selbst im Objekt und in sich selbst das Objekt. Genauer: Im Subjekt fällt zusammen, daß das Subjekt mit dem Objekt zusammenfallt und zugleich nicht zusammenfällt. Wenn wir das Subjekt nicht als Schnecke sehen, die in ihrem Gehäuse sitzt, um irgendwann einmal Fühler nach der Welt auszustrecken, sondern als Substanz, die ihre Substantialität immer schon wie eine Schlangenhaut abgestreift hat und im Objekt jene Substantialität sucht, die es selbst nicht hat, dann müssen wir erklären, was das Erkenntnissubjekt beim Erkenntnisgegenstand eigentlich sucht, auf den es sich richtet, um sich nach ihm zu richten in seinen Urteilen. Ein Ding erkennen heißt, sein Wesen begrifflich erfassen. Das Wesentliche an einer Sache ist das Hauptsächliche an ihr, ihre Ursache, ohne die sie nicht wäre, was sie ist. Das Erkennen scheidet das Wesentliche vom Nebensächlichen, es schneidet die Sache durch in eine Erscheinung, die mir zugekehrt ist, und eine Rückseite, die weder für mich noch gegen mich ist und die das Ding nicht mit mir teilt. Wir sehen die Welt durch eine Brille, die wir nicht absetzen können, weil sie Teil unseres Auges ist, und wir wollen hier nicht untersuchen, warum wir von einer Brille wissen, obwohl wir unsere eigene Weltsicht doch gar nicht vergleichen können mit der eines Wesens, das seine Brille von der Nase nehmen könnte oder gar keine oder eine andere hätte. Wir streifen diese vulgärkantianistischen Bemerkungen auch nur, um zu der Frage zu gelangen, warum es für das Subjekt wesentlich sein kann, das Wesen seiner Objekte zu erkennen.

Wir glauben wissen zu müssen, wozu das Subjekt sein Objekt erkennt, um zu erkennen, wie es dieses Objekt erkennt. Was bedeutet es für mich, was die Dinge an sich sind? Mag das Ding an und für sich anders sein, als es für mich ist, mag das, was es an ihm selbst ist, für mich genau das sein, was es eben für mich darstellt, so bleibt die Frage, was die Erkenntnis eigentlich vom Objekt will. Eine Erkenntnis um der Erkenntnis willen führt nicht weiter, sondern in die Frage hinein, wozu wir eine solche Erkenntnis wollen, und wir bewegen uns im Kreise, wenn wir diese Frage nicht glauben beantworten zu können, ohne daß wir wissen, wie wir erkennen, also mit welchen Mitteln wir was auch immer begrifflich erfassen, selbst wenn wir mit diesen Mitteln identisch sind und sie nicht durch beliebig andere Instrumente ersetzen können.

Nach Kant müssen wir dazu die apriorischen Anschauungsformen unserer Sinnlichkeit und die kategorialen Gegenstandsformen unseres Verstandes befragen, also die Arbeit, mit der wir die sinnliche Mannigfaltigkeit unserer Empfindungen durch Verstandesbegriffe hindurch zu Erkenntnisgegenständen formen. Das Schematismus-Kapitel der „Kritik der reinen Vernunft“ spricht über die „objektive Gültigkeit“ unserer Erkenntniskategorien, über die Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf sinnlich vorgegebenes Außenweltmaterial. Hierbei ist allerdings die strikte Trennung bereits vorausgesetzt zwischen dem, was der Verstand von sich aus schon mitbringt, und dem, was ihm von außen gegeben werden muß, um daraus nicht Selbsterkenntnis, sondern Welterkenntnis zu machen. Zwar können wir nach Kant von keinem Objekt etwas erfahren, dessen Objektivität wir nicht selbst überhaupt erst gebildet haben, und wir holen als schlechte Unternehmer nicht mehr aus den Dingen heraus, als wir in sie hineingesteckt haben, aber der Schnitt zwischen Subjekt und Objekt ist zurückverlegt in die Inkommensurabilität von sinnlichem Material und rationalen Formen, bevor der Erkenntnisgegenstand konstituiert ist.

Ist das Objekt erst einmal fertiggestellt durch die synthetische Arbeit des menschlichen Verstandes am sinnlichen Rohmaterial, dann ist seine reine Gegenständlichkeit auch schon nach dem Bilde der Subjektivität geschaffen, die sich in ihm erkennt und es in sich erkennt. Vom Ding an sich sinnlich affiziert zu werden, ist bei Kant etwas anderes, als vom Gegenstand Erkenntnisse zu gewinnen. Erstens wird uns Sinnesmaterial gegeben, das wir zweitens erst zu Gegenständen formen müssen, an denen wir drittens unsere Erfahrungen machen. Im ersten und dritten Punkt verhalten wir uns passiv, im zweiten spontan und aktiv. Für die Vermittlung zwischen der passiven Anschauung und dem spontanen Begriff führt Kant ein Drittes ein, das Schema der Zeit als innerer Sinn für das Nacheinander der Zustände ein und desselben Objekts, das identisch mit sich selbst bleibt im zeitlichen Wechsel diverser Sinnesdaten, die von ihm künden. Der Verstand verknüpft die mannigfaltigen Sinnesvorstellungen vom Objekt synthetisch zu Vorstellungen ein und desselben Objekts. Ich stelle vor den Gegenstand mal so, mal so vor. Die unterschiedlichen Weisen, in denen er sich mir vorstellt, sind dadurch miteinander verbunden, daß es meine Vorstellungen sind, also Vorstellungen ein und desselben Subjekts von ein und demselben Objekt. Der Gegenstand soll im Wechsel seiner Erscheinungen genau so derselbe bleiben, wie ich derselbe bleibe im Wechsel meiner Vorstellungen von ihm. In diesem Sinne ist das Objekt nach dem Bilde des Subjekts konstituiert, als...

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