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Parsifal oder Die höhere Bestimmung des Menschen

Christus-Mystik und buddhistische Weltdeutung in Wagners letztem Drama

AutorPeter Berne
VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl318 Seiten
ISBN9783990124208
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
'Durch Mitleid wissend': In diesen drei Worten findet der geistige und philosophische Gehalt von Wagners 'Parsifal' seine kürzeste und prägnanteste Zusammenfassung, die von bestechender Aktualität ist. Durch allumfassendes Mitgefühl kann der Mensch die Grenzen seines gewöhnlichen Bewusstseins durchbrechen und zur Erkenntnis der 'Einheit alles Lebenden' gelangen, die dann zur Grundlage einer neuen, alles Leben umfassenden Ethik wird. Peter Berne zeigt die Genese dieses Gedankens aus mittelalterlicher Gralssymbolik und altindischem Denken auf und belegt dies anhand zahlreicher Zitate aus Wagners Schriften. Der Autor geht im Gegensatz zu vielen anderen Interpreten nicht nur von der Dichtung, sondern auch von der Musik aus. Neben der Deutung der archetypischen Symbole ist es vor allem die Entschlüsselung der musikalischen 'Leitmotive' mit ihrer präzisen gedanklichen Aussage, die den Ausführungen eine besondere Faszination verleiht. Bernes Publikation besticht durch die Unvoreingenommenheit ihrer Betrachtungsweise und bietet eine Fülle an aufregenden Erkenntnissen, die auf der soliden Grundlage genauer Forschung beruhen. Seine klaren Darstellungen sind für Laien wie Experten mit großem Gewinn zu lesen.

Peter Berne studierte am Salzburger Mozarteum Dirigieren und Klavier. Er arbeitete viele Jahre als Dirigent an europäischen Opernhäusern und war von 1991 bis 1993 Studienleiter an der Wiener Staatsoper, wo er das Wagner-Strauss-Repertoire betreute. In den letzten Jahrzehnten hat sich Peter Berne vor allem der pädagogischen Tätigkeit gewidmet und unterrichtet gegenwärtig an der Musikhochschule in Leipzig und der Hochschule 'Hanns Eisler' in Berlin Italienische Oper. Er publizierte unter anderem 'Apokalypse - Weltuntergang und Welterneuerung in Richard Wagners 'Ring des Nibelungen'' und 'Belcanto - Historische Aufführungspraxis in der italienischen Oper von Rossini bis Verdi'.

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Leseprobe

1. KAPITEL
DIE UMDEUTUNG SCHOPENHAUERS


Wagner bemühte sich zeitlebens, das, was ihn innerlich bewegte, auch in der Form von Büchern, Aufsätzen, Briefen und Zeitungsartikeln festzuhalten. Die beiden bedeutendsten Gruppen von Schriften entstanden um den Ring und um Parsifal und bilden für das Verständnis dieser beiden Werke eine unersetzliche Hilfe, auf die keine ernsthafte Werkdeutung verzichten kann. Welche Weltanschauung drückt sich in diesen Prosaschriften aus? Was „dachte“ Wagner?

Diese Frage ist schon deshalb nicht leicht zu beantworten, weil Wagner, wie die meisten Künstler – man denke an Goethe – nicht logisch-systematisch, sondern organisch-intuitiv dachte. Sein Biograph Westernhagen meint sogar, man dürfe bei ihm nicht von „Weltanschauungen“ sprechen, sondern nur von „großen Weltgefühlen“, die „seine Seele bewegt haben“.39 Und diese Gefühle waren in ständiger Bewegung begriffen, entwickelten und verwandelten sich wie ein Baum, der fortwährend neue Äste aus sich heraustreibt. Eine besondere Schwierigkeit bei Wagner besteht darin, dass man sein Denken in zwei Perioden unterteilen muss, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Die Trennungslinie zwischen beiden bildet die im Herbst 1854 erfolgte Bekanntschaft mit der Philosophie Arthur Schopenhauers (1788–1860). Der Einschnitt, den dieses Erlebnis verursachte, war so stark, dass man von einer „vor-Schopenhauer’schen“ und einer „nach-Schopenhauer’schen“ Epoche sprechen muss. Alles, was Wagner nach seinem 41. Lebensjahr schrieb, verfasste er gleichsam als „bekennender“ Schopenhauerianer. Und auch das künstlerische Schaffen seiner zweiten Lebenshälfte kann man nur dann wirklich begreifen, wenn man eine zumindest flüchtige Kenntnis Schopenhauers besitzt.

Dies gilt in besonderem Maße für den Parsifal, dessen geistige Aussage, philosophisch gesehen, gänzlich auf Schopenhauer’schen Begriffen beruht. Und deshalb wollen wir – bevor wir Wagners eigenes Denken näher betrachten – einen kurzen Ausflug in die Schopenhauer’sche Philosophie unternehmen, bei dem wir versuchen, den Hauptgedankengang des Schopenhauer’schen Systems zumindest in seinen groben Umrissen nachzuvollziehen. Dazu wird zwar einiges an konzentrierter geistiger Anstrengung erforderlich sein; doch die Mühe wird durch den Gewinn reichlich aufgewogen. Denn wie wir nachher bei der Analyse des Werkes sehen werden, hat dort beinahe jede Einzelheit ihre Entsprechung in den Gedanken des von Wagner so hochverehrten Philosophen.

1. PHILOSOPHISCHER EXKURS KURZER UMRISS DES SCHOPENHAUER’SCHEN SYSTEMS


Drei große Gedanken sind es, die Wagner von Schopenhauer übernahm, und die im Parsifal zur Grundlage der geistigen Aussage wurden:

1)  Die Einheit alles Lebenden

1)  Das leidvolle Wesen der Welt

2)  Das Mitleid als Weg zur Erlösung.

Obwohl alle drei etwas Einfaches und Elementares aussagen, das an sich auch ohne philosophische Überlegungen verstanden werden kann, ist ihre philosophische Begründung durch Schopenhauer, der sie als Teile eines zusammenhängenden Systems auffasste, relativ kompliziert. Am schwierigsten nachzuvollziehen ist für den in Philosophie Unbewanderten wohl die Ableitung der Idee der Einheit alles Lebenden. Denn um zu diesem schönen Gedanken zu gelangen, geht Schopenhauer von einem Begriff aus, der zunächst unserer Erfahrung zu widersprechen scheint: von der „Idealität der Welt“ – oder, wie es Walter Abendroth in seiner Schopenhauer-Monographie beschreibt: von der Feststellung, dass „wir die Dinge nicht so erkennen, wie sie an sich sind, sondern wie sie uns infolge der Beschaffenheit unserer Erkenntnisorgane erscheinen“.40 Was ist damit gemeint?

DIE IDEALITÄT DER WELT UND DIE EINHEIT ALLES LEBENDEN


Der naive Mensch nimmt an, dass die „Welt“ – also das, was nicht er selber ist, und das er als erkennendes Subjekt durch die Vermittlung seiner Sinne als Objekt wahrnimmt – genau so ist, wie er sie erlebt: So wie sie ihm erscheint, so ist sie. Wer jedoch ein bisschen darüber nachdenkt, kommt bald zu dem Schluss, dass diese einfache Gleichung „Erscheinung = Welt, wie sie an sich ist“ nicht so ohne Weiteres aufrechterhalten werden kann. Denn das, was ich als Welt „da draußen“ erlebe, kann ich nur durch meine Sinnesorgane wahrnehmen; und das Einzige, wovon ich ein unmittelbares Bewusstsein habe, sind die Vorstellungen, die durch die Sinneseindrücke entstehen. Wissen kann ich nur, dass ich in meinem Inneren diese Vorstellungen habe.

Es war die epochemachende Erkenntnis Kants, dass die Vorstellungen keineswegs eine unmittelbare Umsetzung der Dinge „da draußen“ sind, sondern dass der Geist den von außen kommenden Sinneseindrücken Entscheidendes erst hinzufügen muss, damit daraus Vorstellungen entstehen können. Denn was die Sinne empfangen, ist eine mehr oder weniger chaotische Menge an einzelnen Reizen; im Falle des Auges sind es Lichtpünktchen, im Falle des Ohres einzelne Schwingungen. Damit daraus die Vorstellung irgendeines Objektes werden kann, müssen diese Eindrücke zunächst im Raum und in der Zeit geordnet, d.h. in ein Verhältnis von Nebeneinander bzw. Nacheinander gebracht werden. Dann müssen bestimmte Grundbegriffe auf sie angewendet werden, wie Einheit, Gestalt, Verschiedenheit, Substanz usw. Erst dann formen sich die einzelnen Sinnesreize zu Gegenständen. Ich kann also nur dann eine Gestalt als etwas Festumrissenes, von anderem Unterschiedenes, im Raum Stehendes wahrnehmen, wenn ich die Begriffe „Raum“, „Gestalt“, „Einheit“, „Verschiedenheit“ usw. zur Verfügung habe. Und um eine Bewegung als ein “Vorher“ und „Nachher“ wahrzunehmen, brauche ich auch den Begriff der Zeit. Erst dadurch, dass ich diese Ideen auf die Sinneseindrücke anwende, entsteht die Vorstellung – und zwar jede Vorstellung. Das nennt Kant die „Idealität von Raum und Zeit“: „Idealität“ bedeutet hier, dass sie nicht den Dingen an sich zukommen, sondern nur in meinem Geist, als „Idee“ existieren. Die Welt, wie sie an sich existiert, und die Welt, wie sie mir erscheint, sind also nicht dasselbe. Anders gesagt: Die Welt, wie sie mir erscheint, existiert nur in meiner Vorstellung.

Diese Erkenntnis übernimmt nun Schopenhauer von Kant und kleidet sie in die berühmte Formulierung, mit dem sein Hauptwerk beginnt: „Die Welt ist meine Vorstellung“.41 Damit will er sagen, dass die Welt, die ich als die Wirklichkeit wahrnehme – jenes „Draußen“, das sich mir darstellt als eine Vielzahl verschiedener Objekte, die durch Zeit und Raum geordnet und durch das Prinzip der Kausalität miteinander verbunden sind, aber auch ich selbst, insofern ich mich als einen Körper wahrnehme – dass also all dieses in dieser Form nur in meiner Vorstellung existiere und deshalb nicht die letzte, eigentliche Wirklichkeit sei. Umgekehrt bedeutet das aber, dass jene eigentliche Wirklichkeit jenseits von Zeit, Raum, Vielheit und Kausalität liegen muss. Und darauf kommt es hier an. Denn damit wird eine tiefer liegende Realität postuliert, eine Wirklichkeit hinter der mit den Sinnen wahrnehmbaren Welt. Und diese eigentliche Wirklichkeit ist zeitlos, also ewig; raumlos, also unbegrenzt; ohne Vielheit, also Eines; und ohne Kausalität, also aus sich und durch sich selbst bestehend.

Nun hatte Kant behauptet, dass man über das „Ding an sich“ – also die Wirklichkeit, wie sie an sich, unabhängig von meiner Vorstellung von ihr, existiert – nichts wissen könne. Damit gibt sich jedoch Schopenhauer nicht zufrieden; er sieht trotz allem doch eine Möglichkeit, Erkenntnis über jene eigentliche Wirklichkeit, jenes An-sich-Existierende zu gewinnen. Zu dieser Erkenntnis gelangt er, indem er den Blick von außen nach innen wendet: er schaut in sich selbst hinein, um zu sehen, ob es dort etwas gibt, das nicht Vorstellung ist – das man also nicht über den Umweg der Sinneswahrnehmung und des Verstandes wahrnimmt – und das man trotzdem erkennen kann. Und dieses entdeckt er im Willen. Der Wille ist etwas, das ich unmittelbar erleben kann. Schopenhauer nennt ihn „jenes Jedem unmittelbar Bekannte“.42 Jedes Mal, wenn ich handle, entspringt die Handlung unmittelbar meinem Willen; ja, dass ich überhaupt als körperliches Individuum existiere, geht auf einen Willen zurück, der offensichtlich dieses Leben will, also auf einen „Willen zum Leben“.

Man hat also nach Schopenhauer die Möglichkeit, jenes sonst unerkennbare „Ding an sich“ doch zu erkennen – und zwar in seinem eigenen Inneren durch unmittelbares Erleben. Doch bei dieser Feststellung bleibt er nicht stehen. Durch einen Analogie-Schluss gelangt er zur Ansicht, dass der Wille – wenn er schon als Grund meiner eigenen Existenz erlebt wird – auch den Existenzgrund aller anderen Lebewesen bilden muss. Ja, er geht noch weiter, indem er behauptet, es sei der Wille, welcher alles Seiende überhaupt hervorbringe – auch das scheinbar Leblose. An dieser Stelle müssen wir uns aber klar machen, dass, wenn man den Willen als Seinsgrund z. B. auch eines Steins annimmt, es sich dabei um etwas anderes handeln muss, als was man sonst mit diesem Wort bezeichnet. Tatsächlich meint Schopenhauer mit „Wille“ etwas, was weit allgemeiner ist, als jenes bewusste, zielgerichtete Streben, das den Willen des Menschen kennzeichnet. Wille ist für ihn „auch die Kraft, welche in der Pflanze treibt und vegetiert, ja, die Kraft, durch welche der Kristall anschießt, die, welche den Magnet zum Nordpol...

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