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Paulus - Jude mit Mission

Alter Glaube in einer veränderten Kultur

AutorGuido Baltes
VerlagFrancke-Buch
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783868277807
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
War Paulus ein Jude? Oder war er der Gründer des Christentums? Für die einen ist der streitbare Apostel ein Held, weil er die engen Grenzen des Judentums durchbrach und aus dem Christentum eine Weltreligion machte. Für andere gilt er als Abtrünniger und Verräter, der den Glauben seiner Väter verließ. In neuerer Zeit mehren sich jedoch die Stimmen, die ein anderes Bild von Paulus entwerfen: Das Bild eines Juden, der seinem Glauben treu blieb, aber ihn hineintrug in eine neue und veränderte Welt. Dieses Buch geht den Spuren dieses Weges nach und zeigt, dass für den Juden Paulus der alte Glaube der Bibel nicht im Widerspruch steht zu den neuen Herausforderungen einer veränderten Kultur.

Dr. Guido Baltes ist evangelischer Theologe und lebt mit seiner Frau Steffi in Marburg. Er ist Dozent für Neues Testament am Marburger Bildungs- und Studienzentrum.

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Leseprobe

Kapitel 2 – Was können wir von Paulus wissen?

Ein Blick auf die historischen Quellen

Woher nehmen wir eigentlich unsere Informationen über Paulus? Die bunte Verschiedenheit der heutigen Bilder von Paulus rührt zu einem großen Teil auch daher, dass man auf ganz unterschiedliche Quellen zurückgreift, um das Leben und das Denken des Paulus zu rekonstruieren. Und je nachdem, wie man diese Quellen wertet und gewichtet, ändert sich auch das Bild von Paulus, das sich daraus ergibt. An dieser Stelle stellt sich ganz grundsätzlich die Frage nach der Zuverlässigkeit der Bibel und ihrem historischen Wert. Sie wäre ein eigenes Buch wert und kann hier auf wenigen Seiten nicht sinnvoll beantwortet werden. Die Meinungen darüber gehen – je nach Glaubensrichtung und nach wissenschaftlichem Anspruch – weit auseinander.

Eine notwendige Frage

Vielleicht sind Sie ein Mensch, der an solchen historischen Fragen kein besonderes Interesse hat. Oder an der Frage nach der Zuverlässigkeit der neutestamentlichen Schriften. Vielleicht haben Sie diese Frage auch schon längst für sich entschieden, auch ohne viel darüber zu wissen, weil Sie einen festen Glauben haben. Dann lade ich Sie ein, dieses Kapitel getrost zu überspringen und im nächsten weiterzulesen. Wenn Sie aber daran interessiert sind, „den soliden Grund und Boden für die Lehre zu erfahren, die Sie bisher kennengelernt haben“1, dann lade ich Sie ein, sich zusammen mit mir auf Spurensuche zu machen: Welche Quellen haben wir eigentlich, um ein zuverlässiges Bild vom Leben und Denken des Paulus zu entwerfen? Was verraten uns diese Quellen, an welchen Stellen lassen sie uns aber auch in Unkenntnis über Details und Hintergründe? Verfolgen sie eigene Ziele oder haben sie bestimmte Tendenzen? Und vor allem: Kann man diesen Schriften, die doch schon fast 2000 Jahre alt sind, heute überhaupt noch trauen?

Die Grundfrage nach der Glaubwürdigkeit der Bibel

Es gibt auf der einen Seite Strömungen im Christentum, die jede einzelne Detailaussage in der Bibel für wörtlich richtig halten, und zwar für richtig im Sinne heutiger naturwissenschaftlicher und historischer Forschung. Wenn also die Bibel sagt, dass Gott auf einem Thron im Himmel sitzt (Psalm 11,4) oder dass er Hände und Arme hat (5. Mose 26,8), dann ist das nicht bildlich gemeint, sondern es handelt sich um reale, naturwissenschaftlich nachweisbare Fakten. Für poetische Bildsprache, schriftstellerische Ausschmückung oder menschlichen Irrtum ist bei dieser Art der Auslegung innerhalb der Bibel kein Raum.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen solche christlichen Strömungen, die in der Bibel eine willkürlich zusammengestellte Sammlung altorientalischer und antiker religiöser Schriften sehen, die historisch weithin wertlos ist, weil sie nur von Glaubensüberzeugungen einzelner Menschen, aber nicht von tatsächlichen Fakten und Ereignissen redet. Für solche Menschen sind die Evangelien, aber auch die Geschichten von Abraham, Mose und David über weite Strecken eine literarische Fiktion, also eine gut erdachte Geschichte mit wenig historischem, aber dafür dennoch großem religiösen Wert.

Ich persönlich stehe irgendwo zwischen diesen beiden Extremen – und mit mir vermutlich die breite Mehrheit der christlichen und jüdischen Bibelforscher, egal ob eher konservativer oder eher progressiver Herkunft: Die wenigsten von ihnen halten jedes einzelne Detail der biblischen Erzählungen für absolute historische Wahrheit. Und die wenigsten halten die gesamte Bibel für historisch absolut wertlos. Zwischen diesen beiden Extremen ist aber immer noch sehr viel Platz für Meinungsverschiedenheiten: Wie weit wir zum Beispiel den Aussagen der Bibel im Einzelfall vertrauen und wo wir die Grenzen zwischen historischer Tatsache und poetischer Dichtung ziehen, darin unterscheiden sich Bibelforscher deutlich. Ich persönlich etwa traue der Bibel an vielen Stellen viel mehr historische Zuverlässigkeit zu als viele meiner Kollegen an den Universitäten oder auf den Kanzeln. Und vieles, was andere für fromme Dichtung halten, halte ich für historische Tatsache. Ich glaube, dass viele Aussagen der Bibel unnötig und zu Unrecht infrage gestellt werden. Aber ich glaube auch, dass die Verfasser der Bibel reale Menschen waren, die durch ihren Glauben und ihre Weltsicht geprägt waren. Sie waren keine allwissenden Erzähler, die über den Dingen standen. Sondern sie waren Beteiligte, die uns ihre Perspektive der Dinge schildern. Die dabei auch Fehler machen konnten. Und die sich durchaus die Freiheit nahmen, ihre Erzählungen schriftstellerisch und auch poetisch auszugestalten. Dinge, die man nicht mit menschlichen Möglichkeiten begreifen und beschreiben kann, haben sie in Bildern und bildhaften Geschichten beschrieben, die man nicht mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden sezieren kann. Und dennoch glaube ich (wie eigentlich alle Christen, die ich kenne, egal ob „liberal“ oder „konservativ“) an das, was man traditionell die Inspiration der Schrift nennt: dass also die Schrift, auf welche Weise auch immer, „von Gott eingehaucht“ ist, wie es im zweiten Timotheusbrief formuliert wird.2 Wie wir uns diese Inspiration genau vorstellen müssen, darüber gibt es unter Christen unterschiedliche Ansichten: Ich verstehe sie so, dass in diesem ganzen Prozess des Erzählens, Schreibens, Sammelns und Lesens auf verborgene Weise Gottes Geist am Werk ist, der den menschlichen Worten göttliches Leben einhaucht und dafür sorgt, dass in der Bibel, so wie wir sie haben, genau das steht, was Gott uns durch dieses Buch sagen möchte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die Briefe des Paulus: Informationen aus erster Hand

Die erste und wichtigste Quelle für das Leben und das Denken des Paulus sind natürlich die Briefe, die er selbst geschrieben hat. Damit stehen wir übrigens bei Paulus, im Gesamtvergleich der Bibel, auf ganz besonders sicherem Boden: Denn von Abraham, Mose oder David sind uns keine persönlichen Briefe erhalten. Nicht einmal von Jesus. Aber von Paulus haben wir gleich mehrere. Paulus steht damit nicht nur innerhalb der Bibel, sondern eigentlich innerhalb der gesamten antiken Literatur einzigartig da. Von keiner anderen Person der Antike sind uns so viele vergleichbar ausführliche und zugleich authentische Briefe erhalten wie von Paulus: Zwar gibt es Briefe von großen Philosophen wie Plato und Aristoteles oder von Staatsmännern wie Cicero und Plinius. Sie haben aber einen ganz anderen Charakter: Historiker und Bibelforscher unterscheiden hier zwischen „Gelegenheitsbriefen“ und „Lehrbriefen“: Gelegenheitsbriefe sind echte Briefe, die von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation an einen tatsächlichen Empfänger geschickt wurden. Lehrbriefe dagegen sind vergleichbar mit „offenen Briefen“, die heute in Zeitungen oder im Netz veröffentlicht werden: Sie sind nicht wirklich Briefe, sondern öffentliche Abhandlungen für eine breite Leserschaft, die sich nur die Form eines Briefes geben. Für den Historiker sind Gelegenheitsbriefe von ungleich höherem Wert, weil sie eigentlich nicht für die Nachwelt geschrieben sind, sondern einen authentischen Einblick in reale Lebenssituationen und Beziehungen geben. Aus der Antike, und sogar aus der Zeit des alten Israel, sind uns viele solcher Gelegenheitsbriefe erhalten, die uns unschätzbare Momentaufnahmen in das Alltagsleben der damaligen Zeit geben. Aber sie alle sind von ihrem Inhalt her nicht mit denen des Paulus vergleichbar:

Zwei antike Briefsammlungen

So wurde in Tell-el Amarna in Ägypten in den Jahren 1887–1892 das königliche Archiv des Pharao Echnaton (ca. 1350 v. Chr.) entdeckt und darin etwa 350 kleine, auf Tontäfelchen geritzte Briefe seiner Statthalter, Vasallen und Generäle aus allen Teilen des Reiches: Auch wenn diese Briefe oft nur sehr knapp von einzelnen kriegerischen Vorfällen oder Finanzabrechnungen berichten, geben sie doch einen sehr lebendigen Einblick in die Zeit des alten Ägypten, etwa zur Zeit des Mose.

Nur kurze Zeit nach dem Fund von Tell el-Amarna entdeckten britische Forscher bei Ausgrabungen in der antiken Stadt Oxyrhynchus, ebenfalls in Ägypten, eine riesige Müllhalde mit fast 400.000 alten Papyrusresten. Dieses Mal stammten sie aus der Zeit des Neuen Testaments und der frühen Kirche. Darauf entzifferte man viele biblische und außerbiblische Schriften, aber auch Werke der klassischen griechischen Dichtung und vor allem auch ganz alltägliche Gelegenheitsschreiben wie Einkaufslisten, Kaufbelege, Verträge und persönliche Briefe. Bis heute ist erst etwa 1 Prozent dieses Jahrhundertfundes entziffert und veröffentlicht und die Arbeiten dauern weiter an. Gerade die kleinen Alltagsbriefe sind dabei natürlich von ungeheurem historischen Wert: Denn ohne solche Funde kannten wir bisher immer nur die Geschichte der großen Herrscher und Feldherren, die von den Historikern dokumentiert war. Durch Alltagsbriefe und Gelegenheitsschreiben aber bekommen wir Einblick in das Leben der kleinen Leute: Briefe von Vätern an ihre Söhne, die zur Ausbildung in die große Stadt gezogen waren. Briefe an Geschäftspartner und Familienangehörige, Glückwunschschreiben zu verschiedensten Anlässen. An der unsicheren Handschrift und den vielen Rechtschreibfehlern können wir erkennen, dass die meisten dieser Briefe nicht von gebildeten Leuten stammen, sondern aus der Unter- oder Mittelschicht. Diese Briefe sind deshalb sehr authentisch. Ihr Nachteil besteht allerdings darin, dass oft nur wenige Zeilen erhalten sind und uns meistens weitere Informationen über den Verfasser, die Entstehungszeit oder das Umfeld fehlen.

Ganz anders als diese Gelegenheitsbriefe sind die...

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