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Pompeji

Die größte Tragödie der Antike

AutorAlberto Angela
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783641179458
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Noch nie wurde das Leben in der antiken Stadt kurz vor dem Untergang so anschaulich und unmittelbar erzählt
Am 23. Oktober 79 n. Chr. feiert die illustre Gesellschaft Pompejis ein opulentes Fest. Der bebende Vesuv wird das bunte Treiben jäh beenden. Auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse rekonstruiert der renommierte Wissenschaftsjournalist Alberto Angela in einem hochspannenden Countdown Stunde um Stunde den Untergang der Stadt, den eine Handvoll Menschen tatsächlich überlebte.

Alberto Angela führt durch belebte Gassen, in prächtige Salons, kleine Läden und an erst kürzlich versiegte Brunnen. Eine sinnliche Reise in die Welt der Antike, die tiefen Einblick gibt in das faszinierende Alltagsleben am Golf von Neapolis vor 2000 Jahren.

Alberto Angela wurde 1962 in Paris geboren. In Rom studierte er Naturwissenschaften. Als Paläontologe nahm er an zahlreichen Ausgrabungsprojekten in Afrika und Asien teil und ist heute ein populärer Fernsehmoderator für naturwissenschaftliche Sendungen in Italien. Angela ist Mitglied des Istituto Italiano di Paleontologia in Rom sowie am Centro Studi e Ricerche Ligabue in Venedig. Gemeinsam mit seinem Vater Piero, einem bekannten Archäologen, Journalisten und Autor, hat er mehrere Bücher veröffentlicht.

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Leseprobe

Die Aristokratin und der General

Tyrrhenisches Meer vor Misenum
22. Oktober 79 n. Chr., 8.00 Uhr
Noch 53 Stunden bis zum Ausbruch

AVE PU(EL)LA
Sei gegrüßt, schönes Mädchen.

Die sehnigen Hände des Steuermanns umfassen die arg strapazierten Leinen, mit deren Hilfe die beiden Ruder des Schiffes gesteuert werden: Sie durchschneiden das Wasser wie Pflugscharen. In antiker Zeit hatten Schiffe kein Mittel-, sondern zwei Ruder, die seitlich am Heck angebracht waren wie große vertikale Paddel. Sie werden von einem Mann in einer kleinen Kabine bedient, einer echten »Kommandobrücke«.

Während des Manövers, welches das Schiff um das Kap von Misenum herumführt, vibrieren die gestrafften Seile in den Händen des Steuermannes wie die Zügel eines Pferdegespanns, wenn der Wagenlenker im Circus Maximus eine Kurve nimmt. Das Schiff bäumt sich einen Augenblick auf, als weigerte es sich zu drehen, doch dann gehorcht es und ändert seinen Kurs. Rectina und die übrigen Passagiere spüren den Kurswechsel, auch weil der Wind jetzt aus einer anderen Richtung weht. Die Sonne, die ihnen vorher auf der Haut brannte, hat sich nun hinter dem Segel versteckt. Der Wind treibt das leichte Schiff mit Macht übers Meer. Linker Hand, nur wenige Meter entfernt, türmt sich das Kap von Misenum auf, ein gewaltiger steinerner Riese. Die Wellen brechen sich an seinen Felsen, die allen schrecklich nah erscheinen.

Weißer Schaum überzieht das Deck mit einem feinen Sprühnebel. Der Wind peitscht das Meer auf, der Salzgeruch beißt in der Nase. Der Schaum ist so weiß wie der imposante Leuchtturm, der sich auf dem Felsvorsprung mehrere Stockwerke hoch über ihre Köpfe erhebt. Er sieht aus wie ein Turm aus übereinandergeschichteten Bausteinen. Die strahlend weiße Farbe und die ungewöhnliche Form erinnern ein wenig an Arabien. Zwischen den quadratischen Häusern der arabischen Mittelmeerküste würde er jedenfalls nicht weiter auffallen. Tatsächlich haben die Orte um Pompeji, aber auch Straßen und Plätze der Stadt selbst eine Anmutung, die wir heute als »arabisch« oder »nordafrikanisch« beschreiben würden. Und das ist schon die erste Überraschung, die uns auf unserer Reise begegnet.

Der Steuermann mit dem gekräuselten schwarzen Bart lenkt das Schiff von seiner Kabine aus mit unglaublicher Geschicklichkeit. Er ist einer der Besten auf dieser Route. Sein Blick fixiert die Neptunstatue, die sich an der Einfahrt zum Hafen von Misenum auf der Mole erhebt. Die vergoldete Bronze gleißt im Sonnenlicht, sodass sie die Näherkommenden schier blendet. Doch allen Seeleuten dient sie als Orientierungspunkt, der sie in den Hafen geleitet.

Denn der Hafen von Misenum ist nicht irgendein Hafen. Dort liegt die kaiserliche Flotte vor Anker, die Classis Misenensis, eine der beiden Prätorianerflotten. Die andere ist in Ravenna stationiert.

Dass wir uns dem mächtigsten Marinehafen des römischen Kaiserreichs nähern, merken wir auch an dem gewaltigen Schiff, das auf uns zuhält. Die fast vierzig Meter lange Quadrireme schiebt sich bedrohlich vorwärts, angetrieben von einem Wald von Rudern, die sich gemeinsam aus dem Wasser heben und wieder senken. Über dem Geräusch der Wellen erhebt sich die Stimme des Antreibers, der den Ruderern den Rhythmus vorgibt. Wie eine dunkle Wolke gleitet sie übers Wasser, während die beiden Augen auf dem Bug unheilschwanger zu funkeln scheinen. (Dieses Symbol dient dem Schutz des Schiffes und ist auch heute noch häufig anzutreffen, zum Beispiel in der Türkei.) Der Rammsporn aus Bronze taucht zwischen den Wellen auf, drei tödliche horizontale Klingen, die die Wand jedes feindlichen Schiffes aufreißen können.

Weniger bekannt ist es, dass der Rammsporn eines Schiffes so konstruiert war, dass er in dem feindlichen Schiff stecken blieb wie der Stachel einer Biene und mit ihm zusammen versank. Die spezielle Art der Konstruktion sowie der niemals rechtwinklig, sondern immer diagonal ausgeführte Rammstoß sorgten dafür, dass der Rammsporn nicht allzu tief eindrang und das angreifende Schiff nicht Gefahr lief, selbst unterzugehen. Außerdem riss der spitzwinklige Rammstoß eine viel größere Wunde in den Bauch des gegnerischen Schiffes und machte so viele Ruder unbrauchbar. Auf diese Weise wurde das Schiff manövrierunfähig.

Die Quadrireme kehrt von einer Erkundungsfahrt an der Küste zurück, die sie im Verband mit einigen Triremen unternommen hat. Beim »Endspurt« werden die Ruderer angetrieben, alles aus sich herauszuholen, um sie auf die Probe zu stellen.

Die kaiserliche Flotte in Misenum hat mittlerweile keine Feinde mehr im Mittelmeer. Die Zeit der großen Seeschlachten wie der bei Actium von Octavian gegen Marcus Antonius und Cleopatra oder der Schlacht bei den Aegates (Ägadischen Inseln) gegen die Flotte Karthagos ist vorüber. Und Piraten gibt es nicht mehr. Die kaiserliche Flotte ist stets bereit, übernimmt aber hauptsächlich friedliche Missionen wie den Transport von Waren, Nachschub oder Personen.

Auch Rectina befindet sich an Bord einer Liburne, die in Friedenszeiten für den Transport von Angehörigen der römischen Regierung von und nach Misenum benutzt wird. Aus Gründen, die Historiker entdeckt haben und von denen wir später noch lesen werden, gilt Rectina zu jener Zeit sozusagen als »VIP«.

Natürlich musste die Liburne der Quadrireme bei der Einfahrt in den Hafen den Vorrang überlassen. Jetzt aber darf auch das Schiff Rectinas einlaufen.

Der Bootsmann steuert das Schiff zwischen dem felsigen Inselstreifen der heutigen Isola Pennata und der langen Mole hindurch, welche die Bucht verschließen wie die Scheren einer Zange. Dann entzündet er ein Licht auf dem kleinen Bordaltar und bringt Opfergaben dar, wobei er halblaut heilige Formeln rezitiert. Formeln, welche die Seeleute an Bord und einige der Passagiere nachsprechen. Denn Seeleute in der Antike sind wie in späteren Zeiten extrem abergläubisch. Sie danken den Göttern, dass sie wohlbehalten und gesund angekommen sind. Ein Ritus, der uns heute ein wenig überkommen erscheint, der jedoch, wenn man genauer darüber nachdenkt, auch in unserer hochtechnisierten Zeit noch existiert. (Sicher haben Sie es schon einmal erlebt, dass nach der Landung eines Charterflugzeugs geklatscht wird und der eine oder andere Passagier sich bekreuzigt. Und außerhalb Europas werden immer noch gern Gebete oder Segenssprüche rezitiert.)

Der Admiral und Naturforscher

Der Hafen von Misenum scheint von der Natur selbst für die kaiserliche Flotte geschaffen worden zu sein. Er besteht aus zwei aneinandergrenzenden Buchten, die eine liegende Acht bilden. Unser Schiff legt in der ersten Bucht an. Es hält direkt auf einen kleinen Felsvorsprung zu, den man heute als Punta Scarparella kennt. Der Flottenverband jedoch steuert die zweite natürliche Bucht an, die von der ersten durch ein enges Nadelöhr getrennt ist. Darüber spannt sich eine Holzbrücke. Vermutlich handelt es sich um eine bewegliche Brücke. (Diese Brücken sind an den Flüssen des Römischen Reichs recht häufig. Zu ihnen gehört auch die berühmte Brücke von Londinium [London], die es schon in römischer Zeit gab.)

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was dann an der beweglichen Brücke am Hafen von Misenum geschah: Sämtlicher Verkehr vor der Brücke hält an. Auf ein Signal hin hebt sich die Brücke, damit das gewaltige Kriegsschiff mit seinen zahllosen, jetzt eingezogenen Rudern unter ihr hinweggleiten kann. In der zweiten Bucht liegen viele Schiffe vor Anker. Rammsporn an Rammsporn schiebt sich zwischen den zahllosen gemalten Augen hervor. Dort liegt Roms Macht zur See vor Anker, jederzeit bereit, im Mittelmeer eingesetzt zu werden.

Das Schiff, auf dem Rectina gereist ist, liegt nun sicher an der Hafenmauer vertäut. Diese säumt ein langer Säulengang, der weiße Häuser mit ziegelgedeckten Dächern beschattet. Hier sind Büros und Ladeschuppen untergebracht. Dahinter klettern die Häuser des Orts die Anhöhe hinauf bis zur Festung.

In einem dieser Häuser lebt der Admiral und Oberbefehlshaber der Flotte. Man begegnet dem allseits geschätzten Mann des Öfteren auf den Straßen. Er ist sofort erkennbar an seiner massigen Statur und seinem gravitätischen Gang, aber auch an seiner Höflichkeit und den geschliffenen Manieren, die zeigen, dass er ein gebildeter Mensch ist. Und nicht zuletzt an seiner gelassenen Haltung, seinem strahlenden und selbstsicheren Lächeln. Sein Name ist in die Geschichte eingegangen. Es handelt sich um Gaius Plinius Secundus, den die Historiker »Plinius den Älteren« nennen, um ihn von seinem Neffen Plinius dem Jüngeren zu unterscheiden. Beide sind, wie Sie bald sehen werden, zentrale Figuren in unserer Erzählung. Einer wird auf dramatische Weise das Leben verlieren, während der andere, noch jung, gerettet wird und das Geschehen der Nachwelt überliefern kann.

Tatsächlich ist es Admiral Plinius der Ältere (den auch wir so nennen werden), der Rectina am Hafen abholt. Was wissen wir von ihm? Er ist zu jener Zeit sechsundfünfzig Jahre alt und in Novum Comum, dem heutigen Como, zur Welt gekommen. (Andere Historiker geben das antike Verona als Geburtsort an.) Als junger Mann diente er zwölf Jahre lang in den am Rhein stationierten Legionen, wo er eine Kavallerieschwadron befehligte. Dann stagnierte seine Karriere eine ganze Zeit lang, weil er der Herrschaft Neros ablehnend gegenüberstand. Doch als Nero das Zeitliche segnete, nahm das Schiff Plinius’ des Älteren unter Kaiser Vespasian wieder Fahrt auf, denn wie der Zufall es so wollte, hatte Plinius in Germanien zusammen mit Titus gedient, dem Sohn des Kaisers. Die drei einte eine ausgesprochen pragmatische Einstellung zum Leben,...

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