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E-Book

Predigtstudien VI/1

für das Kirchenjahr 2013/2014

VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl273 Seiten
ISBN9783451800290
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Sonntag für Sonntag einen vorgegebenen Bibeltext so auszudeuten, dass sich die Kirchenbesucher persönlich angesprochen fühlen, ist eine hohe Kunst. Um sie zu beherrschen, benötigt man die richtigen Hilfsmittel. Die Predigtstudien gewährleisten seit über vier Jahrzehnten mit predigterfahrenen Autorinnen und Autoren aus allen Generationen und Landeskirchen zeitgemäße Anregungen für eine fundierte Predigt.

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Leseprobe

1. Advent

Hebräer 10,(19–22)23–25:

»Ich hatte Geburt gesehn und Tod«

Christian Stäblein

I Eröffnung: »Vorhang auf!«

Hebr 10 hält einige adventliche Schlüsselworte bereit, allerdings nicht die so eingängigen »Ankunft« oder »(die) Tor (macht weit)«. »Eingang«, »Vorhang« und »Hinzutreten« sind die Sprachbilder, mit denen hier das Nahen Gottes beschrieben wird.

Eingang – in einer Welt der Passwörter ist das eine (Über-)Lebensfrage für alle, die am Daten- und Kommunikationsfluss teilhaben: Wie komme ich rein – ins Netz, in die Community; aber auch: Wie kann ich mich schützen, wie kann ich Eingang und Hinzukommen kontrollieren – all das sind Fragen des Alltags geworden. Ebenso zentral heute die Herausforderung der »Inklusion«, eines Umgangs miteinander, der Menschen mit Handicap nicht ausschließt. Barrierefrei, niedrigschwellig, Kommunikation in leichter, einfacher Sprache – das ist einer Gesellschaft aufgegeben, die oft so segmentiert daherkommt, dass ein gemeinsamer Grund unkenntlich, Austausch untereinander kaum möglich scheint. Wie wirkt vor diesem Hintergrund das Bild vom »Weg durch den Vorhang«, das fast schon altertümlich anmutet und mich doch besonders anspricht?

Es gehört zu den schönsten Kindheitserinnerungen, wenn sich im Theater der Vorhang hebt. Oder wenn die Schauspielerin nur den Kopf durch den Vorhang steckt, der Sänger seine letzte Zugabe – da ist der Vorhang längst gefallen – davor singt, ganz nah. Bei den Kanzelaltären ist oft ein kleiner Vorhang oben, da, wo der Prediger nach kurzem Aufstieg hervorkommt. Durch den Vorhang hindurch muss er oder sie – wie das Wort, das Eingang finden soll. Der Vorhang ist ein Sicht-, kein Hörschutz, durch Vorhang Getrennte stehen im selben Raum, sind schon beieinander, können den Atem des anderen vernehmen, seine Schritte. Der Hebräerbrief erzählt davon. Vorhang auf! Ein seltener, sinnbildlicher Adventsruf für Menschen, die dort Zugang suchen, wo der Erwartete längst Eingang gefunden hat.

Der Gottesdienst am 1. Advent versammelt eine Gemeinde voller Sehnsucht nach einem Blick auf das, was das Leben ausmacht. So »treten herzu« viele an diesem Tag am Eingang des religiösen, gemeindlichen Betriebs: die Krippenhändler und die Basar-Engagierten, der Chor und die Bläser, die mit dem Fastenaufruf, die mit der Brot-für-die-Welt-Dose und die mit Schokoladenadventskalender für den guten Zweck der (Gemeinde-)Stiftung. Jeder hat seinen Zugang zur Feier am 1. Advent – jeder hofft auf seine Weise, dass sich etwas von der Freiheit auftut, in der wir Eingang haben zu ihm, der kommt.

Zugang – Die Bilder des norddeutschen Künstlers Hermann Buß, die seit fast einem Jahr die Johanneskapelle im Kloster Loccum ausfüllen, entdecken das Thema als Mitte menschlicher Existenz heute. Auf dem ersten der vier Bilder ist ein Eingang des Klosters zu sehen, davor – surreal, und doch wie echt – ein Mauerstück, das den Zugang versperrt. Der Maler spielt mit der religiösen Tradition des Ortes, die so gerne vom »porta patet cor magis« erzählt. Woher das Betonstück, das wie ein Rest der Berliner Mauer aussieht? Wieso geht der Mensch, der da dran lehnt, nach vorne gebeugt, warum geht er nicht einfach um die Mauer herum? Drinnen hinter der Öffnung ist es dunkel, einem schwarzen Vorhang gleich, durch den nur wenige Lichter zu ahnen sind. Ist da noch wer? Oder ist der Ort draußen, an der Mauer, an der sich gut klagen lässt, der Ort, an dem wir warten? Dass jemand kommt – durch den Vorhang, durch die Mauer hindurch? Zugang zu meinem Leben in seiner Tiefe und Fraglichkeit, das ist das Thema dieser Bilder und das Thema des Glaubens heute.

II Erschließung des Textes: »Auf geht’s!«

Ob die Hebräerworte den Vorhang zur Seite schieben (können)? Leichten Eintritt bieten sie nicht. Umso mehr lohnt, in ihre dichte Bild- und Begriffswelt einzusteigen. Im Urtext bilden die VV. 19–25 einen Satz, mit dem der dritte große Teil des Hebräerbriefes, seine Schlussparänese, eingeleitet wird. Kenntlich wird der Neueinsatz durch die im Brief seltene direkte Anrede (vgl. Hebr 3,12). In der ersten Hälfte des Satzes (VV. 19–21) wird in wenigen Worten der Heilsgrund entfaltet, »eine knappe Zusammenfassung dessen, was die Gemeinde als soteriologischen Gewinn aus dem Christusereignis verbuchen kann: ungehinderten Zugang zum himmlischen Sanctissimum« (Grässer, 12). Klassisch steht hier der Indikativ der Heilszusage voran, bevor in dreifacher Weise aufgefordert wird. Diese Trias ist mit den nicht minder klassischen Tugenden Glaube (V. 22: lasst uns hinzutreten), Hoffnung (V. 23: lasst uns festhalten) und Liebe (V. 24f.: lasst uns acht haben und nicht verlassen) verbunden.

Eine Abtrennung der im Perikopenvorschlag in Klammern gesetzten VV. 19–21 ist also weder grammatikalisch noch inhaltlich sinnvoll. Die »kultische[n] und ethische[n] Spitzenaussagen« (Karrer, 230) gehören untrennbar zusammen, ja sie sind die unterschiedlichen Aussageformen der einen Botschaft, deren Vorgängigkeit ebenso gewiss ist wie ihre Realisierung im Ereignis des Vollzugs wirklich. Der Adhortativ ist als »evangelische Selbstaufforderung« zu verstehen, die »Bedingungen ihrer Möglichkeit« sind durch den himmlischen Hohepriester erfüllt (Grässer 21), sodass das Verhältnis von Glaube und Werk ohne die Modalverben ›sollen‹, ›wollen‹ oder ›müssen‹ auskommt. Was zusammengehört und in einem Satz ausgesprochen ist, versteht sich in seiner Abfolge von selbst. Ein umgangssprachliches »Auf geht’s« wäre eine passende Wiedergabe.

Der Hebräerbrief formuliert den Heilsgrund in den Verstehenszusammenhängen des alten, des ersten Bundes. Ob hierdurch Kontinuität oder Diskontinuität von christlicher und jüdischer Tradition betont werden, ist eine am Hebräerbrief immer wieder aufkeimende Fragestellung, die unabhängig von ihrer historischen Einordnung für die Gegenwart im Sinne der Kontinuität zu beantworten ist, schon deshalb, weil die Kontinuität die Verstehensvoraussetzung für die Diskontinuität ist und jene diese umgreift.

»Eisodos« als terminus technicus für das »Hineingehen« in den Tempel, der Hohepriester – hier wörtlich der »große Priester« –, besonders natürlich die Rede vom »Weg durch den Vorhang« setzen das Geschehen im Tempel am Jom Kippur ins Bild und verbinden es mit den Berichten vom Tod Jesu am Kreuz: »Und der Vorhang zerriss.« (Mk 15,38) Inwieweit der Verstehenskontext Tempel durch den Zusatz »das ist sein Fleisch« sinnvoll ergänzt (vgl. Karrer, 217f.) oder durch antignostische Hermeneutik überlappt wird, ist umstritten.

Jedenfalls geht es hier um die Formen ritueller, religiöser Annäherung, deren Ziel die innige, wie Haberer zu Recht sagt: »intime«, weil den anderen durch und durch offenbarende Begegnung ist. (Haberer, 18) Dass dabei das Ansichtige, das Gesicht ein besondere Rolle spielt (Vorhang), ist eine ebenso alte biblische Einsicht (Ex 34) wie die Frage, ob die Materie, das Fleischliche der menschlichen Existenz ein Hindernis ist. Der Hebräerbrief fällt hier zwei für heute zentrale Aussagen: Der Vorhang wird von der anderen Seite, von Christus gehoben (1). Hierfür hat er unsere Gestalt angenommen, ganz und gar, auch im Fleisch (2). Kurz: Weil er sich aufgemacht und den Vorhang aufgezogen hat, geht es für uns auf auf diesem Weg.

Bei den VV. 22–25 wird es darauf ankommen, sie nicht allzu schnell in kerngemeindlich oder milieuverengte Perspektiven aufzulösen und etwa über den realen Gottesdienst(besuch) zu räsonieren. Für den Gottesdienst gilt immer auch die Einsicht, die Manfred Josuttis in einer Predigt am 1. Advent formuliert hat: »Menschen, die um die Kirche einen großen Bogen machen, haben ja manchmal viel besser verstanden, worum es hier geht, als wir, die wir hier einigermaßen unbeschwert eingetreten sind, oder wir, die wir hier gar zu reden wagen. Der Eintritt ist leicht. Aber die Gotteserfahrung ist hart. Und die Flucht ist naheliegend.« (Josuttis, 111)

Die kultischen und ethischen Spitzensätze der VV. 22–25 zielen auf eine Versammlung, die in Ort und Zeit weit zu denken ist: Es geht nicht um Stunden oder Tage, »die Versammlung erfasst das ganze Leben«, sodass nicht so sehr Lauheit oder Ermüdung, vielmehr die problematische Tendenz zu einem individualisierenden, kultfernen Christentum insgesamt in den Fokus rückt (Karrer, 223). Dem zu wehren kann auch eine gewisse Würze oder Schärfe dienen, die zur Liebe reizen soll. Provokation (paroxysmos, V. 24) um der Gemeinschaftlichkeit und des offenen, öffentlichen Weges willen mahnt der Hebräerbrief an – mit dem offenen Vorhang im Rücken und den Blick auf den gerichtet, der sich naht (V. 25).

III Impulse: »Himmel auf!«

Die Botschaft »der Vorhang ist zerrissen – tretet herzu« möchte ich in die Mitte der Predigt stellen, die Sehnsucht nach der offenen Tür, dem offenen Himmel ist der Grundton, in den Zuspruch und Zuruf eingezeichnet werden. Welche Bilder bieten sich an?

In einer Zeit, in der jeder Fußballverein und jeder dritte Serviceklub einen eigenen Adventskalender anbietet – dieser für gute Zwecke, jener zur Mehrung des Profits –, ist diese alte Form der Einübung in Tür und Vorhang aufziehen ein Signum übergroßer, oft unerfüllter Sehnsucht nach Zugang und ebenso Zeichen der Hoffnung, dass an irgendeiner Stelle von der anderen Seite der Vorhang weggezogen wird. Im gemeindlichen Umfeld hat sich...

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