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Reformation anders

Huldrych Zwingli und die Zürcher Reformation

AutorTilman Hachfeld
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783744859417
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,49 EUR
Das Reformationsjubiläum 2017 konzentriert sich durch seine Datierung auf Martin Luther. Andere reformatorische Entwicklungen, ihre Persönlichkeiten, besonderen politische Gegebenheiten und kulturellen und geistigen Hintergründe geraten dabei aus dem Blick. Das ist insbesondere bei der Zürcher Reformation mit Huldrych Zwingli schade, verdient doch diese Reformation unser heutiges Interesse. Anders als in Sachsen kam sie nicht "von oben", sondern beruhte auf einem sehr breiten, durch Predigten über Jahre geschaffenen Konsens. Die Verbindung von bürgerlicher Revolution mit einer geistlichen Erweckungsbewegung gaben ihr die Kraft, Kirche und Staat in einem zu erneuern.

Tilman Hachfeld war Pfarrer in verschiedenen schweizerischen und deutschen Reformierten Kirchen, zuletzt bis 2007 in der Französischen Kirche (Hugenottenkirche) in Berlin. Neben seinem Schwerpunkt biblischer Theologie hat er sich besonders mit der Zürcher Reformation beschäftigt. Er steht dem Gedankengut der schweizerischen religiösen Sozialisten nah und jeglichem religiösen wie weltanschaulichen Dogmatismus fern.

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Leseprobe
Die Musik (vergl. dazu Markus Jenny)

An dieser Stelle ist noch ein Wort über Zwinglis Verhältnis zur Musik angebracht. Es wird ihm oft vorgeworfen, er hätte alle Musik aus dem Gottesdienst verbannt und den Gemeindegesang abgeschafft. Dabei wird nur zu oft übersehen: Um etwas abzuschaffen, muss es vorher da sein.

In der mittelalterlichen Kirche in der Schweiz vor Zwingli gab es keinen Gemeindegesang. Zwinglis wiederholte Polemik gegen „Murmelgesänge" und ähnliches richtet sich hauptsächlich gegen den Singsang der Nonnen, der allerdings sein musikalisches Empfinden sehr verletzt haben muss. Und ob das Wegschaffen der Orgeln von ihm ausgegangen ist, ist nicht festzustellen. Ich denke: nein. Zwingli ist ein ausgesprochener Musikliebhaber, er spielt viele Instrumente und bekommt durch seine nächtlichen Hausmusiken Schwierigkeiten mit Nachbarn. Zudem gibt es von ihm einige geistliche Lieder, von denen allerdings nur eines Eingang in unsere Gesangbücher gefunden hat („Herr, nun selbst den Wagen halt”).

Dass die Musik zur Allgemeinbildung gehört, betont er in seiner Schrift von 1523 „wie man edle Jünglinge heranbilden soll“, die, zunächst seinem Stiefsohn Gerold Meyer von Knonau gewidmet, etliche Auflagen in Latein und Alemannisch findet. Dabei ordnet er die Musik als Unterabteilung der Mathematik zu. 1528 gründet er selber die erste Musikschule und befördert musikalische und dramatische Aufführungen von Schülern und Bürgern teilweise mit eigenen Kompositionen. Er unterscheidet aber solche weltliche Musik von gottesdienstlicher, die keinesfalls die Konzentration auf das Wort beeinträchtigen darf.

In seiner Abendmahlsliturgie von 1525 verweist er im Vorwort auf andere Kirchen, in denen durchaus auch gesungen werden könnte, und ganz vorsichtig will er selber etwas einführen, was wohl die Vorstufe für einen Gemeindegesang wäre - würde es ihm der Zürcher Rat nicht aus seinem Entwurf streichen. Loblied, Glaubensbekenntnis und der 113. Psalm sollen ursprünglich von der Gemeinde gemeinsam, Männer und Frauen im Wechsel, gesprochen werden, wohl doch in einer Art Rezitativ. Aber es bleibt durch Ratsbeschluss beim Wechselgebet nur zwischen Pfarrern und Dienern.

An anderem Ort, in einem bestehen bleibenden Kloster, das unter Zürcher Verwaltung kommt, schlägt er einen Gesang der Mönche „in uno sono", d. h. auf einem Ton vor, eine eigenartige Form, aus der sich aber zwangsläufig eine Art Psalmengesang hätte entwickeln müssen. Als in den folgenden Jahren in Basel und St. Gallen der Kirchengesang in der Form von Psalmliedern eingeführt wird, hält er das für richtig, macht aber keine Versuche, in Zürich ähnliches einzuführen. Das bestätigt, dass er das „ius liturgicum”, das Recht, die Gottesdienstform zu bestimmen, beim Rat der Stadt sieht - und sich auch hier, wie in vielen anderen Dingen, die die Leitung der Kirche betreffen, dem Rat unterordnet.

Der reformierte Gottesdienst

Was bleibt nun, nach der Abschaffung der Messe als dem Herzstück des mittelalterlichen Gottesdienstes sowie der Bilder und Orgeln samt mönchischem Chorgesang, der Prozessionen und Stundengebete, übrig als Gottesdienst in der nach dem Wort Gottes reformierten Kirche zu Zürich?

Es ist die Predigt, die vordem nur ein Beiwerk war, gehalten gar nicht mehr aus kirchlicher Initiative, sondern auf Verlangen des Volkes. Doch diese Predigt hat einen neuen, lebensbezogenen biblischen Inhalt erhalten. Dazu gehören Textlesungen und Gebete, also auch eine, nun aber streng biblische Liturgie. Und viermal im Jahr wird das Abendmahl, in Zürich sagt man „Nachtmahl des Herrn“, mit der ganzen Gemeinde gefeiert – wobei auch hier eine Predigt vorangestellt ist.

Alles andere, was in der mittelalterlichen Kirche unter „Gottesdienst” firmierte, findet nicht mehr statt. Mit den dadurch frei werdenden, beträchtlichen Geldmitteln findet die Gemeinde ein ganz anderes gottesdienstliches Betätigungsfeld im sozialen Bereich.

Bevor wir darauf näher eingehen, wollen wir fragen, was denn nun diese biblische Predigt eigentlich beinhaltet. Wie schon gesagt, gibt es von Zwingli keine Predigtmitschriften oder gar Manuskripte. Er predigt frei, versehen mit dem biblischen Text und knappen Randbemerkungen dazu. Erhalten ist uns aber die Nachschrift einer Predigt, die vielleicht nicht typisch ist, denn es ist keine seiner Reihenpredigten, die aber doch auch erkennen lässt, was für Zwingli „Predigt nach der Heiligen Schrift” bedeutet.

Am 5. März 1525 notiert sich ein uns Unbekannter aus der katholischen Innerschweiz Aufbau und Inhalt von Zwinglis Predigt. Der Mann kommt aus Neugier in die Kirche, ihn interessiert, was Zwingli vielleicht zur Niederlage eines schweizerischen Söldnerheeres bei Mailand zu sagen hat. Dabei wird er innerlich gepackt und überzeugt.

Diese Predigt „Wider die Pensionen” hat 12 Abschnitte folgenden Inhalts (aus dem Alemannischen, leicht gekürzt):

  1. „Einleitung: Er, Zwingli, habe länger nicht mehr über die Kriegsproblematik gepredigt; einfach weil es, auch durch Verdienst des Zürcher Rates, nicht nötig gewesen sei.
  2. Er hätte nicht etwa wegen des Herzogs Ulrich von Württemberg zu diesem Thema geschwiegen; dessen Versuchen, Söldner anzuwerben, habe der Rat einen Riegel vorgeschoben; er (Zwingli) selber habe ihn in den vielen Gesprächen, die sie miteinander hatten, immer im Sinn des Rats ermahnt, nicht die Knechte (Soldaten) von Zürich aufzuhetzen.
  3. Im Übrigen sei es mit den Kriegen, die der Württemberger führe, anders als bei anderen: Der kämpfe um sein Vaterland und Erbe, etliche übrige Herren aber darum, anderen das Ihre zu nehmen. Er sei zudem auch wegen der Aussichtslosigkeit angesichts der kaiserlichen Übermacht gegen die Politik des Württembergers gewesen. Man mache aber in der Eidgenossenschaft um ihn wie auch um Zwinglis Schrift gegen Dr. Johannes Eck (November 1524) viel Wesens, ohne nach Inhalten und Gründen zu fragen.
  4. Über die Kriege der Eidgenossenschaft hat er (Zwingli) so gesprochen, dass die Leute weinten und seufzten und es klar wurde, die Zürcher hätten keine Freude an der Niederlage. Gott habe die Eidgenossenschaft gegen die Ausbeutung durch den Adel entstehen lassen - als Lehre für jeden hochmütigen Adel.
  5. Unsere Vorfahren seien der Freiheit und Gnade Gottes so froh gewesen, dass all ihr christliches Leben, das sie deshalb führten, auch die Feinde beeindruckt habe. Sie waren trotz falschen Unterrichts in der Lehre wahre Christen; ihr Tun sei von Gott gewesen, und deshalb waren sie auch von Fürsten und Herren nicht zu besiegen.
  6. Wenn nun Gott die Vorfahren um dieser Einfältigkeit willen behütet habe, so folge daraus, dass er seine Hand und Gnade von uns ziehen werde, wenn wir diese Tradition verließen. (Durch diese ernsten Worte erklärt sich der Aufzeichner, der eigentlich als Gegner zuhörte, bekehrt.) Wollten wir die Freiheiten der Vorfahren behalten, müssten wir auch ihre Unschuld haben.
  7. In der Eidgenossenschaft gebe es zweierlei Adel, schlimmer als jeder frühere, denn er sitze mitten unter uns. Das eine seien die Bezieher von Pensionen (als Entgelt für das Recht, bei ihnen Soldaten anzuwerben), die Zwingli „Birnenbrater” nannte, weil sie, (während die anderen kämpften) hinter dem warmen Ofen hockten. Mit falschen Versprechungen brächten sie die Väter dazu, um ihre Söhne zu markten. Das andere seien die Söldnerführer, die sich schmückten, dass Sonne und Mond dadurch beschämt würden, erst recht aber die Menschen, so wie sie in Gold und Silber und in geschlitzten Kleidern herumliefen.
  8. Worte wie „Blutsauger" und „Blutegel” seien, bei aller zugegebener Derbheit seiner Ausdrucksweise, sonst nicht seine Schimpfworte, auch wenn er selber, wahrheitswidrig, manchmal so genannt worden sei. Nun müsse er aber doch sagen, wem diese Hauptleute glichen, egal wer sich daran stoße. Das Beispiel sei noch weniger böse als sie selber: Metzgern seien sie gleich, die ihr Vieh nach Konstanz treiben, dort Geld einnehmen und von neuem zusammentreiben. So täten es die Pensionäre und Hauptleute, die, mit nur einer Ausnahme, immer wohlbehalten mit geldgefüllten Mantelsäcken heimgekehrt seien. Die Kinder der Leute aber hätten sie verschachert. Und dann gehe es gleich wieder von neuem los.
  9. Heftig fuhr Zwingli fort, man wisse ja, wie er schon vorher gesagt habe, eine Vereinbarung (zum Kriegsführen) um Geldes willen führe zur Zerrüttung der Eidgenossenschaft und werde nicht ohne großen Schaden und Schande ausgehen. Und es sei wieder zu sagen: Das ist noch nicht aus, es muss erst noch schlimmer kommen. Die Pensionäre säßen größtenteils in den Regierungen. Wenn ein Wolf ein Schaf hole, läute man die Kirchenglocken, wenn sie aber so viele stolze Männer verführten, stürme (von Sturm läuten) niemand. Wendeten die Zuhörer nicht alle Energie auf, dass dieses Übel bestraft werde, so werde Gott sie mit den Schuldigen strafen. Denn Gott lasse solchen Betrug am gemeinen, frommen Mann nicht ungerächt - verschone...
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