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E-Book

Schopenhauers Biophilosophie

AutorOrtrun Schulz
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783735711205
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Schopenhauer selbst hat zwar den Ausdruck 'Biophilosophie' nie gebraucht. Schließlich gab es die Biologie als eigenständige Disziplin zu seiner Zeit noch nicht. Dennoch nimmt seine metaphysische Welterklärung ihren Ausgang vom Wesen des Lebendigen. Kausalität entschlüsselt sich jedem in der Innenschau als Wille zum Leben. Von dort schließt Schopenhauer per Analogie auf die ganze Natur. Dabei ist er bemüht, seine Deutung stets mit den Wissenschaften zu vermitteln, im Sinne einer 'empirischen Metaphysik'. In diesem Buch werden die für Schopenhauer damals für einen solchen Ansatz herrschenden Voraussetzungen umrissen, die aber auch in Beziehung gesetzt werden zu heutigen Auffassungen.

The editor, Dr. ORTRUN SCHULZ was born in 1960 in Hannover, Germany to Erhard and Rita Schulz.

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Leseprobe

3.2. Schopenhauers philosophische Problemstellung


Die Entwicklung der Metaphysik Schopenhauers speist sich aus einem grundsätzlichen Ungenügen an den Erklärungen der Wissenschaft. Alle Kausalerklärungen leisten nicht mehr als

ein Verzeichnis der unerklärlichen Kräfte und eine sichere Angabe der Regel, nach welcher die Erscheinungen derselben in Raum und Zeit eintreten, sich sukzedieren, einander Platz machen […].27

Sie geben nur die Ursachen für die sich hier und jetzt ereignenden Äußerungen an, aber die Qualitäten oder Charaktere haben nach aller möglichen Rückführung auf Gründe schließlich ihrer letzte Voraussetzung, die nicht wieder aus etwas anderem ableitbar ist. Der Satz vom Grund findet keine Antwort und kann keine finden, weil die Frage sich auf das richtet, was außerhalb der Erkenntnisweise nach diesem Gesetz liegt.

Kann man nun trotzdem in die Festung gelangen, zu dem, was an sich selbst ist? Die Methode zur Erfassung dessen, was unabhängig von den Beschränkungen des Erkennenden wahr ist, muss sich nach Schopenhauer unterscheiden von den Forschungsmethoden der Wissenschaft, und auch von denen vieler Philosophien, insofern sie ebenfalls nach dem Satz vom Grund vorgehen. Denn der Satz vom Grund, dass alles was ist bzw. geschieht, einen zureichenden Grund hat, führt immer nur auf der Querschnittsfläche entlang, nie aber darüber hinaus in die Tiefe, weil er dem Erkenntnissubjekt angehört und nicht dem Ding an sich.

Es gäbe keinen Weg, wenn nicht der Philosoph selbst sich schon immer selbst mitten darin befände, in seinem Leib nämlich, in welchem sich sein Denken ereignet. Der Fragende gewinnt einen Zugang durch Introspektion, indem er selbst der nächstliegende Gegenstand seiner Untersuchungen ist und bei sich selbst „das Geheimnis des innern Hergangs“ der Kausalität erfährt. Sein eigener Wille ist die Kausalität von innen betrachtet. Er ist ein Individuum und damit sowohl ein Erkennender wie ein Leib. Sein Leib ist nicht nur, wie sonst alle anderen außer dem seinen, ein ausgedehnter Körper unter anderen, der diesen sonst nichts voraus hätte. Die Veränderungen an anderen Körpern und ihre Bewegungen gehen auf Ursachen zurück, von denen man nicht unmittelbar weiß, wodurch sie zustande kommen. Man erfährt nicht unmittelbar, wodurch etwas überhaupt zu einer Ursache für eine so und so bestimmte Wirkung anstatt einer anderen wird. Doch dieser rätselhafte Vorgang der Kausalität, wenn bezogen auf den eigenen Leib, entschlüsselt sich jedem in der Innenschau, und nur da allein unmittelbar, weil dort jeder auf seinen eigenen Willen trifft: so wird die Kausalbeziehung der Tiefe nach bloßgelegt.

Dem menschlichen Leib kommen sowohl willkürliche Handlungen, wie unwillkürliche Bewegungen zu, zu denen das ganze „Getriebe“ seines Organismus zählt, dessen Erhaltung, Wachstum, Regeneration und Gestalt. All dieses deutet Schopenhauer unter Rückgriff auf das „jedem unmittelbar Bekannte, welches das Wort Wille bezeichnet“.28 Willensakt wie Vorstellungsakt sind immer zugleich auch Leibesakte. Sie stehen in einem parallelem Verhältnis, nicht einem kausalen in zeitlicher Aufeinanderfolge.

Der Willensakt und die Aktion des Leibes sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität verknüpft, stehn nicht im Verhältnis der Ursache und Wirkung; sondern sie sind eines und dasselbe, nur auf zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar und einmal in der Anschauung für den Verstand.29

Die Aktion des Leibes ist „nichts anderes als der objektivierte, d.h. in die Anschauung getretene Akt des Willens“, und „der ganze Leib nichts anderes als der objektivierte, d.h. zur Vorstellung gewordene Wille“.

Schopenhauer führt weiter aus, dass

demnach dieser Wille, weit davon entfernt, wie alle bisherigen Philosophen annahmen, von der Erkenntnis unzertrennlich und sogar ein bloßes Resultat derselben zu sein, von dieser, die ganz sekundär und spätern Ursprungs ist, grundverschieden und völlig unabhängig ist, folglich auch ohne sie bestehn und sich äußern kann […].30

Der Wille ist unabhängig von Erkenntnis. Dass der Wille sich auch ohne Bewusstsein kundtut, sogar meistens, und an sich selbst bewusstlos ist, sei überall in der ganzen Natur zu beobachten. Der Wille sei etwas völlig anderes als eine Vorstellung. Neugeborene schreien und bekunden, dass sie schon aufs Heftigste wollen, aber sie wissen noch nicht, was sie wollen. Die Kunsttriebe der Tiere und ihre Resultate wie beispielsweise das Netz der Spinne oder der Ameisenbau, dienen zu deren Erhaltung, ohne dass diese es wissen. Der Wille zum Leben sei hier tätig, aber erkenntnislos. Bewusstsein ist nur eine Randerscheinung, ein Epiphänomen des Gehirns.

Der von Schopenhauer vertretene Primat des Willens gipfelt in der Feststellung, dass

die Erkenntnis und ihr Substrat, der Intellekt, ein vom Willen gänzlich verschiedenes, bloß sekundäres, nur die höhern Stufen der Objektivation des Willens begleitendes Phänomen sei, ihm selbst unwesentlich, von seiner Erscheinung im tierischen Organismus abhängig, daher physisch, nicht metaphysisch, wie er selbst; daß folglich nie von Abwesenheit der Erkenntnis geschlossen werden kann auf Abwesenheit des Willens; vielmehr dieser sich auch in allen Erscheinungen der erkenntnislosen, sowohl der vegetabilischen als der unorganischen Natur nachweisen läßt; also nicht, wie man bisher ohne Ausnahme annahm, Wille durch Erkenntnis bedingt sei; wiewohl Erkenntnis durch Wille.31

Den Intellekt degradiert Schopenhauer auf den Rang des bloß Akzidentellen. Die Welt sei „nicht mit Hülfe der Erkenntnis, folglich auch nicht von außen gemacht, sondern von innen […].“32

Denn der Intellekt ist uns allein aus der animalischen Natur bekannt, folglich als ein durchaus sekundäres und untergeordnetes Prinzip in der Welt, ein Produkt spätesten Ursprungs: er kann daher nimmermehr die Bedingung ihres Daseins gewesen sein noch kann ein mundus intellegibilis dem mundus sensibilis vorhergehn; da er von diesem allein seinen Stoff erhält. Nicht ein Intellekt hat die Natur hervorgebracht, sondern die Natur den Intellekt.33

In Schopenhauers Dissertation tritt der Wille noch dem Satz vom Grund unterworfen auf. Vermutlich wurde der menschliche Wille bereits davor, im Jahr 1812, womöglich unter Bacons Einfluss dem Willen in der Natur gleichgesetzt. In Weimar schreibt Schopenhauer im Jahr 1814: „Der Leib ist nichts als der sichtbar gewordene Wille. Die Form alles Objekts ist die Zeit. Der Wille selbst, der intelligible Charakter steht fest, ist nicht in der Zeit“. Also immer noch eine kantisch geprägte Fassung, die sich aber verliert im Zuge der Synthese von Platons Ideen und Kants Dingen an sich. Erst stehen zwei Gedankenreihen unvermittelt nebeneinander da: die Ideenlehre, und die Willenskonzeption: „Die Welt als Ding an sich ist ein großer Wille, der nicht weiß, was er will, denn er weiß nicht, sondern er will bloß, eben weil er ein Wille ist und nichts anderes“. Hier scheint offenbar auch bereits die monistische Zusammenziehung der vielen Ansichs zu nur einem Ding an sich erfolgt zu sein. Die „adäquate Objektität des Willens ist die Idee. Die Erscheinung aber ist die in das principium individuationis eingegangene Idee. Der Wille selbst ist Kants Ding an sich.“ Er vermittelt ihn dann auch mit Spinozas „natura naturans“, ändert ihn dann aber zeitlebens nicht mehr.

In der Einleitung zu seiner 1835 abgefassten Schrift Über den Willen in der Natur setzt Schopenhauer nachdrücklich auseinander, was der „Kern und Hauptpunkt“ seiner Lehre, „die eigentliche Metaphysik derselben“ ist. Er nennt sie auch das „Grunddogma“, welches der alle übrigen Teile seiner Philosophie „bedingende Hauptgedanke ist“.34 Ausgehend von der empirischen Selbsterfahrung, dem uns unmittelbar Bekanntesten, das wir in uns als unseren Willen finden, gelangt er zur Erklärung des Wesens der Welt. Dieses Wesen ist, analog zu unserem eigenen, Wille zum Leben: „Ich habe demnach nicht die Welt aus dem Unbekannten erklärt; vielmehr aus dem Bekanntesten, das es gibt und welches uns auf eine ganz andere Art bekannt ist als alles übrige.“35 Introspektion hat einen verlässlichen Zugang zur philosophischen Wahrheit über Ich und Welt eröffnet. Es ist diese „subjektive Seite“ der Welt, die „der Philosophie zufällt“.36 Der feste Standpunkt unerschütterlicher Gewissheit ist hier nicht, wie bei Descartes das „Ich denke“, sondern das „Ich will“, vermittels dessen sich der Philosoph aller Realität vergewissert.

27W I., § 17, Löhneysen, S. 155.

28W I, §18, Löhneysen, S. 157.

29Ebd.

30N, Einleitung, Löhneysen, S. 321. 42

31N, Einleitung, Löhneysen, S. 322.

32N,...

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