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Schulabsentismus bewältigen. Politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Schulverweigerung

AutorAyca Halvali
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl80 Seiten
ISBN9783668391574
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Das tabuisierte Thema 'Schulabsentismus' gewinnt durch die öffentlichen Medien und in der Wissenschaft immer mehr an Bedeutung. Es ist wichtig herauszufinden, aus welchen Gründen die Schüler andere Aufenthaltsorte bevorzugen als die Schule oder welche Ursachen dazu führen können, dass Schüler die Schule unregelmäßig, kaum oder gar vollständig nicht besuchen. Sobald die Ursachen herausgefunden werden, kann gegen diese interveniert werden. In diesem Buch werden die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen untersucht, um den Schulabsentismus zu bewältigen. Dabei liegt der Fokus auf der Ursachenklärung von Schulabsentismus, den daraus resultierenden Folgen und empirisch belegten Interventionsmaßnahmen. Der Schulabsentismus hat erhebliche Folgen für die Zukunft des Individuums. Jedoch ist dies nicht nur ein Problem für den Schüler selbst, sondern es betrifft die ganze Gesellschaft. Aus diesem Grund wird im Verlauf des Buchs versucht zu beantworten, welche kurzen und langfristigen Folgen bei Schulabsentismus zu erwarten sind. Abschließend werden vier Interventionsebenen vorgestellt, um einen Appell in Bezug auf eine Neuorientierung an die Institution Schule zu richten, damit diese in ihrem Selbstverständnis präventiv gegen Schulabsentismus wirken kann. Aus dem Inhalt: - Ursachenerklärung; - Interventionsmaßnahmen; - Prävention Schulabsentismus; - Schulpflicht; - Schulverweigerung

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Leseprobe

3 Die rechtliche Seite des Schulabsentismus


 

3.1 Schulpflicht in Deutschland


 

Der kontinuierliche Schulbesuch ist in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich vorgeschrieben. Aus diesem Grund ist die Schulpflicht die rechtliche Voraussetzung dafür, dass Schulversäumnisse zu einem Problem werden.[36] Kinder und Jugendliche sowie ein Teil der Heranwachsenden sind daher gesetzlich verpflichtet die Schule regelmäßig zu besuchen. Es ist die Aufgabe der Erziehungsberechtigten auf die Einhaltung des Schulbesuchs zu achten, da die Kinder im Alter von 6 - 18 Jahren dazu verpflichtet sind regelmäßig die Schule zu besuchen. Die im Schulgesetz verankerte Regelung steht unter der Kulturhoheit der Länder.[37] „Über die Länderhoheit hinaus, untersteht das Schulwesen nach §7 Abs. 2 des Grundgesetzes des Staates.“[38] Durch die Schulpflicht wird der Schüler sichtbar in seinen freiheitlichen Grundrechten eingeschränkt. Jedoch wurde dies aufgrund der Wichtigkeit des Bildungsziels akzeptiert.[39]

 

3.2 Die Schulpflicht - Historischer Hintergrund


 

Seit Beginn der Schulpflicht war und ist es problematisch, diese für alle Kinder und Jugendlichen durchzusetzen.[40] Eingeführt wurde die Schulpflicht bereits in der Weimarer Republik. Gesetzlich wurde sie 1919 in der Reichsverfassung festgeschrieben. Im Kontext zur Schulpflicht mussten jedoch Hürden wie beispielsweise Kinderarbeit bekämpft werden, um den dauerhaften Schulbesuch gewährleisten zu können.[41] Offizielle Bestrafungen und Durchsetzungsmaßnahmen gab es zu dieser Zeit nicht. Es bestanden ausschließlich schulinterne Strafen.[42]

 

Die bisher eingeführten und geltenden Gesetze der Schulpflicht wurden zur Zeit des Nationalsozialismus abgeschafft, denn diese enthielten Anhaltspunkte zur Demokratisierung und Mitbestimmung von Schülern und Eltern. Die schulische Ausbildung wurde durch eine außerschulische erweitert. Die Schüler wirkten bei der “Hitlerjugend, dem Bund der Deutschen Mädel, dem Jungvolk und den Jungmädel“ mit. Des Weiteren bestand eine Berufsschule, die eine dreijährige Ausbildung beinhaltete. Somit galten seit dem 6. Juli 1938 neue Schulpflichtgesetze. Diese waren im Reichsschulpflichtgesetz niedergeschrieben. Bei nicht Einhaltung der zugunsten Hitler geltenden Schulgesetze mussten Bußgelder gezahlt werden oder es wurden Haftstrafen verordnet.[43]

 

Laut Dunkake, lässt sich die Geschichte der Schulpflicht in vier Stufen unterteilen:

 

1. Der Wunsch, die nachfolgende Generation in Gottesfurcht und Disziplin zu erziehen, bestand seitens des Klerus ca. 800/900 nach Chr. Dies wurde mithilfe von Karl des Großen und der kaiserlichen Schulordnung gefördert. Aufgrund der christlichen Bildungsexpansion folgte der Ausbau der Pfarrschulen.

2. Erstmals wurde Wert auf die Bedeutung des regelmäßigen Schulbesuchs in der Weimarer Schulordnung (1619) und in der Gothaer Ordnung (1648) gelegt. Eltern, die ihren Kindern den Schulbesuch nicht ermöglichten, wurde erstmals mit Sanktionen gedroht.

3. Die Unterrichtspflicht entwickelte sich im 18. Jahrhundert mit dem Ziel, vor allem die Eltern zu motivieren, ihre Kinder in eine der öffentlichen Schulen zu schicken, welche nicht in der Lage waren ihre Kinder durch Privatunterricht zu fördern. Die Idee dahinter war, dass mit der Einführung der Unterrichtspflicht der Großteil der Bevölkerung eine Grundausbildung in Form von Lesen, Schreiben und Rechnen erhalten sollte.

4. Im Grunde genommen wurde durch die Weimarer Reichsverfassung (1919) aus der Unterrichtspflicht eine allgemeine Schulpflicht. Mit der Einführung des Reichsschulpflichtgesetzes (1938) erhöhte sich die allgemeine Schulbesuchszeit, allerdings wurde damit auch gleichzeitig der Schulzwang eingeführt. Die heutigen Schulgesetze der Länder beruhen in leicht veränderter Form auf die Vorläufer aus den Jahren 1919 beziehungsweise 1938, ausgenommen die 1938 eingeführten Konzipierungen über die nationalistisch orientierten Erziehungsmaßstäbe und die sehr harten Sanktionen bei der Nichtbefolgung der Gesetze.[44]

 

Nach Ende des zweiten Weltkriegs galten sowohl die Pflicht die Berufsschule zu besuchen als auch die bislang geltenden Strafen.

 

Allerdings entstanden neue Schulgesetze, wie beispielsweise der Besuch der Berufsschule mit einer zweijährigen Ausbildung. Zudem wurde 1995 beschlossen, dass Kinder und Jugendliche die allgemeinbildende Polytechnische Oberschule zehn Jahre absolvieren mussten. Die geläufigen Sanktionen blieben bis zu den 70er Jahren unverändert.[45] Ab dem Jahre 1995 wurde die Schulpflichtverletzung als Ordnungswidrigkeit angesehen. Erziehungsberechtigten und Ausbildern drohten erstmals Sanktionen, wenn ihre Kinder oder Auszubildenden nicht regelmäßig die Schule besuchten. Zusätzlich wurde die Schulpflicht auf neun bis zehn Jahre erweitert. Heutzutage besitzen die jeweiligen Bundesländer ihre eigenen Regeln und Gesetze, welche sich jedoch meist kaum voneinander unterscheiden.

 

Seit dem es die Schulgesetze gibt, tragen diese zum Schutz von Kindern und Jugendlichen bei. Außerdem ist der Staat laut §7 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Aufsicht des Schulwesens zuständig.[46] Wie bereits erwähnt sind in Deutschland alle Kinder beziehungsweise Jugendlichen im Alter von sechs bis achtzehn Jahren schulpflichtig. In Deutschland beträgt die Vollzeitschulpflicht, also der Besuch einer allgemeinbildenden Schule, neun beziehungsweise zehn Jahre. Dies ist ebenfalls abhängig vom Bundesland. Während beispielsweise Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und einige weitere Bundesländer die Vollzeitschulpflicht auf neun Jahre festgelegt haben, beträgt sie in Berlin, Brandenburg, Bremen etc. zehn Jahre.[47] Die Schulpflichtzeit besteht zudem aus drei Jahren Teilzeitpflicht. Das bedeutet, dass die Berufsausbildung und die Berufsfachschule gleichzeitig durchlaufen werden. Während der gesamten Ausbildung besteht die Pflicht zum Besuch der Berufsschule. Der Schüler darf die Berufsschule nur umgehen, wenn stattdessen eine andere allgemeinbildende oder berufsbildende Schule in Vollzeit besucht wird. Demnach bedeutet dies, dass Jugendliche, die noch nicht volljährig sind und/oder keine Lehrstelle aufweisen können, verpflichtet sind eine allgemeinbildende oder berufsbildende Schule zu besuchen.[48] Laut Sibbe (2006) sind Kinder in Deutschland ab der Vollendung des sechsten Lebensjahres schulpflichtig. Die Einschulung in deutschen Schulen erfolgt somit immer am ersten August des gleichen Jahres.[49] Auf Wunsch der Erziehungsberechtigten ist jedoch auch eine frühzeitige Einschulung möglich. Dabei müssen bestimmte Aspekte beachtet beziehungsweise erfüllt werden, nämlich die erforderlichen körperlichen, geistigen und sozialen Voraussetzungen des Kindes, um erfolgreich in der Schule integriert werden zu können.[50] Die Entscheidung über einen vorzeitigen Schulbesuch fällt letztendlich die Schulleitung. Um die Integration des Kindes in der Schule rechtmäßig einkalkulieren zu können, wird ein ärztliches Gutachten herangezogen. Die Aufgabe der Erziehungsberechtigten hierbei ist, die nötige Achtsamkeit beziehungsweise Eigenverantwortung zu besitzen, den regelmäßigen Besuch der Schule ihres Kindes während der gesamten Schulzeit gewährleisten zu können. Bei Ausbildungen sind es die Vorgesetzten (der Arbeitgeber beziehungsweise der zuständige Ausbilder), die die volle bzw. teilweise Verantwortung in Bezug auf die Fehlzeiten und Fehltage ihrer Lehrlinge tragen. Wenn in diesem Kontext die Schulpflicht vom Schüler beziehungsweise von dem Lehrling verletzt wird, sind sowohl die betroffenen Lehrkräfte als auch die Schulleitung verpflichtet, mit (angemessenen) pädagogischen Maßnahmen gegen die Schulverweigerung zu agieren. Wenn die pädagogischen Maßnahmen keine Wirkung erzielen, tritt der „zwanghafte“ Schulbesuch für die Schulabsentisten (mit Hilfe der Polizei) ein.[51] Karlheinz Thimm, Lehrer und Diplom-Pädagoge, beschreibt den Unterschied zwischen der Schulpflicht und dem Schulzwang mit folgenden Worten: „Während die gesetzlich festgelegte Schulpflicht die Verpflichtung zum Schulbesuch in staatlichen, staatlich anerkannten oder staatlich genehmigten Bildungsstätten für alle Kinder und Jugendliche meint, impliziert der Schulzwang staatliche Interventionen zur Durchsetzung der Schulpflicht im Falle dauerhafter Zuwiderhandlung.“[52]

 

Zusammenfassend kann aus den bereits genannten Faktoren erschlossen werden, dass die Einführung der allgemeinen Schulpflicht eine sehr bedeutende und prägende Funktion und Aufgabe im deutschen Bildungssystem hat. Die Schulpflicht führte nicht nur zur ersehnten Umsetzung der Chance auf „Bildung für alle“[53], sondern trug ebenso dazu bei die Rate der Kinderarbeit in Landwirtschaft, Industrie und Bergbau zu verringern.[54]

 

Aus diesen Gründen sollte in Betracht gezogen beziehungsweise als Ziel gesetzt werden, in Zukunft den Kindern die Bedeutung und das Ausmaß der enormen Wichtigkeit von Bildung zu vermitteln. Sie müssen diesbezüglich aufgeklärt werden, damit sie ihre Chancen auf Bildung mit dem nötigen Ernst...

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