Durch die vielfältigen migrationsgeschichtlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik leben wir bereits in einer zunehmend multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft. Obwohl in verschiedenen Ansätzen eine interkulturelle Pädagogik gefordert wird, reflektiert die Bildungslandschaft die mittlerweile vorhandene kulturelle Heterogenität nicht ausreichend (vgl. Merz-Atalik 2001, 85). Wenn wir der Tatsache ins Auge sehen, dass es in Deutschland eine lange Tradition des Unterrichts mit Kindern nichtdeutscher Muttersprache gibt, ist das Ergebnis erstaunlich. Eine erste Bestandsaufnahme und Problemvergewisserung seitens der Wissenschaft, zur spezifischen Si-tuation der Migrantenkinder im deutschen Bildungswesen, erfolgte Anfang der 70er Jahre im Zusammenhang mit der Entwicklung der gesetzlich geregelten Möglichkeiten des Familiennachzuges der Arbeitsmigranten. Die einseitige Sichtweise innerhalb der Problemanalysen der 70er Jahre in Bezug auf die Migrantenfamilien wurden durch Begriffe wie Gastarbeiterproblematik, Ausländerproblematik, Integrationsprobleme etc. vermittelt. Wichtige Probleme der Migranten, wie sozioökonomische, rechtliche oder politische Benachteiligung wurden lange Zeit nicht erkannt. Die Einwanderer hatten in sprachlicher, kultureller und sozialer Hinsicht, gemessen an bundesdeutschen Normen und Standards, gravierende Mängel und Defizite, trotzdem sah man nicht die Notwendigkeit diese Defizite zu beheben. Die Lücken der Migrantenkinder im Bildungswesen wurden theoretisch schon 1970 kritisiert, aber die Umsetzung zur Behebung fand erst Jahre später statt (vgl. Merz-Atalik 2001, 86). Bedingt durch das Rückkehrhilfegesetz (vgl. Boos-Nünning/Henscheid 1999, 7) ging die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Staatsbürgerschaft in den Jahren 1983-1984 leicht zurück. Ab 1987 stieg diese Zahl jedoch kontinuierlich von 707.503 Schülerinnen und Schülern bis 1998 auf 950.707 Schülerinnen und Schülern an (vgl. Kultusministerkonferenz, 1997). Das sind anteilig 9,4 Prozent an der Gesamtschülerzahl der allgemeinbildenden Schulen im Bundesgebiet. Zurück-zuführen kann man diese Tatsache auf den Zuwachs der Flüchtlingskinder aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie den statistisch z usammengefassten sonstigen Herkunftsländern. 1996 besuchten 41,4 Prozent dieser Schülerinnen und Schüler die Grundschulen, 22,1 Prozent die Hauptschulen, 9,2 Prozent die Gymnasien,
8,3 Prozent die Realschulen, 6,5 Prozent die Gesamtschulen, 3,2 Prozent die Orientierungsstufen und 6,8 Prozent die Sonderschulen der Bundesrepublik (vgl. ebd.). Die Zahl der türkischen Kinder und Jugendlichen an den allgemeinbildenden Schulen stieg in den letzten Jahren ebenfalls an, jedoch in einer Wellenbewegung mit Rückgängen in den Jahren 1991 und 1992 um insgesamt 18,4 Prozent in den allgemeinbildenden Schulen (vgl. Boos-Nünning/Henscheid 1999, 8). Im Vergleich dazu verhielten sich die Zahlen der griechischen, italienischen, spanischen und portugiesischen Schülerinnen und Schüler sinkend oder gleich bleibend (vgl. ebd.). Die 392.567 Kinder und Jugendliche türkischer Staatsangehörigkeit sind mit 41,7 Prozent die stärkste Gruppe unter den ausländischen Kindern und Jugendlichen. Gefolgt von den Kindern und Jugendlichen aus den zusammengefassten sonstigen Staaten mit 28,5 Prozent und aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 16,2 Prozent (vgl. Kultusministerkonferenz 1997).
In Bezug auf die Bildungsbeteiligung in der Sekundarstufe zeigt sich, dass die Schülerinnen und Schüler spanischer Nationalität die höchste Beteiligung an den Realschulen und Gymnasien aufweisen, wohingegen Kinder aus türkischen Familien 1997 ( im Vergleich zu Schülern und Schülerinnen aus Griechenland, Italien, Spanien und Portugal) die niedrigste Beteiligung in diesen Schulformen hatten (vgl. Boos-Nünning/Henscheid 1999, 10). Generell kann festgestellt werden, dass der Anteil der Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft seit 1992 am Gymnasium gleich bleibend, an den Haupt- und Realschulen leicht rückläufig und in den integrierten Gesamtschulen steigend ist (vgl. Grund- und Strukturdaten 1997/98, Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik von 1992-1998). Ein großer Teil der Migrantenkinder weist sprachliche Defizite auf, die sich an dem hohen Anteil von Migrantenkinder in Haupt- und Sonderschulen widerspiegelt. Darüber hinaus spielen auch die materiellen und kulturellen Kapazitäten von Migrantenfamilien für den Bildungserfolg eine große Rolle. Jedoch mangelt es sehr stark an der sprachlichen Kapazität, wodurch sie zu Hause und in ihrer Umgebung in der Entwicklung der deutschen Sprache gehemmt werden und ihnen nur die Schule als einzige Möglichkeit bleibt, die Sprache zu erlernen und anzuwenden (vgl. KMK 2002).
Die Pisa Studie 2000 belegt die oben genannten Thesen. Diese Bildungsbarriere für Migrantenkindern, die aus Familien mit niedrigem Bildungsstand stammen, müssen aufgehoben werden. Dazu ist eine frühe Förderung in den Gebieten vonnöten, die eine erfolgreiche Schulentwicklung vorsehen. Die Hamburger Behörde hat hierfür ein Gutachten erstellt und verlangt, dass die deutsche Sprache in der Schule mehr an Bedeutung gewinnen soll. D.h. sie soll auch zum Fach Deutsch innerhalb der anderen Fächer g rößere Bedeutung erlangen. Auch der Unterricht über und mit der Muttersprache soll die gleiche Unterstützung erhalten (vgl. ebd.).
Migration prägt in Deutschland nachhaltig das Gesicht der jungen Generation im bildungs-relevanten Alter und somit der ganzen Gesellschaft. Der Bil-dungsbericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung fasst es so zusammen:
„Nach der komplexen Definition des Migrationshintergrunds im Mikrozensus 2005 weist fast ein Fünftel der deutschen Bevölkerung (18,6%) individuell oder familiär (mindestens ein Elternteil) Zuwanderungserfahrungen auf. (...) Noch höher ist der Anteil bei den Kindern und Jugendlichen im besonders bildungsrelevanten Alter (unter 25 Jahre). Hier liegt er bei 27,2 Prozent der gleichaltrigen Bevölkerung“ (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 178).
Menschen mit Migrationshintergrund beinhalten in den meisten Fällen Zweisprachigkeit und eine kulturell gemischte, bikulturelle oder multikulturelle Identität. Die betroffene Person kann die deutsche oder eine andere Staatsbürgerschaft haben oder auch beide, was aber Folgen für die Identität, die Lebensentwürfe und die berufliche Perspektiven mit sich bringt. Mit Blick auf die niedrige Geburtenrate in Deutschland sind Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft lebenswichtig (vgl. Allemann-Ghionda 2007, 27).
Das ein Kind nicht zwei oder mehr Sprachen lernen kann, weil sein Gehirn nur ein beschränktes Volumen hat und dadurch überfordert wäre, ist ein meist verbreitetes Vorurteil. Nach dem aktuellen Forschungsstand ist es eher so, dass ein Kind eine allgemeine Sprachfähigkeit erwirbt, die sich dann auf die erste, zweite, dritte, etc. Sprache auswirkt. Je besser ein Kind gefördert wird, desto besser wird seine Sprachfähigkeit sein, deshalb spielt die Qualität der sprachlichen Förderung, die das Kind in der vorschulischen Institution und in der Grundschule erfährt, eine große Rolle (vgl. ebd. 28). Es ist auch nicht so, dass zuerst die Muttersprache gründlich erlernt werden muss, damit man mit einer zweiten Sprache anfangen kann.
Je nachdem wie gut die sprachliche Sozialisation erfolgt, erreicht das zweisprachig aufgewachsene Kind eine erste Schwelle der Zweisprachigkeit, bei welcher eine der beiden Sprachen altersgemäß entwickelt ist. Hier existiert nun ein dominanter Bilingualismus, der sich im kognitiven Bereich weder besonders positiv noch negativ auswirkt. Erreicht das Kind diese Schwelle nicht, dann sprechen einige Autoren von Semilingualismus oder auch von doppelter Halbsprachigkeit. Gängig ist auch der Begriff subtraktiver Bilingualismus (beiden Sprachen „fehlt“ etwas). In den meisten Fällen sind die schulischen Leistungen dann auch nicht besonders gut. Wenn das Kind eine überdurchschnittliche zweisprachige Kompetenz entwickelt, dann liegt ein additiver Bilingualismus vor. Beide Sprachen sind gleich hoch entwickelt. In vielen Fällen hat ein solcher Zweisprachiger überdurchschnittliche Fähigkeiten, die sich dann auch als gute schulische Leistungen äußern können, aber nicht müssen. Die Zweisprachigkeit der Migrantenkinder kann sich dagegen oft nicht auf hohem Niveau entwickeln, weil die Umstände ungünstig sind. Das niedrige Bildungsniveau der Eltern und die mangelnde Förderung in der Schule sind dabei maßgebend. Noch immer sind viele Lehrkräfte im Glauben, dass die frühkindliche Zweisprachigkeit unmöglich sei (vgl. ebd. 29). Viele halten die Sprachen der Migranten auch für unwichtig oder einen...