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Sozialarbeit im Kindergarten

Ein Plädoyer für die Notwendigkeit professioneller sozialer Arbeit im Bereich der Frühpädagogik

AutorTobias Beygang
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl103 Seiten
ISBN9783640574919
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,3, Duale Hochschule Gera-Eisenach (ehem. Berufsakademie Thürigen in Gera), Sprache: Deutsch, Abstract: Das Geschichtsbuch der Frühpädagogik in Deutschland hat in den letzten Jahren unwiderruflich das Kapitel der Bildungsglobalisierung aufgeschlagen. Mit der PISA-Studie müssen sich 15jährige Schüler weltweit messen lassen und geben damit Aufschluss über das Bildungssys-tem ihres Herkunftslandes. Das Bildungssystem in Deutschland ist - so die Ergebnisse der PISA-Studien - eines der Chancenungleichheiten: die soziale Abstammung bestimmt Bil-dungschancen, welche wiederum Arbeitschancen und somit Lebenschancen bestimmen. Kurz gesagt: Armut in Deutschland wird sozial vererbt. Seit etwa zehn Jahren ist die Fachöffentlichkeit damit beschäftigt, vehement auf dieses Problem hinzuweisen und die Politik will jetzt handeln, indem Chancengleichheit von Anfang an als Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz mit einem Lebensjahr durch das KiföG in das SGB VIII aufgenommen wurde bzw. ab 2013 verwirklicht sein soll. Dies scheint dringend nötig in einer zunehmend individualisierten und pluralisierten Welt von morgen, in der Deutschland als Exportland den globalen Anschluss nicht verlieren darf. Global sind auch einige Lösungen, die das Bildungssystem im Elementarbereich sucht: endlich ist eine einheitliche Positionierung der Erzieherin an Universitäten und (Fach-)Hochschulen in Sicht, wie es fast in ganz Europa der Fall ist. Es werden neue Ansätze diskutiert, wie Bildungs- und Lerngeschichten als qualitative und individuelle Entwicklungsforschung in Kindertageseinrichtungen nach dem Beispiel Neuseeland oder Transitionskonzepte aus Schweden.

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Leseprobe

3 Die Frühpädagogik als Handlungsfeld sozial helfender Berufe


 

Im Mittelpunkt dieses Abschnittes stehen die Aufgaben, welche die Frühpädagogik zu erfüllen hat sowie ein Überblick über Berufsgruppen, die in der Frühpädagogik arbeiten. Zuerst geht es um allgemeine Anforderungen an die frühkindliche Erziehung, am Ende dieses Abschnittes möchte ich beginnen, dem Berufsbild des Sozialarbeiters im Elementarbereich genaue Formen zu geben und erste „Arbeitsregeln" für die Sozialarbeit im Bereich der Frühpädagogik aufstellen. Arbeitsregeln stellen einzelne Eckpunkte dar für das, was Sozialarbeit in Kindertageseinrichtungen ausmacht.

 

3.1 Fachspezifisches der Frühpädagogik


 

3.1.1 Erziehung


 

Erziehung ist ein Bestandteil des Förderauftrages für Kindertageseinrichtungen nach § 22 Abs. 3 SGB VIII. Der kleinste gemeinsame Nenner des Begriffes ist der, dass es sich dabei um bewusste, geplante und gezielte Beeinflussung der Entwicklung eines heranwachsenden Individuums handelt (vgl. Löw 2006, S. 22; vgl. Zimmermann 2006, S. 15). Erziehung ist inhaltlich eng mit dem Begriff der Sozialisation verbunden. Beide Begriffe beziehen sich auf denselben Sachverhalt, nämlich die Umwelteinflüsse auf das Individuum und deren Auswirkungen, setzen jedoch andere Akzente (vgl. Löw 2006, S. 22). Während sich Erziehung auf gewollte Einflüsse bezieht, berücksichtigt der Begriff der Sozialisation auch jene Umwelteinflüsse, die ungewollt auf das Individuum wirken (vgl. ebd.). Diese Unterscheidung verdeutlicht, dass Erziehung gesellschaftlich positioniert ist: Erzieher sind selbst „vergesellschaftete Wesen" (ebd.), interpretieren wiederum Werte und Normen und geben diese weiter. Die Erziehung schafft dadurch Kategorien, die weder festgeschriebene Werte darstellen, noch sind sie selbst wertfrei. Erst in einem gesellschaftlichen Bezug gewinnt sie eine Aussagekraft. Kant schreibt der Erziehung die Aufgabe zu, den Menschen als biologische Frühgeburt zu einem sozio-kulturellen und metaphysischen Wesen zu machen:

 

„Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. [...] Er ist nichts als was die Erziehung aus ihm macht. Es ist zu bemerken, dass der Mensch nur erzogen wird, durch Menschen, die ebenfalls erzogen sind" (zit. nach Geissler 2006, S. 36).

 

Kants Definition unterstreicht den gesellschaftlichen Bezugsrahmen der Erziehung, spricht dem Individuum allerdings jegliches Recht auf Selbstbestimmung der eigenen Entwicklung ab, wenn er sagt „Er ist nichts als was Erziehung aus ihm macht." Jedoch „wird" der Mensch nicht nur erzogen, sondern nimmt aktiv daran teil. Erziehung bedeutet in diesem Zusammenhang als „kommunikatives Handeln" (Martin 2005, S. 25 f) oder „Interaktion zwischen Kindern und erziehenden Erwachsenen" (Zimmermann 2006, S. 13) zu sehen. Es handelt sich um einen Prozess der selektiven Aneignung innerhalb einer sozialen Umgebung, der in Anlehnung an den Sozialisationsbegriff durch Sprache und Symbole stattfindet, keinesfalls um bloße Anpassung (vgl. ebd.).

 

1966 formuliert Adorno „seinen" kategorischen Imperativ: demnach sei die erste Forderung an die Erziehung, „dass Auschwitz sich nicht wiederhole" (zit. nach Schäfer 2004, S. 27). Im Mittelpunkt steht die Frage, wie es zur systematischen Massenvernichtung in Konzentrationslagern im Dritten Reich kommen konnte. Hatte die Erziehung bei den Lageraufsehern, bei den Verantwortlichen versagt? Die Problematik, die Adorno unter „Auschwitz" zusammenfasst zeigt wohl vielmehr, dass Menschen im traditionellen Verständnis von Erziehung innerhalb dieser formbar sind im Sinne der Personen, die erziehen. Das Verständnis von Erziehung müsste nach Adorno erweitert werden durch „Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen" (Löw 2006, S. 38). Die Herausbildung einer starken und selbst bestimmenden Persönlichkeit steht seit Adorno mehr denn je im Mittelpunkt der Erziehung. Ein modernes Verständnis von Erziehung kann beschrieben werden als

 

- interaktionales Handeln zwischen Erzieher und zu Erziehendem, wobei gewollt Einfluss genommen wird auf das zu erziehende Individuum im Sinne einer gesellschaftlichen Werteorientierung;

 

- „Kindern in einer wertschätzenden Weise Orientierung geben, indem erwachsene Bezugspersonen ihnen gegenüber klare Standpunkte beziehen und Grenzen setzen" (StMAS/ IFP 2007, S. 28) sowie

 

- zu Erziehende entwicklungsangemessen an allen Belangen, die sie betreffen, zu beteiligen (Demokratieprinzip; vgl. StMAS/ IFP 2007, S. 34 f) mit dem Ziel, in einem reflexiven Prozess starke und selbstbestimmte Individuen zu fördern.

 

3.1.2 Betreuung


 

Betreuung wird im BayKiBiG immer wieder innerhalb einer Aufzählung mit Bildung und Erziehung genannt. Der Begriff ist zu sehen als Sammelbegriff für alles, was während der Verweildauer eines Kindes in einer Kindertageseinrichtung geschieht: dazu gehören Bildung, Erziehung, Pflege, Freispielzeiten. Betreuung zielt formal vor allem auf die Zeit ab, in der ein Kind in der Einrichtung beaufsichtigt wird. Eine Lesemöglichkeit von Betreuung ist, dass die Eltern somit unterstützt werden und ihnen geholfen wird, da sie innerhalb dieser Zeit einzelne Aspekte der Bildung, Pflege und Erziehung von der Einrichtung abgenommen bekommen und sie dadurch einer anderen Tätigkeit nachgehen können. Anders gesehen ergeben sich innerhalb der Betreuungszeit auch Möglichkeiten für die Kinder, die erst durch den Verbleib in der Einrichtung aufgeschlossen werden, zum Beispiel soziale Kontakte zu anderen Kindern oder eine besondere Materialausstattung.

 

3.1.3 Pflege


 

Der Begriff der Pflege ist im sozialen System in Deutschland vor allem in den Bereichen Krankheit und Behinderung geläufig. In der Frühpädagogik ist der Begriff in erster Linie anders zu verstehen. Beispielsweise gibt es die Kinderpflegerinnen, die den Begriff in ihrer Berufsbezeichnung tragen. Vor allem im Hinblick auf unter Dreijährige in Kindertageseinrichtungen ist Pflege relevant. Ein Wörterbuch definiert „Pflege" als „Versorgung und Betreuung hilfebedürftiger Menschen" (Bünting/ Karatas 1996, S. 872) und „pflegen" unter anderem als „jemanden Pflege, Aufmerksamkeit, Bemühungen zukommen lassen" (ebd.). Pflege bedeutet in der frühkindlichen Erziehung allgemein, dass Kindern „Versorgung", „Betreuung", „Aufmerksamkeit" und besondere „Bemühungen" entgegengebracht werden vor dem Hintergrund, dass sie aufgrund ihres meist altersbedingten Entwicklungsstandes diese Zuwendungskriterien oder besondere Strukturen innerhalb dieser zum Heranwachsen benötigen, vor allem im Sinne von „personenbezogenen Verrichtungen [...], z.B. Nahrungsaufnahme, Körperpflege, An- und Auskleiden, Verrichtung der Notdurft" (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2005, S. 696); in der Frühpädagogik gehören dazu vor allem Sauberkeits- und Gesundheitserziehung.

 

3.1.4 Bildung


 

Neben Erziehung und Betreuung umfasst der Förderauftrag für Kindertageseinrichtungen nach § 22 Abs. 3 SGB VIII auch Bildung. Spätestens seit den Berichten zu den DelphiBefragungen 1998 und zu der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) von 2001 steht die Bildungsdebatte im Mittelpunkt der Diskussionen um den Bereich frühkindlicher Erziehung (Fthenakis 2003a, S. 68). Bildung wird allgemein definiert als ein Auseinandersetzungsprozess des Individuums und „umfasst [...] Beschreibungen, welche grundlegende Haltung der Mensch zu sich und zu der ihn umgebenden materiellen, sozialen und geistigen Umwelt einnimmt" (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 2005, S. 153) und erfolgt „überwiegend mit Hilfe der Sprache und anderen Symbolsystemen" (ebd.). Bildung ist somit auch in die jeweilige Gesellschaft eingebunden; Fthenakis beschreibt frühkindliche Bildung als „einen sozialen Prozess [...], der, eingebettet in einem Kontext, von den Kindern selbst, deren Fachkräften, Eltern und anderen Erwachsenen co-konstruiert wird" (zit. nach Pietz 2003b, S. 34 f). Im Wesentlichen handelt es sich bei Bildung also um eine interaktionale, prozessuale und veränderbare Haltung, um Konstruieren von Realitäten - was immer in einen sozialen Kontext eingebunden ist (vgl. Viernickel 2004, S. 35) - im weitesten Sinne. Vor allem über die Gemeinsamkeit des Lernens werden die Begriffe Bildung und Erziehung eng miteinander verflochten und gehen im Elementarbereich „Hand in Hand" (vgl. StMAS/ IFP 2007, S. 28).

 

Wenn wir also den Bereich frühkindlicher Bildung betrachten, handelt es sich dabei nicht im schulischen Verständnis um „Vermittlung und Aneignung von Wissen und Fertigkeiten" (Pietz 2003b, S. 24), sondern um individuelle Strategien, Wissen und Fertigkeiten aufzunehmen, zu verstehen, zu konstruieren und zu erklären; als Ausgangspunkt für Lernen. Es ist wichtig, Kinder nicht mit verschulten, einseitig kognitiven Angeboten zu überfluten, sondern gerade in den ersten Lebensjahren auf Potentialen und Ressourcen der interessierten Forscher aufzubauen, auch um nicht schon vorzeitig dafür zu sorgen, dass ihnen die Lust am Lernen verloren geht. Bildung im frühkindlichen Bereich meint in diesem Zusammenhang einen qualitativen Prozess, bei dem „Stichworte [wie] ,Bildung als Selbstbildung' und ,Bildung als zentrale Ressource der Lebensführung' oder ,Bildung als Lebenskompetenz' eine zentrale Rolle" (Münchmeier/ Rabe-Kleberg 2008, S....

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