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E-Book

Spannungsfeld Föderalismus

Gesundheitspolitik und Gesundheitsökonomie im politischen Alltag der Schweiz - Resultate der Förderalismusplattform der SGGP

AutorStephan Hill (Hrsg.)
VerlagSchweizerische Gesellschaft für Gesundheitspolitik SGGP
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl170 Seiten
ISBN9783857071270
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Experten des schweizerischen Gesundheitswesens analysieren in diesem Sammelband die Chancen und Risiken des Föderalismus im Spannungsfeld zwischen Bund und Kantonen. Die Beiträge sind vor dem Hintergrund einer von der SGGP-Diskussionsplattform zu diesem Thema entstanden, an der die wichtigsten Akteure des Gesundheitswesens teilnahmen. Gesundheitspolitik ist Sache der Kantone. Der Bund aber mischt kräftig mit. Er erlässt Ge-setze und Vorgaben, die von den Kantonen ausgeführt und finanziert werden müssen. Diese fühlen sich in ihrer Hoheit gefährdet. Die Kleinräumigkeit der Schweiz mit ihren 26 Kantonen bietet Vorteile wie Bürgernähe, kurze Wege, Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten. Es gibt aber auch grosse Qualitätsunterschiede, Doppelspurigkeiten, Verschwendung von knappen Ressourcen und Protektionismus. Die SGGP befragte die Teilnehmer, wie ein neues Steuerungsmodell für das Gesundheits-wesen gestaltet sein sollte: Zentralgesteuert, harmonisiert, kantonal gesteuert, multipartner-schaftlich entwickelt? Die Akteure bewerten aus ihrer Sicht Schwächen und Stärken des Fö-deralismus im schweizerischen Gesundheitswesen und fordern gezielte Reformen sowie verbindliche und messbare nationale Ziele. Lösungen aus dem Dilemma zwischen regionaler und lokaler Beharrlichkeit einerseits und überregionaler oder zentraler Steuerung und Koordination andererseits müssen in der Schnittmenge zwischen Bund und Kantonen gefunden werden. Ein Ansatz dazu besteht be-reits im seit 2003 geführten 'Dialog nationale Gesundheitspolitik'. Eine Stärkung der Ge-sundheitsdirektorenkonferenz (GDK) wäre ein weiterer Ansatz zur Vermittlung unterschiedli-cher Positionen zwischen Bund und Kantonen.

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Leseprobe

3 Gesundheitspolitik im föderalen System


Reformansätze von Bund und Kantonen

Dr.rer.pol. Stefan Spycher
Dr. med. MPH Margreet Duetz Schmucki

In der Schweiz wird die Politik vom Föderalismus geprägt. Dieser Umstand wird sowohl breit getragen wie auch konstant diskutiert und in Frage gestellt. Die Gesundheitspolitik ist diesbezüglich keine Ausnahme, auch hier zeichnet sich kein stabiler Konsens bezüglich der „richtigen“ föderalen Organisation ab.

Das föderalistische System weist Stärken und Schwächen auf – auch in der Gesundheitspolitik. Positiv ist beispielsweise, dass die regionsspezifischen Bedürfnisse Berücksichtigung finden und dass „bottom-up“ innovative Projekte entstehen können. Zudem ist – wo notwendig – eine differenzierte, kantonsspezifische Optimierung möglich. Die Akzeptanz des föderalistischen Systems ist in der Bevölkerung und bei vielen Akteuren entsprechend hoch. Dennoch wird oft auch auf Schwächen hingewiesen. Genannt werden etwa die Ineffizienzen, die durch die Kleinräumigkeit entstehen können, die mangelnde Steuerbarkeit des Gesamtsystems sowie die grossen Unterschiede zwischen den Kantonen, welche die Rechtsgleichheit in Frage stellen könnte. Die OECD und WHO haben in ihren Berichten 2006 und 2011 pointiert auf diese Punkte hingewiesen.

Die Rollen von Bund und Kantonen1

Die Prinzipien des Föderalismus – Subsidiarität und Liberalismus – prägen die Aufgabenteilung in der schweizerischen Gesundheitspolitik. (Achtermann/Berset, 2006, 29 ff.). Gemäss der Verfassungsordnung (Art. 3 BV) übt der Bund lediglich diejenigen Aufgaben aus, die ihm explizit übertragen wurden. Die übrigen Aufgaben kommen entweder den Kantonen und Gemeinden oder nichtstaatlichen Akteuren zu. Im Gesundheitssystem nehmen sowohl der Bund als auch die Kantone zentrale Aufgaben wahr.

Der Bund hat im Gesundheitsbereich namentlich folgende Kompetenzen:

  • Prävention und Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsrisiken
  • Regulierung der Reproduktions- und Transplantationsmedizin, der medizinischen Forschung und der Gentechnologie
  • Regulierung der akademischen Ausbildung von Ärzten und Apothekern sowie der Aus- und Weiterbildung aller nicht universitären Gesundheitsberufe
  • Regulierung und Aufsicht der Sozialversicherungen (Krankenversicherung, Unfallversicherung usw.) und der Zusatzversicherungen
  • Stärkung der medizinischen Grundversorgung (in Zusammenarbeit mit den Kantonen)

Die gesundheitspolitischen Zuständigkeiten des Bundes wurden während der vergangenen 30 Jahre ausgebaut. Zum einen wurden dem Bund ausdrücklich neue Kompetenzen zugeteilt, sei es durch die Verschiebung von den Kantonen an den Bund (z.B. die Heilmittelkontrolle), sei es durch die Definition ganz neuer Aufgaben (z. B. die Regulierung der Fortpflanzungsmedizin). Zum anderen übernahm der Bund aus eigenem Antrieb Aufgaben im Rahmen verschiedener nationaler Programme in den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention (Achtermann/Berset, 2006, 31 ff. und 129).

Die Kantone üben ihre gesundheitspolitische Rolle auf zwei Ebenen aus. Zum einen gestalten sie die eigene kantonale Gesundheitspolitik bzw. – Gesetzgebung und setzen sie um. Die betrifft insbesondere die folgenden Bereiche (Achtermann/Berset 2006, 32):

  • Sicherstellung der Gesundheitsversorgung: Spitäler und Pflegeheime (inkl. Bau und Betrieb), Pflege zu Hause, psychiatrische Dienste, Notfallversorgung und Rettungswesen etc.
  • Zulassung und Aufsicht ambulanter Leistungserbringer
  • Gesundheitspolizeiliche Aufgaben (Hygiene, Impfungen)
  • Regelung der Abgabe von Heilmitteln
  • Trägerschaft der Bildungsinstitutionen im Gesundheitsbereich
  • Prävention
  • Patientenrechte

Zum anderen wirken die Kantone an der Gesundheitspolitik des Bundes mit: Sie vollziehen gewisse bundesrechtliche Vorgaben, insbesondere in den Bereichen der Krankenversicherung, des Gesundheitsschutzes und der Berufsbildung.

Zusammenarbeit von Bund und Kantonen

Die starke Aufgabenverflechtung und die steigende Komplexität gesundheitspolitischer Fragestellungen haben den Bund und die Kantone seit den 1990er Jahren dazu veranlasst, Mechanismen zur gemeinsamen, koordinierten Problemlösung zu entwickeln. (Achtermann/Berset, 2006, 130 ff.). Seit 2003 besteht mit dem «Dialog Nationale Gesundheitspolitik» eine Austauschplattform zwischen Bund und Kantonen, die dabei als gleichwertige, aber eigenständige Partner auftreten. Der Dialog dient dem regelmässigen Informationsaustausch, der Identifikation von gesundheitspolitischen Themenfeldern, an denen Bund und Kantone ein gemeinsames Interesse haben, sowie der Förderung von gegenseitigem Verständnis und Vertrauen. Der «Dialog» legt die erforderlichen Grundlagen-, Vorbereitungs- und Entwicklungsarbeiten fest und beschliesst gemeinsame Stellungnahmen und Empfehlungen an den Bund und an die Kantone. Aus dem «Dialog» sind in diversen Themenbereichen gemeinsame Aktivitäten von Bund und Kantonen, teilweise unter Einbezug von Dritten, hervorgegangen:

  • Umsetzung der eHealth-Strategie
  • Nationale Demenzstrategie 2014–2017
  • Nationale Strategie gegen Krebs 2014–2017
  • Nationale Strategie Palliative Care 2010–2012 sowie 2013–2015
  • Nationale Strategie zur Prävention nicht übertragbarer Krankheiten
  • Plattform Zukunft ärztliche Bildung
  • Psychische Gesundheit und Suizidprävention
  • Aktionsplan «Mehr Organe für Transplantationen»

Der Föderalismus als Ursache der aktuellen Probleme?

Der Bundesrat hat in seiner Strategie Gesundheit2020 (Bundesrat 2013) die aktuellen Probleme und künftigen Herausforderungen skizziert. Sie sind zahlreich und sollen an dieser Stelle nur stichwortartig angetönt werden: Die Zahl der älteren Menschen und damit der chronischen Krankheiten wird stetig zunehmen, die heutigen Strukturen sind zu sehr auf die Akutversorgung ausgerichtet. Die Transparenz des Gesundheitssystems ist beschränkt, es fehlt an gezielter Koordination. Die statistischen und analytischen Grundlagen sind lückenhaft. Es gibt Fehlanreize, die zu Ineffizienzen und unnötigen Kosten führen. Die Gesundheitskosten werden durch die demographische Entwicklung und den medizinisch-technischen Fortschritt weiter steigen; die hohen Krankenkassenprämien stellen schon heute für viele Menschen eine spürbare finanzielle Belastung dar. Die Schweiz investiert zu wenig Mittel in die Vorbeugung sowie in die Früherkennung von Krankheiten. Die vereinzelt ungenügende Qualität der Leistungen wird häufig nicht erkannt. Durch die aktuellen Entwicklungen mit der EU ist unsicher, ob wir auch zukünftig genügend Gesundheitspersonal haben werden.

Inwiefern sind diese Probleme und Herausforderungen auf die föderale Organisation des Gesundheitssystems zurückzuführen? Muss konsequenterweise für deren Lösung der Föderalismus reformiert werden? Die Antworten fallen differenziert aus. Manche Probleme stehen in keinem Zusammenhang mit dem Föderalismus, beispielsweise die blockierten Tarifverhandlungen TARMED, der Risikoausgleich oder die Zunahme der chronisch Kranken). Andere Schwierigkeiten sind aber sehr unmittelbar die Folge einer dezentralen Organisation, die sich nur beschränkt abstimmen und lokal politisch verantworten muss. Dazu gehören – nur zu Illustration des Gesagten – ewa die mangelnde Versorgung mit Palliativ-Care-Diensten oder die ungenügende Steuerbarkeit des Gesamtsystems.

Schwierigkeiten einer Föderalismusreform

Möchte man die letztgenannten Probleme angehen, dann würde es eine Föderalismusdebatte und -reform im Gesundheitssystem brauchen. Aber kann eine solche Debatte unabhängig von einer generellen Föderalismusdiskussion über alle Politikbereiche geführt werden? Die Schweiz ist historisch betrachtet von unten her aufgebaut: Die Kantone haben alle Kompetenzen, ausser sie geben sie ganz bewusst an den Bund ab. Reformen der föderalen Organisation im Gesundheitssystem haben daher zu berücksichtigen, dass hier eine grundlegend staatspolitische und nicht nur eine sektorpolitische Frage gestellt wird. Dies zeigt sich insbesondere auch mit Blick auf die Kosten des Föderalismus in Form von Doppelspurigkeiten und Ineffizienzen. Das Gesundheitssystem ist Teil eines Ganzen, das nicht nur nach Effizienzkriterien funktioniert. Partizipation und lokaler Einfluss sind stark verankerte Werte für sich selbst, mögliche negative Auswirkungen auf die Effizienz wurden in der Vergangenheit in Kauf genommen.

Eindrücklich belegt wurde dies mit der Diskussion um die Volksinitiative „Ja zur Hauszarztmedizin“ und dem bundesrätlichen Gegenvorschlag. Dieser sah vor, dass der Bund – in Analogie zur Bildungsverfassung – neu subsidiär eine Kompetenz erhalten sollte, die Grundversorgung mit geeigneten Massnahmen zu sichern, wenn dies die Kraft der Kantone übersteigt. Die Kantone lehnten eine solche in ihren Augen zu generelle Bundeskompetenz ab. Eine Kompetenzverschiebung könne nur dann ernsthaft diskutiert werden, wenn das Sachgebiet eng begrenzt und abgesteckt sei (wie etwa bei der hochspezialisierten Medizin). Geht die Kompetenzverschiebung aber über ein enger definiertes Feld hinaus und wird allgemeiner, so werden Grundsatzfragen des Föderalismus tangiert, für die zurzeit die Kantone nur schwer zu gewinnen sind.

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