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E-Book

Spiel und Spielen in der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

AutorBertke Reiffen-Züger, Dagmar Lehmhaus
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl225 Seiten
ISBN9783170308404
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Da Kinder sich noch nicht ausreichend über Sprache mitteilen können, wurde das Spiel zum unverzichtbaren Bestandteil psychotherapeutischer Arbeit. Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die Besonderheiten kindlichen Spiels, seine Entwicklung und Störungsmöglichkeiten. Erörtert werden Spielraum, Setting, Haltung und Technik, aber auch sorgfältig ausgewählte Spielmaterialien, die Kindern helfen, in ihr Spiel zu finden, und auch dem Psychotherapeuten seine Aufgabe erleichtern, sodass normales Spielen zu heilsamem Spiel werden kann.

Dagmar Lehmhaus ist Diplom-Soziologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin; Dozentin, Supervisorin am Institut für Psychoanalyse in Düsseldorf (IPD). Bertke Reiffen-Züger ist Diplom-Pädagogin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin; Dozentin und Supervisorin für die Fortbildung in tiefenpsychologischer Psychotherapie für Kinderärzte und Kinder- und Jugendpsychiater.

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Leseprobe

3          Grundlagen und Rahmenbedingungen spielerischer Begegnung


 

 

3.1       Entscheidung für das Spieleparadigma


Im Gegensatz zu seiner klinisch basierten Evidenz konfrontiert die spezifische Arbeitsweise in und mit dem kindlichen Spiel einen Kinderpsychotherapeuten oftmals mit Legitimations- und Imageproblemen. Denn aus Erwachsenensicht fällt es gar nicht leicht, das Kinderspiel als eine ernst zu nehmende Sache anzusehen und darauf auch heilend zu vertrauen (Hüther & Quarch, 2016). »Sie spielen ja nur!« hören daher Kinderpsychotherapeuten entsprechend oft von Eltern und Experten und hinter dem manchmal skeptisch bis vorwurfsvoll Dahingeworfenen verbirgt sich nicht selten ein dezenter Hinweis, dass es Gescheiteres zu tun gäbe. Tatsächlich kann Spielen weder mit der Nützlichkeit von Arbeit aufwarten, noch sich mit der Würde geistiger Anstrengung schmücken oder gar mit der Nüchternheit und Genauigkeit wissenschaftlicher Tätigkeit überzeugen. Da kann schnell der Verdacht aufkommen, dass Psychotherapie in dieser Form »vertane Zeit« sein könnte, was umso schwerer wiegt, als Spielen selbst viel Zeit benötigt. Folge solcher Vorbehalte ist, dass der Psychotherapeut dem guten Geist des Spiels oft erst einmal Raum und Anerkennung verschaffen muss, dem Kind gegenüber wie auch den Bezugspersonen und in sich selbst. Beispielsweise ist wichtig, dass der Kinderpsychotherapeut sich entscheidet, ob er der Spielvariante den Vorzug gibt oder halbherzig einem Kompromiss folgt, der in so vielen Supervisionen anklingt: 30 Minuten Spielen (das Kind bestimmt) und 20 Minuten reden (was der Kinderpsychotherapeut wissen will).

Auch ist es nicht so, dass sich Kind und Behandler einfach irgendwo treffen und losspielen. Denn was für Außenstehende wie ein ganz alltägliches Spielen aussieht, ist in Wirklichkeit ein komplexes, intensiv reflektiertes und gut vorbereitestes Vorgehen: Sobald spielerisches Handeln zum psychotherapeutischen Medium wird, verändern sich die Grundlagen und Rahmenbedingungen der therapeutischen Begegnung grundsätzlich. Nonverbale Kommunikation steht nun an erster Stelle und nicht nur die störungsbedingten Grenzen des Kindes, sondern auch die (Spiel-)Fähigkeiten des Psychotherapeuten bestimmen Möglichkeiten und Grenzen und sind bei der Behandlungsplanung in Betracht zu ziehen.

3.2       Rolle, Präsenz und Haltung des Kinderpsychotherapeuten


Die Person des Psychotherapeuten ist in den psychodynamischen Verfahren das eigentliche Medium und das wichtigste Instrument für die Gestaltung und Wirksamkeit der psychodynamischen Arbeit. Ausgehend davon, dass Zurückhaltung Entfaltung herausfordert, ist eine möglichst abstinente und neutrale Grundhaltung erforderlich, die aber immer wieder in Spannung gerät mit der geforderten spielerischen Einlassung des Behandlers und von ihm »ausbalanciert« werden muss. Man kann sagen, dass sich an der Fähigkeit zur Rollendifferenzierung ebenso wie an der ebenso aufmerksamen wie empathischen Wahrnehmungseinstellung und an seinen inneren Möglichkeiten, Spannungen zu halten und nicht zu agieren, der individuelle Spielraum bemisst, der dem Kind, seiner Innenwelt und seinen Besetzungen zur Verfügung gestellt wird. Entsprechend dem Konzept der freischwebenden Aufmerksamkeit sollte der Behandler offen sein für alles, für jede feine und grobe Geste, jeden Spieleinfall und seine möglichen Ausgestaltungen. Gemeint ist eine akzeptierende sammelnde Haltung ohne Tabus. Die Ein-Stellung ist auf den Patienten gerichtet, auf das Kindliche, auf das Spielerische ebenso wie auf das Symbolische. Mit der symbolischen Einstellung ist die Bereitschaft gemeint, den Phänomenen neben ihrer faktischen Gegebenheit eine implizite, szenische13 oder unbewusste Bedeutung zuzuerkennen.14 Es liegt auf der Hand, dass Desinteresse, Ablenkungen und Alltagsroutinen eine solcherart intensive Begegnung wenig wahrscheinlich werden lassen.

Psychotherapie beginnt immer im Psychotherapeuten: Die psychodynamische Variante verlangt ein hohes Maß an Intimität, wenn sie erwartet, dass sich der Kinderpsychotherapeut seinem Patienten außer mit seiner Professionalität auch mit seiner Ich-Selbst-Organisation, mit seinen Gefühlen und seinem biographischen So-geworden-Sein in einem bestimmten Raum für eine bestimmte Zeit empathisch zur Verfügung stellt. Gleichzeitig muss er funktionell als Psychotherapeut vorhanden und wirksam bleiben. Entsprechend beschreibt Zwiebel die psychotherapeutische Situation im Bild vom Gast und Gastgeber (vgl. Wittenberger, 2016, S. 16). Zwiebel zufolge geht es nicht nur darum, einen äußeren Raum zur Verfügung zu stellen, mit Körper und Seele präsent zu sein, sich dem Kind mit Interesse und Einfühlung zuzuwenden, sein Handeln und sein Spiel in seiner inneren Welt aufzunehmen und resonant zu sein, das Kind an seinen Einfällen, Gedanken und Gefühlen teilhaben zu lassen. Darüber hinaus gelte es, sich im Winnicott‹-schen Sinne wie ein Objekt verwenden zu lassen (Winnicott, 1971/2015). Damit ist eine grundlegende technische Akzentverschiebung angesprochen: Die psychodynamische Perspektive hat nicht vor, den Patienten zum Objekt der psychotherapeutischen Bemühungen zu machen, beispielsweise Techniken anzuwenden, um seine störenden Symptome zum Verschwinden zu bringen – was ja viele erwarten oder sogar einklagen, die zu uns kommen. Vielmehr ist der Kinderpsychotherapeut psychodynamischer Provenienz aufgerufen, sich zur Verfügung zu stellen und angelehnt an das, was dieses konkrete Kind zeigt und was es braucht, etwas mit sich machen zu lassen. Das bedeutet, sich als (Spiel- und Entwicklungs-)Objekt verwenden und brauchen zu lassen. Wir sprechen von einem intersubjektiv ausgerichteten Behandlungskonzept. Dahinter stehen die Erfahrung und das Vertrauen, dass die Seele sich im Miteinander des geschützten spielerischen Raums Ausdruck verschafft, wo das Unbewusste des Kindes auf das Unbewusste des Behandlers trifft, und beide eine neue gemeinsame Wirklichkeit hervorbringen (Ferro, 2003).

Diese verbal und nonverbal zu gestaltende Beziehung zwischen dem Psychotherapeuten und dem kleinen oder auch schon größeren Patienten ist von Beginn an eines der wichtigsten Instrumente. Sie stellt »das Dritte« dar und bietet einen »Möglichkeitsraum« (Winnicott, 1971/2015), in dem sich die therapeutische Begegnung vollzieht, in der und mit der Heilung möglich werden soll. Das Verstehen der jeweiligen spielerischen Inszenierung in dieser Begegnung öffnet die Bedeutung dessen, was sich zwischen beiden ereignet, und sichert den Fortgang des Prozesses. Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter in diesem Sinne stellt eine »Kunst« dar, die ausgebildet werden kann und geschult werden muss. Einerseits geht es um das sich bedingungslose Einlassen auf das Beziehungs- und Spielgeschehen, andererseits um die Aufrechterhaltung der psychotherapeutischen Rolle und Arbeit. Man könnte sagen, dass sich der Behandler spielerisch verwickeln lassen muss, um zu verstehen, aber sich nicht »einwickeln« lassen darf, weil er dann als Psychotherapeut nicht mehr vorhanden wäre.

Es geht also um gemeinsames Spiel, um geduldiges, genaues, sorgfältiges miteinander Hinsehen und Hinhören, um Nachdenklich-Werden und Verstehen sowie um progressionsorientierte Fantasie, um in diesem Miteinander gemeinsam einen neuen kreativen Weg aufzuspüren. Dies alles ist therapeutisch unverzichtbar, aber sowohl ein Luxus wie ein Anachronismus in einer Zeit, in der es immer mehr auf Schnelligkeit, Rationalität und Effektivität ankommt und fordert daher Legitimierung. Diese notwendige Verständlichmachung wird nicht leichter, wenn man bedenkt, dass ein psychodynamisch arbeitender Psychotherapeut auch die Bereitschaft und Fähigkeit braucht, zu akzeptieren und (narzisstisch) auszuhalten, dass er zunächst nichts weiß und auch nicht sofort alles versteht – was ja niemanden als Experten ausweist! Zwiebel prägt für den psychotherapeutischen Prozess aus dieser Perspektive die Metapher einer » analytischen Bootsfahrt«15:

»Man tritt immer wieder die Fahrt vom Ufer des Nicht-Wissens zum Ufer des Wissens und Verstehens an, das sich nicht selten überraschenderweise erneut als Ufer des Nichtwissens erweist, kommt in Stürme und Flauten, kentert manchmal und rettet sich ans Ufer (…), bis man die Fahrt mit ungewissem Ausgang wieder aufnimmt« (Zwiebel, 2013, S. 192 f).

Insbesondere am Anfang psychotherapeutischer Tätigkeit ist diese Ungewissheit wenig ermutigend und verlangt dem Behandler viel ab. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es, um diese Haltung des Nicht-Wissens realisieren zu können, notwendig ist, in der spielerischen Begegnung mit dem Kind selbst das (fachkundige) Wissen zu suspendieren, an das man sich zu Beginn so gerne klammert.

Im Spiel...

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