Bei den hier beschriebenen Gliederungspunkten beziehe ich mich auf die Konzeption von City-Streetwork des Jugendamtes Nürnberg aus dem Jahr 1997 und auf meine persönlichen Erfahrungen und Einblicke, die ich Laufe meiner über dreijährigen Tätigkeit in diesem Projekt gemacht habe.
Am 01.02.1995 wurde das Projekt City-Streetwork mit zwei Sozialpädagogenstellen vom Jugendamt der Stadt Nürnberg geschaffen. Hintergrund war eine große Zahl von Jugendlichen, die sich der Punkkultur zurechneten, — sowie Angehörigen der Drogen- und Obdachlosenszene — und die Probleme, die sich aus ihrem Aufenthalt rund um das damalige KOMM und dem Königstor ergaben. Da diese Orte durch den nahegelegenen Hauptbahnhof und als Zugang zur Innenstadt von vielen Bürgern und Touristen frequentiert wurden, sammelten sich Klagen und Beschwerden über die tatsächlichen und zugeschriebenen Schwierigkeiten, diese Personengruppen verursachten. Die Punks forderten und wünschten sich von den Vertretern der Stadt ein Punkhaus, in dem sie sich aufhalten können und für sie einen Rückzugsort darstellen würde. Dies wurde von der Stadt als nicht machbar abgelehnt, stattdessen wurde das Projekt City-Streetwork ins Leben gerufen. Anfangs waren die Streetworker Angelika Suter und Volker Wagner ausschließlich auf der Straße an den Treffpunkten der Punks unterwegs und stellten sich und das Projekt bei der Zielgruppe vor. Etwas später konnten sie ein Büro einmal wöchentlich für ein paar Stunden im KOMM nutzen, um — wenn auch nur sehr begrenzt — telefonisch erreichbar zu sein.
Diese nicht ausreichende Situation hinsichtlich der Erreichbarkeit durch die Zielgruppe ist seit April 1996 mit dem Bezug der Büroräume in der Vorderen Sterngasse 3 behoben. Wichtig für die Wahl der Räumlichkeiten war die Nähe zu den informellen Treffpunkten der Punks. Die so genannte „Anlaufstelle“ umfasst mit ca. 200 m² einen Büroraum, einen Beratungsraum, eine Küche, eine Dusche, Toiletten, einen Waschmaschinenraum und drei Aufenthaltsräume mit Fernseher, Kicker und Dart. Weiter stehen zwei Räume zum Lagern von Arbeitsmaterial und zum Unterstellen von persönlichen Gegenständen der Jugendlichen zu Verfügung.
Die Programm- und Honorarmittel belaufen sich derzeit auf ca. DM 30.000 pro Jahr, die durch öffentliche Mittel der Stadt Nürnberg finanziert werden. Zusätzlich zu den zwei Planstellen besteht eine Praktikantenstelle und die Möglichkeit der bearfsorientierten Beschäftigung von Honorarkräften.
Die Altstadt und Innenstadt Nürnbergs hat eine große Anziehungskraft auf Jugendliche aus der gesamten Stadt und ihrer Umgebung. Hier verkehren viele Menschen und es sind zahlreiche kommerzielle Anbieter vorhanden. Bei den kommerziellen Anbietern können sie ihre täglichen Grundbedürfnisse (Essen, Trinken) unproblematisch decken. Zudem besitzen die U-Bahnhöfe und der Hauptbahnhof hohe Attraktivität. Die diese Orte besuchenden Menschen bieten der Zielgruppe die Möglichkeit, sich und ihre Lebens- bzw. Jugendkultur zu präsentieren und durch so genanntes „Schnorren“, also Betteln um Geld, ihre Existenz zu sichern.. Daher halten sich die „Problemgruppen“ oder die als solche definierten dort vermehrt auf. City-Streetwork hat an diesen Orten ihre Einzugsgebiet.
Aufgrund der Mobilität der Zielgruppe und aufgrund ordnungspolitischer Verdrängungs- und Vertreibungstendenzen der letzten Jahre muss City-Streetwork flexibel auf die räumlichen Veränderungen der Zielgruppe reagieren. Wenn sich Treffpunkte und „Szeneorte“ verlagern oder auflösen, müssen sich die Mitarbeiter auf die neue Situation und gegebenenfalls auf ein zu erweiterndes Einzugsgebiet konzeptionell einlassen.
Grundsätzlich wendet sich City-Streetwork an Jugendliche und junge Erwachsene im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SGB VIII, also an 14- bis 27jährige. Der Schwerpunkt liegt bei 14 bis 21 Jahren. „Das Hilfsangebot von City-Streetwork wendet sich an Jugendliche aus dem ganzen Stadtgebiet und von außerhalb, die auf den Straßen der Innenstadt, vor allem rund um den Hauptbahnhof ihre sozialen Bezüge haben und dies zum zentralen Lebensmittelpunkt geworden ist oder an Jugendliche, die dabei sind, sich dahingehend zu orientieren“ (City-Streetwork, S. 4, 1997). Jugendliche, die das Stadtzentrum als Einkaufs- und Vergnügungsort nutzen, also jugendliche Spaziergänger, Einkaufsbummler, Schüler, Touristen sowie gelegentliche Nutzer von kommerziellen Freizeitangeboten (Diskotheken, Gaststätten, Veranstaltungen etc.), gehören nicht zur Zielgruppe.
Der Schwerpunkt liegt bei der Zielgruppe der jugendlichen Punks und Oi-Skins („Oi“ im Sinne von Spaß), die in ihrem Selbstverständnis der Punkkultur sehr ähnlich sind. Dazu kommen jugendliche Wohnungslose, Ausreißer, Trebegänger, Stricher und Suchtmittelkonsumenten. Die kontaktierten Jugendlichen leben unabhängig von ihrer jugendkulturellen Orientierung in unterschiedlichen Lebenssituationen. Ein Teil der Jugendlichen ist gut in soziale Bezüge eingebunden und nutzt die Innenstadt, um dort die Freizeit zu verbringen und Freunde zu treffen. Andere sind noch mehr oder weniger in die Familie eingebunden. Ebenso bestehen Kontakte zu Jugendlichen, die keinerlei soziale Bezüge außerhalb ihrer Szene haben.
Der Reiz der Innenstadt liegt für die Jugendlichen in der Anonymität und dem Schutz durch die vielen dort verkehrenden Menschen. Dies erleben sie subjektiv als „Freiheit“ und meinen, dass ihnen dort kein Erwachsener Vorschriften machen kann. Es existieren verschiedene Szenen (Punks, Wohnungslose, Suchtmittelkonsumenten, Trebegänger) nebeneinander auf der Straße und sie mischen sich oft untereinander. Oft wechseln Jugendliche von einer Szene zur nächsten. Die Szene bietet ihnen Halt und Anerkennung, auch wenn es sich oft nur um „Notgemeinschaften“ von jungen Menschen mit ähnlichen Problemlagen handelt. Der Aufenthalt in der „City“ und den verschiedenen Szenen ist vom täglichen Kampf ums Überleben gekennzeichnet sowie von Ängsten vor dem weiteren Lebensverlauf. Körperliche Gewalt (in der eigenen und mit anderen Szenen), Beschimpfungen und Stigmatisierungen durch „normale“ Bürger und Kriminalisierungsprozesse sind ebenso Lebensrealität. Oft existiert eine hohe Ambivalenz zwischen dem Wunsch von der Straße weg zu wollen, sich aber andererseits dort aufgehoben zu fühlen.
Die Adressaten von City-Streetwork werden von anderen einrichtungsgebundenen Angeboten der Jugendhilfe unzureichend oder überhaupt nicht mehr erreicht. Viele sind durch individuelle Vorerfahrungen mit Eltern, Pädagogen oder Behörden sehr misstrauisch Erwachsenen gegenüber, besonders wenn sie Sozialpädagogen und/oder vom Jugendamt sind. City-Streetwork wird häufig bei den Erstkontakten mit Jugendlichen mit deren Misstrauen konfrontiert. Die Trägerschaft des Jugendamtes wird den Jugendlichen nicht verheimlicht. Anfängliche Ängste oder Ablehnung bauen sich in der Regel nach mehreren Kontakten mit den Mitarbeitern von City-Streetwork ab. Die Jugendlichen merken, dass die Streetworker — oft entgegen bisher gemachter Erfahrungen mit anderen SozialarbeiterInnen und -pädagogInnen — ihnen zuhören und sie ernst nehmen, dass ihre Wünsche und Anliegen als Basis des weiteren Vorgehens dienen und dass sie damit vollkommen in ihre weitere Lebensplanung eingebunden sind. Dies schafft eine besondere Vertrauensbasis.
Seit etwa 1998 finden verstärkt Vertreibungsbestrebungen der marginalisierten Szenen statt. Die „unerwünschten“ Jugendlichen wurden und werden mittels ordnungspolitischer Maßnahmen von ihren Treffpunkten verdrängt. Dies geschieht in erster Linie durch Polizei und Sicherheitsdienste der Bahn AG und der örtlichen Verkehrsbetriebe. Auch viele Geschäftsleute wollen diese Jugendlichen ungern in der Nähe ihrer Geschäfte haben, aus Angst, dass deren Anwesenheit ihre Kundschaft vertreibt. Durch diese eher erzwungene Mobilität der Jugendlichen fällt es City-Streetwork zunehmend schwer, die Zielgruppe anzutreffen und zu finden, da sie sich zumindest temporär andere Treffpunkte suchen und sich an diese je nach aktueller ordnungspolitischer Situation zurückziehen.
Verschiedene, zum Teil erhebliche Probleme kennzeichnen die Zielgruppe, die sich teilweise kumulieren: Wohnungs- und Obdachlosigkeit, Gesetzesverstöße, Kriminalisierungsprozesse, Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, Armut, gesundheitliche und psychische Probleme, Arbeitslosigkeit, Stigmatisierungsprozesse, Schwierigkeiten in Verbindung mit dem „Erwachsenwerden“, fehlende soziale Bindungen außerhalb der Szene, Schule schwänzen oder gewalttätige Konfliktlösungen.
Wenn Jugendliche bereits Jahre auf der Straße leben, wird es zunehmend schwerer, sie in pädagogische Maßnahmen zu integrieren. Meist ist es das subjektiv erlebte Gefühl eingesperrt zu sein und der bisher gelebten Freiheit beraubt zu werden. Denn in den Maßnahmen bestehen Hausregeln und Verbote, die grundsätzlich wichtig sind, aber für diese Jugendliche einen sehr abrupten Bruch zum Leben auf der Straße mit ganz anderen Regeln und Verhaltensmaßstäben darstellen.
Die Zahl der Besucher der Anlaufstelle und der kontaktierten Jugendliche auf der Straße zu...