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E-Book

Tatort Trennung

Ein Psychogramm

AutorHeidi Kastner
VerlagVerlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783218010504
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Nahezu jeder Erwachsene macht zumindest einmal im Leben eine Trennung durch - kaum ein anderes Ereignis bringt das Lebensgefüge so durcheinander. Im dramatischsten Fall entwickeln sich daraus Familientragödien, die auch in Gewalt, Mord und Totschlag münden können. Zahlreiche Beispiele in diesem Buch dokumentieren das. Es gibt verschiedene Arten der Trennung: die scheinbar belanglose Trennung, die Kampf-Trennung, die Vernunft-Trennung, die innere Trennung bei formaler Aufrechterhaltung der Beziehung - in jedem Fall hinterlässt sie zwei Menschen, deren Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit gewaltig erschüttert wird, mit allen negativen Folgen, die das für die eigene Biografie haben kann. Heidi Kastner zeichnet ein differenziertes Psychogramm von Trennungen und zeigt damit auf, wie sich der Scherbenhaufen mit möglichst wenig Kollateralschäden zusammenkehren lässt.

Heidi Kastner ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. Seit 1997 Gerichtspsychiaterin; Aufbau und Leitung dreier forensischer Nachbetreuungsambulanzen; seit 2005 Chefärztin der forensischen Abteilung der Landesnervenklinik Linz; Gerichtsgutachterin für Strafrecht. Mehrere Buchveröffentlichungen.

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Leseprobe

Trennung, scheibchenweise


Lasst euch von niemandem so tief hinabziehen,
dass ihr ihn hasst.

BOOKER T. WASHINGTON

Falls Paare sich in Richtung Trennung bewegen, geschieht diese Entwicklung meist asymmetrisch und folgt einem Muster, das von der Soziologin Diane Vaughan in den 1990er Jahren beschrieben wurde. Auch sie machte die Beobachtung, dass manche Getrennte sich schwer taten, einen Trennungsgrund zu benennen oder dass die Trennungen von außen betrachtet oft auf „unscheinbaren“ Gründen beruhten. Den Keim der Trennung bezeichnete sie als „Geheimnis“. Gemeint ist damit, dass ein Beziehungspartner bei sich ein wachsendes Unbehagen feststellt, es „passt“ nicht mehr. Anfangs wird die Unzufriedenheit noch als vorübergehendes Phänomen abgetan, dann beginnt der Unzufriedene langsam, aber stetig, mit der Ursachenforschung und betrachtet damit den anderen immer mehr durch den Filter seiner eigenen Negativerwartungen, was zu einer Art self-fulfilling prophecy wird. Das „Geheimnis“ betrifft also nicht Äußerlichkeiten, sondern die subjektive Sicht auf die Beziehung selbst, die sich subtil, aber stetig verändert.

Eine Frau erzählte, dass sie schon am Tag der Hochzeit gewusst habe, dass sie einen Fehler mache. Sie habe vor der Kirche gestanden und wäre am liebsten umgekehrt, wollte aber keinem einen solchen Eklat zumuten. Außerdem konnte sie, abgesehen von einem vagen Gefühl, keine Gründe für ihr Unbehagen nennen, schon gar keine „vernünftigen“, jeder hätte sie wohl für verrückt gehalten. Die Beziehung bestand schon seit sieben Jahren, es hatte keine dramatischen Krisen gegeben, die Entscheidung zu heiraten war eine beidseitige, der Zeitpunkt durch äußere Umstände diktiert. Die Ehe wurde nach über zwanzig Jahren, davon zehn Jahre in ständiger, nun auch beidseitiger Ambivalenz, geschieden. In ihrer Herkunftsfamilie hatte die Verbindlichkeit der Ehe einen hohen Stellenwert, wobei sich hier auch viele Beispiele geglückter langjähriger Partnerschaften fanden. Ein Scheitern der Ehe wäre keinesfalls sanktioniert worden, es gab dafür nur einfach kein Vorbild. Außerdem hatte die Verbindlichkeit eines Versprechens für sie einen hohen Stellenwert, auch für ihn, und sie hatten sich ja gegenseitig Liebe, Achtung und Ehre geschworen. Wesentlich war auch der Aspekt des Versagens, mit dem die Scheidung für sie konnotiert war. Wenn man etwas nur wirklich wollte und sich darum ausreichend bemühte, musste es gelingen.

Wenn Unzufriedenheit geäußert wird, dann meist als Kritik an banalen Nebensächlichkeiten, die vom Nichtsahnenden leicht als momentane Verstimmung oder Laune abgetan werden kann. Derweil beginnt der andere innerlich, Alternativszenarien zu entwerfen und Lösungen zu erwägen, natürlich ohne dass der wesentlich Betroffene bzw. Bedrohte dabei eingreifen oder eine Position formulieren könnte. Es kann auffallen, dass der Unzufriedene sich neuen Hobbys oder neuen Freunden zuwendet und den Partner dabei nicht einbezieht, auch das wird meist noch als „Phase“ abgetan, die man eben tolerieren muss. Man möchte doch den anderen nicht einengen, man muss einander ja Freiräume lassen, und wenn es ihm so wichtig ist … Faktisch bereitet derjenige, der sich mit dem Gedanken an Trennung trägt, bewusst oder unbewusst schon das soziale Netz vor, in das er – im Fall einer Trennung – möglichst weich fallen könnte, und erzählt zu Hause immer weniger über seine Erfahrungen und Erlebnisse, vor allem dann nicht, wenn dieses Netz auch eine Außenbeziehung inkludiert. Die Geheimnisse nehmen zu.

In der nächsten Phase hat der Unzufriedene sich schon so weit davon überzeugt, dass er mit dem anderen nie eine befriedigende Beziehung führen wird können, dass die ungebremste Schubumkehr einsetzt. Alles, was man früher am anderen liebenswert und speziell gefunden hat, wird nun peinlich, lächerlich oder hausbacken. In dieser Phase wird die gesamte Geschichte der Partnerschaft einseitig neu geschrieben. Das Problem war ja immer schon da, man hat es nur ignoriert, hat über gravierende Versäumnisse und Unzulänglichkeiten hinweggesehen; positive Erinnerungen werden nicht dem Partner, sondern den Umständen gutgeschrieben (damals war ich ja so verliebt, dass ich nicht bemerkt habe …; diese Zeit war ja nur deshalb schön, weil wir eben im Urlaub waren, da gibt es ja keinen Alltag …; eigentlich habe ich ja nur geheiratet, weil meine Eltern das erwartet haben …). Der Prozess der retrograden Geschichtsfälschung erfordert keine speziellen Fähigkeiten, weil wir generell Erinnerungen immer neu einordnen und interpretieren. Im direkten Umgang mit dem Partner wird nun vielleicht spielerisch die Trennung in den Raum gestellt und – mit einem Lächeln – die rhetorische Frage gestellt, ob die Beziehung noch zu retten sei. Gleichzeitig werden andere über die Überlegungen informiert, die Reaktionen werden ausgelotet, intime Beziehungsdetails werden verraten, eine „Übergangsperson“ wird gesucht. Das kann die schon erwähnte Außenbeziehung sein, aber auch ein Freund oder ein Therapeut, mit dem man „über alles“ reden kann. Zunehmend bleibt die Loyalität zum Partner auch nach außen hin auf der Strecke.

Für den Trennungsorientierten beginnt die Trauer­phase. „… Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – und jeder Trennung ein kleiner Tod, möchte man ergänzen. Hermann Hesse bewertet Veränderung, auch Trennung, zwar positiver („Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen; nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“), der Zuspruch hilft aber nicht wirklich: Getrauert muss werden. Man kann sich diese Phase etwas erleichtern, indem man seine eigene Verantwortung für die Entwicklung minimiert und die Schuld daran dem anderen attribuiert, aber auch, indem man den anderen für sich selbst möglichst negativ malt und damit den Verlust verkraftbarer erscheinen lässt (was natürlich ein Unrecht ist und eines, das man als anständiger Mensch irgendwann wieder zurechtrücken sollte).

In der nächsten Phase befindet sich der Betreiber der Trennung selbst schon im Übergang zwischen Abschied und Neubeginn. Er investiert kaum mehr in die Beziehung, die er ohnehin bald verlassen wird, verbringt immer mehr Zeit mit Aktivitäten außerhalb der Partnerschaft und entzieht sich der Kommunikation. In der Praxis sieht das oft so aus, dass man mehr Zeit in der Arbeit verbringt, nicht mehr mit dem anderen gemeinsam zu Bett geht, weil man noch „etwas erledigen“ muss, und Fami­lienfeste und Familienzusammenkünfte vermeidet, bei denen die Demonstration von Zweisamkeit erwartet wird. Der andere hat immer noch keine Ahnung, was da sozusagen in seinem eigenen Bett, aber hinter seinem Rücken vorgeht. Rückblickend ist es leicht, Signale zu erkennen, und manche zerfleischen sich auch mit der Frage, wie sie nur so blind sein konnten, diese Hinweise zu ignorieren. Das ist eine entbehrliche Übung, die nur das eigene Elend vergrößert: Eine gelebte Beziehung ist kein heiteres Befindlichkeitsraten, sondern beruht auch auf der Tatsache, dass Menschen relativ differenziert kommunizieren können, wenn es ihnen wichtig oder angebracht erscheint. Es nicht zu tun, ist eine willentlich getroffene Entscheidung, ebenso wie die Aufrechterhaltung der Illusion über einen langen Zeitraum.

This is the end, my friend


Was nun folgt, ist die drastische und unmissverständliche Kommunikation der Trennungsabsicht, die den zumeist Ahnungslosen wie eine Keule aus dem Hinterhalt trifft. Je nach Persönlichkeit (und Ausmaß der Schuldgefühle) kann die Information relativ brutal und unverblümt daherkommen oder mit allerlei Nettigkeiten garniert, die aber nichts am Inhalt ändern. Wenn der Partner erklärt, dass er beschlossen habe, er brauche nun Zeit, um zu sich zu finden und sich neu zu definieren, sollte man nur dann nachfragen, wenn man auch wirklich, wirklich jetzt gleich von der schon länger etablierten Außenbeziehung erfahren möchte. Der Zeitpunkt der Mitteilung selbst ist nicht immer bewusst gewählt und kann auch durch zufällige Entwicklungen (mögliche Versetzung in eine andere Stadt, Erbschaft) herbeigeführt werden, die meisten beschreiben aber eine vorangehende, einschneidende und gut erinnerliche Erkenntnis („Da habe ich gewusst, das geht nicht mehr“).

Eine Frau erinnert sich, dass sie nach jahrelanger innerer Ambivalenz ihren Mann in einem Hotelfitnessraum an den Turngeräten betrachtet und plötzlich denkt: „Der bewegt sich wie ein Affe.“ Nach der Rückkehr aus dem Urlaub eröffnet sie ihm, dass sie die Beziehung beenden will.
Ein Mann geht mit seiner langjährigen Freundin ins Restaurant und erlebt zum hundertsten Mal, dass sie sich nicht für eine Bestellung entscheiden kann und gefühlte Stunden mit dem Kellner über Vor- und Nachteile der diversen Gerichte debattiert. Plötzlich denkt er sich, dass er diese Zögerlichkeit und irrwitzige Dramatisierung banaler Dinge keine Minute länger erträgt. Eine Woche später zieht er aus.

Alternativ kann die Auseinandersetzung in der Variante für Feiglinge auch erzwungen werden, indem der Trennungswillige sich so unmöglich verhält, dass der Partner reagieren muss. In dieser Version wird die Verantwortung (und die Schuld) auf den Partner übertragen, der sie oft annimmt, weil ihm die Hintergründe der eskalierenden Dynamik ja nicht bekannt sind. Jedenfalls ist nun die Katze aus dem Sack und die beiden sind im Gespräch, wenngleich die Ausgangspositionen ungleicher nicht sein könnten. Während der eine innerlich schon sein neues „Nest“ vorbereitet hat, sieht sich der andere plötzlich und unvermutet einer Sturmbö ausgesetzt, gegen die er sich nun mit aller Macht stemmt....

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