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Tatort Unterwelt

Ein Strafverteidiger gibt unzensierte Einblicke in kriminelle Parallelgesellschaften

AutorBurkhard Benecken, Christoph Wöhrle
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783959710695
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Nichts bewegt die Medien derzeit mehr als das Thema Kriminalität. Viele Menschen haben große Ängste und sind verunsichert. Von Ohnmacht der Polizei ist die Rede, von einer Unterwanderung der Gesellschaft durch kriminelle Strukturen, die sich immer weiter ausbreiten. Aber gibt es diese Parallelwelten wirklich und wie sieht es in ihnen aus? Burkhard Benecken ist einer der bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands. Zu seinen Mandanten gehören die Größen der Unterwelt, aber auch mit der alltäglichen Kriminalität hat er zu tun. Dieses Buch richtet seinen Blick auf die dunkle Seite dieser Republik: Angefangen von Drogenhändlern, Zuhältern und Einbrechern über Geldeintreiber, Heiratsschwindler, Rocker sowie Flüchtlingsschleuser, Cyberkriminelle bis hin zu arabischen Familienclans - sie alle geben Benecken unzensierte Einblicke in Sphären, die den Menschen sonst verschlossen bleiben. Tatort Unterwelt ist durch authentische Interviews sowie gründliche Recherchen ganz nah dran an den kriminellen Parallelgesellschaften und beschreibt, was man über sie wissen muss und wie man die Probleme lösen kann.

Burkhard Benecken ist einer der bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands. Seine Schwerpunkte sind internationaler Drogenhandel, Geldwäsche, Gewaltdelikte, Sexualstrafverfahren und Jugendstrafrecht. Benecken verteidigt nicht nur in Strafsachen im ganzen Bundesgebiet, sondern auch im europäischen Ausland. Er hat seinen Kanzleisitz im Ruhrgebiet, einem Schmelztigel der Kriminalität. Christoph Wöhrle, ist freiberuflicher Journalist und Buchautor. Er hat im Laufe seiner Karriere für zahlreiche renommierte Magazine und Zeitungen gearbeitet, unter anderem Stern, Focus, Cicero, und Neon. Für sein Schaffen wurde er 2007 mit dem renommierten Theodor-Wolff-Preis für die Reportage 'Dr. Fastfood und Mr. Dschihad' ausgezeichnet. Er lebt in Hamburg und Berlin.

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Leseprobe

2. FRAUEN UND KRIMINALITÄT


 

Kaufen, kaufen, kaufen!


»Ich hatte doch immer einen Mann, der alles bezahlt hat«, sagt Sarah W. und zeigt dabei den unschuldigsten Augenaufschlag, zu dem sie heute in der Lage ist. Im nächsten Moment schaut die 35-Jährige aber doch etwas verlegen drein. Was soll man auch sagen, wenn man wegen Kaufsucht 100 000 Euro Schulden hat. Vielleicht sogar mehr, denn ganz genau weiß es Sarah W. gar nicht. Sie schiebt das Thema weit von sich weg.

Alles fing mit einem Schuhtick an. Sarah W. war 17 Jahre alt, ging noch zur Schule. Damals waren Schuhe und Stiefel der Marke Buffalo mächtig in Mode und sie musste sie haben, am besten alle. Sie jobbte nebenher, half bei der Inventur in Supermarktketten, zählte Artikel, stundenlang. »Wenn ich die Schuhe sah, wusste ich: Die brauche ich! Erst wenn ich sie gekauft hatte, war dieses starke Verlangen befriedigt.« Sarah W. kaufte Buffalos in Rot, in Schwarz, in Blau – alle Farben, alle Modelle. Es war wie beim Einkauf im Supermarkt: Nur wenn man alle Zutaten mitnimmt, lässt sich später eine schmackhafte Mahlzeit zubereiten. Die junge Frau trug ihre Schuhe mit Stolz, in der Schule, in ihrer Freizeit. Sie zeigte sie her wie Trophäen. Immerhin hatte sie hart für jedes Paar gearbeitet.

Das änderte sich, als sie wenige Jahre später den Mann kennenlernte, den sie heiratete und mit dem sie zwei Kinder bekam. Nun musste sie nicht mehr arbeiten, denn er verdiente recht gut, rund 10 000 Euro im Monat. Doch bei Sarah W. blieb nichts auf dem Sparkonto. Sie ging wieder Schuhe kaufen, gab das Geld mit Schaufelhänden aus. Jeden Tag, ohne Scham, ohne Gewissensbisse. »Mir kam das völlig normal vor«, sagt sie. In Spitzenzeiten hatte sie über achthundert Paar Schuhe gelagert.

Noch heute hat sie mehrere Umzugskisten voller Schuhe, aufgehoben im Schlafzimmer und in der Abstellkammer ihrer Wohnung – von Manolo Blahnik bis hin zu Designer-Badelatschen. Bei jedem einzelnen Paar hat sie vor dem Kauf gedacht: Muss ich haben! In dem Moment, als es über den Ladentisch ging, verspürte sie Glück.

Kaufsucht ist eine psychische Störung, zu der Kontrollverlust, der Zwang zur Wiederholung und eine stete Steigerung der Dosis gehören. Wird die Sucht nicht befriedigt, folgen Entzugserscheinungen, wie etwa Schweißausbrüche, Zittern, innere Unruhe, Depressionen, und natürlich kommen auch Schuldgefühle dazu. »Ich habe viele Schuhe nicht einmal getragen. Das Habenwollen und das Besitzen – darum geht es bei einer Kaufsucht«, sagt Sarah W.

Kaufsucht hat oft mit der Sehnsucht nach Anerkennung und Bestätigung zu tun. Sarah W. meint, die Ursache für ihre Sucht und die damit verbundene kriminelle Energie könne nur daher rühren, dass ihr Vater sie früher total verwöhnt hat. Sie habe immer Geld gehabt, mehr als ihre Geschwister und Freunde. So habe sie nicht lernen können, richtig damit hauszuhalten. Außer Geld bekam sie nichts, was ein Kind brauchte, die Eltern kümmerten sich wenig, es gab kaum Liebe. Der Vater zeigte sich zwar spendabel, aber auch kalt. Die Mutter war mit den Kindern überfordert und musste sich zudem um ihre kranke Schwester kümmern.

Sarah W. bekam zwei Kinder, während beider Schwangerschaften nahm sie stark zu. Die Klamotten passten nicht mehr. Was tat sie? Sie kaufte ein. Hier einen Rock, dort eine Bluse, zwischendurch Unterwäsche. »Ich war richtig schlecht gelaunt, wenn ich mal einen Tag nicht rausgehen konnte, um zu shoppen.« Der Schuhtick blieb, aber längst kaufte sie auch Kleidung, Parfüm und Make-up, ohne auf den Preis zu achten. Das Geld kam weiterhin von ihrem Mann. Dann kam noch der Kaufrausch bei den Kinderklamotten dazu. »Ich wollte, dass meine Kleinen gut aussehen. Da habe ich angefangen, auch ihnen nur das Beste zu holen.« Ob Kenzo oder Burberry – Sohn und Tochter wurden in Designermarken gewandet, als wären sie Prinz und Edeldame.

Doch dann, nach acht Jahren Ehe, wurde ihr Mann drogensüchtig, das Paar trennte sich – und plötzlich war Sarah W. eine alleinerziehende Mutter ohne Auskommen. Ihr Ex zahlte nicht einmal Unterhalt.

Die Kaufsucht hatte sie weiter in ihren Klauen. Sarah W. entdeckte die Möglichkeiten der Katalogversandhäuser. Sie bestellte bei Bauer, bei Neckermann, bei allem, was ihr unterkam. Ließ sich die Artikel auf Rechnung zusenden, bezahlte aber nicht. Elektrogeräte, Hygieneprodukte, Bettwäsche. »Ich hatte ein ganzes Zimmer voller Bettwäsche. Wusste gar nicht mehr, wohin damit«, erzählt sie. Eine Zeit lang bestellte Sarah W. in Onlineshops Mode, Schuhe und Accessoires und ließ sich diese liefern. Sie nutzte dabei das jedem Verbraucher eines Internetkaufs zustehende Recht, einen Vertrag innerhalb von vierzehn Tagen zu annullieren – das sogenannte Widerrufsrecht. Sie ließ die Waren liefern und gab sie nach dreizehn Tagen zurück. Dabei nutzte sie den Umstand, dass die Versandkosten auf den Verkäufer entfielen. Mittlerweile ist es gesetzlich so geregelt, dass die Kosten für die Rücksendung durch den Verbraucher zu tragen sind. Einige Onlineshops übernehmen aber auch heute noch aus Kulanz die Kosten. »Ich habe die Sachen ein- oder zweimal getragen, immer die neuesten Trends gehabt, um das Ganze dann für mich kostenlos zurückzuschicken«, erzählt sie. Da es so viele Versandhäuser im Internet gebe, falle man mit diesem Bestellverhalten erst einmal nicht weiter auf. Als sie zahlreiche Schufa-Einträge gesammelt hatte, fing Sarah W. an, auf den Namen ihrer Kinder Ware zu bestellen. Sie trugen den Nachnamen ihres Vaters und hatten demzufolge noch eine weiße Weste.

Heute hat Sarah W. wieder einen solventen Freund. Er finanziert ihre Sucht teilweise. Sie leidet zurzeit unter Schmerzen, weil sie eine Brust-OP hinter sich hat. Auch die hat ihr Partner bezahlt: 8000 Euro in einer Privatklinik in Düsseldorf auf der Kö. Gleichzeitig könnte man mit Sarah W.s eigenem derzeitigen Schuldenstand einen dicken Sportwagen bezahlen. »Ich habe irgendwie den Überblick verloren«, sagt sie. Trotzdem kauft sie munter weiter ein. Derzeit greift sie vor allem bei Make-up zu: 80 Euro für Puder, 40 Euro für Wimperntusche – es muss beste Designerware von Chanel oder Benefit sein. »Die Drogerie-Eigenmarke kommt mir einfach nicht ins Gesicht«, sagt Sarah W. fast wie ein trotziges Schulmädchen, das weiß, dass es Mist gebaut hat, es aber nie zugeben würde. Auch sie übt sich in Neutralisierungstechniken: »Ich tue ja keinem körperlich weh, die Versandhäuser können das finanziell wohl verkraften.«

Manchmal macht sie die Wimperntusche halb leer, füllt sie mit Wasser auf und geht dann wieder ins Geschäft. Sie behauptet, eine Allergie zu haben. Ob sie dieses Produkt vielleicht gegen eine andere Marke umtauschen könne? Die meisten Geschäfte zeigen sich hier kulant. Sie erfindet auf diese Weise Strategien, wie sie – ohne weitere Ausgaben zu haben – ihre Kaufsucht befriedigen kann und neue Produkte in die Finger bekommt.

Sarah W. wird ihre Sucht ohne Hilfe wahrscheinlich nicht mehr loswerden. Kaufsucht ist eine ernst zu nehmende Sucht, die aber gut therapierbar ist – Einsicht und Willen der Betroffenen vorausgesetzt. Doch Sarah W. hat nach eigenen Angaben noch nie darüber nachgedacht, zur Schuldnerberatung oder zu einem Psychologen zu gehen.

Bisher hat sie für ihre Taten trotz des hohen Schadens lediglich Geldstrafen erhalten, da die meisten Geschädigten die Betrügereien nicht zur Anzeige brachten. Viele andere Kaufsüchtige kommen nicht so glimpflich davon, einige müssen sogar hinter Gitter. Sie machen immer weiter, kaufen Produkte, ohne sie bezahlen zu können oder zu wollen. Und das, obwohl sie teilweise sogar unter einer laufenden Bewährung stehen. Einige denken: Egal, wie viele Schulden ich aufbaue mit meiner Kaufsucht, am Ende rettet mich die Insolvenz. Ein fataler Irrglaube! Selbst wenn es strafrechtlich oftmals gut geht – eine Privatinsolvenz kann den betroffenen Frauen meist nicht helfen. Eine Insolvenz erfasst nämlich keine Forderungen, die aus einer Straftat stammen, wie etwa Betrug.

Wenn Mütter töten


Gabriele R. hat getan, was den meisten Menschen schlimmer erscheint als jede andere Straftat: Sie hat ihr Kind getötet.

Heute leidet sie unter ihrer Tat, hat mehrere Suizidversuche hinter sich. Es geht ihr so schlecht, dass sie nicht selbst interviewt werden kann. Stattdessen beauftragt sie ihre Freundin Pia N. damit, ihre Geschichte zu erzählen. Pia N. sagt zum Eingang des Gesprächs, dass auch sie nicht verstehe, wie eine Mutter so etwas tun kann. Sie hat selbst Kinder, daher hat die Tat ihrer Freundin sie noch mehr geschockt. Dennoch will sie versuchen zu erklären, was zum Tatzeitpunkt in ihrer Freundin vorging.

Gabriele R. ist heute Ende zwanzig. Ihre Vergangenheit ist eine Hypothek, deren Last sie nie ausgehalten hat. Als Kind wurde sie von ihrem Stiefvater misshandelt. Der Mann arbeitete nur sporadisch hier und da, es gab ständig Geldprobleme. Er war ein Trinker und verprügelte im Suff seine Frau und seine Tochter. Beinahe täglich. »Sie hat sich früh angewöhnt, Dinge zu ertragen, Problemen aus dem Weg zu gehen, sich nicht zu stellen«, sagt Pia N.

Eine Zeit lang schien sich vieles zum Guten zu wenden: Gabriele R. machte einen ordentlichen Realschulabschluss, zog zu Hause aus und arbeitete nach einer Ausbildung als Sekretärin bei einer Versicherungsgesellschaft. Ihr Chef war nett, das Einkommen übertariflich. Alles sah zukunftsträchtig aus.

Doch ihre Vergangenheit holte sie ein, und zwar in Gestalt des Mannes, in den sie sich verliebte. Anfangs war er noch galant, aber bald behandelte er sie wie ihr Stiefvater früher: Er nahm Drogen, arbeitete nicht und schlug sie grundlos. Obwohl ihr Freund so mit ihr...

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