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Teenager-Hirn

Was in der Pubertät im Kopf Ihres Kindes los ist - Survival-Guide für geplagte Eltern

AutorFrances E. Jensen
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783641182649
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Jugendliche in der Pubertät sind weder Monster noch Außerirdische, ihr Gehirn funktioniert einfach anders. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass das Gehirn von Pubertierenden eine entscheidende Entwicklungsstufe durchläuft. Dr. Frances E. Jensen, Neurologin und Mutter, erklärt was im jugendlichen Gehirn vor sich geht und wie man damit umgeht. So gibt sie allen Eltern und Erziehern bahnbrechende Erkenntnisse an die Hand, die helfen die Pubertät zu überstehen.

Dr. Frances E. Jensen ist Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Neurologie an der University of Pennsylvania. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Gehirnentwicklung von Neugeborenen bis ins Erwachsenenalter. Davor war sie unter anderem Professorin für Neurologie an der Harvard Medical School und leitete die Epilepsieforschung am Boston Children's and Women's Hospital. Frances E. Jensen hat zwei Söhne, die sie erfolgreich durch die Pubertät begleitet hat.

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Leseprobe

Einführung: Teenager sein

Was hatte er sich nur dabei gedacht?

Gerade war mein Sohn von einem Freund nach Hause gekommen – sein bislang wunderschön kastanienbraunes Haar tiefschwarz gefärbt. Obwohl ich innerlich kochte, sagte ich kein Wort.

»Rote Strähnchen will ich auch noch«, verkündete mein Ältester gelassen.

Mir fehlten die Worte. Ist das wirklich mein Kind!? Diese Frage stellte ich mir immer häufiger, seit mein fünfzehnjähriger Sohn Andrew an eine private Highschool in Massachusetts gewechselte war. Dabei bemühte ich mich redlich, immer verständnisvoll zu bleiben. Als geschiedene, berufstätige Mutter von zwei jugendlichen Söhnen verbrachte ich oft viele Stunden in der Kinderklinik von Boston und in der Harvard Medical School, an der ich als Ärztin und Professorin tätig war. Natürlich plagte mich manchmal das schlechte Gewissen, weil ich nicht so viel Zeit mit meinen Jungs verbringen konnte, und deshalb war ich fest entschlossen, eine möglichst gute Mutter zu sein. Schließlich war ich in der Abteilung für Kinderneurologie tätig und befasste mich beruflich eingehend mit der Hirnentwicklung. Junge Gehirne waren also mein Spezialgebiet.

Ganz plötzlich jedoch war aus meinem liebenswerten Erstgeborenen ein vollkommen fremdes, unberechenbares Wesen geworden, das es sich offenbar in den Kopf gesetzt hatte, um jeden Preis anders zu sein als alle anderen. Bis vor Kurzem hatte Andrew eine sehr konservative Middle School besucht, an der die Schüler Jacketts und Krawatten trugen, und ging nun auf eine ziemlich progressive Highschool. Er fühlte sich in seinem neuen Umfeld auf Anhieb sehr wohl und genoss die ungekannten Freiheiten; unter anderem gab es keine Kleidervorschriften, und die meisten Schüler kleideten sich, gelinde gesagt, sehr »unkonventionell«. Andrews bester Freund zum Beispiel hatte eine blaue Stachelfrisur – das sagte doch wohl alles.

Ich atmete also tief durch und versuchte, Ruhe zu bewahren. Mir war klar: Wenn ich mich über das neue Styling aufregen würde, wäre keinem von uns geholfen, sondern ich würde meinen Sohn nur vor den Kopf stoßen. Immerhin hatte er mich im Voraus in seine Pläne eingeweiht, das zeugte von einem gewissen Vertrauen. Diese Chance musste ich beim Schopf ergreifen.

»Was hältst du davon, wenn du dir die roten Strähnchen bei meinem Friseur machen lässt, damit du dir nicht mit Billigprodukten die Haare ruinierst?«, schlug ich vor. Da ich die Rechnung übernehmen würde, war Andrew sofort einverstanden. Und mein Hairstylist, der selbst eine Schwäche für Punkrock hat, war Feuer und Flamme. Er machte seine Sache übrigens sehr gut – so gut sogar, dass Andrews damalige Freundin sich die Haare anschließend ganz genauso färben wollte. Allerdings versuchte sie das in Eigenregie, was erwartungsgemäß nicht ganz zum gleichen Ergebnis führte.

Wenn ich heute an diese turbulente Zeit zurückdenke, wird mir klar, dass ich meinen Sohn damals in vielen Dingen einfach nicht wiedererkannte. (War der unförmige Haufen mitten in seinem Zimmer Kompost oder Kleidung?) Andrew schien im Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsensein gefangen zu sein, körperlich und intellektuell schon mehr Mann als Junge, aber dennoch hoffnungslos seinen wechselhaften Gefühlen und seinem impulsiven Verhalten ausgeliefert. Er war auf der Suche nach sich selbst, und dabei spielte die äußere Erscheinung eine entscheidende Rolle. Als Mutter und Neurologin bildete ich mir ein, genau zu wissen, was im Kopf meines Teenagers vor sich ging. Aber weit gefehlt. Ich wusste nicht einmal, was sich außerhalb seines Kopfes abspielte! Doch als Mutter und Wissenschaftlerin wollte – musste – ich das unbedingt herausfinden.

Beruflich befasste ich mich damals in erster Linie mit dem Gehirn von Säuglingen; ich leitete ein Forschungslabor, das sich vor allem der Epilepsie und der Entwicklung des Gehirns widmete. Zudem war ich in der translationalen Neurowissenschaft tätig, was bedeutet, dass ich nach neuen Behandlungsmöglichkeiten für Gehirnstörungen suchte. Plötzlich eröffnete sich mir jedoch ein ganz neues Forschungsgebiet: meine eigenen Söhne. Mein Zweitgeborener, Will, war nur zwei Jahre jünger als Andrew. Was würde mich erwarten, wenn Will erst so alt wäre wie sein Bruder? Es gab so vieles, was ich nicht verstehen konnte. Andrew hatte sich fast über Nacht in ein vollkommen fremdes Geschöpf verwandelt, und doch wusste ich genau, dass er tief in seinem Inneren nach wie vor derselbe wunderbare, liebenswürdige, kluge Junge war wie früher. Was also war geschehen?

Um das zu begreifen, vertiefte ich mich in die Forschung über diese eigenartige Spezies in meinen eigenen vier Wänden – den Teenager. Ich wollte so viel wie möglich lernen, um für mich und meine Söhne einen weitgehend reibungslosen Weg zum Erwachsensein zu finden.

Bis ins vergangene Jahrzehnt hat die Forschung das jugendliche Gehirn ziemlich vernachlässigt. In der Neurologie und Neuropsychologie fließen die meisten Gelder in die Erforschung der Entwicklung im Kleinkind- und Kindesalter – von Lernstörungen bis hin zu Frühförderung – oder werden am anderen Ende der Lebenszeit für Erkrankungen des älteren Gehirns investiert, allen voran in die Erforschung von Alzheimer. Bis vor wenigen Jahren gab es kaum finanzielle Mittel für die Neurowissenschaft des jugendlichen Gehirns, dementsprechend nur wenige Forschungsarbeiten und umso weniger Erkenntnisse in diesem Bereich. Wissenschaftler waren – fälschlicherweise, wie sich herausstellen sollte – der Auffassung, das Wachstum des Gehirns sei mit Beginn der Kindergartenzeit weitestgehend abgeschlossen. Das hatte zur Folge, dass Eltern, die es mit der Förderung besonders gut meinten, ihre Kleinkinder in den vergangenen beiden Jahrzehnten nur so mit Lernspielzeug und speziell für Babys konzipierten lehrreichen DVD- und CD-Sets überhäuften. Das Gehirn von Jugendlichen dagegen hielt man im Prinzip für ein Erwachsenengehirn, nur ohne Verschleißerscheinungen.

Diese Annahme hatte jedoch einen Haken: Sie war falsch. Vollkommen falsch. Um das Gehirn und das Verhalten von Teenagern ranken sich noch weitere Irrtümer und Mythen, die immer wieder zu hören sind: Teenager sind impulsiv und emotional, weil ihre Hormone verrücktspielen; Teenager sind mit voller Absicht aufsässig und widerspenstig, weil sie schwierig und unangepasst sein wollen; und gelegentlichen unerlaubten Alkoholkonsum kann das Gehirn eines Teenagers durchaus ohne bleibende Schäden verkraften. Außerdem lautet die gängige Meinung, in der Pubertät sei der weitere Lebensweg schon vorgezeichnet, weil Intelligenzquotient und bestimmte Begabungen (mathematisch-wissenschaftlicher oder sprachlich-künstlerischer Typ) für den Rest des Lebens unverändert bleiben.

Auch diese Überzeugungen sind komplett falsch. Das Gehirn eines Teenagers befindet sich in einer ganz besonderen Phase der Entwicklung. Dieses Buch wird Ihnen zeigen, was auch mir klar geworden ist: In diesem Lebensabschnitt ist das Gehirn besonders anfällig, weist aber auch besondere Stärken auf, die mit zunehmendem Alter schwinden werden.

Je mehr ich mich mit der aktuellen Fachliteratur zum Thema Adoleszenz befasste, desto deutlicher wurde mir, dass man das Gehirn von Heranwachsenden keineswegs nach den Kriterien der Erwachsenen-Neurobiologie betrachten darf. Funktionsweise, Vernetzung, Fähigkeiten – all das ist bei Jugendlichen ganz anders, wie ich erfuhr. Die meisten Eltern ahnen jedoch nichts von diesen neuen Erkenntnissen, die höchstens denjenigen bekannt sind, die sich wie ich mit Neurowissenschaften befassen. Dabei müssen diese wichtigen Informationen doch genau den Menschen zugänglich gemacht werden, die tagtäglich mit Jugendlichen zu tun haben – Eltern, Erziehungsberechtigten und Lehrkräften – und die dem Verhalten von Teenagern oft genauso hilflos, verärgert und genervt gegenüberstehen wie ich früher.

Mein jüngerer Sohn Will machte mit 16 seinen Führerschein. Schon wenige Wochen nach der Fahrprüfung fuhr er regelmäßig mit unserer großen alten Familienkutsche zur Schule. Alles schien gut zu laufen. Bis dahin hatte mir Will kaum Sorgen bereitet, doch das sollte sich eines Morgens schlagartig ändern. Wie üblich verließ er gegen halb acht das Haus, da der Unterricht um 7.55 Uhr begann. Als ich selbst um 7.45 Uhr zur Arbeit aufbrechen wollte, kam ein Anruf von Will: »Mom, mir ist nichts passiert, aber das Auto ist Schrott.« Im ersten Moment war ich natürlich sehr erleichtert, dass es ihm gut ging, und malte mir aus, wie der Wagen frontal einen Baum gerammt hatte. Mit den Worten »Ich bin schon unterwegs!« sprang ich ins Auto. Als ich mich der Schule näherte, entdeckte ich vor dem Eingang Polizeifahrzeuge mit Blaulicht. Was hatte Will nur gemacht? Tja, er hatte tatsächlich versucht, mitten durch den dichten Gegenverkehr nach links in die Einfahrt zur Schule abzubiegen. Vielleicht hätte das sogar geklappt, wenn am Steuer des entgegenkommenden Wagens eine nachsichtige Mutter gesessen hätte, die kopfschüttelnd auf die Bremse getreten hätte. Will allerdings war an einen 23-jährigen Bauarbeiter geraten, der in seinem Pick-up auf dem Weg zur Arbeit war. Der junge Mann war ebenso wenig bereit, auf die Vorfahrt zu verzichten, wie Will einen Umweg in Kauf nehmen wollte. So geschah das Unvermeidliche. Beruhigend war nur, dass die Airbags aus dem Jahr 1994 auch 2006 noch zuverlässig funktionierten!

Will stand also neben dem schrottreifen Auto direkt am Schultor und sah bedröppelt zu, wie seine Mitschüler nach und nach an ihm vorbeifuhren. Das musste ihm eine Lehre sein – und ich war unglaublich erleichtert, dass er und der andere...

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