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E-Book

Todschick

Edle Labels, billige Mode - unmenschlich produziert

AutorGisela Burckhardt
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641145217
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mode und Moral - warum teuer nicht gleich fair bedeutet
Es ist ein verhängnisvoller Irrtum: Wenn wir Markenmode kaufen, glauben wir, der höhere Preis sei durch eine bessere Qualität gerechtfertigt - auch bei den Produktionsbedingungen. Für die Edelmarken sterben doch bestimmt keine Textilarbeiterinnen in Bangladesch ... Falsch! Auch teure Modelabels lassen ihre Ware unter erbärmlichsten Bedingungen fertigen. Hauptsache billig, selbst wenn es Menschenleben kostet. Ein Buch über das dunkle Geheimnis edler Modemarken - Anklage und Hoffnung zugleich, denn wir können die Textilfirmen zu verantwortlichem Handeln zwingen!

Gisela Burckhardt, entwicklungspolitische Expertin und Vorstandsvorsitzende von FEMNET, war viele Jahre im Auslandseinsatz in Nicaragua, Pakistan und Äthiopien, unter anderem für das Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP) und für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Seit fast 15 Jahren setzt sie sich im Rahmen von FEMNET und der Kampagne für Saubere Kleidung (CCC - Clean Clothes Campaign) für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie weltweit ein.

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Leseprobe

1

Wo Arbeit Leben kostet: Billiglohnland Bangladesch

Land und Leute

Bangladesch: Zahlen und Fakten

•Größe: 147 570 km2

•Einwohner: rund 156,6 Mio. (2013), davon ein Drittel jünger als 14 Jahre

•Zum Vergleich: Deutschland ist 2,5-mal so groß, hat aber nur gut halb so viele Einwohner, wovon wiederum nur etwa 13 (!) Prozent jünger als 14 Jahre sind.

•Hauptstadt: Dhaka – eine Megacity mit mindestens 15 Mio. Einwohnern. Tendenz steigend.

•Währung: Bangladeshi Taka (BDT). Stand August 2014: 100 Taka = 0,95 Euro, 1 Euro = 104 Taka

•Amtssprache: Bangla/Bengalisch

•Religionszugehörigkeit: etwa 90 Prozent Muslime, knapp 9 Prozent Hindus sowie wenige Buddhisten (0,6 Prozent und noch weniger Christen (0,3 Prozent

•Pro-Kopf-Einkommen: 840 US-Dollar/Jahr (2013), das sind umgerechnet etwa 627 Euro/Jahr (Stand August 2014: 1 USD = 0,75 Euro). 31 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der offiziellen Armutsschwelle von 1,25 Dollar (rund 0,93 Euro) am Tag.1

In unseren Breitengraden ist »Bangladesch« inzwischen ein Synonym für unmenschliche Arbeitsbedingungen und gewissenlose Geschäftemacherei in der Bekleidungsindustrie geworden. Fast alle bekannten Unternehmen lassen in Bangladesch produzieren. Hier sind die Lohnkosten niedriger als irgendwo sonst auf der Welt**; und die Auflagen hinsichtlich der Sozial- und Umweltstandards – sofern sie überhaupt existieren – lassen sich besonders leicht umgehen. Die Leidtragenden dieses ausbeuterischen Systems sind überwiegend die Frauen.

Bangladesch ist ein winziges Land, kaum mehr als doppelt so groß wie Bayern, das bloß eine kleine Kerbe in den östlichen Ausläufer des Riesenstaates Indien schneidet. Und es gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. 70 Prozent der städtischen Bevölkerung leben in Slums, wo nur ein Fünftel aller Haushalte über sanitäre Anlagen verfügt. Da die Armut und die damit verbundene Hoffnungslosigkeit auf dem Land besonders ausgeprägt sind – am schlimmsten betroffen ist der trockene Nordwesten von Bangladesch –, ziehen jährlich Hunderttausende Menschen, unter ihnen viele sehr junge Frauen, in die längst überfüllten Städte, vor allem nach Dhaka.

Eklatant ist der Anteil der Analphabeten: Nur etwa die Hälfte aller Frauen und 62 Prozent aller Männer können lesen und schreiben. Allerdings unternimmt Bangladesch große Anstrengungen, diese Quote zumindest bei den nachwachsenden Generationen zu senken: Inzwischen sind 95 Prozent der Kinder im Grundschulalter eingeschult. Die Qualität des Unterrichts jedoch ist dürftig, weshalb lediglich 67 Prozent überhaupt die 5. Klasse erreichen. Nur wer die Gelegenheit hat, eine Schule zu besuchen, hat auch die Chance, der Armutsfalle zu entkommen. Viele Mütter, die in den Textilfabriken von Bangladesch arbeiten, ertragen die täglichen Strapazen und Demütigungen nur deshalb, um ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen.

Da der größte Teil des Landes nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegt, verursachen Wirbelstürme im Frühjahr und Sommer fast jährlich katastrophale Überschwemmungen. Die englische Schriftstellerin Zadie Smith schrieb im Jahr 2000 über die Bangladescher:

»Sie leben unter dem unsichtbaren Finger wahllosen Unheils – Flutkatastrophen und Zyklonen, Hurrikans und Schlammlawinen. Die Hälfte der Zeit liegt die Hälfte ihres Landes unter Wasser; ganze Generationen werden mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ausradiert; die Lebenserwartung liegt bei optimistischen 52; und sie sind sich kühl bewusst, dass sie, wenn man von Apokalypse spricht, wenn man von wahllosem Massensterben spricht, in diesem Bereich führend sind, dass sie die Ersten sein werden, die es erwischt, die Ersten, die Atlantis-artig hinunter auf den Grund des Meeres rutschen werden, wenn die verflixten Polkappen anfangen, sich zu verlagern, zu schmelzen.«2

Bei den Flutkatastrophen verlieren jeweils Zigtausende Menschen ihr Hab und Gut und fliehen in die Städte. Die überwiegende Mehrheit landet in einem der zahlreichen Slums, wo bestenfalls eine winzige Wellblech- oder Bretterhütte ohne Elektrizität und fließend Wasser etwas Schutz bietet.

Wohnungen in Dhaka. Die Menschen in Bangladesch leben auf kleinstem Raum.

© Gisela Burckhardt

Privatsphäre gibt es in Bangladesch nicht. Kein Land der Erde ist dichter besiedelt. Extrem spürbar ist dies in Dhaka. Jedes Mal, wenn ich mich dort durch die staubigen Straßen bewege – ob im CNG***, per Fahrradrikscha oder zu Fuß –, bin ich einerseits fasziniert von dem pulsierenden Leben um mich herum, andererseits habe ich inmitten von beißenden Abgasen, Menschen- und Fahrzeugmassen das Gefühl, von dem Lärmgemisch aus Gehupe, Geklingel und Geknatter betäubt zu werden. Und jedes Mal frage ich mich: Wie muss es sein, hier zu leben? Ein Leben lang? Mit einem Monatseinkommen von rund 5000 Taka (knapp 48 Euro)?

Natürlich gibt es auch die Gewinner: jene Leute, die aus dem rasanten Wachstum ihrer Stadt und der globalisierten Wirtschaft Profit schlagen, die kaufen, bauen, handeln, investieren – und bestechen. Gute (politische) Beziehungen und genügend Banknoten sind die besten Voraussetzungen, um in Bangladesch erfolgreich Geschäfte zu machen. Beziehungen werden ebenso wie ein Vermögen einfach vererbt. Und so sind es nicht unbedingt die Klügsten und Erfahrensten, die Verantwortung für Hunderte von Menschen tragen, sondern oft genug die Korruptesten. Männer wie Sohel Rana, der Besitzer des Rana-Plaza-Gebäudes, die das schnelle Geld und möglichst viel Macht wollen, schmieren Behörden und Unternehmer, ziehen Bürohäuser und Fabriken hoch, wo und wie es ihnen passt, bauen Baracken für die Arbeiterschaft – und kassieren. Jedes Jahr Millionen Taka. Und mit ihrem Bankguthaben wächst wiederum ihr Einfluss auf Politik und Wirtschaft. Denn Bangladesch gehört nach wie vor zu den Ländern, wo die Korruption nicht mal ein Kavaliersdelikt, sondern offenbar Kaufmannspflicht ist. Laut Transparency International rangiert Bangladesch im unteren Viertel und gehört damit zu den korruptesten Staaten der Erde (auf Platz 136 von 177 untersuchten Staaten; zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 12).3

Der boomendste und somit für Filz und Bestechung besonders anfällige Wirtschaftszweig des Landes ist seit einigen Jahren die Bekleidungsindustrie (Ready-Made Garment, RMG). Hier werden inzwischen gut 80 Prozent (!) der Exporterlöse Bangladeschs erwirtschaftet. Von den 345 Parlamentsabgeordneten in Dhaka sind rund zehn Prozent selber Fabrikbesitzer.4 So besitzt zum Beispiel der erst 44-jährige Außenminister Md. Shahriar Alam mehrere Textilfabriken, deren Umsatz geschätzt bei über 100 Mio. Euro liegt. Und weitere »rund 60 Prozent vertreten direkte Unternehmensinteressen. 1972 waren es nur 18 Prozent«, so Iftekar Uzaman, Direktor von Transparency International Bangladesh, in dem Gespräch, das wir im Februar 2014 miteinander führten. Und viele Abgeordnete sind über familiäre Beziehungen unmittelbar mit der Bekleidungsindustrie verbunden. Kalpona Akter, eine Arbeitsrechtlerin aus Bangladesch, bringt es auf den Punkt: »Unser Gesetzgeber ist der Fabrikbesitzer!«5 Diese Herrschaften verstärkt zu kontrollieren, geschweige denn grobe Fahr- und Nachlässigkeiten von Fabrikbesitzern juristisch zu verfolgen, ist verständlicherweise nicht oberstes Staatsziel. Im Gegenteil.

Ein Beispiel dafür, wie geschickt Gesetzgeber und Gesetzesbrecher Hand in Hand arbeiten, ist der Fall von Delowar Hossain, des Besitzers von Tazreen Fashion, der sich, obwohl hauptverantwortlich für den Tod von 112 Arbeiterinnen, am 5. August 2014 zum wiederholten Male freikaufen konnte. Auch die Besitzer der Fabriken That’s It Sportswear und Garib & Garib, wo bei Bränden im Jahr 2010 insgesamt 45 Arbeiterinnen starben, laufen bis heute frei herum. Kann es sich die Judikative von Bangladesch wirklich noch leisten, Verbrecher wie Delowar Hossain und Kumpane weiterhin zu schonen?

Ein weiterer Nachweis dafür, dass die Justiz in Bangladesch nicht so funktioniert, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört: Bei dem Einsturz der Fabrik Spectrum im Jahr 2005 – ebenfalls in Sabhar, wo auch das Rana Plaza stand – starben 64 Arbeiterinnen. Engagierte Juristen, darunter Sara Hossain, Anwältin am Obersten Gerichtshof, versuchten, den Fall vor Gericht zu bringen. Von 2005 bis 2009 passierte nichts … Dann war plötzlich die Akte verschwunden! Unmittelbar nach der Rana-Plaza-Tragödie beantragte Sara Hossain, wie sie mir im Februar 2014 bei meinem Besuch in Dhaka erzählte, eine formale Untersuchung zum Verbleib der Spectrum-Akte. Prompt tauchte die am nächsten Tag wieder auf. Darin befanden sich eindeutige Beweisstücke, unter anderem Warnungen, auf dem sumpfigen Gelände von Sabhar mehrstöckige Gebäude zu errichten; und es gab eine Empfehlung, eine Untersuchungskommission zu bilden. Alles schon 2006, als der Rana-Plaza-Komplex gerade gebaut wurde. Wäre der Bericht veröffentlicht worden, hätte das Unglück von Rana Plaza vielleicht verhindert werden können!

Die Katastrophe von Rana...

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