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E-Book

Vier Beine tragen meine Seele

Meine Pferde und ich

AutorEvi Simeoni, Isabell Werth
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783492992084
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Isabell Werth ist die erfolgreichste Reiterin der Welt. Dieser Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne ihren einzigartigen Zugang zu Pferden. Gemeinsam mit der renommierten Sportjournalistin Evi Simeoni, die Isabell Werths Werdegang von Anfang an miterlebt und beschrieben hat, zeichnet sie ihr Leben nach und erzählt damit auch die Geschichte ihrer wichtigsten Pferde. Schon in ihrer Kindheit auf dem Bauernhof am Niederrhein zeigte sich ihre besondere Fähigkeit, sich in ein Pferd einzufühlen und vorauszusehen, wie es wenig später reagieren wird. So erfährt man nicht nur etwas über Isabell Werths Ausnahmekarriere, sondern auch viel über unterschiedliche Pferdecharaktere und den Umgang mit diesen sensiblen und talentierten Tieren. 

Isabell Werth, geboren 1969, ist die erfolgreichste Reiterin der Welt. Allein bei Olympischen Spielen hat sie sieben Goldmedaillen gewonnen, und ihre Karriere ist noch nicht zu Ende. Sie ist weltbekannt im Reitsport, im Dressurreiten orientieren sich auch etablierte Konkurrenten an ihr, für Hobbyreiter ist sie ein Idol. Niemand hat es geschafft, den Reitsport so lange zu prägen wie sie - ihr Aufstieg begann Ende der 1980er-Jahre. Gemeinsam mit Evi Simeoni verfasste sie den Bestseller »Vier Beine tragen meine Seele«.

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Leseprobe

2 Gigolo

Nachdem Isabell sich erstmals auf den Rücken von Gigolo gesetzt hatte, sagte sie im Geiste zu ihm: Na, mein Freund, du wirst dich aber gleich ganz toll anstrengen müssen, sonst wird das nichts mit uns. Sie dürfte Mühe haben, sich vorzustellen, was aus ihr geworden wäre, hätte Gigolo sich damals nicht von seiner eifrigsten Seite gezeigt. Aber es bestand keine Gefahr: Gigolo strengte sich immer ganz toll an.

Kurz vor ihrem ersten Ritt auf Gigolo hatte sie in dem Stall in Warendorf bereits ein anderes Pferd ausprobiert, es hieß Whiskytime, war ein talentierter Riese, und hatte ihr auf Anhieb gut gefallen. Gigolo war jünger als Whisky­time, erst sechs Jahre alt, und hatte eine Blesse wie ein verwischtes Aquarell. Isabell ritt eigentlich nur noch mit ihm los, um sich nachher nicht vorwerfen zu müssen, sie hätte nicht alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Für einen von beiden sollte sie sich entscheiden. Und nun war da dieses Nichts von einem Hals, das sie bei Gigolo vor sich hatte.

»Hinter dem Widerrist ging es erst einmal 20 Zentimeter bergab, dann ragte ein schmaler, verblüffend langer Hals ohne jede Muskulatur nach oben. Ich hatte das Gefühl, vor einer Abschussrampe zu sitzen. Schöner Gigolo? Zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Doch dann machte er seinen ersten Trabtritt, und war wie verwandelt. Ich wusste: Der ist es. Und kein anderer. Es gibt so ein paar Pferde, wo eine Sekunde ausreicht und du weißt, es ist deins. Der erste Trabtritt von Gigolo. Der erste Moment, in dem ich Bella Rose gesehen habe. Der erste Blick auf Belantis. Das war wirklich so, ich bin geritten, er trabte, ich sagte mir, das ist ja unglaublich. Diese Athletik, diese Sportivität, dieses Tragen, dieser Schwung – so etwas hatte ich noch nie erlebt und noch nie gefühlt.«

Isabell war neunzehn Jahre alt damals. Sie und der Doktor waren zu seinem Sohn gefahren, Dr. Uwe Schulten-Baumer Junior, dem einst wichtigsten Reiter im Stall des Vaters, der als Chefarzt immer weniger Zeit für seine Pferde hatte. Als Dressurreiter hatte er eine Silbermedaille bei der Weltmeisterschaft und einen Europameistertitel gewonnen, doch diese Lebensphase war vorbei. Nun wollte er eines seiner Pferde abgeben. Gigolo hatte er fünfjährig von der Familie Düfer gekauft, die das Pferd in Warendorf, am Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei, der Leistungsschmiede der traditionsreichen Reiternation, ritt. Die Experten dort hatten aber damals keine Ahnung, was sie hatten gehen lassen – Gigolos Talent war nicht wahrgenommen worden. Einer der damals wichtigsten deutschen Experten des Dressursports hörte ein halbes Jahr später, dass der Doktor ihn für Isabell gekauft hatte, und sagte da noch: »Wirklich? Musste es ausgerechnet dieser sein?« Als Isabell ihn Jahre später damit neckte, gab er zu: »Sag das bloß niemand, dass dieses Pferd in Warendorf stand und wir das nicht erkannt haben, das ist ja ein Armutszeugnis.«

»Ich fühlte es buchstäblich im Hintern. Der Doktor musste an diesem schicksalhaften Tag im Jahr 1989 nur in meine Augen schauen und wusste, nun fing etwas Großes an. Er fragte noch einmal, bist du auch sicher? Und ich strahlte und sagte, ja, ich bin sicher. Es hat mich stolz gemacht, dass er schon damals so sehr meinem Gefühl vertraut hat. Und dass wir mühelos übereinstimmten.«

Und los ging es: Gigolo, der Hannoveraner-Fuchs mit dem dünnen Hals, wurde das erfolgreichste Turnierpferd der modernen Reiterei. Seine Medaillensammlung ist legendär: Viermal olympisches Gold, zweimal Silber. Vier Titel bei Weltmeisterschaften, acht bei Europameisterschaften, vier deutsche Meistertitel. Gigolo besiegte den hochdekorierten Rembrandt und prägte eine Ära, die eigentlich nach dem Willen der internationalen Funktionäre für die Konkurrenz aus den Niederlanden reserviert gewesen war. Und er prägte Isabell.

»Ich lernte von ihm, wie sich das Ideal anfühlte. Er zeigte mir, welche Zusammenwirkung und Zusammenarbeit mit einem Pferd möglich ist, das mit Leidenschaft vorwärtsgeht. Welche Leichtigkeit daraus entsteht, selbst bei maximalem Schwierigkeitsgrad. Was Leistungswille ist. Er lehrte mich, dass es möglich ist, einen Grand Prix, der Höchstschwierigkeiten verlangt, zu gehen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Für ihn waren diese Schwierigkeiten nicht wirklich schwer, weil er eine solche Freude daraus zog.

Sein Körperbau wurde mit den Jahren des Trainings harmonischer, auch am Hals baute er Muskeln auf. Aber zeit seines Lebens überzeugte er weniger als Standbild, denn als Sportler. Das war er durch und durch. Ein Athlet. Bis zum letzten Atemzug behielt Gigolo diesen starken Charakter. Er war intelligent, hatte eine große innere Unabhängigkeit, ein Schmusebär war er ohnehin nie – und gleichzeitig war er fest entschlossen, mit mir zusammen im Viereck das Äußerste zu geben, was nur möglich war. Er war immer wach, immer tatendurstig und schien zu fragen: Und? Was machen wir als Nächstes? Er musste sich nicht an eine andere Persönlichkeit anlehnen, sondern machte sein Ding. So als wäre es seine Aufgabe gewesen, mich mitzunehmen – und nicht umgekehrt.

Diese Haltung pflegte er in jungen Jahren regelmäßig so zu übertreiben, dass ich seinen Ehrgeiz kaum mehr kanalisieren konnte.«

Wer Gigolos überschäumende Energie am ersten Tag eines Turniers erlebte, konnte kaum glauben, dass er einen oder zwei Tage später einen dynamischen, aber losgelassenen Grand Prix würde gehen können. Er bockte nicht etwa, er wehrte sich nicht gegen die Aufgaben. Er wurde einfach derart heiß, lud sich derart mit Eifer auf, dass er kaum mehr zu kontrollieren war.

»Seine Gehfreude war so übermächtig, dass er irgendwann nicht mehr wusste, welches Bein er zuerst nehmen sollte. Mir schien es, als forderte er mich ständig auf, jetzt endlich loszulegen. Immer komm, komm, mach, mach, lass uns vorwärtsgehen. Hypermotiviert. Durch und durch leistungsbereit. Nichts interessierte ihn mehr außer den Lektionen, die er gleich bestreiten würde.

Noch mit über zwanzig Jahren hatte Gigolo diesen Spirit. Da konnte es passieren, dass er von der Weide hereingeholt wurde, zur Mähnenpflege oder zum Abwaschen, und auf der Stallgasse plötzlich anfing zu piaffieren und sich umschaute, gewissermaßen mit der Frage im Blick: Wo ist das Klavier?

Erst im Nachhinein, nach vielen Erfahrungen mit anderen Pferdecharakteren, wurde mir klar, was für ein Glück ich mit Gigolo gehabt hatte. Gleich am Anfang meiner Karriere hatte ich es mit einem so gehfreudigen Pferd zu tun. Nie musste ich ihn ermuntern. Meine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, mit seinem überreichen Temperament umzugehen, und das, ohne ihm den Schneid abzukaufen.«

Das gehört zu den wichtigsten Kunststücken im Dressurreiten: Ein Pferd, dieses stets fluchtbereite Tier, in einen inneren Zustand zu bringen, in dem es seine Potenziale voll entfaltet und trotzdem nicht die Nerven verliert. Das Vorbild ist die Natur. Im Zustand der Erregung vollführt ein Pferd die Bewegungen ganz von selbst, die der Dressursport kultiviert hat. Das ist der Grund, warum ein Grand Prix im Idealfall einer der berühmten Ritte auf der Rasierklinge sein sollte. Gigolo und seine Reiterin passten wirklich bestens zueinander. Zwei Offensivspieler, die stets bereit waren, volles Risiko zu gehen.

Es war die Zeit des Aufbruchs, Rückschläge kannte Isabell noch nicht. Es ging vorwärts in rasantem Tempo, eventuelle Alarmsignale wären gar nicht bis zu ihr durchgedrungen, so stark und ungetrübt war ihr Selbstvertrauen. Stürze von ihren jungen, ungebärdigen Pferden steckte sie mit einem Achselzucken weg. Über mögliche Folgen dachte sie nicht nach, sie hatte weder die Verantwortung für ein eigenes Unternehmen noch war sie eine Mutter. Sie überlegte damals noch nicht, ob es vielleicht sicherer wäre, ein junges Pferd vor dem Reiten erst einmal an der Longe gehen zu lassen, damit es sich ein wenig austobte. Nein. Drauf und los.

Isabell lernte, wie sie mit Gigolos Charakter beim Turnier umzugehen hatte. Dass es nicht richtig war, ihn direkt vor der Prüfung eine Stunde lang exerzieren zu lassen, weil er dann seine Frische und seine Lust verlor. Besser war es, mit ihm morgens zu arbeiten, sodass der erste Dampf verflogen war. Vor der Prüfung wurde er dann nur noch eine halbe Stunde abgeritten und nahm so seine Freude an der Action mit ins Dressurviereck.

»Eines der liebsten Bilder, die ich vor Augen habe, wenn ich an Gigolo denke, stammt aus dem Aachener Dressurstadion. Es goss in Strömen, und das Sandviereck stand fast unter Wasser. Besonders an den Stellen, wo ich in der Kür meine heikelsten Höchstschwierigkeiten platziert hatte, den Übergang vom starken Galopp zur Pirouette, spiegelten tiefe Pfützen den Wolkenhimmel wider. Jedes andere Pferd hätte vielleicht versucht, den Pfützen auszuweichen. Aber Gigolo sagte: Yeah. Er ließ sich nicht von seiner Performance abbringen, knallte mit voller Inbrunst im Galopp durch das Wasser, dass es nur so spritzte. Dabei riss er sich nicht einmal zusammen – er genoss es.

Er liebte Wasser in jeder Form. Zu Hause im Stall brachte er all seinen Boxennachbarn bei, wie man sein Heu in die Tränke tunkte und es dann genussvoll schmatzte. Er pantschte für sein Leben gern herum. Und auch sonst war er ständig aktiv in seiner Box, bastelte und werkelte herum. Seine Tür musste mit einem speziellen Verschluss gesichert werden, weil er so clever war, dass er es immer wieder schaffte, den alten Riegel aufzuknobeln.«

An Erfolge und Medaillen dachte Isabell an jenem richtungweisenden Tag in Warendorf, als sie...

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