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Vom 1x1 zum Glück

Warum wir Mathematik für das Leben brauchen

AutorRudolf Taschner
VerlagChristian Brandstätter Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783710602023
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Alle nicken wir zustimmend, wenn es heißt, Mathematik sei der Schlüssel, der das Tor zur modernen Welt öffnet. Aber viele wollen den Schlüssel nicht berühren, sich lieber unmündig von anderen das Tor öffnen lassen. Denn sie kennen Mathematik nur als unerquickliches Schulfach. Doch das Gegenteil stimmt. Man muss Mathematik nur richtig erfahren. Dann versteht man, was Mathematik für das Leben bedeutet. Dann bereitet die Beschäftigung mit ihr Freude und Vergnügen. Dann vermehrt Mathematik Wissen und bereichert die Persönlichkeit. Behauptungen, die Rudolf Taschner an unzähligen Beispielen beweist und mit handfesten Anleitungen für einen guten Mathematikunterricht verbindet. Einiges am herkömmlichen Schulalltag muss sich ändern. Dann wirkt Mathematik für die Schule wie ein bekömmlicher Muntermacher: Wird sie gut unterrichtet, leben alle in der Schule auf.

Dass Mathematik glücklich macht, beweist Rudolf Taschner seit Jahren in dem von seiner Frau Bianca und ihm im Wiener Museumsquartier geleiteten Projekt math.space: Der Mathematiker aus Leidenschaft erklärt sein Lebensthema unterhaltsam und leichtfüßig - und damit für alle zugänglich.

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Leseprobe

III


DAS KLEINE EINMALEINS UND EIN BISSCHEN MEHR


Rechnen vor einem halben Jahrhundert


Mathematik in der Schule; das bedeutet rechnen, rechnen und nochmals rechnen. Manchmal vielleicht mit ein paar Skizzen, sogar mit Konstruktionen garniert, bei denen Zirkel und Lineal zum Einsatz kommen. Aber schließlich endet alles doch wieder im Rechnen.

Darüber können auch die vollmundig formulierten Lehrplanziele nicht hinwegtäuschen, in denen davon geschwärmt wird, dass es beim Mathematikunterricht um die Förderung des logischen Denkens, um die Förderung der Bereitschaft und Fähigkeit zum Argumentieren, Kritisieren und Urteilen, um die Förderung geistiger Initiative, Phantasie und Kreativität, um die Förderung des Anschauungsvermögens, um die Förderung des sprachlichen Ausdrucksvermögens, um die Förderung der Fähigkeit, Mathematik anwenden zu können, gar um die Förderung des wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens ginge.

Das sind sehr viele, eigentlich viel zu viele und zu große Worte. Denn am Ende des Tages, wenn es um den konkreten Lehrstoff geht, um die Übungen, die vorgerechnet und trainiert werden, um die Aufgaben, die zu Hause nicht nur die Kinder, sondern auch deren Mütter, Väter, Onkeln, Tanten, Großeltern und Nachhilfelehrer in Trab halten, um die Prüfungen, Tests, Schularbeiten und womit auch immer man bedrängt wird: Es endet alles doch wieder im Rechnen.

Als ob Rechnen und Mathematik ein und dasselbe wären. Das stimmt in dieser Schroffheit natürlich nicht. Doch völlig falsch ist es auch nicht. Wo, wenn nicht im Mathematikunterricht, soll man denn rechnen lernen?

Soll man überhaupt noch rechnen lernen?

Sicherlich nicht wie vor 50 Jahren. Damals wurde zum Beispiel Sechzehnjährigen beigebracht, wie man eine Division wie zum Beispiel 314,2 : 27,13 durchzuführen habe – viel einfacher, so wurde versichert, als wenn man wie einst Adam Ries dividiert, und ganz professionell. Denn es sei das modernste und effektivste Verfahren, das es gibt. Wir wollen hier, als abschreckendes Beispiel, vorführen, wie damals in allen Schulen Sechszehnjährigen das Rechnen beigebracht wurde: in Handelsschulen, in Höheren Technischen Lehranstalten, in Gymnasien, wo auch immer und unabhängig davon, was aus den jungen Leuten später werden soll:

Man ging so vor: Weil 314,2 mindestens so groß wie 100, aber kleiner als 1000 ist und 100 zwei Nullen hat, schreibt man neben die Zahl 314,2 zunächst 2, (also die Zahl zwei und ein Komma) und blickt in ein kleines Buch, in dem alle Viererkombinationen von Ziffern zwischen 0000 und 9999 aufgelistet sind. Bei der Viererkombination 3142 schaut man nach, welche Viererkombination rechts von ihr steht. Es ist dies 4972. Diese heftet man an die zuvor geschriebene Zwei und das Komma an, sodass neben der Zahl 314,2 eine andere Zahl prangt: 2,4972. Sie heißt der Logarithmus von 314,2.

Bei 27,13 macht man das Gleiche: Weil 27,13 mindestens so groß wie zehn, aber kleiner als 100 ist und zehn eine Null hat, schreibt man neben die Zahl 27,13 zunächst 1, (also die Zahl eins und ein Komma) und blickt wieder in das Logarithmenbuch, wo man rechts neben der Viererkombination 2713 die Viererkombination 4334 findet. Auch diese heftet man an die zuvor geschriebene Eins und das Komma an, sodass neben der Zahl 27,13 deren Logarithmus 1,4334 steht.

Nun gilt die Regel, dass man, statt 314,2 durch 27,13 direkt zu dividieren, den neben 27,13 geschriebenen Logarithmus 1,4334 von dem neben 314,2 geschriebenen Logarithmus 2,4972 zu subtrahieren hat. (Wollte man 314,2 mit 27,13 multiplizieren, müsste man deren Logarithmen addieren.) Weil 2,4972 minus 1,4334, also die Differenz dieser beiden Logarithmen, 1,0638 lautet, geht man weiter so vor:

Weil bei 1,0638 die Zahl eins vor dem Komma steht, weiß man, dass das Ergebnis der Division mindestens so groß wie zehn (denn zehn hat eine Null), aber kleiner als 100 ist. Es ist demnach vor dem Komma zweistellig, darum schreibt man für die Zehner- und die Einerstelle zwei Punkte und danach das Komma: . . ,

Sodann schaut man im Logarithmenbuch nach, bei welcher Viererkombination von Ziffern der Logarithmus 0638 steht. (0638 ist der hinter dem Komma befindliche Teil der oben erhaltenen Differenz 1,0638.) Es ist dies 1158. Diese Viererkombination fügt man nun in das vorbereitete Schema . . , von zwei Punkten und einem Komma ein, sodass daraus die Zahl 11,58 entsteht. Sie ist das gesuchte Ergebnis der Division 314,2 : 27,13 – so einfach geht das!

Rechnen mit der Maschine


Dutzende, wenn nicht hunderte Rechnungen dieser Art musste jedes dieser Kinder nach dem sturen Einlernen der Rechenschritte durchführen. Denn billige Rechenmaschinen, die uns diese Kalkulationen abnehmen, gab es damals noch nicht. Man übte diese öden Rechnungen in der Schule auch nicht deshalb, um die Kinder sinnlos zu traktieren. Es gehörte damals wirklich in den Ingenieurfächern zum guten Ton, das Arbeiten mit dem Logarithmenbuch vorzüglich zu beherrschen und wie im Schlaf abrufen zu können. Noch in den späten 1970er Jahren hatten die Studentinnen und Studenten des Vermessungswesens zu Beginn ihrer Ausbildung an der Technischen Universität Wien einen strengen Kurs zu absolvieren, in denen das schnelle und präzise Rechnen nicht mit vier-, sondern mit siebenstelligen Logarithmen anhand unzähliger Multiplikationen, Divisionen, Potenzen und Wurzeln eingetrichtert wurde.

Heute ist all das verschwunden. Und es ist gut so. Denn man braucht es nicht mehr.

Jedenfalls nicht mehr in der oben beschriebenen Weise. Denn welcher mathematische Gehalt sich hinter den einzelnen Rechenschritten verbirgt, blieb fast allen Kindern verborgen, die mit verständlichem Widerwillen zu ihrem Logarithmenbuch greifen mussten. Es ging einfach nur darum, nach eingeübten Schablonen vorzugehen. Ganz schlecht war, darüber nachzudenken. Denn das würde zu viel Zeit kosten, die man nicht hat, wenn man präzise und zügig vorgehen muss. Fast immer bei Rechnungen, deren Sinn sich einem nie erschloss.

Vor 50 Jahren war das Logarithmenbuch der Nachfahre des erwähnten Cosisten in Wiener Neustadt, zu dem der Bauer aus Trattenbach fuhr. Die Szenen ähneln einander. Man will etwas berechnet wissen: Der Bauer des Jahres 1450 will XVII mit XXIII multiplizieren. Anna aus der sechsten Klasse des Schuljahres 1967 hat die Aufgabe, 314,2 durch 27,13 zu dividieren. Der Bauer befragt den Rechenmeister, der von ihm Geld verlangt und ihn trotzdem in die Geheimnisse seiner Rechnungen nicht einweiht. Anna greift zum Logarithmenbuch. Und statt des Geldes investiert sie ihr fleißig antrainiertes Können, um nach dem vom Lehrer diktierten Schema vorzugehen. Aber wie der Bauer weiß auch Anna nicht, warum das Ganze wirklich funktioniert: Warum gibt es überhaupt Logarithmen? Warum sind sie gerade so groß? Der Bauer fährt mit dem Ergebnis CCCLXXXXI nach Hause. Er kennt es zwar ganz präzise, aber es befriedigt ihn kaum. Weil er sich unter diesem Buchstabenungetüm wenig vorstellen kann. Genauso unterstreicht Anna ihr Resultat 11,58 zweimal, und will nicht weiter darüber nachdenken. Denn die nächste Rechnung wartet schon auf sie.

Das Buch des Adam Ries nahm den Rechenmeistern ihre einträgliche Arbeit weg. Nun jedoch nehmen uns die Rechenmaschinen nicht allein das Rechnen mit Logarithmen ab, sondern man kann überhaupt alle Rechnungen an sie delegieren. Warum sich mit etwas beschäftigen, das ein Automat viel schneller, viel zuverlässiger, viel effektiver schafft? Warum lernen die Kinder in der Schule überhaupt noch das Einmaleins? Man darf diese Frage nicht empört beiseiteschieben. Man hat sich ihr ganz ernsthaft zu stellen.

Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Die elektronischen Rechenmaschinen erlauben uns, die Zahlen so zu betrachten, wie es der Bauer aus Trattenbach tat. Wie er wissen auch wir, dass Zahlen wichtig sind. Dass sie darüber entscheiden, ob man vermögend oder ob man arm ist. Dass bei allen Beschlüssen, die wir oder andere fällen, Kenngrößen als Entscheidungshilfen herangezogen werden, die fast immer mit Zahlen zu tun haben. Wie der Bauer aus Trattenbach sind auch wir an Zahlen interessiert. Bei einfachen Zahlen wie zehn, hundert und tausend – Geschäftsleute auch bei zehntausend, hunderttausend und Millionen – haben wir sogar ein gar nicht so übles Gefühl für deren Größe. Auch dem Bauern aus Trattenbach sagte es etwas, wenn er erfuhr, dass er ungefähr CCCC Pfund Weizen sein Eigen nennt, wiewohl er es gerne schon in Zentner umgerechnet hätte. Aber mit Zahlen wirklich selbst zu rechnen, das ist vielen unter uns weitgehend abhandengekommen.

Der Verkäufer an der Kasse tippt die Posten der zu bezahlenden Waren ein und drückt eine Taste, um die Summe zu ermitteln. Wir geben ihm eine Bonuskarte, weil wir Stammkunden sind, und die fünf Prozent, die wir dabei gutgeschrieben bekommen, rechnet ebenfalls die Maschine aus. Wir und der...

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