ZWEITES KAPITEL
DIE DREIECKSBEZIEHUNG ALS AUSGLEICHSVERSUCH
Entsprechend meinem entwicklungsorientierten Grundmodell versuche ich in diesem Kapitel die Dreiecksbeziehung im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Beziehungsmuster des Paares und im folgenden Kapitel im Zusammenhang mit bestimmten Beziehungserfahrungen aus den jeweiligen Herkunftsfamilien zu beschreiben. Dabei geht es mir immer um die darin enthaltenen Entwicklungsmöglichkeiten für alle Beteiligten. In diesem Kapitel richte ich den Blick auf den gegenwärtigen Kontext, und zwar auf den des Paares, nicht auf den des »Dritten«, weil ich hier vor allem aus der Perspektive des Paares schreibe. Um das Entstehen und die Dynamik der Dreiecksbeziehung zu verstehen, hat sich hier folgende Fragestellung als nützlich erwiesen: Welches derzeitige Ungleichgewicht zwischen den Partnern soll durch die Außenbeziehung ausgeglichen werden? Oder anders ausgedrückt: Welche Imbalance versuchen die Partner mit Hilfe der Außenbeziehung auszubalancieren? Dabei setze ich voraus, daß der Außenbeziehung eine Mangelsituation in der Zweierbeziehung vorausgeht. Dies läßt sich gewiß nicht für alle Fälle behaupten, trifft jedoch sehr häufig zu, vor allem bei Paaren, die wegen der Außenbeziehung eine Beratung oder Therapie aufsuchen, weil sie die dadurch ausgelöste Krise allein nicht mehr bewältigen. Der »Untreue« hat, so gesehen, die Außenbeziehung nicht aus Bosheit oder aus Leichtfertigkeit gesucht. Sie wird vielmehr aus der Art und Weise, wie die Ehepartner miteinander umgehen, verständlich. Das akute kritische Lebensereignis der Außenbeziehung wird dadurch als Hinweis auf eine bisher mehr oder weniger latente oder jedenfalls nicht ganz ernstgenommene Krise der Paarbeziehung deutlich.
Um welche Ungleichgewichtigkeiten in der Paarbeziehung handelt es sich nun? Menschliches Leben und Zusammenleben kann als Bewegung zwischen Polaritäten verstanden werden, zum Beispiel zwischen den Polen aktiv – passiv, progressiv – regressiv, extrovertiert – introvertiert usw., um nur einige Beispiele anzuführen. In dieser Sichtweise besteht Lebendigkeit darin, sich nicht auf einem der Pole festzufahren, sondern sich flexibel je nach Situation einmal in die eine Richtung, ein anderes Mal in die andere Richtung zu bewegen. Das verleiht dem Leben Buntheit und Abwechslung. Solche Polaritäten können wir auch in Paarbeziehungen feststellen. Wenn das Zusammenleben als befriedigend und intensiv erlebt werden soll, müssen die Partner zwischen diesen Polen hin und her pendeln. Fixieren sie sich statt dessen an einem der Pole oder polarisieren sie sich in entgegengesetzten Extrempositionen, dann erstarrt die Beziehung und wird von den Betroffenen als festgefahren erlebt. Für das Verständnis von Paarproblemen und damit auch von Dreiecksbeziehungen scheinen mir vor allem folgende Polaritäten zentral zu sein:
Sicherheit und Erregung bzw. Bindung und Autonomie
Dominanz und Unterordnung
Geben und Nehmen.
Die jeweils hier genannten Begriffspaare stellen gleichsam die polaren Endpunkte eines Kontinuums dar, das zwischen ihnen liegt. Wenn sich Ehepartner an einem der Pole fixieren, so daß der andere Pol in ihrem Leben nicht mehr vorkommt, oder wenn sie sich gegenseitig in extremen Positionen polarisieren, bekommen sie miteinander ernsthafte Probleme. Dreiecksbeziehungen sind in dieser Sicht der Versuch, einen Ausgleich zu dieser Einseitigkeit zu schaffen, daß heißt den jeweils anderen ausgeklammerten oder dem anderen Partner »überlassenen« Pol wieder zur Geltung zu bringen. Was dies im einzelnen heißt, wird bei der Erläuterung der einzelnen Polaritäten deutlich.
1.Sicherheit und Erregung
Hier handelt es sich um eine Grundpolarität sozialer Motivation und sozialen Verhaltens überhaupt, die nicht nur das Zusammenleben der Menschen, sondern auch das der höheren Tiere fundamental bestimmt, wie der Verhaltensbiologe und Psychologe Norbert Bischof in eindrucksvoller Weise darlegt.18 Sicherheit finden wir beim Vertrauten (z. B. das Kind bei der Mutter), Erregung erfaßt uns angesichts des Fremden (z. B. das Kind angesichts eines gleichaltrigen potentiellen Spielkameraden). Um zu überleben und sich entwickeln zu können, braucht das kleine Kind am Anfang ein sehr großes Maß an Sicherheit, das das Maß an Erregung bei weitem übersteigt und das in der Regel bei den Eltern und in der Familie zu finden ist. Auf diese Erfahrung der Sicherheit reagiert das Kind mit Bindung. Durch Bindung entsteht Vertrautheit, die sogenannte primäre Vertrautheit, und diese vermittelt uns das Gefühl fundamentaler Geborgenheit (Urvertrauen) für das weitere Leben. Aber schon sehr bald erwacht im Kind das Bedürfnis nach mehr Autonomie. Dieses Autonomiestreben läßt wachsenden Überdruß am Vertrauten entstehen und drängt hinaus zum Unvertrauten, zum Fremden, das dem Kind Erregung vermittelt, die sich entweder in Neugierde und Faszination äußert, oder aber, wenn es zu bedrohlich wird, in Furcht. Die Furcht veranlaßt das Kind wieder, zum Vertrauten zurückzukehren, z. B. bei der Mutter wieder Zuflucht zu suchen. Je weiter das Kind heranwächst, desto häufiger und intensiver reagiert es mit Überdruß auf das primär Vertraute, und dieser Überdruß lockert die Bindung zu Eltern und Familie. Zum Autonomiestreben gesellt sich nun der wachsende Drang nach Sexualität. Autonomie und Sexualität drängen mit aller Macht hinaus ins »Fremde«, reizen zu Abenteuern. Besonders der/die Angehörige des anderen Geschlechts wird Kristallisationspunkt dieses Dranges weg vom Vertrauten hin zum Fremden, weg von der primären Bindung an die Herkunftsfamilie hin zu einem eigenständigen Leben mit eigenen, selbst gewählten Beziehungen. Sexuelle Erlebnisse spielen dabei eine wichtige Rolle und stehen zunächst ganz im Dienst der Autonomie und Abnabelung von den Eltern.
Allmählich gelangt der nunmehr erwachsen gewordene an einen zentralen Wendepunkt, der auch in unserem Zusammenhang die entscheidende Rolle spielt. Die Sexualität mit dem andersgeschlechtlichen Partner läßt ein neues/altes Bedürfnis entstehen: Das Bedürfnis nach einer neuen Art von Bindung. Sexualität schafft neue Bindung, und im Geschlechtspartner wird nun nicht mehr die Faszination des Neuen und Fremden gesucht, sondern auch eine neue Sicherheit, die neue Vertrautheit vermittelt. Norbert Bischof nennt diese die »sekundäre Vertrautheit« im Unterschied zur primären Vertrautheit der Eltern-Kind-Beziehung.
In der primären Vertrautheit steckt eine tiefe Ambivalenz: Einerseits ist sie fundamental für das Überleben. Bekommen wir zu wenig davon, sind wir ein Leben lang verzweifelt auf der Suche danach. Bekommen wir aber »zu viel« und »zu lange« davon, droht sie uns zu ersticken, zu verschlingen, zu töten. In der Doppelgesichtigkeit der alten Muttergottheiten, Leben zu gebären und auch wiederum zu verschlingen, sieht Bischof diese Ambivalenz eindrucksvoll symbolisiert. Der Heranwachsende wird durch sie von Mutter, Eltern und Familie weg- und zum Fremden, Erregenden hingetrieben. Nur dadurch behalten wir Anteil am Leben.
Demgegenüber hat die sekundäre Vertrautheit einen anderen Charakter. Anstelle der Ambivalenz tritt hier – idealtypisch gesprochen – die Synthese, bei Bischof durch das Ganzheitssymbol von Yin und Yang symbolisiert. Sekundäre Vertrautheit beinhaltet sowohl Sicherheit als auch Erregung, Bindung als auch Autonomie, und darum ermöglicht sie auch weiterhin, Sexualität zu erleben. Anders ausgedrückt: Gegenüber der Bindung der primären Vertrautheit des Kindes bei Vater und Mutter drückt sich die Bindung der sekundären Vertrautheit zwischen erwachsenen Partnern darin aus, daß letztere miteinander eine dynamische Balance zwischen den beiden Polen Sicherheit und Erregung finden. Das heißt: Erwachsene Partner sind, anders als Mutter und Kind, füreinander zugleich Quelle von Sicherheit und Quelle von Erregung. Sie geben einander gerade genug Sicherheit, so daß kein Überdruß entsteht, und gerade soviel Erregung, daß sie nicht ängstigend wird. Diese Balance zwischen Sicherheit und Erregung ist nach Bischof das Typische einer erwachsenen Partner-Beziehung.
Bei Paaren tauchen immer wieder Polaritäten in ihrer Beziehungsgestaltung auf, die Variationen dieser selben Grundpolarität sind: Bindung und Autonomie, Nähe und Distanz, Pflicht und Lust. Freilich sind diese Polaritäten mit der Polarität Sicherheit und Erregung nicht völlig zur Deckung zu bringen, ordnen wir sie jedoch etwas gewaltsam zu, so entsteht folgendes Bild:
Sicherheit– Erregung
Bindung– Autonomie
Nähe– Distanz
Pflicht– Lust
Paare müssen im Zusammenleben eine dynamische Balance zwischen den Polaritäten herstellen. Jedermann weiß freilich, daß es in der Realität oft sehr anders läuft. Viele Beziehungen zwischen Frauen und Männern haben nicht den Charakter sekundärer, sonder viel eher primärer Vertrautheit. Sie stellen sich als Quasi-Eltern-Kind-Beziehung dar. Die Sicherheit dominiert gegenüber der Erregung, die Bindung gegenüber der Autonomie, eine – jedenfalls äußerlich aufrecht erhaltene – Nähe gegenüber einer echten Distanz und die Pflicht gegenüber der Lust. Damit aber...