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E-Book

Was auf dem Spiel steht

AutorPhilipp Blom
VerlagCarl Hanser Verlag München
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783446257757
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit: Die Ideen des modernen Staats entstanden während der Aufklärung. Im 21. Jahrhundert haben wir uns längst daran gewöhnt. Dass Populisten mit dem Versprechen einer autoritären Gesellschaft Mehrheiten organisieren, ist dagegen eine neue Erfahrung. Der Historiker Philipp Blom sieht die westlichen Gesellschaften vor einer prekären Wahl: radikale Marktliberale einerseits, autoritäre Populisten andererseits. Sie gaukeln uns einfache Lösungen für die globalen Herausforderungen vor. Nur mit einem illusionslosen, historisch informierten Blick auf die Gegenwart und mit der Überzeugung, dass allen Menschen ein freies Leben zusteht, können wir unsere humane Gesellschaft retten.

Philipp Blom, 1970 in Hamburg geboren, studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien und schreibt regelmäßig für europäische und amerikanische Zeitschriften und Zeitungen. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Stipendium am Getty Research Institute in Los Angeles, der Premis Internacionals Terenci Moix und der deutsche Sachbuchpreis. Zuletzt erschienen bei Hanser: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900-1914 (2009), Die zerrissenen Jahre. 1918-1938 (2014), Die Welt aus den Angeln. Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart (2017), Was auf dem Spiel steht (2017) und Eine italienische Reise. Auf den Spuren des Auswanderers, der vor 300 Jahren meine Geige baute (2018). Im Paul Zsolnay Verlag erschien der Roman Bei Sturm am Meer (2016). Weitere Informationen unter www.philipp-blom.eu.

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Leseprobe

BETRIEBSTEMPERATUR


Wer über die Zukunft nachdenken will, muss einen Satz aus seinem Vokabular streichen. Dieser Satz lautet: »Das kann nie passieren.«

So vieles ist in den letzten Jahren geschehen, was kluge, datengefütterte oder intuitive, persönliche oder akademische Analysen für unmöglich erklärt hatten, dass es geboten scheint zu begreifen, dass ein ganz neuer Horizont politischer, ökonomischer und kultureller Möglichkeiten entstanden ist – ein Horizont der existenziellen Bedrohung und der historischen Chance.

Während ich dies schreibe, im Februar 2017, zeigt das Thermometer in Wien 20 Grad Celsius – eine Temperatur, die normalerweise im April oder Mai zu erwarten wäre –, während in Deutschland und Großbritannien für die Jahreszeit untypische Stürme wüten. Das ist natürlich eine Ausnahme – wie die Temperatur am Nordpol, wo es momentan so warm ist wie in Berlin, und wie die beiden Jahrhundertorkane, die in den letzten zwei Jahren New York getroffen haben, wie die historische Dürre in Kalifornien, in Teilen Pakistans und des Nahen Ostens, wie die unerwartet heftigen Regenfälle 2015 in Indien und 2017 in Peru und Australien, wie die Tatsache, dass die Jahre 2014, 2015 und 2016 jeweils einen neuen Hitzerekord aufgestellt haben, während der letzte Kälterekord auf 1960 datiert. Irgendwann muss man sich angesichts solcher Anhäufungen von Ausnahmen die Frage stellen, wann aus ihnen eine neue Regel wird.

ENERGIE UND DIE GESCHICHTE DER ARBEIT


Es ist alles eine Frage der Arbeit, der Energie, der sekundären Evolution. Die Menschen haben sich im Laufe ihrer Frühgeschichte von der ständigen Notwendigkeit der Nahrungssuche emanzipiert, indem sie immer mehr Arbeit ausgelagert und andere Energiequellen genutzt haben. Abgesehen von Wind und Strömung und Brennstoffen wie Holz oder Torf, war dabei die wichtigste Quelle die Arbeit anderer, sozial niedrig gestellter Menschen.

Das antike Rom baute ein Weltreich auf, dessen Logistik und Organisation atemberaubend komplex waren, und unterhielt eine Weltstadt, deren Versorgung und Administration eine immense Leistung darstellen. Sein Heer war das mächtigste der Welt, seine Architektur so vollkommen, dass einige römische Gebäude nach 2000 Jahren noch immer genutzt werden, seine Literatur und Philosophie, seine Malerei und andere Künste gehören zu den erstaunlichsten Leistungen der Menschheitsgeschichte. Allein die fein austarierte Funktionsweise eines römischen Thermalbades mit seinen Heißluftleitungen und Becken mit verschiedenen Temperaturen ist ein Wunder der Technik.

Gleichzeitig kannte diese Welt kaum arbeitssparende Maschinen, obwohl das Wissen um physikalische Prinzipien und auch das technologische Können offensichtlich vorhanden waren, wie archäologische Funde beweisen. Der Grund dafür ist einfach: Römer hatten Sklaven. Menschliche Arbeit war billig und reichhaltig vorhanden, es war nicht notwendig, Arbeit an Maschinen auszulagern, zumal diese Maschinen von einer anderen Energiequelle als der menschlichen Muskelkraft angetrieben werden mussten.

Erst als menschliche Arbeit teurer wurde, stellten Maschinen eine ernsthafte Alternative dar. Manche Historiker behaupten, dass die Pestepidemie, die um 1350 ein Drittel der europäischen Bevölkerung das Leben kostete, zumindest im Westen Europas den Punkt markiert, an dem besonders spezialisierte Arbeit kostbarer wurde, weil es weniger Arbeiter gab, die über eine entsprechend stärkere Verhandlungsposition verfügten. In Russland übrigens, wo die Pest ebenfalls gewütet hatte, hatte sie den gegenteiligen Effekt auf die bäuerliche Bevölkerung, die so geschwächt wurde, dass sie ihre einzige Macht, die der bewaffneten Rebellion, verlor und noch stärker unter die Knute ihrer Herren geriet.

In seiner großen Encyclopédie bezeichnete Denis Diderot die Dampfmaschine noch Mitte des 18. Jahrhunderts als Spielzeug ohne besondere Bedeutung. Einer der scharfsichtigsten und technologisch kompetentesten Philosophen seiner Zeit erkannte die Implikationen dieses Spielzeugs nicht. Als aber diese Spielzeuge erst die Textilmühlen Nordenglands und wenig später die ganze Welt eroberten, veränderte sich das Verhältnis der Menschen zur Arbeit. Immer mehr Menschen arbeiteten jetzt neben und mit Maschinen, waren ihre Herren oder ihre Diener. Die keuchenden Dampfkessel ermöglichten enorme Produktivitätsgewinne, aber sie fraßen Kohle, enorm viel Kohle.

Diese technologische Revolution dynamisierte die großen Städte, in denen Immigranten und Alteingesessene, Juden und Christen, Katholiken, Protestanten und Muslime miteinander Handel treiben und leben mussten. Neue Technologien und Handelsnetze ermöglichten enorme Profite, aber nur um den Preis der gegenseitigen Toleranz.

So kamen Autoren, die wir heute als Aufklärer bezeichnen, auf eine wahnwitzige Idee. Bis ins 17. Jahrhundert hinein war die menschliche Ungleichheit eine Selbstverständlichkeit. Natürlich war ein Bauer weniger wert als ein Adeliger, ein Christ mehr als ein Heide, ein Mann mehr als eine Frau. Um die Mitte des Jahrhunderts aber erschienen Werke, die dieses Weltbild auf den Kopf stellten: Baruch de Spinoza (ein Kaufmann), René Descartes (ein Artillerieoffizier), John Locke (ein Verwaltungsbeamter), Pierre Bayle und Thomas Hobbes (beide Lehrer) und andere, oft fast vergessene Autoren aus der aufstrebenden Mittelschicht vertraten die Ansicht, dass alle Menschen das gleiche Recht auf ihr Leben, ihre Freiheit und ihr Glück hätten, ungeachtet ihres Standes, ihrer Religion, ihrer Rasse und ihres Geschlechts.

Dieser Gedanke scheint den meisten Bewohnern der westlichen Welt heute so selbstverständlich, dass er kaum betont werden muss, aber tatsächlich hat er einen festen und wichtigen Platz in dieser Geschichte. Die Idee, dass jeder Mensch einen Wert hat, ist zwar so alt wie die Philosophie selbst, wurde aber im Laufe der Geschichte auch von christlichen Herrschern, deren Religion gerade die Solidarität mit den Geringsten fordert, ganz selbstverständlich ignoriert.

Erst mit der Französischen Revolution und den sozialistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts wurden Menschenrechte im Zentrum der politischen Diskussion etabliert, die Ansprüche der noch immer grausam ausgebeuteten und gewaltsam unterdrückten landlosen Armen in Europa und der Sklaven und Kolonialvölker auf anderen Kontinenten wurden erst in einem traumatischen und oft blutigen Kampf über Jahrzehnte immer stärker anerkannt.

Eines der Resultate war, dass Arbeit teurer wurde. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein schufteten viele Fabrikarbeiter – Männer, Frauen und Kinder – in der Regel 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche, ohne jede Absicherung, und konnten vom Lohn gerade dem Hungertod entgehen (heute ist das in Ländern wie Myanmar, die unsere Billigkleidung herstellen, noch immer so). Mit der hart erkämpften Einführung von geregelten, kürzeren Arbeitszeiten, kollektiv ausgehandelten Löhnen und später sogar bezahlten Urlaubstagen und Sozialleistungen wie Unfallversicherung und Rente kostete menschliche Arbeit die Fabrikbesitzer empfindlich mehr als vorher. Sie war nicht mehr die billigste Möglichkeit der Produktion.

Die Lösung dieses Problems lag in der Mechanisierung vieler Arbeitsprozesse, die von Maschinen verrichtet werden konnten. Um diese Maschinen anzutreiben, verwendete man nicht mehr wie zuvor Wasserkraft und Wind (wie bei den Mühlen, die seit Jahrhunderten bestanden), sondern Kohle und später Erdöl.

So bekam eine ganze Zivilisation eine enorme Zufuhr an Energie – fossiler Energie. Was die Räder, die Kolben und die Zylinder antrieb, war die gespeicherte Sonnenenergie von Jahrmillionen, die jetzt wieder in die Atmosphäre gepumpt wurde. Das geschah sehr schnell. Es begann vor etwa 200 Jahren, wurde aber durch das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit noch einmal wesentlich beschleunigt. Das Resultat wird in der Grafik auf der folgenden Seite deutlich, die den Kohlendioxidgehalt der Luft über die letzten 400.000 Jahre darstellt. Ganz rechts ist die Gegenwart.

Dies ist nicht der Ort, den Mechanismus des Klimawandels darzustellen oder noch einmal die leidige Frage aufzuwärmen, ob menschliche Aktivität wirklich dazu beigetragen hat, obwohl sich die Wissenschaft in überwältigendem Maße einig ist, dass menschliche Aktivität zumindest eine entscheidende Rolle dabei spielt. Was auch immer geschehen ist: Es ist Millionen Jahre her, dass die Atmosphäre dieses Planeten eine ähnlich hohe CO2-Konzentration erlebt hat. Hinzu kommt der Effekt von weiteren sogenannten Treibhausgasen, darunter Methan, das nicht nur durch das Abschmelzen des Polareises freigesetzt wird, sondern besonders durch die Rinderzucht für die industrielle Fleischproduktion. Methan ist ein wesentlich stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid.

 

 

ERWARTUNGEN WERDEN SELTEN ERFÜLLT, ABER MANCHMAL ÜBERTROFFEN


Auch die zu erwartenden Folgen dieser Erwärmung sind gut erforscht. Zwei Drittel der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt, und die Ozeane enthalten mehr als 95 Prozent des gesamten auf der Erde vorhandenen Wassers. Durch die Erwärmung dehnt sich das Wasser in den Ozeanen aus und führt zu einem Anstieg des Wasserspiegels, der die Küstenregionen bedroht. Gleichzeitig verdunstet mehr Wasser, was zu extremen Wetterereignissen wie Orkanen und zu einer Veränderung von Wettermustern führt. Die abschmelzenden Polkappen führen dem Ozean große Mengen Süßwasser zu, was wiederum eine erhebliche Auswirkung auf den Golfstrom haben könnte, von dem besonders das Klima Europas abhängt. Sollte der Golfstrom kollabieren, könnte es auf der Nordhalbkugel sogar zu einer starken Abkühlung kommen, zu einer neuen Kleinen Eiszeit....

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