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Whistleblowing

Bedingungen und internationale Rechtssituation

AutorEsther Wyler
VerlagElster Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783906065656
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Whistleblowing ist weder ein neues noch ein unbedeutendes Phänomen. Aber anders als in den USA, wo es schon seit Jahrzehnten Medien, Öffentlichkeit und Wissenschaft beschäftigt, wird Whistleblowing diesseits des Atlantiks nur zögerlich und widerwillig behandelt. Esther Wyler kennt sich mit diesem Thema aus. Als Juristin befasst sie sich mit der rechtlichen Situation von Whistleblowern in Deutschland, der Schweiz und anderen europäischen Ländern und vergleicht die internationale Gesetzgebung. Whistleblower bewegen sich im Zwischenbereich von Legalität und Illegalität. Und doch ist ihre Arbeit ein notwendiges Korrektiv, wenn die institutionellen Wege zur Konfliktregulierung oder Problembereinigung nicht mehr funktionieren.

Esther Wyler hat in Zürich Rechtswissenschaften und Philosophie studiert und jahrelang in der öffentlichen Verwaltung im Bereich Sozialhilfe gearbeitet. Zusammen mit ihrer Mitstreiterin Margrit Zopfi machte sie Missstände im Zürcher Sozialamt publik und verletzte dabei das Amtsgeheimnis. Esther Wyler arbeitet heute als freiberufliche Juristin und lebt in der Umgebung von Bern.

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Leseprobe

II.
Whistleblowing im internationalen Vergleich


1. Ausgangslage


Whistleblowing ist in den USA, wie bereits erwähnt, nicht nur als Begriff seit vielen Jahren Bestandteil des allgemeinen Sprachgebrauchs, sondern der Informantenschutz ist gesetzlich wesentlich effektiver ausgestaltet, als dies in Kontinentaleuropa gegenwärtig noch der Fall ist. Die Gründe für den positiveren Umgang mit der Thematik in der US-amerikanischen Gesellschaft mögen einerseits in der unterschiedlichen Rechtstradition des anglo-amerikanischen Common Law und des kontinentaleuropäischen Civil Law liegen; andererseits dürften auch Unterschiede im jeweiligen Rechtsverständnis diesseits und jenseits des Atlantiks ausschlaggebend sein.11

Das Common Law hat seinen Ursprung in England und ist heute die Basis der Rechtssysteme in den USA (ausgenommen Louisiana), Kanada (ausgenommen Quebec), dem Vereinigten Königreich, Irland, Australien, Neuseeland, Südafrika, Indien, Singapur, Hongkong und vielen anderen englischsprachigen oder (ehemaligen) Commonwealth-Staaten. Das Civil Law dominiert als zweite große Rechtsfamilie Kontinentaleuropa und weite Teile der restlichen Welt. Die USA folgten der Rechtstradition Englands. Seit der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) gehen die Systeme jedoch auseinander. Die USamerikanischen Gerichte überlagerten das übernommene englische Common Law mit eigener Rechtsprechung, und es wurde zudem durch amerikanische Gesetze modifiziert.

Civil-Law-Rechtssysteme (wie beispielsweise in Deutschland und in der Schweiz) bestehen aus systematisiertem, strukturiertem und kodifiziertem Recht: aus Gesetzen. Diese formulieren allgemeine Regeln, die durch die Gerichte auf einen konkreten Lebenssachverhalt angewendet und ausgelegt werden. Common-Law-Systeme hingegen bestehen aus einer Vielzahl von Einzelentscheidungen, die in so genannten «restatements» gesetzesähnlich und systematisch aufgearbeitet werden. Als «restatements of the law» (Neuformulierungen von Rechtsprechungsgrundsätzen) werden in den USA die vom «American Law Institute» herausgegebenen Abhandlungen bezeichnet, welche das «Case Law» (Fallrecht) der einzelnen Bundesstaaten systematisch darstellen.

Das Common Law wird durch kodifiziertes Recht («Statutory Law») ergänzt, durch Normen also, die von der Legislative (Parlament) in Gestalt von Gesetzen und Verordnungen erlassen und verabschiedet werden. Solch kodifiziertes Recht hat im 20. und 21. Jahrhundert weltweit stark zugenommen, insbesondere (bedingt durch die Mitgliedschaft in der EU) im Vereinigten Königreich und in Irland.

Das Civil Law wird von den nationalen Gesetzgebern geschaffen. Die Gerichte in den Civil-Law-Systemen sind an das gesetzte Recht gebunden. Die Gerichte der Common-Law-Systeme entwickeln das Recht demgegenüber eigenständig weiter. Urteile der höheren Gerichte erlangen die Reputation eines Präzedenzfalles mit Leitbildfunktion für ähnliche künftige Rechtsfälle. Der Gesetzgeber greift durch die Schaffung von Statutory Law lediglich regulierend in das Common Law ein.

Speziell in den USA erwartet man vom Recht gar nicht, dass es überall gleich ist, sondern will bewusst eine Auswahl haben. Veränderbarkeit ist wichtiger als Rechtssicherheit im europäischen Sinne. Die philosophische Denkrichtung des Pragmatismus12 hat von allem Anfang an die Rechtsentwicklung in den Vereinigten Staaten stark beeinflusst, das heißt man orientiert sich nicht an abstrakt-ethischen Prinzipien, sondern an den konkret-praktischen Wirkungen des Handelns, und danach richten sich auch die richterlichen Urteile.13

2. USA


Die USA kennen zahlreiche Whistleblower-Schutzbestimmungen, auf Bundesebene ebenso wie auf der Ebene der Einzelrespektive Gliedstaaten. Ein Grund dafür ist im erwähnten amerikanischen Case Law zu finden. Gesetze entstehen oft erst auf Basis individueller Einzelfallentscheidungen, was zur Folge hat, dass sie nur in einem sehr eingeschränkten und spezifischen Bereich zur Anwendung kommen. Es ist nicht das Ziel dieses Buches, einen auch nur annähernd vollständigen Überblick über alle bundes- und einzelstaatlichen Whistleblower-Regelungen zu geben. Vielmehr soll aufgezeigt werden, weshalb der Umgang mit der Thematik Whistleblowing in den USA – zumindest in der Bevölkerung – ein anderer ist als in Europa und welche bedeutenden Regelwerke geschaffen wurden.

Es war Präsident Abraham Lincoln, welcher am 5. März 1863 das erste Gesetz zum Schutz von Informanten unterschrieb. Dieses existiert heute in einer abgeänderten Fassung unter dem Namen «Federal False Claims Act». Ursprünglicher Zweck dieses Erlasses war es, Lieferanten der Bundesarmee, welche während des Sezessionskrieges (1861–1865) mangelhafte Ware lieferten (zum Beispiel Sägemehl statt Schießpulver), auf die Schliche zu kommen beziehungsweise deren «false claims» (falsche Behauptungen) zu enttarnen. Bürger, welche Kenntnis von diesen betrügerischen Machenschaften hatten, konnten im Namen des Staates gegen diese Lieferanten klagen. In der heutigen Form beziehungsweise in der revidierten Fassung von 1986 bestehen beachtliche finanzielle Anreize für Privatpersonen, welche auf Betrugsfälle aufmerksam machen wollen, sowie starke Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer, die auf entsprechende Missstände bei ihren Arbeitgebern hinweisen. Das Gesetz ist ein sehr effektives Instrument gegen Unterschlagung und Betrug in der Bundesverwaltung.

In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich der Whistleblowerschutz in den USA als Folge von teilweise dramatischen und spektakulären Ereignissen, welche die Wahrnehmung der Öffentlichkeit für Missstände in Staat, Verwaltung, Politik und Wirtschaft dauerhaft schärften und in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Bedeutung und Wichtigkeit eines tragenden Informantenschutzes schufen.

2.1. Die Pentagon Papers


Es war einer der folgenschwersten Politskandale in der Geschichte der USA, und es war ein Ereignis, welches die Welt aufschreckte und das Vertrauen der Amerikaner in die Glaubwürdigkeit ihrer Regierung bis in die Grundfesten erschütterte: die partielle Veröffentlichung der so genannten «Pentagon Papers».

Ab 13. Juni 1971 publizierten die «New York Times» und die «Washington Post» Auszüge aus einer geheimen US-Regierungsstudie zum Vietnamkrieg. Die Dokumente enthüllten, dass alle Präsidenten von Harry S. Truman (1945–1953, 33. Präsident der USA) bis Lyndon B. Johnson (1963–1969, 36. Präsident der USA) den US-Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit nach Strich und Faden belogen hatten, und dokumentierten Strategien sowie Methoden der Geheimdienste bei der Manipulierung politischer Verhältnisse und bewaffneter Konflikte. Der Vietnam-Krieg sei von langer Hand geplant gewesen, so die «Washington Post», während die Führung des Landes dem amerikanischen Volk und der Welt etwas anderes weiszumachen versuchte. Außerdem sollte der Vietnamkrieg trotz großer Verluste auf amerikanischer Seite weitergeführt werden.

Protagonist der Enthüllungsaktion war Daniel Ellsberg (*1931), damals Teil des amerikanischen Establishments: Ausgebildet in Harvard, war er während Lyndon Johnsons und Richard Nixons eskalierendem Krieg als Beauftragter des amerikanischen Außenministeriums in Vietnam. 1969 regten sich bei Ellsberg erste Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Konflikts; restlos überzeugt war er, nachdem er einem Kriegsgegner zugehört hatte, der wegen Wehrpflichtverweigerung ins Gefängnis musste. Als hochrangiger Mitarbeiter im US-Verteidigungsdepartement hatte der damals 40-Jährige Zugang zu einem Top-Secret-Dokument bekommen, dem internen Report des Pentagons über die wahren Hintergründe des Vietnamkriegs. Der vehemente Kriegsgegner wollte das Dokument an die Öffentlichkeit bringen und kopierte im Geheimen und über mehrere Monate eigenhändig rund 7000 Seiten des Berichtes.

Das Weiße Haus versuchte mit allen Mitteln, die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere zu verhindern. Die Anstrengungen der Nixon-Regierung, die Pressefreiheit einzuschränken, scheiterten. Der Oberste Gerichtshof in Washington hob am 30. Juni 1971 in einem aufsehenerregenden Grundsatzurteil die Veröffentlichungsverbote als nicht verfassungsgemäß auf und stärkte damit entscheidend die Pressefreiheit. Auch ein gegen Ellsberg angestrengtes Strafverfahren wegen unerlaubten Besitzes und Diebstahls von Staatsgeheimnissen musste schließlich eingestellt werden, da bekannt wurde, dass Präsident Richard Nixon und andere hochrangige Regierungsvertreter rechtswidrige Handlungen toleriert hatten, einschließlich eines Einbruchs in das Büro von Ellsbergs Psychiater, um Informationen zu suchen, die ihn hätten diskreditieren können.

Im Sommer 2011 – 40 Jahre nach der (teilweisen) Erstveröffentlichung – gab die US-Regierung die geheimen «Pentagon Papers» über den Vietnamkrieg frei und feierte sich dafür selbst. Die Dokumente können im Nationalarchiv in «College Park» im US-Staat Maryland sowie in drei Präsidentenbibliotheken eingesehen werden.

Doch in Sachen Whistleblowing gibt es wenig zu jubeln, im Gegenteil. Präsident Barack Obama jagt Hinweisgeber gnadenloser als sein Vorgänger George W. Bush. Eine Flut staatlicher Ermittlungsverfahren wegen Informationslecks aus den eigenen Reihen offenbart die Doppelzüngigkeit Obamas, der versichert hatte, er werde sich durch «ein beispielloses Maß an Offenheit» auszeichnen. Als derzeit prominentester Fall in den USA sitzt der Armeesoldat und mutmaßliche WikiLeaks-Informant Bradley Manning in Einzelhaft. Außerdem ermittelt das Justizministerium weiterhin gegen WikiLeaks-Gründer...

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