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Wundergeschichten in der Realschule

Grenzen und Möglichkeiten im Umgang mit neutestamentlichen Wundergeschichten im Religionsunterricht der Realschule

AutorAnonym
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl76 Seiten
ISBN9783640842384
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Theologie - Religion als Schulfach, Note: 1,0, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Theologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Examensarbeit im Rahmen des Theologiestudiums. Beschäftigt sich mit den neutestamentlichen Wundergeschichten und den Problemen und Möglichkeiten der Behandlung dieser im Unterricht. Auch Unterrichtsbeispiele enthalten

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Leseprobe

3. Entwicklungspsychologische Voraussetzungen


 


3.1 Frage nach der Altersgemäßheit anhand entwicklungspsychologischer Theorien


 


Für eine reflektierte und schülerbezogene Wunderdidaktik führt kein Weg an den wissenschaftlichen Einsichten zum Stand der religiösen Entwicklung in den unterschiedlichen Altersstufen vorbei. Hierbei sind vor allem Jean Piaget, der Begründer der kognitiven Psychologie, James W. Fowler und Fritz Oser/ Paul Gmünder zu nennen. Deren Theorien helfen bei der Klärung der Frage, wie Menschen unterschiedlicher Altersgruppen biblische Wundergeschichten verstehen  und welche religionspädagogischen Folgerungen daraus abzuleiten sind.

 

Nach Piaget wird im frühen Grundschulalter die präoperative Periode mit ihrem magisch-numinosen Denken überwunden. Die Kinder sind von einem konkret-operationalen Verstehen geprägt, sodass sie zunehmend zwischen der Welt des Faktischen, der Realität, und der Welt der Fiktion, der Phantasie, unterscheiden können. Sie sind aber noch nicht zu abstraktem Denken in der Lage. Symbole oder Metaphern werden noch nicht verstanden.[71]

 

Beeinflusst von Piaget entwickelte James W. Fowler eine strukturgenetische Theorie[72], um religiöses Lernen im Laufe der menschlichen Entwicklung zu beschreiben. Fowler gliedert den Glauben in sechs Stufen, die jeweils einem bestimmten Lebensabschnitt  zugeordnet sind. In Stufe 1 entwickelt sich der intuitiv-projektive Glauben. Im Sinne Piagets steht hier das präoperationale Denken im Vordergrund, das mehr der Phantasie und der Intuition folgt als einer möglichst unverzerrten Wahrnehmung der äußeren Wirklichkeit. Die Vorstellungskraft baut noch nicht auf die Logik der Gesetze. Ohne Unterscheidung zwischen Symbol und Wirklichkeit werden Bilder, Geschichten und Märchen real aufgefasst. Mit Beginn des Schulalters, also ab dem sechsten Lebensjahr, spricht Fowler von einem mythisch-wortgetreuen Glauben. Dies entspricht dem konkret-operationalen Verstehen im Grundschulalter Piagets. Kinder nehmen religiöse Symbole noch wortwörtlich, sie verstehen sie eindimensional. Sie erkennen keinen Hinweischarakter oder  symbolische Bedeutung. Für den Wunderglauben bedeutet dies, dass „die kindliche Vorstellungskraft trotz erster Integration wissenschaftlicher Elemente noch in der Vordergründigkeit und Konkretheit des Wundergeschehens verhaftet bleibt.“ [73]

 

Die Kinder stehen noch im Bann von Autoritäten und Konventionen. Ihre eigene Identität ist weitestgehend durch Rollenzuweisungen von Bezugspersonen geprägt. Auch der Glaubensstil ist konventionell ausgerichtet und bildet eine Synthese aus verschiedenen Meinungen und Überzeugungen, die die Kinder bei anderen Menschen aufschnappen. Das bedeutet für biblische Texte, dass sie ohne tiefergehende Reflexion entweder abgelehnt oder geglaubt werden. Diese Entscheidung basiert auf einem nicht persönlich angeeigneten, religiösen Denken. Ein eigenes kritisches Urteil wird nicht gefällt. Der Glaube ist immer abhängig von anderen Personen.[74]

 

Bei Oser/Gmünder herrscht dagegen in der ersten Entwicklungsstufe, die etwas später                - zwischen acht und zehn Jahren - auftritt, ein an absoluter Heteronomie orientiertes Gottesbild vor. Gott ist eine unmittelbar in die Welt eingreifende höhere Macht, welcher der Mensch völlig ausgeliefert ist.[75] In der zweiten Stufe glaubt man im Sinne eines Tauschverhältnisses[76] durch Gebet, Opfer oder Gelübde auf die Entscheidungen Gottes einwirken zu können. Man geht weiterhin von der Allmacht Gottes aus. In der Grundschule beherrschen die Kinder folglich ein supranaturalistisches Wunderverständnis, dass mit Gottes unmittelbaren Eingreifen in die Welt rechnet.[77] Für ein symbolisches Wunderverständnis sind die Verstehensmöglichkeiten noch nicht gegeben. Die Wundergeschichten werden als Objekte, als Abbildungen eines früheren Geschehens interpretiert, ohne ihren Symbolcharakter zu erkennen. Die Schülerinnen und Schüler sehen den Sinn der Wundergeschichten in dem Beweis der Allmächtigkeit Gottes und der Gottessohnschaft Jesu. Die Historizitätsfrage steht noch nicht im Vordergrund. Probleme treten aber auf, wenn man diese Frage verneint, da damit die Bedeutung der Wunder fragwürdig wird, da die Schülerinnen und Schüler nur das Faktische und Tatsächliche als Wirklichkeit gelten lassen. Sie halten das direkte Eingreifen Gottes und den menschlichen Einfluss auf Gott generell für möglich.[78] Auf der zweiten Stufe Osers/Gmünders wird so das Wunder also als ein Tauschverhältnis gesehen. Als Gegenleistung für den Glauben erhält man ein Wunder ( z.B. Heilung). Wundergeschichten werden fast nur noch auf die Grundschule abgewälzt. Fatal ist aber, dass die Kinder in diesem Alter noch nicht in der Lage sind, Wundergeschichten metaphorisch oder im übertragenen Sinn zu verstehen. Die Kinder sind auf der Suche nach Helden, nach übernatürlichen Zauberern oder Supermännern. Dadurch überhöhen sie die Person Jesu mythisch. Die Naturgesetzlichkeit, die durch Wunder die Wirklichkeit zerbricht, wird von den Kindern ungebrochen, auf naive Weise einfach hingenommen.[79]

 

Ab Beginn der Sekundarstufe aber - im Alter von 11-12 Jahren - erwacht das kritische und abstrakte Denken im Kinde. Die kritische Vernunft tritt in den Vordergrund und stellt die Historizität und Vorstellbarkeit in Frage.[80] Aufgrund der vielen Ungerechtigkeiten in der Welt, wird das Eingreifen Gottes nun negiert. Die Kinder trennen nun strikt zwischen Gott und Mensch und geben die Verantwortung für das eigene Leben und das Weltgeschehen in menschliche Hände. Nach Piaget geht das konkret-operationale Denken in ein formal-operatorisches Verstehen über. Nun ist man zu abstraktem Denken befähigt. Nun kann der Jugendliche mit abstrakten Inhalten wie Hypothesen gedanklich umgehen, Probleme theoretisch analysieren und wissenschaftliche Fragestellungen systematisch durchdenken. Er hat die höchste Form des logischen Denkens erreicht.[81]

 

Bei Fowler beginnt im frühen Jugendalter der synthetisch-konventionelle Glaube. Die Kinder entwickeln ein Gespür für die Mehrdeutigkeit von Symbolen und Erzählungen. Die vierte Stufe wird bei Fowler erst im späten Jugendalter erreicht. Diese ist von einem individualisierend-reflektierenden Glauben geprägt. Hier ist das formal-operationale Denken nun voll entfaltet.[82] Die Zugehörigkeit zu Gruppen mit deren Überzeugungen wird nun kritisch geprüft. Diese Stufe hat eine „entmythologisierende Wirkung“[83] und bringt nun ein klares, fast überzogenes Bewusstsein der eigenen Individualität und Autonomie hervor. Hier sind die Kinder nun zur Bildung eines eigenen Urteils fähig. Diese Phase bringt ein hohes Maß an Selbstreflexion und an traditionskritischem Bewusstsein hervor.[84] Auf Wundergeschichten bezogen bedeutet dies, dass eine Tendenz zur Entmythologisierung von Wunderaussagen entsteht. Es wird nicht mehr hingenommen was andere sagen oder denken, sondern das eigene kritische Urteil kommt zum Zuge. Entweder verwirft dieses Urteil mythologische Vorstellungen von der Vernunft her oder Wundergeschichten werden bildhaft verstanden und auf einen anderen Sinn übertragen.[85] Diese Stufe kann aber sogar so weit führen, dass alles in Frage gestellt wird – die Existenz Gottes, die Bibel, die bisher erfahrenen Werte und Einstellungen und damit natürlich auch die Bedeutung der Wundergeschichten.[86]

 

Bei Oser/Gmünder gilt im Jugendalter die dritte Entwicklungsstufe. Diese ist von der Selbstbestimmung des Menschen geprägt. Hier sieht man nun die Unabhängigkeit Gottes und der Menschen. Man verwirft die Vorstellung, dass Gott in die Welt eingreift aufgrund von Leid und Ungerechtigkeit in der Welt. Der Mensch sieht sich als autonomes Wesen, das die Welt eigenständig gestaltet. Gott wird hier, ebenso wie religiöse und kirchliche Autoritäten verdrängt, Gottes Existenz wird sogar eher in Frage gestellt oder einer völlig anderen, jenseitigen Sphäre zugewiesen. Es tauchen nun Fragen zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube auf. Die Historizität biblischer Inhalte wird enorm angezweifelt und kritisiert. Auf dieser Entwicklungsstufe steht man Wundern skeptisch gegenüber und betrachtet sie mit kritischer Vernunft. Sie werden aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit zur Naturgesetzlichkeit negiert. Außerdem werden sie Gott aufgrund des vielen Leides in der Welt nicht zugetraut.[87] 

 

Die Rezeption der Wundergeschichten kann nach den genannten Theorien nicht eindeutig bestimmten Altersstufen zugeordnet werden. Zudem kommen diese „idealtypischen“ Muster in der Realität nicht „rein“ vor.[88]  Sie können jedoch grob eine gute Hilfe für den Lehrenden darstellen. Im Folgenden sollen aber die Probleme, die hinsichtlich der entwicklungspsychologischen Theorien für die Wunderdidaktik entstehen, beleuchtet werden.

 

3.2  Folgerungen und Probleme  für die Wunderdidaktik


 


Aufgrund dieser schwankenden Verständnisschwierigkeiten gehören Wundergeschichten zu den anspruchvollsten und kompliziertesten Themen der...

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