Das Dekubitusrisiko stellt sich als eines der großen gesundheitlichen Risiken der Bevölkerung dar (vgl. DNQP 2002, 85). Die Entstehung stellt eine enorme Belastung für die Betroffenen dar, und die Behandlung ist sehr kostenintensiv. Dies weist bereits darauf hin, dass sich die Pflege diesem Thema im Interesse der zu Pflegenden annehmen muss. Francois-Kettner (2003) führt an, dass die Auswahl der Themen für einen nationalen Expertenstandard primär aus pflegeepidemiologischen Gründen erfolgt, welche wie im Falle des Dekubitus zu den großen Pflegeproblemen in unserer Gesellschaft zählen. Des Weiteren legt sie dar, dass vor allem bei der professionellen Bearbeitung der Dekubitusprophylaxe Qualitätsverbesserungen in der Pflegepraxis zu erwarten sind (vgl. Francois-Kettner 2003, 18). Dies offenbart, dass das Thema Dekubitus eine vielschichtige Relevanz für jeweils unterschiedliche Bereiche und Personengruppen aufweist. Im Folgenden gehen wir auf die Relevanz für Betroffene und deren Angehörige sowie die Berufsgruppe der Pflegenden und die Gesellschaft im Allgemeinen sowie auf haftungsrechtliche Aspekte ein.
Die zu Pflegenden sollen im Mittelpunkt pflegerischen Handelns stehen. Dies erscheint uns oft lediglich als eine Phrase. Im Bereich der Dekubitusprophylaxe jedoch kann ein Abweichen von diesem Grundsatz mit einer hohen Einschränkung der Lebensqualität bis hin zu gesundheitsgefährdenden und lebensbedrohlichen Zuständen einhergehen. Die Dekubitusprophylaxe ist für die Betroffenen und deren Angehörige von großer Bedeutung, da ein entstandener Dekubitus mit Schmerzen, Einschränkungen der Selbständigkeit, sozialer Isolation und reduzierter Lebensqualität einhergeht (vgl. MDS 2002, 16; vgl. DNQP 2002, 31, vgl. Steingaß et al. 2004, 802, vgl. IGAP 2005, 1). „Die Therapie nimmt häufig Monate in Anspruch und jede Bewegung und Aktivität wird zur Qual“ (IGAP 2005, 1). Unserer Ansicht nach wird außerdem das Verhältnis zwischen Pflegekraft und zu Pflegendem belastet, da es durchaus möglich sein kann, dass der oder die zu Pflegende das Vertrauen in die Pflegeperson verliert. Es stellt besonders bei längeren „Pflegebeziehungen“ ein aufgebautes Vertrauensverhältnis unter Umständen auf den Prüfstand. Zudem können Betroffene und Angehörige Schuldgefühle entwickeln, da sie den Eindruck gewinnen, aus Unfähigkeit oder mangelnder Kooperationsbereitschaft Schuld oder Mitschuld an der Entstehung zu haben (vgl. Bienstein et al. 1997, 27). Dies führt zur psychischen Belastung der Betroffenen. Ohne hier weiter auf Details einzugehen, ist für uns klar ersichtlich, dass der oder die Betroffene ein überaus hohes Interesse an einer professionell durchgeführten Dekubitusprophylaxe beziehungsweise Behandlung haben wird, nicht zuletzt um gesund und schmerzfrei bleiben zu können.
Für die Pflegenden als Berufsgruppe wird speziell im Krankenhausbereich relevant sein, dass voraussichtlich ab 2007 der „Generalindikator Dekubitus“ durch die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS), einem Unterausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses, eingeführt wird. Die Pilotphase hierzu begann bereits am ersten November 2005. Dort wurde das neue Qualitätsmessverfahren, welches das Auftreten von Dekubitalulzera im gesamten Krankenhausbereich messen soll, auf seine Anwendungstauglichkeit gestestet (vgl. BQS 2005, 1). In diesem Zusammenhang und in Verbindung mit der Tatsache, dass gehäuft noch eine uneinheitliche Vorgehensweise unter der Pflegenden anzutreffen ist (vgl. IGAP 2005, 1; vgl. Bartholomeyczik 2005, 22), bei der „ (...) aus Unkenntnis oder veraltertem Fachwissen unsachgemäße pflegerische Handlungen (...) durchgeführt“ werden (IGAP 2005, 1), wird unseres Erachtens nach deutlich, warum eine wissenschaftlich fundierte Dekubitusprophylaxe in der beruflich-pflegerischen Praxis von hoher Wichtigkeit ist.
In der pflegerischen Praxis wird im Allgemeinen das Nichtvorhandensein eines Dekubitus als ein exponiertes pflegerisches Qualitätsmerkmal definiert, ein entwickelter Dekubitus hingegen wird vom Pflegepersonal einem Pflegefehler gleichgesetzt, was wiederum intraindividuell Schuldgefühle beim Personal auslösen kann. Schuld aber hat nur derjenige, der Pflegehandlungen zur Dekubitusprophylaxe unterlässt. Eine erfolgreiche Dekubitusprophylaxe stellt einen wichtigen psychischen Eigenschutz für die Pflegekräfte dar (vgl. Bienstein et al. 1997, 26/27). Im Verhältnis von Dekubitustherapie mit Hilfe von ärztlich verordnetem „Wundmaterial“ und der Dekubitusprophylaxe als pflegegenuine Aufgabe ist nach unserer Recherche in der Bedeutungsdimension für Pflegende eine gewisse Diskrepanz festzustellen. Die Dekubitustherapie genießt eine höhere Wertschätzung bei den Pflegenden als die Dekubitusprophylaxe, was wohl damit zusammen hängen kann, dass ein Dekubitus in Entwicklung, Verlauf und Heilung beobachtet werden kann, aber die Wirkung der Dekubitusprophylaxe nicht sichtbar ist. Auch die hohe Affinität der Therapie eines Dekubitus mit der therapeutischen Arbeitweise der medizinischen Berufsgruppe trägt wohl hierzu bei. Insbesondere weil viele Pflegende sich nach wie vor über medizinische und nicht über pflegerische Aufgaben definieren. Dadurch werden originär pflegerische Tätigkeiten wie etwa die Dekubitusprophylaxe mangelhaft wahrgenommen (vgl. Bienstein et al. 1997, 28). Unserer Meinung nach trifft die letztere Aussage nicht mehr in dem Ausmaß zu, da die anhaltende Professionalisierung der Berufsgruppe der Pflegenden zu einer positiven Veränderung innerhalb der beruflichen Identifikation geführt hat.
Zur Wahrnehmung von Tätigkeiten innerhalb der Dekubitusprophylaxe und deren Bedeutung für die Pflegenden wird außerdem darauf hingewiesen, dass der Abwechslungsreichtum bei der Anwendung pflegerischer Handlungen als wertvoller erlebt wird. In diesem Zusammenhang wird erläutert, dass ein Lagerungswechsel als alleinige Maßnahme zur Dekubitusprophylaxe als Minimalpflege definiert wird, das Anwenden mehrerer verschiedener Maßnahmen gleichzeitig als Maximalpflege (vgl. Bienstein et al. 1997, 29). Auch diese Aussage entspricht unserer Meinung nach nicht mehr gänzlich dem Zeitgeist, was wiederum durch den Einzug der Professionalisierung zu erklären ist. Pflegende sind heute eher bereit, sich Wissen über Fachzeitschriften und Bücher anzueignen, wenn ihnen diese Materialen zur Verfügung gestellt werden. Die Hauptverantwortung beim Bildungsmanagement kommt dabei unserem späteren Tätigkeitsfeld, dem Pflegemanagement, zu. Durch die Sensibilisierung der Pflegekräfte für das Thema Dekubitus und dessen Prophylaxe sowie dem gleichzeitigen Einzug externer Qualitätssicherung wie beispielsweise über den nationalen Expertenstandard erfolgt die Ausrichtung der Pflege zunehmend anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse. Um die Bedeutung der Dekubitusprophylaxe für die Gesellschaft schemenhaft darzulegen, gebietet sich unserer Ansicht nach die Betrachtung der Kostenintensität in der Behandlung von Dekubitalulzera und ferner, wie das Thema innerhalb der Bevölkerung diskutiert wird.
Bienstein et al. (1997) stellen beispielsweise die Frage, ob ein Gesundheitssystem oder ein Kostenträger die Pflicht hat, die besten und eventuell auch teuersten Mittel zur Prophylaxe und Therapie einzusetzen. Des Weiteren wird dargelegt, dass am Einsatz von personellen und finanziellen Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe die Wertschätzung erkennbar ist, die eine Institution der Lebensqualität seiner Kunden entgegenbringt (vgl. Bienstein et al. 1997, 36). Dabei wird darauf hingewiesen, dass es keine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern vielmehr aus ethischer Sicht strikt geboten ist, der Dekubitusprophylaxe vor der -therapie den Vorrang einzuräumen (MDS 2001, 55). Eine sachgerechte Dekubitusprophylaxe ist zudem kostengünstiger als eine aufwändige Dekubitusbehandlung (vgl. MDS 2001, 55; vgl. Bienstein et al. 1997, 36). Die exakte Bestimmung der Folgekosten erscheint uns hierbei aufgrund der komplexen Folgeerscheinungen im Allgemeinen und den von uns gesichteten Untersuchungen im Speziellen schwer fassbar. Die durchschnittlichen Kosten für eine Therapie können sich bis auf ca. 50.000 € belaufen, was sich auf einen volkswirtschaftlichen „Schaden“ von ca. 1,5 Mrd. bis 3,0 Mrd. € beläuft (vgl. IGAP 2005, 1). Andere Schätzungen gehen von 1,5 Mrd. – 4 Mrd. DM aus (Pelka 1997, In: Müller/ Hollmann-Karsten 2004, 410; Panfil/Mayer 2000, 584). Schätzungen gehen außerdem davon aus, dass ca. 400.000 Personen (Leffmann et al. 2002, 5) oder sogar 750.000 bis 1,5 Millionen Menschen an einem Dekubitus leiden (Panfil/Mayer 2000, 584). Da gesicherte Fallzahlen nur in Ansätzen vorliegen, ist eine Berechnung der entstehenden Kosten für das Gesundheitssystem eher nicht zu realisieren (Leffmann et al. 2002, 5). In den USA belaufen sich die Kosten für über eine Million Betroffene in den Krankenhäusern auf 55 Milliarden Dollar jährlich (vgl. National Decubitus Foundation 2002, 1). Im europäischen Bereich schwanken die Angaben zur Prävalenz[3] in zahlreichen Arbeiten zwischen 2,2% und 25% und zur Inzidenz[4] zischen 0,04% und 85% (Püschel u. a. 1999, In: MDS 2002, 9). Dabei ist festzuhalten, dass in Deutschland nur wenige Veröffentlichungen zur Prävalenz von Dekubitalulzera existieren (Tauche 1993, Leffmann et al. 1997, Püschel et al. 1999, In: MDS 2001, 9 und DNQP 2002, 30).
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