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Religiöses Lernen

Subjektive Theorien von ReligionslehrerInnen

AutorAndrea Lehner-Hartmann
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl328 Seiten
ISBN9783170234659
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis44,99 EUR
Jenseits von Lehrplänen und Bildungsreformen wird die Unterrichtspraxis vom Selbstverständnis und den Zielen der Lehrenden mitbestimmt. Welche 'subjektiven Theorien' von religiösem Lernen haben die Betreuungspersonen von ReferendarInnen? Die Betonung des 'Andersseins' von Religionsunterricht, die in der Untersuchung deutlich wird, birgt die Gefahr in sich, dass Religion und religiöses Lernen am Rand von Schule und schulischem Lernen angesiedelt wird. Das verlangt nach vermehrter Arbeit, Religion im Lebensraum Schule sichtbar zu machen, um sie selbstbewusst in den Diskurs mit anderen Disziplinen einzubringen und zu einem pluralitätsfähigen Umgang in der Schule beizutragen.

Ao. Univ.-Prof. MMag. Dr. Andrea Lehner-Hartmann ist Leiterin des Instituts für Praktische Theologie in Wien.

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Leseprobe

1.       Religiöses Lernen und religiöse Bildung


1.1.      Lernen und Bildung im gesellschaftspolitischen Alltagsdiskurs


Lernen und Bildung sind zwei Begriffe, die miteinander eng in Beziehung stehen, wobei nicht immer klar zu sein scheint, wie deren Beziehung tatsächlich aussieht. Im öffentlichen Diskurs werden sie meist überhaupt nicht unterschieden, sondern synonym verwendet. Dies scheint nicht zuletzt darin begründet zu sein, dass wir es hier mit Begriffen zu tun haben, die keine einheitliche und eindeutige Begriffsgeschichte aufweisen können, sondern historisch und kontextuell stark geprägt sind. Dass dabei die unterschiedlichen Interessen und Absichten zum Tragen kommen, die die jeweilige Zeit und den Kontext, aus dem heraus sie formuliert werden, charakterisieren, ist als evident anzusehen und erklärt die sehr unterschiedlichen, oft auch widersprüchlichen und konfligierenden Verständnisweisen von Lernen und Bildung. So haben aktuell Wirtschaft und Politik andere Lern- und Bildungsbegriffe als die Pädagogik. „Wenn sich eine Gesellschaft über pädagogische Begriffe wie ‚Lernen‘ und ‚Wissen‘ definiert und von hier den Sinn von ‚Bildung‘ zu erfassen sucht, wird einerseits die Rolle von Bildungsinstitutionen und -abschlüssen aufgewertet, während andererseits Bildung selbst unterbestimmt bleibt“10. In diesem Kontext scheint Lernen den klareren Begriff abzugeben. Seine wichtige Rolle wird im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wissen, Können und Qualifikationen unbestritten anerkannt und erhält mit der Forderung des „lebenslangen Lernens“ sowohl für den Einzelnen als auch für die jeweiligen gesellschaftlichen Bereiche einen prominenten Platz auf Dauer. Bildung hingegen muss für viele gesellschaftliche Bestrebungen und Entwicklungen Pate stehen ohne sich selbst dadurch bestimmen zu können. „Bildung“ ist bei jedem Problem als General- oder Teillösung schnell zur Hand und gilt als wichtigstes Zauberwort für individuelle und gesellschaftliche Entwicklung, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit, friedvolles Zusammenleben etc… Mit ihm werden Verheißungen verbunden, die in Aussicht stellen, „dass ein individueller Werdensprozess schlummernde Potenziale entfaltet, die gegen das Negative gesellschaftlicher Krisen gerichtet werden können.“11 Bildung soll gleichsam „jenes Vakuum füllen, das mit dem Wegfall der religiösen Gewissensschärfung entstanden ist. Gerade die Herstellung von Loyalität, Berechenbarkeit oder Verlässlichkeit ist in den technisch hochgerüsteten Gesellschaften mit ihrer Überanfälligkeit und Fragilität von existentieller Bedeutung.“12 Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei die Bildungsinstitution „Schule“, die bei jedem neu auftretenden Problem neue „Bildungsaufgaben“ übertragen bekommt.

Aber auch die scheinbare Klarheit über den Begriff des Lernens, den jeder ganz selbstverständlich verwendet, trügt.13 „Lernen – das war zumindest den Griechen der Klassik deutlich vor Augen, und darum stritten mittelalterliche Philosophen und Theologen – ist kein einfaches Phänomen, zu dem sich jeder nach Belieben äußern kann. Lernen berührt alle grundlegenden Fragen des Menschen. Die Palette der Antworten reichte von der Unmöglichkeit des Lehrens (Augustinus) bis hin zum Optimismus, alle alles von Grund auf lehren zu können (Comenius). Stets war man bemüht, Rechenschaft über die Bedeutung des Lernens abzulegen. Das hat sich bis in unsere heutige Zeit vollständig geändert. Lernen zu verstehen, scheint kein schwieriges Problem zu sein. (…) Es gibt gleichsam überhaupt keinen Laien auf diesem Gebiet. Jeder kann mitreden. Lernen ist banalisiert und trivialisiert worden. Alles, was sich verändern kann, lernt: Systeme, Gesellschaften, Regionen, Maschinen, Radios, intelligente Dinge wie der Kühlschrank, der seinen Inhalt kontrolliert und Buch darüber führt. In einer Gesellschaft flexibler Menschen meint Lernen eine Art opportuner Anpassung an soziale Erfordernisse. (…) Lernen aber“ so lautet eine der leitenden Thesen von Käte Meyer-Drawe, „ist ganz und gar nicht durchschaut. (…) Es gibt mehr Fragen als Antworten, sobald man sich auf das konkrete Leben einlässt und etwas zu begreifen versucht, das man streng genommen nicht bezeugen kann wie alle Vollzüge, durch welche wir auf uns selbst, auf unsere Welt und auf die anderen antworten.“14 Elmar Anhalt hebt hervor, dass jene, die aktiv oder beobachtend im Erziehungssystem agieren, dies vielfach ohne theoretische Fundierung vornehmen und in erster Linie ihren subjektiven Vorstellungen oder Vorstellungen, die aus pädagogikfremden Kontexten stammen, folgen.15 Diese Erkenntnis legt es nahe, den subjektiven Vorstellungen in Zukunft vermehrt Bedeutung zukommen zu lassen. Im Hinblick auf religiöses Lernen gibt der zweite Teil dieser Arbeit in den Falldarstellungen einen Einblick.

Wenn im historischen Rückblick besehen einmal Bildung und einmal Lernen stärker in den Vordergrund traten oder sogar ein Begriff durch den anderen ersetzt wurde, so verschwand doch keiner der Begriffe endgültig.16 Zumindest für den deutschen Sprachraum gilt, dass beide Begriffe nur als eng miteinander verwobene zu verstehen sind, wenngleich einer durch den anderen nicht (gänzlich) substituierbar ist. Auch in dieser Arbeit steht in erster Linie nicht die strikte Abgrenzung beider Begriffe im Sinne eines unversöhnlichen Gegenübers zur Diskussion, sondern deren Beziehung, ohne deren jeweilige Spezifik in einem platten Synonymismus aufzulösen. Aufmerksamkeit gilt es dabei jenen inhaltlichen und historischen Prägungen der jeweiligen Bildungs- und Lernbegriffe zu widmen, die einen Hinweis darauf geben, wie sehr beide Begriffe aneinander gekoppelt sind. So lässt sich mit Ludwig Pongratz zunächst festhalten: „Bildung ist nicht denkbar ohne Lern- und Unterrichtsprozesse – und doch hat Unterricht nicht notwendig Bildung zur Folge. Bildung ist auch nicht denkbar ohne ein Mindestmaß an vorausgegangener erzieherischer Hilfe – und doch hat Erziehung nicht notwendig Bildung zur Folge. (…) Keiner ist ohne Rückgriff auf den anderen reflektierbar. Erst im wechselseitigen Bezug wandelt und klärt sich ihre Bedeutung.“17 Die jeweiligen Begriffsbildungen tragen bestimmte normierende Annahmen in sich, die auch die anderen Begriffe prägen. So lassen psychologische Lerntheorien ein anderes Bildungsverständnis erkennen als philosophisch-pädagogische und in umgekehrter Weise prägen pädagogische Bildungskonzepte den Lernbegriff mit Inhalten und Charakteristika, die sich von jenen psychologischer Zugangsweisen erkennbar unterscheiden.

1.2.       Grenzziehungen und Wegweisung


Neben dem oft inhaltsarmen, aber verheißungsvollen Gebrauch von Bildung in der Alltagssemantik lässt sich im Kontext von Wissenschaft im letzten Jahrhundert auch eine gewisse Ambivalenz bis hin zur Abwehr im Umgang mit dem Begriff Bildung bemerken. Dies zeigt sich daran, dass er vielfach nur unter Anführungsstrichen bzw. nur mehr in zusammengesetzter Form als Schulbildung, Ausbildung, Weiterbildung, etc. verwendet oder gänzlich durch Sozialisation, Lernen oder Erziehung zu ersetzen versucht wurde. Nach Nipkow verkommt Bildung in dieser inflationären Verwendung zu einem bedeutungsleeren Wort, das pauschal Erziehungs-, Unterrichts- und Ausbildungsvorgänge und ihre Einrichtungen bezeichnet. „Der Begriff ist als normatives Konzept zerfallen und scheint als deskriptiv-analytische Kategorie unbrauchbar zu sein.“18

Diese Entwicklung macht deutlich, dass sich der Begriff durch seine Herkunft aus Aufklärung und Idealismus im Widerspruch von gesellschaftlicher Anpassung als Ziel von Bildung, wie sie am besten durch die Schule gewährleistet wurde und wird, und der Forderung nach dem aus der Selbst-Entfremdung befreiten Subjekt verstrickte.19 Während das Individuum unter den Stichworten Kompetenz, Standardisierung, Selbstorganisation, Evaluation etc. bestmöglich und uniform auf die gesellschaftlichen Herausforderungen zugerüstet werden soll, soll gleichzeitig verhindert werden, dass es durch jene Institutionen, die diese Formationen vorgeben, sich selbst entfremdet wird. Im Hinblick auf die Bildungsinstitution Schule konstatiert Nipkow, dass dieses Paradoxon nicht einholbar ist, sondern dass Bildung, die Entfremdung überwinden wollte, als institutionalisierte, verschulte Bildung selbst zu entfremdeter Bildung geworden ist. Darüber hinaus wird auch das Bestreben, dass Bildung Zusammenhänge bewahren will, durch verschulte Bildung und verschultes Lernen weitgehend verhindert.20

Auch die Erfahrungen aus dem Dritten Reich entzauberten die Heilserwartungen, die sich oftmals mit Bildung im...

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