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Alternative Pädagogik: Geborgenheit, Stimulation & Herausforderung

AutorAlexandra Ludwig, Ina Schumacher, Petra Hoffmann
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl239 Seiten
ISBN9783656891697
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Im elementarpädagogischen Ansatz der Reggio-Pädagogik spielt neben den Erziehern der Raum eine entscheidende Rolle und auch im Waldkindergarten ist die Umgebung ein entscheidender Faktor. Sie gibt Geborgenheit, stellt Herausforderungen und liefert natürliche Anreize für die Kinder. Wie auch in der Montessori- und Waldorfpädagogik, soll das Kind selbst Konstrukteur seiner Entwicklung, seines Wissens und Könnens sein. Autonomes Lernen mit allen Sinnen entsteht durch freie Entfaltung, die Wissbegierde und die Kreativität der Kinder zeigen dabei die Richtung auf. Im Gegensatz zu klassischen Konzepten leiten die Pädagogen die Kinder hier an, ohne sie zu etwas zu zwingen. Dieses Fachbuch gibt einen Überblick über alternative pädagogische Konzepte vom Kindergarten bis zur Schule. Aus dem Inhalt: Waldorfpädagogik Montessoripädagogik Das Klassenzimmer als dritter Pädagoge Waldkindergarten Reggio-Pädagogik

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Leseprobe

3.      Aktuelle Rahmenbedingungen der Klassenraumgestaltung


Historische Wurzeln sind eine Quelle moderner Klassenzimmergestaltung. Darüber hinaus sind jedoch die momentane gesellschaftliche Situation in Deutschland, sowie gesetzliche Rahmenbedingungen des Schulbaus zu berücksichtigen. Dadurch entsteht ein objektives Bild der pädagogischen, aber auch der gesetzlichen Anforderungen an heutige Klassenräume.

 

3.1      Gesellschaftliche Rahmenbedingungen - Veränderte Kindheit


„Seit in der Bundesrepublik die Geburtenrate drastisch zurückgegangen ist – etwa um die Hälfte in den vergangenen 20 Jahren –, ist das öffentliche Interesse an Kindheit und an Kindern erheblich gestiegen.“ (Fölling-Albers 1995, S. 13). Als Kindheit wird heute der Lebensabschnitt von der Geburt bis zum Beginn der Pubertät bezeichnet. Historisch betrachtet ist der Begriff in den westlichen Industrieländern als qualitativ eigenständige Entwicklungs- und bewusste Erziehungsphase erst seit wenigen hundert Jahren gesellschaftlich anerkannt. Unter den Stichwörtern „Veränderte Kindheit“ oder „Kindheit im Wandel“ stehen die stark veränderten gesellschaftlichen Bedingungen des Aufwachsens der Kinder seit den 1970er Jahren bis heute im Mittelpunkt pädagogischer Diskussionen (vgl. Fölling Albers 2004b, S. 230f.). Wesentliche Merkmale veränderter Kindheit sind:

-         die Pluralisierung der Lebens- und Familienformen;

-         eine zunehmende Müttererwerbstätigkeit;

-         die Liberalisierung der Erziehungsnormen und -stile;

-         höhere Bildungserwartungen an die Kinder;

-         gestiegener Wohlstand und erweiterte Konsummöglichkeiten;

-         mehr institutionalisierte Förder- und Freizeitangebote;

-         kleiner gewordene Spielgruppen;

-         das Aufwachsen in einer kulturell und ethnisch pluralen Gesellschaft;

-         die Erfahrungen mit neuen Medien (vgl. ebd., S. 231).

-         Um die daraus resultierenden Anforderungen an heutige Schulräume herauszufinden, genügt es eine Auswahl der genannten Punkte näher zu erläutern.

 

a)      Die Liberalisierung der Erziehungsnormen und -stile

Erziehung orientiert sich heute mehr und mehr an wissenschaftlichen Konzepten und ist durch eine gesamtgesellschaftliche Liberalisierung in den Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen gekennzeichnet. Die Abkehr von puritanischen Erziehungstraditionen und die damit verbundene Hinwendung zu mehr kindlicher Eigenständigkeit werden in einer kindzentrierten, allerdings auch unsicheren Erziehungspraxis deutlich. Von der Familie wird durch die neuen Erziehungskonzepte ein ständiger Wandel gefordert, während im gesamtgesellschaftlichen Umfeld kaum Bereitschaft zur Veränderung besteht und Kriterien der Leistung sowie der Zweckrationalität dominieren. Hinzu kommt, dass die eigene Biografie individueller geplant und realisiert werden kann, während früher gesellschaftlich vorbestimmte Schicksale die Regel waren (vgl. Fölling-Albers 1995, S. 70f.).

Der wachsenden Autonomie des Kindes sowie der damit verbundenen Herausforderung der Selbstdisziplinierung muss die Schule mit veränderten Interaktionsstilen in Unterricht und Erziehung begegnen: durch Einführung von Gruppenarbeit, „offenem Unterricht“, Klassenkonferenzen bzw. kooperativer Verhaltensmodifikation, die höhere Anforderungen an die Autonomie und Selbststeuerung der Beteiligten stellen. (vgl. Sieland 2004, S. 133). Die Realisierung solcher Arbeitsformen erfordert Veränderungen in der Gestaltung des Klassenraums.

b)      Erweiterte Konsummöglichkeiten und die Erfahrung mit neuen Medien

Kinder wachsen heute in veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen auf: „Die Reizüberflutung durch Konsum, Verkehr und Medien zeigt ihre Wirkung. (…) Viele Kinder haben einen Fernseher, ein Radio, einen Walkman und einen Computer, durch die Erlebnisse häufig aus zweiter Hand vermittelt werden.“ (Fischer 1993, S. 27). Mangelnde Konzentrationsfähigkeit ist die Folge dieser reizintensiven Beschäftigungen, die das Verarbeitungsvermögen des Kindes übersteigen. Zudem entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Eindrücken und Ausdrucksmöglichkeiten.

Das Konsumieren von Medien und Gütern, wie Fertigspielwaren (Barbiepuppen, Überraschungseifiguren, Videospielen usw.) kann zu einer Reduktion der Eigentätigkeit des Kindes führen (vgl. Garlichs 1995, S. 138). Die Eigentätigkeit als schöpferischer Akt ist jedoch die materielle Basis der Erkenntnisfähigkeit und die Grundlage des Selbstbewusstseins. Eigenständig geplante, nacherfundene, konstruierte oder wiederholt gefertigte Spielgegenstände spiegeln das Können des Kindes wider und stärken so das Selbstwertgefühl (vgl. Garlichs 1995, S. 138). Die geringe Eigentätigkeit und somit das mangelnde Lernen aus dem eigenen Schaffensprozess resultieren oft aus fehlenden Lernmöglichkeiten. Gerade Kinder, die in den Städten aufwachsen, besitzen ein eigenes Zimmer angefüllt mit Fertigspielzeug. Freunde besuchen sie eigenständig eher selten. Zu gefährlich sind die stark befahrenen Straßen. Diese Kinder gestalten ihre Spielumwelt nicht selbst – sie ist vorgefertigt.

Schule muss deshalb fehlende Lernmöglichkeiten des Lebens ausgleichen und Schädigungen der Kinder entgegenwirken. „Je weiter sich Kinder im Dschungel der Medien- und Konsumwelt verfangen haben, desto notwendiger ist es, daß die Schule daneben andere Interessen entwickelt und fördert.“ (ebd., S. 141f.). Schule muss:

-         das eigene Werk gegen das kommerzielle Warenangebot stellen,

-         eigene sinnliche Erfahrungen ermöglichen und so den Medienerfahrungen aus „zweiter Hand“ entgegenwirken,

-         das eigenständige Denken fördern, damit Kinder vorgefertigten, stereotypen Welt- bzw. Medienbildern mündig begegnen können (vgl. ebd., S. 141).

Zusammenfassend muss Schule mehrdeutige Situationen, die zur phantasievollen Auseinandersetzung anregen, den monotonen computergerechten Interaktionen gegenüberstellen. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, müssen Klassenräume in spezieller Weise gestaltet sein. Es genügt nicht, wenn Schüler in frontal ausgerichteten Räumen die Vorträge des Lehrers, ähnlich wie die des Fernsehers, passiv aufnehmen. Die Kinder müssen in einer anregenden Lernumgebung eigenständig aktiv werden können.

c)       Kleiner gewordene Spielgruppen

„Für die soziale Kinderwelt ist es sehr bedeutsam, daß es viel weniger Kinder gibt. (…) In der Grundschule [eines] Bezirks, die oft nur noch eine Jahrgangsklasse, selten mehr als zwei Parallelklassen führt, befinden sich fast alle Kinder des Schulbezirks, also aus einem Umkreis von zehn bis zwanzig Minuten Fußweg um die eigene Wohnung herum. Die soziale Kinderumwelt, aus der man seine Freunde und Spielkameraden auswählen muß, ist also heute viel dünner besiedelt.“ (Krappmann; Oswald 1995, S. 95f.; Anpassung: P.H.). Anstatt eines weit verzweigten Freundschaftsnetzes prägen heute stabile Zweierbeziehungen, welche über Jahre andauern, das Sozialleben der Grundschüler.

Außerdem werden Spielgruppen für Gemeinschaftsspiele aufgrund des Kindermangels aus anderen Motiven als früher zusammengestellt und aufrechterhalten. Streitsuchende oder Kinder, die sich den Regeln der Spielgruppe nicht unterordnen, können heute nicht mehr so einfach durch die Gruppe vom Spiel ausgeschlossen werden, da dadurch das Spiel möglicherweise zusammenbrechen würde. Der Gruppendruck und die selbstregulierte Übung der Kinder im Sozialverhalten kann nicht mehr stattfinden (vgl. ebd. S. 97f.). Weder kann die Gruppe den Streitsuchenden vom Spiel ausschließen und ihn so zu sozialerem Verhalten bewegen, noch bekommt das betroffene Kind eine Chance, sich eine Spielgruppe zu suchen, die seiner Vorstellung von Sozialverhalten eher entspricht. Außerdem findet die Bildung großer Kindergruppen meist unter Aufsicht eines Erwachsenen in der Schule, im Hort oder im Verein statt, was eine selbstorganisierte bzw. selbstregulierte Gruppenbildung verhindert.

Viele Untersuchungen zeigen, so die Autoren Lothar Krappmann und Hans Oswald, dass Beziehungen zu Gleichaltrigen und Freundschaften die Kommunikation, Strategien des Aushandelns, das Verständnis für Regeln und Überzeugungen und die Einsicht in wichtige Zusammenhänge der materiellen, sozialen und physischen Realität fördern. Das resultiere daraus, dass das Kind im gleichaltrigen Gegenüber auf einen gleichberechtigten Beziehungspartner trifft, was im Hinblick auf Erwachsene nicht der Fall ist. Ihnen gegenüber hat das Kind immer eine untergeordnete Position, die sich nicht verhandeln lässt (vgl. ebd. S. 101).

Die geschilderten Faktoren der Sozialumwelt heutiger Grundschüler müssen in einem...

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