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Die Frau Müller hat mir schon wieder die Zähne geklaut!

Aus dem bewegten Leben einer Altenpflegerin - aufgeschrieben von Carina Heer

AutorStefanie Mann
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641146504
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Ein Porträt des Altenheimlebens - Nahaufnahmen einer eigenen Welt
Altenpflegerin ist ihr Traumberuf. Schwester Stefanie liebt ihren Job, weil sie die Alten liebt - mit all ihren Schrullen und Macken. Ob bettlägerig und kaum noch in der Lage, sich zu rühren, oder so dement, dass sie weder sich selbst noch die Familie erkennen: Stefanie Mann kann mit den Bewohnern lachen und streiten, Scherze machen und traurig sein. Denn noch im bemitleidenswertesten Pflegefall steckt ein Fiesling oder auch ein Schatz, und das spiegelt sich in den Geschichten, die Stefanie erzählt. Die sind mal witzig, mal derb und auch mal krass, aber immer voller Zuneigung und Lebenslust - so komisch und berührend wie das Leben selbst.

Stefanie Mann, geboren 1988, tätowiert, gepierct, ist eigentlich gelernte Autolackiererin. Doch schon bald entschied sie sich, eine ganz andere Leidenschaft zum Beruf zu machen, und absolvierte eine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft. Heute übt sie ihren Traumberuf aus und erlebt mit 'ihren Alten' so manches Abenteuer. 'Stefanie Mann' ist ein Pseudonym.

Carina Heer ist freie Autorin und Lektorin und war unter anderem für Random House und die Münchner Verlagsgruppe tätig.

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Leseprobe

Guten Morgen, liebe Sorgen

Eigentlich hätte ich es mir ja denken können. Für die erfahrene Altenpflegerin ist manchmal schon bei geschlossener Tür zu erkennen, was der Tag wieder so an Überraschungen für sie bereithält – für den erfahrenen Altenpfleger natürlich auch. (Ich sag jetzt hier trotzdem einfach mal Altenpflegerin. Frauen sind ja doch in diesem Beruf eindeutig in der Überzahl. Dabei könnten die körperlichen Belastungen, die diese Tätigkeit mit sich bringt, sicherlich viel besser von einem Mannsbild mit einem Kreuz so breit wie eine Tür ausgehalten werden. Aber die Bezahlung ist schlecht, da ist es nur folgerichtig, dass die bessere Hälfte der Weltbevölkerung in diesem Beruf arbeitet.)

Nun, hätte ich meine Nasenlöcher offen gehalten, dann hätte ich sicherlich schon am Geruch erkennen können, dass Gerd mir mal wieder ein ganz besonderes Geschenk machen möchte. Dass ich nicht vorgewarnt war, lag wohl daran, dass ich in Gedanken noch immer mit meinem Schicksal gehadert habe. So krass wie heute hat es mich nur selten erwischt: Um 5 Uhr angerufen zu werden, ist dann doch eher die Ausnahme. Ich hatte mir für den Vortag extra Frühschicht geben lassen und für den Tag nach meinem Geburtstag Spätschicht, sodass ich fast 48 Stunden frei gehabt hätte – na ja, Pech gehabt. Wenn eines in unserem Job sicher ist, dann die Tatsache, dass man sich auf seine Dienstpläne nie wirklich verlassen kann. Dabei hatte mir der freie Tag sowieso zugestanden, und zwar als Ausgleich für Mariä Himmelfahrt, den 15. August, an dem ich auch gearbeitet habe, übrigens wieder als Ersatz.

Für jeden Feiertag und Sonntag, an dem man arbeitet, steht einer Pflegekraft nämlich ein freier Tag zu. Bei einem Sonntag muss der Ausgleich innerhalb von zwei Wochen erfolgen, bei einem Feiertag innerhalb von acht Wochen. Wir haben jetzt Anfang Oktober. So viel dazu. Aber was beklage ich mich überhaupt noch? So oft, wie hier mal geschoben und da getauscht wird, hat sowieso keiner mehr den Überblick. Den Begriff »Wochenende« kennen wir in der Pflege sowieso nicht, weshalb viele meiner Freunde häufig ziemlich angepisst sind, wenn ich für langfristige Wochenendplanungen nicht zu haben bin. Bezeichnenderweise müssen wir laut Gesetz auch nur fünfzehn Sonntage im Jahr freihaben. Aber genug gejammert. Jetzt heißt es ackern bis halb zwei – und eigentlich war es ja doch eine ganz nette Überraschung.

»Vielen Dank, Gerd. Das ist lieb von dir! Das nehm ich gleich mal mit!«

Ich drücke ihm einen dicken Schmatzer auf seine trockene Wange, die ganz zart nach Kölnisch Wasser duftet, und werfe danach ein bisschen wehmütig die wirklich sehr schöne Wurst in die Toilette, wo sie hingehört.

Jetzt ist detektivisches Geschick gefragt. Was muss alles gereinigt und gewaschen werden? Normalerweise müsste ich hier nur auf den Pflegeplan zurückgreifen, in dem genau steht, welche »Dienstleistungen« an welchem Bewohner erbracht werden müssen. Säuberlich aufgelistet findet sich hier alles, von der Körper-, Haar- und Zahnpflege über den Toilettengang bis zum richtigen Umgang mit den Alten. Frau Huber ist dement und derzeit auf dem Stand ihres 12-jährigen Ich. Sie wird daher mit Franziska angesprochen. Sogar das Betreten des Raumes und Begrüßen des Bewohners ist hier genauestens festgehalten. Lachen Sie nicht! Für manche rüpelhafte Pflegerin ist das ein wichtiger Hinweis. Außerdem können sich neue Kollegen mithilfe des Pflegeplans optimal auf die jeweiligen Bewohner einstellen, bei einer mündlichen Übergabe können schließlich viele Informationen verloren gehen. Mit dem Plan fällt nichts unter den Tisch. Wenn man sich allerdings wie ich schon seit über zwei Jahren annähernd jeden Morgen um Gerd kümmert, ist man auf diesen Plan nicht mehr angewiesen, außer Gerd bekommt mal wieder ein neues Pülverchen, das vor Dienstbeginn für ihn vorbereitet werden muss.

Das ist aber nur der normale Ablauf. Nach dem Törtchen-Zwischenfall ist mir klar, dass es heute mit dem Standardprogramm nicht getan ist. Auch nachdem ich die Wurst in der Toilette versenkt habe, erkenne ich am Geruch in der Luft, dass hier noch etwas im Busch ist. Gleich auf den ersten Blick sehe ich, dass Gerd sich nicht eingestuhlt hat, direkt aus der Unterhose hat er sich mein Geschenk also nicht geholt. Dann hat er es wohl doch noch bis zum Klo geschafft und das Meisterstück aus der Schüssel gefischt.

Ich triumphiere, als die eindeutigen Spuren am Boden um die Toilette herum meine Vermutung bestätigen. Jetzt ist die Sache leicht – da heißt es einfach nur logisch vorgehen. Demente sind ja keine Verrückten, die plötzlich anfangen, expressionistische Gemälde mit ihrem Stuhlgang an die Wand zu schmieren. Nein, auch Gerd hat sich ganz »normal« verhalten. Nachdem er die Wurst aus der Schüssel gefischt hat, hat er sie erst mal in sein Zimmer getragen, auf dem Teller, der auf dem Tisch stand, abgelegt, sich dann mit beiden Händen auf der Tischplatte abgestützt und zuletzt die Hände an seinem Nachthemd abgewischt. Ich weiß also, wo ich putzen muss. Beim letzten Mal hatte er mir sein Geschenk noch liebevoll in Servietten eingewickelt, seine Suche im Schrank und sein Basteln auf dem Tisch hatten weit größere Spuren hinterlassen. Heute geht es dagegen etwas schneller mit dem Saubermachen.

Nachdem ich Gerd dann auch noch die letzten Spuren seiner Überraschung unter den Fingernägeln hervorgekratzt habe, hebe ich noch einmal schnüffelnd den Kopf. Der Profi erkennt so schnell, ob ein Zimmer »dekontaminiert« ist oder nicht. Nur noch ein Hauch von Shampoo und Kölnisch Wasser in der Luft. Alles bestens also – und ich bin erleichtert. Wir hatten vor einiger Zeit einen Fall, bei dem wir die Quelle des Gestanks einfach nicht ausfindig machen konnten. Zwei Helfer habe ich, sage und schreibe, eine Stunde danach suchen lassen – gefunden haben die beiden nichts. Nun, was soll man machen? Nach zwei Tagen hört es dann auf zu stinken, und so findet man manchmal erst nach einem Todesfall die Hinterlassenschaften an den versteckten Stellen. In diesem Fall hatte die Bewohnerin Stuhlgang an die Unterseite einer Schublade geschmiert. Da soll erst mal einer drauf kommen.

Während der gesamten Prozedur hat Gerd gut gelaunt vor sich hin gegrinst, und wir haben uns darüber unterhalten, was es heute hoffentlich zu essen gibt. Das ist das Schöne an den Dementen: Ihnen ist häufig nicht bewusst, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Wesentlich schlimmer ist es da für die, die eigentlich noch voll da sind, aber nicht anders konnten und sich dann furchtbar schämen. Die typische Ausgangssituation bei solchen Fällen ist eine normale Verstopfung. Wenn drei Tage nichts ging, gibt es Lactulose oder ein Zäpfchen. Das putzt ordentlich durch und verschafft Erleichterung, wenn es mal nicht mehr wie früher geht: »Also, ich versteh das nicht. Früher ging des einwandfrei. Und heut ist’s, als ob’sd ’nen Backstein rausdrücken möchtest!«

Nun ja, durch die Abführmaßnahme geht es dann doch manchmal etwas zu zügig: »Schwester, ich war dreimal aufm Klo, aber jetzt … jetzt ist es gekommen … so schnell kann man gar nicht sein. Mensch, das tut mir jetzt echt leid!«

Aber, wie ich gerne sage: Kein Grund, sich (Achtung! Schenkelklopferalarm!) ins Hemd zu machen, dafür bin ja ich da. »Was raus muss, muss raus, Frau Huber. Ich mach das ja gerne.«

Einfach locker mit der Situation umgehen, dann braucht sich niemand schämen, und das Malheur ist gleich behoben.

Wobei es mir schon das Herz zerreißt, wenn das Geschäft bei jemandem, der eigentlich noch gut in Schuss ist, danebengeht und er dann versucht, das Ganze allein wegzuputzen, sich dabei dann selber schmutzig macht, das Waschbecken verstopft und das Ganze nur noch viel weiter auf dem Boden verschmiert. Oder aber, wenn er zwar alles sauber bekommt, vorher jedoch mit den Hausschuhen reingetreten ist und dann doch alles im Zimmer verteilt.

»Ach, Schwester Steffi, ich schäm mich so.«

Aber dafür gibt’s keinen Grund, und schon bin ich auf allen vieren und habe ruck, zuck alles beseitigt. Ein kleiner Tipp für alle, die jemanden zu Hause pflegen: Um festgetrocknete Kotreste von der Haut zu entfernen, hilft am besten Babyöl. Wenn meine Bewohner dann wieder sauber und duftig vor mir sitzen, dann weiß ich, weshalb ich mich für diesen Beruf entschieden habe:

»Danke Schwester… jetzt fühl ich mich wieder richtig gut!«

Gerd wirft mir eine Kusshand zu, als ich die Tür hinter mir zuziehe. Ich hätte gern noch ein bisschen mit ihm geplaudert, aber die Zeit läuft, und durch das Geschenk-Intermezzo bin ich etwas im Verzug. Bis zum Frühstück um 8 Uhr ist nicht viel Zeit, und wir, das heißt die anderen Fachkräfte, die Pflegehelfer und ich, müssen bis dahin alle »Fitten« gewaschen, gekämmt, rasiert (auch die Damen; wobei manche ja behaupten, es läge an meiner Rasiererei, dass sie mit achtzig einen stärkeren Bartwuchs haben als ein Zwanzigjähriger) und angezogen haben.

Die »Fitten« sind alle, die noch laufen oder sich alleine im Rollstuhl fortbewegen können. Darunter fallen also paradoxerweise häufig auch die schwer Dementen. Die zeichnen sich nämlich durch einen ungeheuren Bewegungsdrang aus, der manchmal gar nicht zu stoppen ist. Während einige Bewohner zum Beispiel extra um ein Bettgitter bitten, weil sie Angst haben, nachts aus dem Bett zu fallen (sie müssen dieser »freiheitsentziehenden Maßnahme« sogar schriftlich zustimmen),...

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