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E-Book

Paardynamik

Methodenspezifische und methodenübergreifende Beiträge zur Psychotherapie im Paar- und Einzelsetting

AutorGabriele Rass-Hubinek, Renate Hutterer-Krisch
VerlagFacultas / Maudrich
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783990308264
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Dieses Buch beschäftigt sich mit verschiedenen Ansätzen der psychotherapeutischen Behandlung von Problemen der Paardynamik. Theoretische und praktische Aspekte der Behandlung paardynamischer Probleme werden aus Sicht bekannter Vertreter psychotherapeutischer Methoden tiefenpsychologi-scher, verhaltenstherapeutischer, humanistischer und systemischer Orientierung dargestellt. Diese me-thodenspezifischen Beiträge werden durch methodenübergreifende Beiträge ergänzt, wie sie sich in letzter Zeit in Fortbildungen für die Behandlung von Paardynamiken verbreitet haben. Paardynamische Konzepte und Interventionen werden dadurch für Paar- und EinzeltherapeutInnen anderer Methoden, für PsychologInnen und andere professionelle HelferInnen sowie auch für interessierte Laien transpa-rent. Das vorliegende Buch kann vielleicht bei der Entscheidungsfindung sowohl der passenden Methode als auch des passenden Settings eine wichtige Hilfe darstellen. Beide Entscheidungen können wesentlich zum Erfolg der psychotherapeutischen Behandlung beziehungsweise zum Erreichen der Ziele des Paares beitragen. Historische Beiträge und ihr Aktualitätsbezug sowie das Thema der interkulturellen Paarbildung als Folge von Globalisierung und Migration runden das Bild ab. Häufig vernachlässigten Themen der Sexualität werden eigene Kapitel gewidmet.

Dr. Renate Hutterer-Krisch Psychologin, Psychotherapeutin, Praxis für Paarcoaching und Psychotherapie, Integrative Gestaltthera-pie, Individualpsychologie, Imago Beziehungstherapie, Supervision. Zahlreiche Lehrtätigkeiten und Pub-likationen, u.a. 'Grundriß der Psychotherapieethik' www.paarcoaching.at Mag. Gabriele Rass-Hubinek Psychotherapeutin in freier Praxis, Integrative Gestalttherapie, Systemische Familientherapie, Imago Beziehungstherapie, Sexualtherapie am Ibp-Institut in der Schweiz. www.gaby.rass-hubinek.at

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Leseprobe

Familiengeschichte der Paardynamiken – Paardynamiken in der Familiengeschichte


von Alessandro Barberi


für Reinhard Sieder

Aufhebung der Familie! Selbst die Radikalsten ereifern sich über diese schändliche Absicht

der Kommunisten. Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie?

Auf dem Kapital, auf dem Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie;

aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit

der Proletarier und der öffentlichen Prostitution.

(Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der kommunistischen Partei, 1848)

So gewinnt die Familie für den Konservativen ihre besondere Bedeutung als Bollwerk

der von ihm bejahten Gesellschaftsordnung. Daher kommt es auch,

daß sie in der konservativen Sexualwissenschaft

eine der am schärfsten verteidigten Positionen ist.

(Wilhelm Reich: Die sexuelle Revolution, 1945)

Die Familie ist der Kristall im Sexualitätsdispositiv: sie scheint eine Sexualität zu verbreiten,

die sie in Wirklichkeit reflektiert und bricht.

Mit ihrer Durchlässigkeit und ihren Verweisen nach außen

ist sie für dieses Dispositiv eines der wertvollsten taktischen Elemente.

(Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit 1 – Der Wille zum Wissen, 1976)

1. Linien der Familiengeschichte bis 1900

Wahrscheinlich spielt der Problemkreis der Familie nicht zuletzt ob seiner bevorzugten Rolle im Rahmen der Reproduktion (von Generationen, Genealogien und Genen) sowie der Sozialisation (von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur) eine dermaßen eminente Rolle (Burguière et al., 1986). Dabei unterlag die Familie in der Neuzeit parallel zu entscheidenden wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Wandlungen (z. B. die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals im Umfeld der Renaissance, Französische Revolution, industrielle Revolution, Wirtschaftswunder oder Mai 68) grundlegenden Veränderungen. Dahingehend kann deutlich gemacht werden, dass die Rationalisierung Europas (Weber, 1980), der Strukturwandel der Öffentlichkeit (Habermas, 1962/1990) oder der Zivilisationsprozess (Elias, 1969/1997) mit eminenten Strukturierungen, Restrukturierungen und Destrukturierungen der Familie in direktem Zusammenhang steht. So konstituiert sich der hochkommende Kapitalismus in der Neuzeit nach Habermas im Brennpunkt der Familie:

„Denn natürlich ist die Familie von dem Zwang nicht ausgenommen, dem die bürgerliche Gesellschaft wie jede vor ihr unterstand. Sie spielt ihre genau umschriebene Rolle im Verwertungsprozeß des Kapitals. Sie garantiert als ein genealogischer Zusammenhang die personelle Kontinuität, die sachlich in der Akkumulation des Kapitals besteht und im Recht auf freie Vererbung des Eigentums verankert ist.“ (Habermas, 1990, S. 111)

Parallel zu diesem familialen Scharnier der Reproduktion der Eigentumsverhältnisse wird in der Familie auch die Geschichte der Sexualität auf der Ebene einer zivilisationsgeschichtlichen Longue durée in das Private und „Intime“ verlagert. Norbert Elias analysierte in diesem Sinne die Geschichte des Schlafzimmers oder des Nachtkleids und hob hervor:

„Auch die Sexualität wird im Prozeß der Zivilisation mehr und mehr hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens verlegt und in einer bestimmten Enklave, der Kleinfamilie, gleichsam eingeklammert; ganz entsprechend werden auch im Bewußtsein die Beziehungen zwischen den Geschlechtern eingeklammert, ummauert und ,hinter die Kulissen‘ verlegt.“ (Elias, 1997, S. 340)

Dabei wurde oftmals unterstellt, dass die sich historisch spät konstituierende bürgerliche Kleinfamilie seit jeher Grundlage der Menschheitsgeschichte gewesen sei. Dementgegen können vielerlei – vergangene und gegenwärtige – Beispiele dafür gebracht werden, dass sie nur eine – und keineswegs historisch konstante – Form der Familie und der mit ihr verbundenen, historisch variablen Familiengeschichte der Paardynamiken darstellt. Erst mit dem Aufstieg des Bürgertums im Rahmen der Neuzeit kristallisiert sich die bürgerliche Familie langsam als Norm und normative Vorgabe heraus und wird wirtschafts- und sozialgeschichtlich erst im 19. Jahrhundert sozialisatorisch „breitenwirksam“. Dabei orientierte sich die Familiengeschichtsforschung lange am Modell des „ganzen Hauses“ (Brunner, 1968a), der diesbezüglichen Quellenbasis der „Hausväterliteratur“ (Brunner, 1968b) und der damit verbundenen „Hausfamilie“ im Gegensatz zur „Verwandtschaftsfamilie“. Erst in den 1980er- und 1990er-Jahren wurde unter Historiker*innen deutliche Kritik an diesem Modell geübt (Opitz, 1994).

Parallel zur sogenannten Proto-Industrialisierung (Kriedte et al., 1998) setzt aber auf jeden Fall im späten 18. und dem frühen 19. Jahrhundert mit einer breiten sozialgeschichtlich nachweislichen Alphabetisierung und der Expansion des Schulsystems sowie mit dem Aufkommen von Manufakturen und Fabriken eine Entkopplung von häuslicher Familie und Wirtschaft ein. Auch mit der entstehenden Arbeiter*innenbewegung wird das moderne Erwerbsleben mit seinem von der Kindheit zum Alter reichenden Lebensbogen „von der Wiege bis zur Bahre“ (Ehmer, 1990) und damit das Private (die orale Mutter) vom Öffentlichen (der skripturale Vater) getrennt und „ausdifferenziert“. Das sich von feudalen Abhängigkeiten endgültig lösende Bürgertum, das sein eigenes ödipales Dreieck des bürgerlichen Familienmodells zur Norm erhob, wird sich im zu erziehenden Kind, der privaten Mutter und dem öffentlichen Vater ein Modell geben, das einer tiefgreifenden Transformation und Entwicklung des Kapitalismus entspricht. Reinhard Sieder hat deshalb u. a. festgehalten:

„In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war erstmals eine soziale und wirtschaftliche Struktur entstanden, in der sich die Hoffnung und die Idee eines bürgerlichen Familienlebens verbreiten konnte. Bankiers, Kaufleute, die ersten kapitalistischen Unternehmer, höhere Beamte, Gymnasiallehrer, Richter und Pastoren, die Angehörigen freier, intellektueller Berufe – also Menschen mit durchaus unterschiedlichen Erwerbsund Arbeitsformen – hatten eines gemeinsam: Sie trennten ihren Wohn- und Lebensbereich immer stärker von den Stätten ihres Gelderwerbs ab, sie bildeten sukzessive eine Privatsphäre aus.“ (Sieder, 1987, S. 125)

Dabei ist die sogenannte „Kernfamilie“ in verschiedenen christlichen Denominationen religionsgeschichtlich durch die Heilige Familie von Jesus, Maria und Josef abgesegnet, stabilisiert und auch der Arbeiter*innenbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts als role model perfekter Paardynamik moralisierend aufgezwungen worden. Dieses bürgerliche und patriarchale Familienmodell wurde dabei auch historisch an den Anfang der Geschichte zurückprojiziert, wo dementgegen auch kommunitäre Matriarchate vermutet wurden.

Auch wenn man an die Studien von Philippe Ariés (1978) oder Arlette Farge (1989) denkt, wird deutlich, dass es im 18. Jahrhundert auf breiter Ebene weder bürgerliche Kindheit noch Kinderzimmer gab, da Kindheit und Jugend – wie auch das Alter – im modernen Sinne als erfahrbare Lebensabschnitte (etwa durch den Aufbau des Bildungssystems und später des Sozialstaats) erst im Entstehen begriffen waren. Geschlechtergeschichtlich kann dabei hervorgehoben werden, dass die klare Unterscheidung von Mann (Vater) und Frau (Mutter) samt ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche sich erst im 19. Jahrhundert wahrnehmen lässt. Karin Hausen betonte dabei angesichts des diesbezüglichen Auseinandertretens von Genderkonstellationen (vgl. auch Scott, 1986; Fraisse, 1996):

„Wenn im Laufe des 19. Jahrhunderts die Polarisierung der ,Geschlechtscharaktere‘ im Bürgertum eine immer größere Verbreitung fand, so ist die Ursache hierfür nicht allein in den immer deutlicher ausgeprägten Unterschieden der häuslichen und außerhäuslichen Arbeitsbereiche zu suchen. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger, ist der Umstand, dass gleichzeitig auch die Bildungspolitik darauf hinwirkte, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu vertiefen.“ (Hausen, 2013, S. 43)

Ist es – frei nach Habermas – der bourgeoise Freihandel und die Akkumulation von Kapital, die den bürgerlichen Vater im Vater Staat hervorbringt, so kann – parallel zur industriellen Revolution – auch darauf verwiesen werden, dass er nun verstärkt und auf breiter gesellschaftlicher Ebene in seine rechtliche Rolle als Unternehmer oder öffentlich Bediensteter eintritt und in der Öffentlichkeit auf der Ebene der Skripturalität mit seiner Unterschrift buchstäblich bürgt. Der Mutter in der Mutter Natur (und ihrem von...

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