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E-Book

Mein größtes Rennen

Was mich Huskys, Schnee und Eis über das Leben lehren

AutorSilvia Furtwängler
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783644406704
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ein entwaffnend ehrliches Buch über das Älterwerden, den Umgang mit emotionalen Krisen und über die bedingungslose Liebe zu ihren Tieren. Es ist das längste und härteste Hundeschlittenrennen Europas, über 1200 Kilometer hoch im Norden von Norwegen - das Finnmarksløpet. 2018 muss Silvia Furtwängler den Wettkampf nach wenigen Tagen abbrechen. Tiefe Selbstzweifeln plagen sie: Hat sie ihre Hunde überfordert? Ist sie inzwischen zu alt für diesen Sport? Soll sie ihre Tiere womöglich verkaufen? Doch Aufgeben kam für sie noch nie infrage. Sie spürt noch immer die Glut der Abenteurerin in sich, und ein Jahr später tritt Silvia erneut an. Aber dann läuft es in ihrem Team wieder nicht rund. Reichen Motivation und Kampfgeist dieses Mal, um ans Ziel zu kommen?

Silvia Furtwängler, geboren 1961 in Köln, betreibt seit 29 Jahren Schlittenhundesport und nahm 2001 erstmals am Yukon Quest teil. Sie wanderte 2008 nach Norwegen aus. 2014 nahm sie als einzige Westeuropäerin am Volga Quest in Russland teil - und gewann. Davon und vom Abenteuer Auswandern erzählt sie in ihrem 2015 erschienen Buch «Nordwärts».

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Leseprobe

2 U-Boot-Rohr mit Flatterohren an der Wasseroberfläche


Die Ohren flogen, die Freude war ihnen anzumerken, mit ungestümer Lauflust warfen sie sich nach vorne, stemmten sich gegen den Wind. Die ganze Plackerei am Morgen war nicht umsonst gewesen. Endlich konnte ich meinen Hunden eine Abwechslung bieten, es ging rauf und runter, nicht nur ständig geradeaus. Donna lief mit im Team, meine zehnjährige Dame, sie hatte beschlossen, noch nicht in Rente zu gehen. Obwohl klein und kompakt, demonstrierte sie für alle sichtbar, dass sie zu einem wunderschönen Trab fähig war. Als wir mit dem Training begannen und sie die Wiese vor dem Kennel sah, drehte sie regelrecht auf, um geradeaus in den Zwinger zu kommen – noch bevor ich das Kommando geben konnte, das sie zum Abbiegen nach rechts anhielt: Gee (sprich: dschi). Erstaunt schaute Donna mich an. Wie? Nicht zum Zwinger? Ihre Teamkollegen und -kolleginnen gaben ihr zu verstehen: «Hey, nicht geradeaus, geht nicht, wir müssen nach rechts.» Einen Moment lang sah man ihr an, was sie dachte: Mist, noch eine Runde. Aber dann entschied sie, dass es auch für sie zu früh war, sich in ihrer Hundehütte lang auszustrecken. Eine Teamplayerin gab nicht so ohne weiteres auf.

Besonders im Visier hatte ich Darcy, sie war als Leaderin eingespannt und somit das Vorbild für das gesamte Team, sie sollte die anderen anspornen, bloß nicht aufzugeben und an gemütliches Fressen zu denken. Alles zu seiner Zeit. Sie kannte den Trail in- und auswendig – bis auf die neue Canyon-Etappe. Ich war gespannt, wie sie auf die Route reagieren würde. Darcy gab gern den Ton an. Dann aber auch wieder nicht. Genau das konnte ich nicht vorhersagen, das war jedes Mal ein Abenteuer. Für den Schlittenhundesport keine gute Ausganglage.

An sich war Darcy ja ein ordentlicher Hund, nicht so vogelwild wie ich, die es auch gern mal querfeldein versuchte, jedenfalls in meinen Gedanken, nicht bei einem Rennen. Mit Vorliebe orientierte sie sich an Markern, alles sollte seine Richtigkeit haben. Dann aber – kaum zu glauben – suchte dieser schlanke Hund mit seinen entzückenden Schlappohren nach dem Trail, obwohl sie mitten draufstand. Unfassbar. Wie konnte man von einem Moment auf den anderen so orientierungslos sein? Was fuhr in solchen Augenblicken in sie? Ich hatte keine Ahnung.

Und nun der Canyon. Fast hatten wir ihn passiert. Problemlos. Fast konnte ich aufatmen. Doch nur nicht zu früh, dachte ich. Ich war ziemlich ermattet, unentwegt hatte auch mir der Wind ins Gesicht geblasen, zum Glück waren es bis zum Kennel nur noch fünf Kilometer. Bislang hatte bei dieser Trainingseinheit wirklich alles wie am Schnürchen geklappt, doch plötzlich hob Darcy den Kopf, ihr langer, giraffenartiger Hals präsentierte sich im windschnittigen Team wie ein U-Boot-Rohr mit Flatterohren an der Wasseroberfläche. Eindeutiges Alarmsignal. Nein!

«Darcy, was ist los? Was willst du mir damit sagen? Hast du dich mal wieder in Dorie verwandelt?» Dorie ist in dem Film Findet Nemo eine Paletten-Doktorfisch-Dame, die kurzzeitig ihr Gedächtnis verliert und dann «Huch» und «Hach» ausstößt, wenn ihr etwas Merkwürdiges widerfährt. Und genauso verhielt sich Darcy, wenn sie auf einmal glaubte, nicht zu wissen, wo sie sich gerade befand.

«Huch» und «Hach» gab nun auch Darcy von sich. Huch, wo bin ich denn? Hach, was soll denn dieser Marker hier, der hat doch woanders zu sein, der hat hier nichts zu suchen? Hektisch guckte sie nach links, nach rechts, als wollte sie auch noch den Erdmännchen Konkurrenz machen.

«Fragst du dich, wo der Trail ist? Darcy, du musst dich das nicht fragen, du bist auf ihm. Du brauchst ihn nicht zu suchen, du hast ihn schon gefunden.»

Immer hektischer blickte sie umher, ihre Augen schienen zu fragen: «Was soll das? Früher sind wir immer auf dem Traktortrail gelaufen. Das war eine solide Angelegenheit. Wieso schickst du mich hierher, was soll ich denn in diesem blöden Canyon? Ich will zurück auf die alte Strecke.»

«Ganz ruhig. Ich wollte euch mal was anderes bieten! Eine Abwechslung. Damit ihr wieder Spaß am Laufen habt.»

«Ich will aber keine Abwechslung, ich will den Trail, den ich kenne. Basta. Habe ich meinen Traktortrail, habe ich auch Spaß am Laufen. Kannst du das denn nicht begreifen?»

«Ich verstehe dich gut, Darcy. So wie du jeden Tag Fisch willst, so willst du auch keine Abweichung bei der Route. Morgen darfst du die alte Strecke wieder laufen, aber jetzt könntest du mir den Gefallen tun und weiter auf diesem Trail vorankommen. Ich habe nämlich heute Morgen einige Stunden gebraucht, um ihn zu brechen. Du siehst doch die Markierungen, schön hintereinander aufgereiht, das müsste dir doch gefallen.»

«Die Arbeit hättest du dir sparen können.» Darcy seufzte regelrecht auf, und mit ihren Ohren driftete sie plötzlich ab wie ein Segler. Findet Nemo war nicht mehr angesagt, stattdessen Vom Winde verweht.

«Hey, du läufst falsch, du rennst geradewegs in den Tiefschnee hinein. Bist du noch bei Sinnen? Was soll das? Im Tiefschnee musst du stampfen, da kannst du nicht einfach über den Trail tänzeln. Das ist viel zu anstrengend und auch gefährlich. Was ist nur in dich gefahren?»

Keine Reaktion. Ich war für den Hund nicht mehr existent. Darcy hörte nicht mehr auf mich, jedes Kommando, das sie zur Umkehr Richtung Trail bewegen sollte, drang nicht in ihre Ohren. Und weil sie eine solche Dominanz im Team hatte, rebellierte auch kein anderer Hund, ganz gleich ob weiblich oder männlich. Sie hatte das Ruder übernommen: «Wir gehen hier entlang», und jeder andere folgte ihr gehorsam, ließ sich von ihr beeinflussen, unterdrücken. Was auch immer.

Was war nur mit meiner Superleaderin los? Wieso erkannte sie nicht die Marker, die den Trail absteckten? Wollte sie sie in ihrem Eigensinn nicht wahrnehmen? Wieso fand sie es nicht zu mühsam, durch den weichen Schnee zu stapfen? Und wieso meckerten und meuterten die anderen nicht? Waren die denn alle verrückt geworden? Wie auch immer, Darcys Gebaren war ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir neben der Spur liefen. Als Leaderin zeichnete sie das nicht aus. Doch das war ihr schnurzegal, weiter und weiter lief sie in den Tiefschnee hinein, schwamm geradezu in ihm wie Dorie im Korallenriff, mal nach links, mal nach rechts schauend.

Ich hörte auf, Kommandos zu geben. Schon früher hatte ich in ähnlichen Situationen die Erfahrung gemacht: Je mehr Befehle ich gab, desto selbständiger entschied Darcy, wohin die Reise gehen sollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Schlitten zu stoppen und die in Dorie verwandelte Darcy an ihrer Leine zu packen. Ich hatte keine andere Wahl, ich führte sie eigenhändig zurück auf den Trail, sonst wären wir wer weiß wo gelandet. Ich konnte regelrecht fühlen, als ich sie an der Leine zog, dass sie auf einem schlechten Trip war. Klar war mir auch, dass ich sie heute von diesem nicht mehr runterkriegen würde.

Und wie würde es morgen sein? Was war nur in Darcy gefahren? Was in das Team? Weil mir graues Wetter oder Whiteout auf Dauer zu schaffen machten, vermutete ich Ähnliches bei den Hunden. Darcy war so eine Gewissenhafte, aber irgendwie hatte wohl auch sie manchmal die Schnauze gestrichen voll von dieser Ödnis. Jedenfalls war das meine Vermutung. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Wenn ich schon so empfand, dann mussten auch meine Hunde so empfinden. Oder war das ein Irrtum, dem ich da aufsaß?

Doch wenn meine Vermutung richtig war, was konnte ich tun? Sollte ich vielleicht die Reißleine ziehen, Varmevoll in dieser restlichen Trainingssaison den Rücken zukehren, die Koffer packen, die Hunde einladen und nach Schweden fahren, wo laut Wetter-App seit Oktober die schönste Wintersonne schien? Immerhin hatten wir schon Anfang Dezember. Freunde hatten mir schon vor einigen Tagen dazu geraten. Hätte ich ein anderes Geschlecht, wäre ich ein Mann, hätte ich wohl ohne zu zögern das Weite gesucht, den Platz an der Sonne. Steven kam gut ein paar Tage allein zurecht, aber ich würde bei einer solchen Entscheidung Wochen, ja Monate unterwegs sein, bis zum Beginn des Rennens im kommenden März. Das war keine Option, ich war Mutter, und Jürgen würde auch bald wieder für längere Zeit aufbrechen, an die polnische Ostsee, der konnte sich dann auch nicht um seinen Sohn kümmern.

Voller Wehmut dachte ich in diesem Moment an mein zweites Yukon-Quest-Abenteuer in Kanada und Alaska. Beim ersten Start hatte ich ja zusammen mit Steven im Schlittensack trainiert, beim zweiten Anlauf hatte ich egoistisch entschieden: «Ich trainiere allein, ich nehme Steven dieses Mal nicht mit.» Und dann geschah auch das, was mir bei meinem ersten Versuch nicht gelungen war: Ich konnte das Rennen finishen, zu Ende bringen, lief mit meinem Team durch die Ziellinie. Auch wenn ich keinen der vordersten Plätze belegt hatte, ich hatte es geschafft. Vorderste Plätze nahmen damals sowieso nur Männer ein, die sich ganz auf ihr Training konzentrieren konnten, die nicht zwischendurch Wäsche waschen oder kochen oder Brot backen mussten, wenn man nach einem Sechzehnstundentag nach Hause kam. Oder jene wenigen Frauen, denen alles von ihren Partnern abgenommen wurde. Mir stellte niemand ein Essen hin, wenn das Training vorbei war, eher stellte ich mich dann noch für meine beiden Männer an den Herd. Mir fehlte die Zeit, die andere Musher hatten, um sich mehr auf sich und das Training zu konzentrieren, sich mental detailliert vorzubereiten. So banal das vielleicht auch klang, aber es war nicht zu ignorieren, dass ich noch eine zweite Arbeit besaß, die sich Haushalt nannte.

Wir waren endlich im Kennel angekommen. Darcy hatte...

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