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Wer profitiert von der Care-Migration wirklich? Privathaushalte als Arbeitsplatz für Migrantinnen

VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl155 Seiten
ISBN9783960955566
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel - zum Beispiel bei den Familienstrukturen und Geschlechterrollen. Die Beschäftigung von Haushalts- und Putzhilfen, Kinderbetreuern und Pflegekräften ist so für viele Familien in Deutschland zum Alltag geworden. Vor allem für Migrantinnen ist dieser Arbeitsmarkt attraktiv. Viele Frauen migrieren deshalb aus den sogenannten Ländern der Dritten Welt in die Länder der Ersten Welt. Diese Publikation prüft, ob davon wirklich beide Seiten profitieren. Denn Schwarzarbeit ist in diesem Bereich weit verbreitet, Schätzungen gehen von 80 bis 90 Prozent aus. Die Migrantinnen führen außerdem in der Regel ein transnationales Leben. Deswegen stehen die Entsende- sowie die Aufnahmeländer als potenzielle Gewinner oder Verlierer im Zentrum der Analyse. Aus dem Inhalt: -Care-Migration; -Care-Arbeit; -Gender; -Arbeitsmigration; -Ausbeutung

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Leseprobe

2 Care-Arbeit als Herausforderung des Alltags


 

2.1 Begriffsklärung


 

Als Erstes lässt sich beobachten, dass es viele Formulierungsvarianten des Wortes „Care-Arbeit“ gibt. So wird sie in unterschiedlichen Quellen auch Care, Sorgearbeit, Fürsorgearbeit, Pflegearbeit, Familienarbeit, Haus(halts)arbeit, Versorgungsarbeit sowie Reproduktionsarbeit genannt (vgl. Lutz 2009, S. 41).[6] An dieser Stelle ist es notwendig, die Begriffe „Care“ und „Care-Arbeit“ zu definieren.

 

Das Wort „Care“, das aus dem englischen Sprachraum stammt und häufig mit drei C’s, und zwar „Cooking“, „Caring“ und „Cleaning“, beschrieben wird (vgl. Anderson 2000; 2006, zit. n. Lutz 2007, S. 21), hat viele semantische Bedeutungen, wie etwa „caring about“, die eher emotionale Sorge impliziert, „take care of yourself“, die im Kontext von Selbstsorge und Sorge für andere Personen zu verstehen ist, sowie „taking care of“, die aktive Sorgetätigkeiten beinhaltet. Insgesamt schließt Care den kompletten Bereich personenbezogener Fürsorgemaßnahmen ein. Dazu gehören Kindererziehung, Betreuung und Pflege alter oder kranker Menschen sowie Begleitung und Unterstützung in schwierigen Lebenslagen, die sowohl innerhalb der Familie stattfinden als auch von einer Institution, wie etwa Kindergarten, Schule oder Altersheim, geleistet werden (vgl. Brückner 2011, S. 207; Lutz 2016, S. 261). Darüber hinaus umfasst Care sachbezogene Haushaltsarbeiten, und zwar Kochen, Waschen, Putzen oder Wäschepflege (vgl. Thiessen 2004, zit. n. Lutz 2007, S. 20).[7]

 

Brückner bezeichnet Care als einen lebensnotwendigen Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenlebens:

 

„Aus der Care-Perspektive sind wir alle sorgebedürftig, denn die Tatsache menschlicher Bedürftigkeit, Verletzlichkeit und Endlichkeit beinhaltet, dass alle Menschen am Anfang, viele zwischenzeitlich und sehr viele am Ende ihres Lebens versorgt werden müssen. Ebenso universell haben alle Menschen die grundsätzliche Fähigkeit zur Fürsorglichkeit und sind somit potenzielle Sorgende“

 

(Brückner 2009, S. 1, zit. n. Jurczyk 2010, S. 61).

 

Laut Hochschild beinhaltet der Begriff „Care-work“ „Wissen, Handeln und Gefühle“ (Hochschild 1995, zit. n. Lutz 2009, S. 41). Darunter versteht man Trösten, Körperpflege und Versorgung mit Essen. Im Unterschied dazu werden im deutschsprachigen Raum unter dem entsprechenden Begriff „Fürsorgearbeit“ die oben beschriebenen Tätigkeiten nicht selbstverständlich impliziert, denn man geht in diesem Zusammenhang vor allem aus der Konnotationen wie etwa „Menschenliebe“ beziehungsweise „Wohltätigkeit“ aus (vgl. Lutz 2009, S. 41).

 

Gather, Geissler und Rerrich schreiben der Care-Arbeit ebenso einen engen Zusammenhang mit Emotionen zu. Darüber hinaus stellen sie die Frage, ob diese Tätigkeiten eigentlich ohne Einbezug von Liebe erledigt werden können (vgl. Gather et al. 2008, S. 8).

 

Apitzsch definiert Care als Selbstsorge und Sorge für die geliebten Menschen, zu denen insbesondere Familienmitglieder gehören. Die Care-Tätigkeiten bilden den Mittelpunkt des privaten Lebens, denn sie finden zum größten Teil zu Hause statt, wo Menschen sich von Belastungen im Arbeits- und öffentlichen Leben erholen, und sind eng mit intimsten Beziehungen sowie Bedürfnissen verbunden (vgl. Apitzsch 2014, S. 143). Im Weiteren deutet die Autorin in Anlehnung an Arendt darauf hin, dass Care alle anderen Lebensbereichen rahmt:

 

„Kein Teil der uns gemeinsamen Welt wird so dringend und vordringlich von uns benötigt wie das kleine Stück Welt, das uns gehört zum täglichen Gebrauch und Verbrauch. [...] Daher wird das, was in den Bereich dieser Notwendigkeit gehört, [...] unter den Sorgen und Nöten der Menschen stets den ersten Platz einnehmen“

 

(Arendt 1989, S. 67, zit. n. Apitzsch 2014, S. 143).

 

Care umfasst die Zurverfügungstellung aller unabdingbaren Bedingungen, die Menschen zur täglichen Wiederherstellung der körperlichen Verfassung sowie des ganzen sozialen Umfelds brauchen. Ihre Aufgaben beinhalten die Reproduktion des Lebens, wie etwa Kinder zur Welt zu bringen und sie zu erziehen (vgl. Apitzsch 2014, S. 143).

 

Lutz stellt folgende Aspekte des Begriffs „Care“ fest:

 

1)    Es geht um Tätigkeiten, die informell, aber auch als Beruf ausgeübt werden;

 

2)    Care ist als Arbeit zu verstehen, die größtenteils in Frauenhänden bleibt;

 

3)    Es geht um reproduktive Arbeit, die nicht wertgeschätzt ist und dementsprechend unbezahlt bleibt, während die Lohnarbeit als produktive Arbeit weitaus mehr Anerkennung bekommt (vgl. Lutz 2009, S. 41).

 

2.2 Historische Entwicklung von Care-Arbeit


 

Obwohl Care von ausschlaggebender Bedeutung für die „Erzeugung von Lebensverhältnissen, Nahrung, Kleidung, Wohnung“, „Fortpflanzung der Gattung“ und „Erzeugung von Menschen selbst“ ist, was Engels und Marx im 19. Jahrhundert bestätigten, wurde sie immer gering geschätzt (Engels 1975/1884, S. 28, zit. n. Apitzsch/Schmidbaur 2010, S. 11). Beispielsweise schon in der römischen Antike waren es ausschließlich Frauen und SklavInnen, die unterschiedliche Care-Tätigkeiten erledigten, was Arendt folgendermaßen beschreibt:

 

„Frauen und Sklaven gehörten zusammen, zusammen bildeten sie die Familie, und zusammen wurden sie im Verborgenen gehalten, aber nicht einfach, weil sie Eigentum waren, sondern weil ihr Leben „arbeitsam“ war, von den Funktionen des Körpers bestimmt und genötigt“

 

(Arendt 1989, S. 69, zit. n. Apitzsch 2014, S. 143).

 

Die Verbindung von Care-Arbeit mit Sklavenarbeit und Frauenarbeit wurde auch von Thomas More thematisiert. So wurde Care-Arbeit in seinem Werk „Utopia“ von arbeitenden Ausländerinnen, die auch als „freiwillige Sklavinnen“ bezeichnet wurden, erbracht. More zufolge würde die Erledigung von Care-Tätigkeiten oder „all the rough and dirty work“ von BewohnerInnen von Utopia zu ihrer Entmenschlichung führen. Zu bemerken ist, dass physisch anstrengende und dreckige Tätigkeiten in Mores Utopia zu den Pflichten der Sklavinnen gehörten, während andere Aufgaben, wie etwa das Kochen und die Versorgung der Kinder, auf Frauen übertragen wurden (vgl. More 1965, S. 82, zit. n. Apitzsch 2014, S. 143). Daraus folgert Apitzsch, dass spezifische Verpflichtungen, die bestimmte Anstrengungen fordern und wichtig für die Reproduktion des Alltags sind, als unpassend für Männer gelten, dürfen aber auch nicht von Sklavinnen erledigt werden, um die Qualität der Arbeit nicht zu beeinträchtigen. Außerdem sind diese Aufgaben Frauen wegen ihrer natürlichen Fähigkeiten zugeschrieben (vgl. Apitzsch 2014, S. 143).

 

Die Umverteilung von Care-Tätigkeiten auf familienfremde Personen fand, wie es sich aus der Geschichte ergibt, häufig statt. Ein Beispiel dafür ist das Dienstmädchenphänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, in dem junge unverheiratete Frauen sach- sowie personenbezogene Haushaltsaufgaben in Privathaushalten verrichteten (vgl. Lutz 2007, S. 24). Aus den Arbeiten von Dorothee Wierling und Karin Walser geht hervor, dass dieses Phänomen überwiegend in Städten innerhalb bürgerlichen Familien stattfand. Die damaligen Dienstbotinnen stammten aus ärmlichen Verhältnissen und verfügten über ein niedriges Bildungsniveau (vgl. Wierling 1987, zit. n. Lutz 2007, S. 24; Walser 1985, zit. n. ebd.). Marianne Friese bezeichnet die Urbanisierung und Industrialisierung als die wichtigsten Gründe für die Beschäftigung von Frauen in Privathaushalten. Im Jahr 1862 machte der Anteil der weiblichen Dienstmädchen 40 % aus (vgl. Friese 1991, zit. n. ebd.). Die sogenannte Gesindeordnung regelte die ungleichen Verhältnisse zwischen den Dienstmädchen und ArbeitgeberInnen. Im Jahr 1906 gründeten Dienstbotinnen in Nürnberg einen gewerkschaftlichen Verein. Das erste Treffen wurde von circa 1000 Frauen besucht. Ihre Ziele waren die Auflösung der Gesindeordnung sowie die Veränderung der Gesetze zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, wie etwa Reduzierung der Arbeitsstunden, bessere Verpflegung sowie monatliche Kündigungsfrist (vgl. Lutz 2007, S. 24-25).

 

Tronto geht davon aus, dass Care die wichtige gesellschaftliche Aufgabe hat, die die Gewährleistung von Rahmenbedingungen für demokratische Beteiligung von Menschen beinhaltet. Daraus folgt nicht nur die tiefe gesellschaftliche Verankerung von Care-Tätigkeiten, sondern auch die Problematik der Gerechtigkeit sowie die Notwendigkeit von Umverteilung, Beteiligung und Anerkennung. Die Trennung von Arbeit in produktive und reproduktive begünstigt geringes Ansehen von in Privathaushalten erbrachten fürsorgerischen Aufgaben (vgl. Tronto 1993, zit. n. Motakef 2015, S. 92-93).

 

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