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E-Book

Die Information

Geschichte, Theorie, Flut

AutorJames Gleick
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl500 Seiten
ISBN9783864142253
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Blut, Treibstoff, Lebensprinzip - in seinem furiosen Buch erzählt Bestsellerautor James Gleick, wie die Information zum Kernstück unserer heutigen Zivilisation wurde. Beginnend bei den Wörtern, den 'sprechenden' Trommeln in Afrika, über das Morsealphabet und bis hin zur Internetrevolution beleuchtet er, wie die Übermittlung von Informationen die Gesellschaften prägten und veränderten. Gleick erläutert die Theorien, die sich mit dem Codieren und Decodieren, der Übermittlung von Inhalten und dem Verbreiten der Myriaden von Botschaften beschäftigen. Er stellt die bekannten und unbekannten Pioniere der Informationsgesellschaft vor: Claude Shannon, Norbert Wiener, Ada Byron, Alan Turing und andere. Er bietet dem Leser neue Einblicke in die Mechanismen des Informationsaustausches. So lernt dieser etwa die sich selbst replizierende Meme kennen, die 'DNA' der Informationen. Sein Buch ermöglicht ein neues Verständnis von Musik, Quantenmechanik - und eine gänzlich neue Sicht auf die faszinierende Welt der Informationen.

JAMES GLEICK ist Journalist, Essayist und Autor für die Themen Technologie und Wissenschaft. Sein Werk über die Geschichte der Chaos-Theorie und seine Biografie über den Quantenphysiker Richard Feynman waren weltweit Bestseller. Der Harvard-Absolvent arbeitet unter anderem für die New York Times.

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Leseprobe

Sprechende Trommeln


Wenn ein Code kein Code ist


Ȇber den gesamten dunklen Kontinent
erklingen die Trommeln,
die nie schweigen:

die Grundlage aller Musik, das Zentrum aller Tänze;

die Sprechtrommeln, die drahtlosen Telefone
des nicht kartographierten Urwalds.«

Irma Wassall (1943)20

Niemand sprach auf der Trommel in kurzen, knappen Worten. Trommler sagten nicht: »Komm nach Hause«, sondern

Lass dich von deinen Füßen dahin zurücktragen, wo du herkommst, lass dich von deinen Beinen dahin zurücktragen, wo du herkommst, setz deine Füße und Beine auf dem Boden des Dorfes auf, das zu uns gehört.21

Sie würden nicht einfach »Toter« sagen, sondern weiter ausholen: »der auf Erdklumpen auf seinem Rücken liegt«. Anstatt »Hab keine Angst« würden sie mitteilen: »Trag dein Herz von deinem Mund wieder zurück hinunter, dein Herz von deinem Mund, trag es von dort wieder zurück hinunter.« Die Trommeln erzeugten Fontänen der Redekunst. Das erschien ineffizient. War es bombastisch oder hochtrabend? Oder etwas anderes?

Für lange Zeit wussten es die Europäer, die sich in Subsahara-Afrika aufhielten, nicht. Tatsächlich hatten sie nicht die leiseste Ahnung, dass die Trommeln Informationen übermittelten. In ihren eigenen Kulturen konnten eine Trommel, ein Waldhorn und die Glocke ein Signalinstrument für besondere Fälle sein, das zur Übermittlung bestimmter Botschaften verwendet wurde: Angriff, Rückzug, Aufruf zur heiligen Messe. Aber sie konnten sich keine Sprechtrommeln vorstellen. Im Jahr 1730 segelte Francis Moore ostwärts den Gambia hinauf und stellte fest, dass er über 900 Kilometer schiffbar war. Während der gesamten Reise bewunderte er die Schönheit des Landes und so eigenartige Wunder wie »Austern, die auf Bäumen wuchsen« (Mangroven). Er war kein Naturforscher, sondern kundschaftete als Agent für englische Sklavenhändler Königreiche aus, die – wie er es sah – von unterschiedlichen Menschenrassen von schwarzer oder goldbrauner Haut bewohnt wurden, wie zum Beispiel »von den Völkern der Mandinka, der Wolof, der Fulbe, außerdem von Portugiesen«. Als er auf Männer und Frauen stieß, die Trommeln schleppten, die aus einem konisch zulaufenden, bis zu einem Meter langen Holzstück geschnitzt waren, fiel ihm auf, dass die Frauen lebhaft zum Klang der Trommeln tanzten, dass die Trommeln gelegentlich »beim Herannahen von Feinden« und schließlich »zu ganz besonderen Gelegenheiten« geschlagen wurden, nämlich um mit den Trommeln Hilfe aus benachbarten Dörfern herbeizurufen. Aber das war alles, was ihm auffiel.22

Ein Jahrhundert später, machte Kapitän William Allen während einer Expedition auf dem Niger2 eine weitere Entdeckung, als er seinem Steuermann aus dem Kamerun, den er Glasgow nannte, lauschte. Sie befanden sich in der Kabine des eisernen Raddampfers, als laut Allen Folgendes geschah:

Plötzlich war er völlig abgelenkt und schien eine Weile aufmerksam auf etwas zu lauschen. Als ich ihn wegen seiner Abgelenktheit rügte, sagte er: »Ihr nicht hören meinen Sohn sprechen?« Da wir keine Stimme hören konnten, fragten wir ihn, woher er das wusste. Er antwortete: »Trommeln zu mir sprechen, sagen mir an Deck gehen.« Das erschien sehr eigentümlich.23

Die Skepsis des Kapitäns wich dem Erstaunen, als Glasgow ihn davon überzeugte, dass jedes Dorf seine »eigene Weise der musikalischen Korrespondenz« besaß. Obwohl es ihm schwerfiel, das zu glauben, akzeptierte der Kapitän schließlich, dass sich ausführliche Botschaften aus vielen Sätzen über viele Meilen Entfernung übermitteln ließen. »Wir sind oft überrascht«, so schrieb er, »dass der Klang der Trompeten in unseren militärischen Entwicklungen so gut verstanden wird. Aber wie weit bleibt dies hinter dem Ergebnis zurück, das diese ungebildeten Wilden erzielen.« Dieses Ergebnis war eine Technologie, die in Europa sehr begehrt war: eine Fernkommunikation, die schneller war als jeder Bote zu Fuß oder zu Pferd. Die stille Nachtluft trug das Dröhnen der Trommel neun oder zehn Kilometer weit über den Fluss. Von Dorf zu Dorf weitergetragen, konnten Botschaften in einer knappen Stunde 150 Kilometer oder mehr überwinden.

Die Nachricht einer Geburt in Bolenge, einem Dorf in Belgisch-Kongo, klang folgendermaßen:

Batoko fala fala, tokema bolo bolo, boseka woliana imaki tonkilingonda, ale nda bobila wa fole fole, asokoka l’isika koke koke.

Die Matten sind aufgerollt, wir fühlen uns stark, eine Frau kam aus dem Wald, sie ist im offenen Dorf, das ist einstweilen alles.

Der Missionar Roger T. Clarke transkribierte den folgenden Aufruf zum Begräbnis eines Fischers:24

La nkesa laa mpombolo, tofolange benteke biesala, tolanga bonteke bolokolo bole nda elinga l’enjale baenga, basaki l’okala bopele pele. Bojende bosalaki lifeta Bolenge wa kala kala, tekendake tonkilingonda, tekendake beningo la nkaka elinga l’enjale. Tolanga bonteke bolokolo bole nda elinga l’enjale, la nkesa la mpombolo.

Am Morgen im Morgengrauen wollen wir nicht zur Arbeit zusammenkommen, wir wollen zum Spiel am Fluss zusammenkommen. Männer, die in Bolenge leben, geht nicht in den Wald, geht nicht fischen. Wir wollen zum Spiel am Fluss zusammenkommen, morgen im frühen Morgengrauen.

Clarke fielen mehrere Dinge auf. Zwar lernten nur einige Menschen mit der Trommel zu kommunizieren, aber fast alle verstanden die Botschaften der Trommeln. Einige Trommler schlugen die Trommeln schnell, andere langsam. Feststehende Sätze wurden praktisch unverändert ständig wiederholt; die verschiedenen Trommler übermittelten dieselbe Botschaft, aber mit unterschiedlichen Worten. Clarke erschien die Sprache der Trommeln formelhaft und fließend zugleich. »Die Signale repräsentieren die Töne der Silben konventioneller Sätze von traditionellem und äußerst poetischem Charakter«, schloss er. Und das war korrekt. Clarke vermochte nur nicht den letzten Schritt zu vollziehen und die Gründe dafür zu verstehen.

Diese Europäer sprachen von »Eingeborenen« und beschrieben die Afrikaner als »primitiv« und »animistisch« und erkannten dennoch, dass sie einen alten Traum jeder menschlichen Kultur verwirklicht hatten. Sie besaßen ein Kommunikationssystem, das die besten Kuriere, die schnellsten Pferde auf guten Straßen mit Raststationen und Übergabestellen übertraf. Kuriersysteme auf Basis des Fußtransports enttäuschten immer; die Armeen waren stets schneller. Julius Cäsar zum Beispiel »traf oft vor den Kurieren ein, die seine Ankunft ankündigen sollten«, wie Sueton im ersten Jahrhundert schrieb.25 Trotzdem fehlte es den Menschen der Antike nicht an Hilfsmitteln. Die Griechen benutzten zur Zeit des Trojanischen Krieges, im 12. vorchristlichen Jahrhundert, Leuchtfeuer, so berichten es die Darstellungen von Homer, Vergil und Aischylos. Ein großes Feuer auf einem Berggipfel war von den Wachtürmen in 30 Kilometer Entfernung zu sehen, und in besonderen Fällen sogar aus größerer Entfernung. In der Beschreibung des Aischylos erhält Klytaimnestra die Nachricht vom Fall Trojas in derselben Nacht, 600 Kilometer von der Stadt entfernt in Mykene. »Wer konnte so rasch die Botschaft überbringen?«, fragt der skeptische Chor.26

Klytaimnestra schreibt dies dem Gott des Feuers, Hephaistos, zu: »Er sandte sein Signal aus; weiter und immer weiter, Leuchtfeuer um Leuchtfeuer eilte die Flamme der Botschaft dahin.« Das ist keine geringe Leistung, und der Zuschauer muss überzeugt werden, und so lässt Aischylos Klytaimnestra für mehrere Minuten mit jedem Detail der Route fortfahren: Das flammende Signal stieg vom Ida-Gebirge auf, überquerte die Ägäis bis zur Insel Lemnos, setzte sich von dort aus zum Berg Athos in Makedonien fort; anschließend Richtung Süden über die Ebenen und Seen nach Makistos; von dort nach Messapios, wo der Wächter die entfernte Flamme auf den Flutwellen der Meerenge Euripos leuchten sah und den hoch aufgeschichteten Haufen aus verdorrtem Ginster entzündete, um die Botschaft weiter nach Kithairon, den Berg Aigiplanktos bis zu ihrem eigenen Wachtposten auf dem Arachnaion zu tragen. »So eilig von Punkt zu Punkt, Flamme um Flamme lodernd«, verkündete Klytaimnestra stolz, »entlang dem vorbestimmten Verlauf.« Der deutsche Historiker Richard Hennig verfolgte und maß die Route im Jahr 1908 und bestätigte die Machbarkeit dieser Kette an Signalfeuern.27 Die Bedeutung der Botschaft musste natürlich im Vorhinein festgelegt und effektiv zu einem einzigen »Bit« komprimiert werden – eine binäre Wahl, etwas oder nichts: Das Feuersignal bedeutete etwas, und in diesem Fall lautete die Botschaft: »Troja ist gefallen.« Die Übertragung dieses einen Bits erforderte eine ungeheure Planung, immens viel Arbeit, Sorgfalt und Feuerholz. Viele Jahre später sandten Laternen in der Old North Church dem amerikanischen Freiheitskämpfer Paul Revere auf ähnliche Weise ein einziges, kostbares Bit, das er weitertrug; eine binäre Botschaft: zu Wasser oder zu Lande.

Für weniger außerordentliche Anlässe waren mehr Kapazitäten erforderlich. Die Menschen probierten...

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