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Christ sein heißt politisch sein

AutorReinhard Marx
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783451338717
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877) hat mit seinem ganzen Leben - zunächst als preußischer Beamter, dann als Priester und Bischof - Zeugnis dafür abgelegt, dass Christ zu sein auch verlangt, politisch zu sein. Als Arbeiterbischof hat er die Soziale Frage des 19. Jahrhunderts zum Thema der Kirche gemacht und damit die Katholische Soziallehre auf den Weg gebracht. Er hat die Sozialpflichtigkeit des Eigentums betont, eine Arbeiterschutzgesetzgebung gefordert und unermüdlich die Frage des gerechten Lohnes gestellt. Er hat darüber nachgedacht, welche Rolle das Christentum in der modernen Gesellschaft spielt, in welchem Verhältnis der Glaube an eine religiöse Wahrheit und politische Freiheit stehen und wie die Beziehung von Kirche und Staat aussehen sollte. Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx zeigt in diesem Band: Viele der Fragen, die Ketteler gestellt hat, sind auch heute noch oder wieder aktuell. Seine damaligen Antworten können uns inspirieren bei unserer Suche nach Lösungen für die sozialen Konflikte und politischen Fragen unserer Tage.

Reinhard Kardinal Marx Dr. theol., geb. 1953, 1996 bis 2001 Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät in Paderborn, 2002 bis 2008 Bischof von Trier, seit 2008 Erzbischof von München und Freising. Von Papst Franziskus wurde er in das Gremium der 9 Kardinäle berufen, das über die Reform der Kurie berät. Zudem ist Kardinal Marx Koordinator des Vatikanischen Wirtschaftsrates und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz sowie der Präsident der Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft.

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Leseprobe

Eigentum verpflichtet


Das Eigentum spielt im Selbstverständnis der sich in der Neuzeit entwickelnden bürgerlichen, liberalen und kapitalistischen Gesellschaft eine zentrale Rolle. Bereits bei John Locke (1632  1704), dem Urvater des neuzeitlichen Liberalismus, und dann bei allen maßgeblichen liberalen Theoretikern wird das Eigentum als fundamentales Menschenrecht verstanden, das Freiheit erst ermöglicht. Demgegenüber ist es die Grundüberzeugung des marxistischen Sozialismus, dass (reale) Freiheit und Gerechtigkeit durch die Privateigentumsordnung zerstört werden. In diesem Sinne schreiben Karl Marx und Friedrich Engels in ihrem 1848 erschienenen Manifest der Kommunistischen Partei, man könne das kommunistische Programm »in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen« (Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 4, Berlin 1959, 475).

Die kommunistische Ideologie von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist durch die Geschichte der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg als epochaler Irrtum entlarvt worden. Wo auch immer die Marx’sche Idee der Vergesellschaftung in Angriff genommen wurde, lief es auf eine Verstaatlichung hinaus, auf Unterdrückung und Diktatur, auf ein politisches, wirtschaftliches und menschliches Desaster, das 1989 in Europa Gott sei Dank sein Ende gefunden hat. Kardinal Joseph Ratzinger schrieb in der Neuausgabe seiner »Einführung in das Christentum« im Jahr 2000 zutreffend, dass davon »ein trauriges Erbe zerstörter Erde und zerstörter Seelen« zurückblieb.

Allerdings sind Marxismus und Kommunismus auch nicht wie eine Naturkatastrophe über die Menschheit gekommen. Karl Marx, seine Gesinnungsgenossen und Gefolgsleute haben auf eine dramatische Begleiterscheinung der industriellen und kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung reagiert: die soziale Ausgrenzung der sich entwickelnden Industriearbeiterschaft in den schnell wachsenden Städten. Den Industriearbeitern ging es in wirtschaftlicher Hinsicht nicht schlechter als Generationen von Landarbeitern in der gesamten Neuzeit. Aber im Gegensatz zu ihnen waren die Industriearbeiter nicht mehr in überkommene soziale, moralische und kulturelle Lebensbezüge eingebettet, die trotz allen materiellen Mangels ein gewisses Maß an Halt und sozialer Identität verbürgten. Indem die in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht eindrucksvoll fortschreitende bürgerliche Gesellschaft »vergaß«, die Industriearbeiterschaft auf ihrem Weg in Freiheit und Wohlstand mitzunehmen, bereitete sie auch Marx und der kommunistischen Ideologie den Weg.

Anders als den klassischen Liberalen fehlte manchen ihrer Vertreter im 19. Jahrhundert das Verständnis für die Geschichte und ein realistischer Blick auf den Menschen. Wie die Marxisten glaubten, aus der Aufhebung des Privateigentums und der Vergesellschaftung der Produktionsmittel würden gleichsam naturgesetzlich tatsächliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit entstehen, meinten manche Laissez-faire-Liberale, Privateigentum und Gewerbefreiheit würden ausreichen, um nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch kulturellen und sozialen Fortschritt hervorzubringen.

Diesem technizistischen Denken hat Ketteler entschieden widersprochen. Auch er ist für das Recht auf Eigentum eingetreten. Aber er hat sehr eindringlich die Notwendigkeit betont, dass die Privateigentumsordnung in eine übergreifende kulturelle Ordnung eingebunden sein muss, in der die mit dem Recht auf Eigentum verbundenen moralischen Pflichten klar vor Augen stehen.

»Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«, so steht es heute in Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes. Dieser Grundsatz unterscheidet die Soziale Marktwirtschaft, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und anderen Ländern Westeuropas begründet worden ist, vom Kapitalismus mit seinem Laissez-faire-Prinzip im 19. Jahrhundert, dem eine wirkliche Ordnung fehlte. Zu diesem fundamental anderen Verständnis haben viele beigetragen: Christlich-Soziale im Gefolge Kettelers, Sozialdemokraten und auch die zu Unrecht heute viel geschmähten Neoliberalen. Denn das Neue am Neoliberalismus war ja gerade die Einsicht, dass eine lebensfähige freiheitliche Gesellschaft und Marktwirtschaft nicht dadurch entstehen, dass man den Dingen einfach ihren Lauf lässt, sondern dass man einen Rahmen schafft, der den Wettbewerb in gemeinwohldienliche Bahnen lenkt. Das ist die gemeinsame Einsicht, gleichsam der demokratische Konsens seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Freilich ließ und lässt dieser Konsens eine Menge Spielraum für den politischen Streit darüber, wie man eine Wettbewerbsordnung gemeinwohldienlich ausgestaltet.

Mit Blick auf die uns immer noch und auf absehbare Zeit wohl weiterhin beschäftigende Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise dürfen unsere Diskussionen über Soziale Marktwirtschaft und Sozialpflichtigkeit des Eigentums sich nicht in bloßen Umverteilungsdiskussionen erschöpfen. Eng mit dem Prinzip des Privateigentums ist ein weiteres Prinzip verknüpft, dessen grobe Missachtung eine wesentliche Ursache der weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ist: das Prinzip der Haftung, also die Verknüpfung von Eigentum und Verantwortung. Nach Walter Eucken (1891  1950), dem Freiburger Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, ist die Haftung eines der konstituierenden Prinzipien einer funktionierenden Wettbewerbsordnung. Haftung bewirkt, dass »die Disposition des Kapitals vorsichtig erfolgt. Investitionen werden umso sorgfältiger gemacht, je mehr der Verantwortliche für diese Investitionen haftet. Die Haftung wirkt insofern also prophylaktisch gegen eine Verschleuderung von Kapital und zwingt dazu, die Märkte vorsichtig abzutasten« (Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 7. Aufl. Tübingen 2004, 280). Gegen diesen Grundsatz allerdings ist auf den globalen Finanzmärkten verstoßen worden. Denn diejenigen, die risikoreiche Anlagestrategien verfolgt und explosive Finanzmarktprodukte konzipiert haben, erzielten damit jahrelang hohe Gewinne. Aber sie mussten nicht für die Schäden aufkommen, sondern diese wurden, anders als die Gewinne, auf die Gesellschaft insgesamt umgelegt.

Weder Gewinn noch Eigentum, noch der Markt oder seine Mittel und Instrumente sind an sich schlecht, können aber durch Ideologien verstellt und zum Schlechten gebraucht werden. Benedikt XVI. folgert deshalb zu Recht, dass »sich der Appell nicht an das Mittel, sondern an den Menschen richten [muss], an sein moralisches Gewissen und an seine persönliche und soziale Verantwortung« (Caritas in veritate 36). In diesem Sinne sollten wir jetzt und zukünftig beherzigen, dass auch auf den Finanzmärkten der Grundsatz gelten muss: Eigentum verpflichtet!

 

ADVENTSPREDIGTEN 1848

Die Besitzenden und Nichtbesitzenden stehen sich feindlich gegenüber, die massenhafte Verarmung wächst von Tag zu Tag, das Recht des Eigentums ist in der Gesinnung des Volkes erschüttert, und wir sehen von Zeit zu Zeit Erscheinungen auftauchen gleich Flammen, die bald hier, bald dort aus der Erde hervorbrechen – Vorboten einer allgemeinen Erschütterung, die bevorsteht. Auf der einen Seite sehen wir ein starres Festhalten am Recht des Eigentums, auf der anderen ein ebenso entschlossenes Leugnen jedes Eigentumsrechtes, und wir suchen ängstlich nach einer Vermittlung zwischen diesen schroffen Gegensätzen. (SWB I/1, 26)

 

Der heilige Thomas stellt hier den Gedanken an die Spitze, dass alle Kreaturen, und also auch alle irdischen Güter, ihrer Natur und ihrem Wesen nach nur Gott gehören können. Dieser Satz folgt mit Notwendigkeit aus dem Glaubenssatz, dass Gott alles außer Ihm aus dem Nichts erschaffen hat. Gott ist also der wahre und ausschließliche Eigentümer aller Geschöpfe, und dieses Recht Gottes ist, weil mit dem Dasein der Geschöpfe selbst verknüpft, unveräußerlich, und keine Verteilung, kein Besitz, keine Gewohnheit, kein Gesetz kann dieses wesentliche Recht Gottes beschränken. Hier hat folglich Gott alles Recht, der Mensch gar keines. Außer diesem wesentlichen vollen Eigentumsrecht, welches nur Gott zustehen kann, unterscheidet aber der heilige Thomas noch ein Nutzungsrecht, und nur in Bezug auf diese Nutzung räumt er den Menschen ein Recht über die irdischen Güter ein. Wenn daher überhaupt von einem natürlichen Eigentumsrecht der Menschen die Rede ist, so kann damit nie ein volles und wahres Eigentumsrecht gemeint sein, was durchaus nur Gott zustehen kann, sondern immer nur ein Recht der Benutzung. Daraus folgt aber ferner, dass auch das Nutzungsrecht nie als ein unbeschränktes, als ein Recht, mit den irdischen Gütern anzufangen, was der Mensch will, aufgefasst werden kann und darf, sondern immer nur als das Recht, die Güter so zu benutzen, wie Gott es will und festgesetzt hat. Der Mensch muss die Ordnung, die Gott in der Benutzungsweise festgesetzt, anerkennen und hat nimmer das Recht, den Gebrauch der irdischen Güter dem Zweck zu entziehen, wozu sie Gott bestimmt hat. Dieser erste Zweck aller irdischen Güter ist aber ebenso in der Natur selbst wie in dem Wort ausgedrückt, das Gott nach der Erschaffung zu den Menschen gesprochen hat: »Siehe, ich habe euch gegeben alles Kraut, das sich besamet auf Erden, und alle Bäume, die in sich selbst Samen haben nach ihrer Art, dass sie euch zur Speise seien« (Gen 1, 29).

Gott hat also, so beschließen wir diese Gedanken mit den Worten des heiligen...

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