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Mensch und Welt

Vollständige Ausgabe

AutorRudolf Eucken
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl262 Seiten
ISBN9783849612153
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieses Buch mit dem Untertitel 'Philosophie des Lebens' nennt Eucken selbst sein systematisches Hauptwerk. Er beschreibt darin die Krise, in die sich die Menschheit durch den Verlust des Glaubens an Gott und die Vernunft selbst gebracht hat.

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Leseprobe

 


In drei Hauptrichtungen, so sahen wir, entwindet sich der Aufstieg des menschlichen Lebens den Schranken der sinnlichen Natur. Feste Zusammenhänge entstehen und scheiden sich deutlich vom Nebeneinander einer bloßen Zusammensetzung; statt in Beziehungen nach außen aufzugehen, schafft das Leben bei sich selbst einen Kreis und entwickelt damit eine Innerlichkeit; endlich tritt es bei sich selbst auseinander und strebt doch wieder zusammen, damit gewinnt es einen Daseinsraum und wird ein Wirklichkeitsschaffen; alle diese Wandlungen erfolgen mittels des Denkens und in Bildung eines Gedankenreiches, das sich der sinnlichen Welt überlegen und zu ihrer Beherrschung berufen fühlt.

 

Aber diesen Aufstieg verfolgen das hieß zugleich die schweren Hemmungen gewahren, die ihn im Bereich des Menschen ins Stocken zu bringen drohen. Den Zusammenhängen fehlt hier sowohl ein ausgeprägter Charakter als eine den widerstrebenden Einzelelementen gewachsene Kraft; die Innerlichkeit vermochte eine Selbständigkeit nicht zu behaupten, sondern erlag weithin der Macht eben dessen, das es überwinden wollte; die Scheidung aber ergab eine schroffe Spaltung, und das Leben erreichte statt echter Wirklichkeit nur das Scheinbild einer solchen. In dem allen erwies die Denktätigkeit ein Unvermögen, einen neuen Lebensstand hervorzubringen, sie blieb mehr Spiegelung und Begleitung, auch Auflösung und Verflüchtigung, als eine Kraft ursprünglichen Schaffens. So erwuchs denn jener Stand der Halbheit und Unwahrhaftigkeit, den wir nicht ertragen können, und dem wir doch bisher nicht zu entgehen vermochten.

 

Eine Möglichkeit dessen eröffnet sich aber mit der Eröffnung eines Ganzen des Lebens, das aus selbständiger Art und mit überlegener Kraft im Menschen und zum Menschen wirkt, wir werden die Gesamtlage bis in alle Verzweigung hinein damit einen neuen Anblick gewinnen sehen. Es wird sich zeigen, daß was bei uns in jeder Hauptrichtung an Bewegung aufstrebt, das Wirken eines solchen Lebens in uns bekundet; es wird sich weiter zeigen, wie seine volle Anerkennung und Aneignung Punkt für Punkt weiterführt, wie sie überall klärend und kräftigend wirkt. Die Widerstände verschwinden damit keineswegs, eher mögen sie noch größer erscheinen, aber das volle Selbständigwerden des Neuen verbessert unsere Lage ihnen gegenüber wesentlich, die Hemmungen werden damit nach außen gerückt. Höheres und Niederes tritt deutlich auseinander, und die träge Stagnation kann nun einem frischen Kampfe weichen. Nicht das Dasein verschiedener Stufen, sondern die Vermengung ist es, welche das Leben aufs Schwerste gefährdet.

 

Über das Nebeneinander der Elemente ging die Bewegung hinaus, neue Lebensformen erhoben sich, neue Schätzungen kamen zur Geltung. Freilich vermochten sie bisher nicht sich in reiner Gestalt durchzusetzen, sie sanken in eben das zurück, das sie überwinden wollten, eine Vermengung war nicht zu verhüten. Aber selbst die Vermengung läßt die Tatsache unangetastet, daß etwas im Menschen sich regt, was gegen das bloße Nebeneinander der Naturstufe aufstrebt, und schon dies Streben erweist eine gewisse Tatsächlichkeit, die mit dem Neuen, das sie einführt, unmöglich ein Erzeugnis des bloßen Menschen, d. h. doch der einzelnen Individuen, sein kann. Mag die Einheit einer Persönlichkeit, mag die Verbindung der Einsichten zu einem wissenschaftlichen System, mag das Wirken für ein Ganzes des Volkes oder der Menschheit noch so unzulänglich sein, noch so sehr bloßer Wunsch und Hoffnung bleiben, als Gedanken sind sie da und bilden, als eine Möglichkeit in ihrer deutlichen Abhebung von einem andersartigen Stande, selbst eine Art von Wirklichkeit, wenn auch zunächst nur schattenhafter Wirklichkeit, selbst ein Zeugnis für die Tatsächlichkeit einer neuen Lebensstufe. Jener Zug zum Ganzen kann nicht dem Menschen, sondern nur dem Leben selber entstammen, das sich damit als ein Ganzes erweist, das aus eigenem Vermögen aufsteigt. Nur das Wirken eines solchen Lebensganzen in uns macht es möglich, eine gemeinsame Gedankenwelt, ein gegenseitiges Sichverstehen und Miteinanderfühlen der Menschen, eine Auftragung des Einzelgeschicks auf das Geschick der gesamten Menschheit auch nur vorzustellen und als ein begehrenswertes Ziel zu verkünden. Wieviel Bewegung aber ein solches Streben hervorruft, und daß es mehr als bloße Einbildung ist, das zeigen besonders deutlich die Religionen, das zeigt auch die Kunst, denn ihr Werk bedarf notwendig eines Zusammenklanges der Seelen und der Herstellung einer gemeinsamen geistigen Atmosphäre. So weist durchgängig, was in dieser Richtung beim Menschen vorgeht, über ihn selbst hinaus auf einen inneren Zusammenhang des Lebens, das eigene Kräfte und einen eigenen Gehalt entwickelt.

 

Die bloße Anerkennung dessen besagt freilich an sich recht wenig, sie ist nur wertvoll, sofern sie zu einer Aneignung führt, sofern sie eine Bewegung hervorruft, jenes Leben als eignes zu ergreifen und es zum Hauptstandort des Strebens zu machen. Das aber muß wesentlich neue Ausblicke und auch neue Antriebe geben. Entwindet die höhere Stufe sich der Vermengung und wird sie mit umwälzender Tat als selbständig angeeignet, so erhebt sich notwendig die Forderung einer näheren Bestimmung ihrer Eigentümlichkeit und ihres Gehalts, so wird die Vagheit unerträglich, in welcher der Gedanke des Ganzen das Durchschnittsleben zu begleiten pflegt. In dieser Richtung hat der Gedanke eines freischwebenden Allgemeinen eine verhängnisvolle Macht über die Menschheit gewonnen: er hat statt echter Wirklichkeit bloße Schatten geboten, das Leben ins Bloßintellektuelle verdünnt und zugleich die Notwendigkeit einer großen Umwandlung verschleiert. So von den griechischen Denkern her bis zur Verherrlichung des Allgemeinen durch Hegel ein Kultus allgemeiner Begriffe. Mit Notwendigkeit erhebt sich demgegenüber folgendes Dilemma: entweder ist das Allgemeine von den Einzelgrößen nur abstrahiert, nur eine Heraushebung dessen, was sich an allen findet, – dann kann es unmöglich wesentlich Neues bringen und eine besondere Schätzung verlangen, – oder es hat einen eigenen, jenen Größen überlegenen Gehalt, – dann muß es der Ausdruck, das Gefäß eines neuen Lebens sein und daraus einen Wert empfangen, die bloße Form der Allgemeinheit als einer freischwebenden Größe tut es wahrhaftig nicht. Wenn aber statt des Allgemeinen zum leitenden Begriff der eines einheitlichen Ganzen wird, so drängt das unmittelbar zur Forderung eines eigentümlichen Charakters und verschiebt schon durch das Streben danach das ganze Leben vom Vagen ins Charakterhafte, zum mindesten verwandelt es die Gesamtlage in ein Problem und läßt die Unfertigkeit stark als eine solche empfinden. Wie rechtfertigt sich z. B. die Hochschätzung der Menschheit als eines bloßen Allgemeinbegriffs? Die Zusammenstellung der übereinstimmenden Züge der Individuen in ihrem Nebeneinander begründet keine Verehrung, ergibt auch keine innere Gemeinschaft; ohne eine Zusammenfassung zum Ganzen einer Lebenseinheit und die Eröffnung eines gemeinsamen Werkes schwebt der Begriff in leerer Luft und kann keine starke Wirkung üben. Auch ein Wissen, das Erkennen werden möchte, kann sich nie damit begnügen, zu klassifizieren und zu rubrizieren, eine Pyramide immer mehr sich verallgemeinernder, d. h. immer leererer Begriffe aufzubauen, es muß ein umfassendes Ganzes suchen, dieses in die Bildung besonderer Einheiten verfolgen und von ihnen aus den empfangenen Bestand beleben. So wird von zwei Seiten aus zu arbeiten sein: vom Entwurf eines Ganzen her, der sich erst näher durch den Fortgang der Arbeit zu determinieren hat, und von der Mannigfaltigkeit des Einzelnen her, die eine Belebung erst von der Berührung mit dem Ganzen empfängt.

 

So tritt hier auch das Gesamtbild des Lebens, sofern sich dieses dem Nebeneinander der bloßen Natur entwindet, in eine neue Beleuchtung. Das selbständige Leben kann die einzelne Stelle nicht gewinnen, ohne ihr als Ganzes unmittelbar gegenwärtig zu sein, ohne ihr zu eigenem Leben und Streben zu werden, ohne als ihr wahres Selbst anerkannt und ergriffen zu werden. Die Bewegung erlangt damit einen immanenten Charakter, sie wird in den eigenen Bereich verlegt, nicht in das Verhältnis zu etwas Draußenbefindlichem, sie gewinnt damit eine unvergleichlich größere Kraft. Zugleich steigt auch ihre Aufgabe und ihre Spannung. Denn nun genügt nicht ein ruhiger Fortschritt in gesicherter Bahn, nun wird, da die nächste Lage das Leben an das kleine Sonder-Ich bindet, ein Bruch und eine Umkehrung unvermeidlich, nun gilt es nicht, dieses oder jenes am Leben, sondern es gilt ein wesentlich neues Leben zu erringen, ein wahrhaftiges Selbst erst zu erreichen, der Kampf geht von Ganzem zu Ganzem. So zeigt sich schon hier, daß alles echtgeistige Leben eine durchgehende Tat enthält und insofern einen ethischen Charakter trägt. Aber zugleich vermag die ethische Bewegung den überwiegend verneinenden Charakter abzulegen, der ihr in der Volksvorstellung anzuhaften pflegt. Hier nämlich scheint sie dem Menschen vornehmlich eine Einschränkung, Unterordnung, Entsagung aufzulegen; nun ergibt sich, daß solche Verneinung nur zugunsten einer Bejahung erfolgt und aus dieser ihre beste Kraft zieht. Diese Bejahung zu beleben, ein neues und echtes Selbst gegenüber dem alten, nur scheinbaren zu gewinnen, das wird immer die Hauptaufgabe der ethischen Bildung sein. Zugleich vermag erst mit dieser Wendung das menschliche Leben den Charakter der Größe zu gewinnen. Denn wenn das Ganze mit seiner Unendlichkeit nicht der einzelnen Stelle zu eigenem Leben werden kann, so wird diese Stelle unvermeidlich ein Stück eines gegebenen Gefüges bleiben, so wird ihre...

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