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Prävention von Burnout bei Lehrerinnen und Lehrern

Implikationen von Theorie und Forschung für die Individuums-, Organisations- und Schulsystemebene

AutorTobias Nahrwold
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl77 Seiten
ISBN9783640214198
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Pädagogik - Sonstiges, Note: 1,7, Universität Bielefeld, 110 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Depressionen, häufig die letzte Stufe des Burnout-Syndroms als Folge übermäßiger Belastung, werden nach Einschätzungen von Experten bis zum Jahr 2020 das weltweit zweitgrößte Gesundheitsproblem nach Herzerkrankungen darstellen (vgl. WHO 2001, 7). Depressionen und Burnout sollten nicht nur entgegenwirkt werden, weil sie die zweitgrößte Ursache für Arbeitsausfälle und Frühpensionierungen sind, sondern auch, weil Wohlbefinden nach der WHO-Charta als Grundrecht und Entwicklungsziel für jedermann gilt (vgl. Sieland 2000, 35). Mittlerweile wird angenommen, dass Burnout nicht nur in sozialen, sondern in allen Berufen auftreten kann. Immer mehr Arbeitgeber gestehen den Beschäftigten ein Sabbatical zu. Ist der Arbeitsplatz im Allgemeinen zu stressig, kommt nur noch Downshifting in Betracht. Ob sich hinter diesen Maßnahmen jedoch nur aktuelle Trends oder auch längerfristige Erholungsmöglichkeiten für einen Großteil der Bevölkerung verbergen, wird sich noch zeigen. Dabei ist Burnout - auch im Lehrerberuf - nichts Neues. Der Begriff wurde erstmals 1974 vom deutschamerikanischen Psychologen Herbert Freudenberger in einem psychologischen Kontext verwendet (vgl. Schmid 2003, 25). Doch bereits 1911 wurde in einem Artikel aus dem Oberpfälzer Schulanzeiger über eine Lehrerkrankheit namens Neurasthenie berichtet, deren Symptome wie Erschöpfung, verminderte Leistungsfähigkeit und Angstgefühle dem modernen Burnout-Syndrom stark ähneln (vgl. Barth 1992, 13-14 und Schmid 2003, 24). Das nicht mehr steuerlich absetzbare häusliche Arbeitszimmer (vgl. Simon 2007), Zeitarbeitsverträge für junge Lehrer, die teilweise vor den Sommerferien entlassen und zum Beginn des neuen Schuljahres bei derselben Schule wieder eingestellt werden (vgl. Grüter 2008) sowie Überlegungen der niedersächsischen Kultusministerin Heister-Neumann zur Verschiebung des Überstunden-Ausgleiches (vgl. Berger 2008) stellen aktuelle in den Medien diskutierte Belastungen von Lehrern dar. Ebenso wird häufig über die hohe Burnout- und Frühpensionierungs-Quote im Lehrerberuf berichtet. Als Gründe werden oft destruktives Schülerverhalten und die zum Umgang hiermit fehlenden Ausbildungsangebote genannt, zugleich immer 'schwierigere' Kinder und weniger intakte Familien (vgl. Tscharnke 2001, 16). Auch über die Prävention von Stress und Burnout im Allgemeinen existiert eine große Menge an populärwissenschaftlicher Literatur, vor allem über Entspannungstechniken.

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Leseprobe

3. Besondere Anforderungen in personenbezogenen Dienstleis­tun­gen und speziell im Lehrerberuf


 

Obwohl der Burnout-Begriff, wie im letzten Kapitel erwähnt, mittlerweile auf alle Berufsgruppen ausgeweitet worden ist, ist der Lehrerberuf von besonderem Interesse für die Belastungsforschung. Ein Grund sind die weiter gestiegenen Zahlen über Dienstunfähigkeit und vorgezogenen Ruhestand. So wurden laut Versorgungsbericht der Bundesregierung 55 % der Lehrer und 70 % der Lehrerinnen im Jahre 1999 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt (vgl. BMI 2001, 33-34). Während bei den Beamtinnen aus anderen Bereichen ein ähnlich großer Anteil krankheitsbedingt in den Ruhestand geschickt wurde, liegt der Anteil der männlichen Lehrpersonen deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 41 % (vgl. ebd, 34). Obwohl der Anteil der aus Krankheitsgründen pensionierten Lehrer drei Jahre später insgesamt rückläufig war[10], wurden jedoch anteilsmäßig mehr Lehrer aufgrund von psychischen oder Verhaltensstörungen in den Ruhestand geschickt[11]. Insgesamt verblieben laut Versorgungsbericht 2001 nur ca. 5 % der Lehrer mit vollem Arbeitsvolumen bis zur Altersgrenze von 65 Jahren im Beruf (vgl. Schaarschmidt 2005b, 17).

 

Den expliziten speziellen Belastungen im Lehrerberuf im vierten Abschnitt dieses Kapitels wird sich genähert, indem zunächst allgemeine Belastungen in personenbezogenen Dienstleistungen genannt werden. Leh­rer scheinen weiterhin ein interessanter Gegenstand der Belastungsforschung zu sein, weil ihnen häufig bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben werden, die in anderen Berufsgruppen nicht in dieser Ausprägung oder Kombination vorhanden sein sollen, weshalb diese Lehrerpersönlichkeit wird im zweiten Abschnitt kurz dargestellt wird. Steigende Burn­out-Raten können auch eine Folge von sozialen Veränderungen sein. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels wird daher der Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Schule betrachtet.

 

3.1 Interaktionsstress und Kommunikationsdefizit


 

Eine Ursache für die Zunahme der weltweiten Stressbelastung (vgl. WHO 2001, 7) ist aus Sicht einer „Soziologie der Gefühlsregulierung“ nach Badura (vgl.1990, 317) der Interak­tions­stress in personenbezogenen Dienstlei­stungsberufen[12]. Im direkten Kontakt von Mensch zu Mensch (face-to-face) kann man bekanntlich „nicht nicht kommunizieren“ (Badura 1990, 318): Es ist die „tagtägliche ‚Bombardie­rung‘ mit mehr oder weniger intensiven Ge­fühls­äuße­rungen, bedingt durch permanenten Kom­mu­ni­kations- und Kontaktzwang nicht nur mit Ar­beits­kollegen und Vorgesetzten, son­dern – und dies vor allem – mit Patienten, Schü­lern, Klien­ten usw.“ (ebd.) Dabei wird sich ganz den sozialen und emotionalen Bedürfnissen anderer Personen gewidmet, wobei die eige­nen (vielleicht negativen bis feindseligen) Gefühle unterdrückt werden (vgl. ebd.).

 

Badura definiert Stress im Sinne von Lazarus et al. als Ungleichgewicht zwischen äuße­ren/in­ne­ren Anforderungen und den gegebenen Bewältigungsmöglichkeiten. Interak­tions­stress ist nach Badura (vgl. ebd., 320) ein Widerspruch zwischen den tatsächlichen Gefüh­len gegen­über Personen (z. B. Angst, Feindseligkeit, Schuldgefühle) und der beruflich zwin­gend ge­bo­tenen emotionalen Zuwendung und sozialen Anerkennung. In Bildungsein­rich­tungen und Krankenhäusern tritt eine ‚Überdosis‘ an Interaktionsstress auf, da hier „permanent auf Kos­ten eigener auf Gefühle anderer eingegangen werden muß“ (ebd.).

 

Makrosoziologisch gesehen gilt für jeden zivilisierten Menschen diese Beschränkung des Hangs zur ‚anarchischen Triebbefriedigung‘ (vgl. ebd., 322). Auch aus mikrosoziologischer Sicht versuchen wir ständig, unsere Gefühle zu regulieren (vgl. ebd.). Erving Goffman be­haup­tet sogar, dass wir ständig an unserer Selbstdarstellung arbeiten und anderen gegen­über versuchen, das Gesicht zu wahren (vgl. ebd.). Gleichgültig ob die Möglichkeiten zur Ge­fühls­regulierung in der heutigen Gesellschaft insgesamt unausreichend sind, sind Men­schen, die in ständigem Kon­takt zu ihren Klienten stehen, aufgrund berufsnotwendiger Selbst­kon­trolle besonders da­von betroffen, dass der Kontakt mit ihren eigenen Gefühlen ge­schwächt wird oder sogar ganz ab­bricht (vgl. ebd., 325). Diese Selbstentfremdung verbunden mit der Rück­sicht­nahme auf die Gefühle anderer Menschen, mit denen uns keine positiven Gefühle ver­bin­den, verstärkt wiederum die Gefahr des Burnouts (vgl. ebd., 326).

 

Obwohl dies eigentlich als gegensätzlich zum Interaktionsstress angenommen werden könnte, herrscht gerade in Lehrerkollegien oft ein Kommunikationsdefizit: Für viele Lehrer sind Pau­sen oder vereinzelte Freistunden die einzige Möglichkeit neben den Konferenzen, sich mit Kol­le­gen zu unterhalten. Da diese aber häufig für unterrichtsunabhängige und -ab­hän­gige Auf­ga­ben in Anspruch[13] genommen und selbst als Belastungsfaktor wahrge­nom­men wer­den, findet hier höchstens eine Art „Neben­kommunika­tion“ (Rothland 2004, 164) statt, aber keine ernst­hafte Auseinandersetzung oder Absprache über das pädagogische Konzept, ge­mein­same Stan­dards etc. Dies verstärkt sich dadurch, dass man als Lehrer häufig nur mit den als sym­pa­thisch empfundenen Kollegen spricht, die ähnliche pädagogische Vorstellungen besitzen (vgl. ebd.).

 

Die Ursachen für diesen Zustand liegen unter anderem darin begründet, dass das Kollegium zufäl­lig zu­sam­menge­stellt und daher mit großer Wahrscheinlichkeit sehr heterogen ist (vgl. ebd., 161). Zu­dem besteht die Ambi­valenz zwischen der äußerlichen rechtlichen und bürokra­tischen Regle­men­tie­rung von Schu­len und den individuellen eigenverantwortlichen Gestal­tungs­mög­lich­keiten des Unterrichts ande­rer­seits (vgl. ebd., 162). Fehlende Rückmel­dungen[14] über den Er­folg der unter­richtlichen Tätigkeit und das negative Image des Lehrer­be­rufs allge­mein erhö­hen die Verun­sicherung des Lehrers weiter (vgl. ebd., 163). Hinzu kommt, dass sich eine Vielzahl von Sekundär­informatio­nen über jeden Lehrer aufspüren lassen, seien es Klas­sen­bucheinträge, Tafelbilder, der Lärm­pegel des Unterrichts, verbale Äußerungen der Schüler und der Eltern usw. „Das Be­wusst­sein, dass Lehrer einer Schule gegenseitig ihre Spuren entdecken können, mahnt im Kollegium zur Vor­sicht und kritischer Dis­tanz“ (ebd., 164). Kann man sich gegen unberechtigte Vor­wür­fe oder Anfeindungen dauerhaft nicht genügend zur Wehr setzen, wird man unter Umständen zum Mobbingopfer (vgl. Hillert 2004, 125). Weiterhin ist die Arbeit des Lehrers stark an dessen Persönlichkeit gekoppelt: Werden beruf­liche Probleme im Kollegium erörtert, wird dies oft als Bedrohung der ganzen Person erlebt und die Nichteinmischungsnorm wird umso strikter eingehalten (vgl. Rothland 2004, 165).

 

3.2 Lehrerpersönlichkeit und Lehrerbild


 

Die Persönlichkeit eines Lehrers ist im Zusammenhang mit Burnout aus verschiedenen Grün­den interessant: Zum einen, weil sie erheblichen Einfluss auf seine Schüler[15] und so auch auf die Rückmeldungen von Schülern und Eltern hat. Wie wir im nächsten Kapitel noch im Zu­sam­menhang mit den Bewäl­tigungs­mustern nach Schaarschmidt sehen werden, hat die Per­sön­lichkeit auch Ein­fluss auf die Stressbewäl­tigung. Mönninghoff (1992) stellt zudem eine provokante Kausalkette auf, die den Einfluss der Charaktereigenschaften von Lehrpersonen auf das Stresser­leben nahelegt.

 

Junglehrer haben nach Mönninghoff (vgl. 1992, 13) in ihrem Leben nur die Schule und die Schülerrolle[16] kennen ge­lernt, wollen aber auf das Leben vorbereiten: „Kein Berufsanfänger steht vor der Notwendigkeit einer so radikalen Umkehrung aller identitätsstiftenden Bezüge wie der Lehrer zu Beginn seiner Laufbahn“ (ebd., 14). Der neue Lehrer steht auf einmal all dem gegenüber, was er bisher war und nicht mehr sein darf. Deshalb verdrängt er seine vorherige „ganze[] Rolle des Schülers“ und formuliert eine „Teilrolle Schüler, die im Grunde nichts anderes als eine lehreradäquate Schülerrolle ist“ (ebd., 23). So wird die Verantwortung für die eigene Enttäuschung an den Schüler weitergegeben und der Lehrer flüchtet sich in die Opferrolle (vgl. ebd.). Das macht es ihm auch unmöglich, die Vorteile des Lehrerberufs „mit Stolz als Ausweis der eigenen Cleverness zu tragen“ (ebd., 24): Er jammert über all die beruf­li­chen Nachteile und ist unfähig, die Privilegien seines Berufes wahrzunehmen – dient er doch „an der gesellschaftlichen ‚Front‘“ (ebd.). Auf diese Weise konstruiert der Lehrer seine Be­lastung permanent selbst, so „daß all das, was er tut – so wenig es auch sein mag – tatsäch­lich zur Belastung wird“ (ebd., 26). Die vorangegangenen Darstellungen sind sicherlich überspitzt, dennoch könnten sie möglicherweise für den einen oder anderen Lehrer Hinweise darauf liefern, warum die eigene Situation über­haupt als so belastend wahrgenommen wird und zu angemessenen Lösungsstrategien führen...

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