Neandertaler aus der nordspanischen Höhle El-Sidrón kannten die heilende Wirkung von Pflanzen

Dass die Neandertaler nicht nur verschiedene Arten gekochter Pflanzen aßen, sondern auch bereits deren Nährwert und Heilkraft kannten, konnte nun auch molekular nachgewiesen werden. Die Untersuchungen dazu wurden von einem internationalen Wissenschaftlerteam von der Universitat Autónoma de Barcelona und der University of York, UK, durchgeführt. Ihre Forschungsergebnisse sind diese Woche in der Online-Ausgabe der Springer-Fachzeitschrift Naturwissenschaften – The Science of Nature erschienen. Bisher waren die Neandertaler, die vor 30.000 bis 24.000 Jahren verschwanden, vor allem als Fleischesser bekannt. Allerdings gibt es dank aufwendigerer Analysen immer mehr Beweise für ihren abwechslungsreichen Speisenplan.

Die Wissenschaftler aus Spanien, Großbritannien und Australien kombinierten die Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie mit der morphologischen Analyse von pflanzlichen Mikrofossilien. Damit sollte das im Zahnstein (sog. verkalkter Zahnbelag) eingeschlossene Material von fünf Neandertalern aus dem archäologischen Fund in der nordspanischen Höhle El Sidrón in Asturien näher bestimmt werden. Die Forscher konnten Stärkekörner und Kohlenhydrat-Marker in den Proben nachweisen. Außerdem fanden sie Pflanzenbestandteile wie beispielsweise Azulen und Kumarin sowie möglicherweise Spuren von Nüssen, Gräsern und sogar grünen Gemüsesorten. Zusammengenommen sprechen all diese Ergebnisse dafür, dass die aufgenommenen Pflanzen weitaus verbreiteter waren als sich durch stabile Isotopenanalyse bislang oft zeigte.

Die Studie liefert auch Beweise dafür, dass die Stärkekörner vom Fundort in El Sidrón nachweislich die ältesten Körner sind, deren Alter mit einem biochemischen Test bestätigt wurde. Die dabei gefundenen, im Zahnstein eingeschlossenen vorzeitlichen Bakterien könnten Ausgangspunkt sein für neue Studien, die sich mit Fragen zur Mundgesundheit der Neandertaler beschäftigen.

In dieser Studie wurden zehn Proben des Zahnsteins von fünf Neandertalern untersucht. Durch Verfahren wie thermale Desorption und Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie identifizierten die Wissenschaftler sowohl freie/ungebundene als auch gebundene/polymere organische Bestandteile im Zahnstein. Durch den Einsatz dieses Verfahrens in Verbindung mit der Extraktion und Analyse der pflanzlichen Mikrofossilien fanden sie chemische Beweise in Übereinstimmung mit Holzfeuerrauch, einer Anzahl gekochter, stärkehaltiger Speisen, zwei Pflanzen, die heute für ihre medizinische Wirkung bekannt sind sowie Bitumen oder Ölschiefer, der im Zahnstein eingeschlossen war.

Erstautorin Karen Hardy von der Universitat Autónoma de Barcelona und der University of York, UK, sagt: „Der unterschiedliche Gebrauch von Pflanzen, die wir identifiziert haben, weist darauf hin, dass die Neandertaler von El Sidrón hochentwickeltes Wissen über ihre natürliche Umgebung besaßen; einschließlich der Fähigkeit, bestimmte Pflanzen aufgrund ihres Nährwertes und für die Selbstmedikation auszuwählen und zu verwenden. Obwohl Fleisch offensichtlich wichtig war, zeigt unsere Forschung eine noch deutlich komplexere Ernährungsweise als bisher angenommen.“

Quelle
Hardy K et al. (2012). Neanderthal medics? Evidence for food, cooking and medicinal plants entrapped in dental calculus. Naturwissenschaften – The Science of Nature DOI 10.1007/s00114-012-0942-0

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