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E-Book

Alles wie immer, nichts wie sonst

Mein fast normales Leben mit multipler Sklerose

AutorJulia Hubinger
VerlagEden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783959101325
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wegen eines Kribbelns und Taubheitsgefühlen im Körper lässt sich Julia Hubinger mit 30 im Krankenhaus untersuchen. Es folgt der Schock: Diagnose multiple Sklerose! Für die junge Frau bricht eine Welt zusammen. In »Alles wie immer, nichts wie sonst« erzählt die sympathische Autorin mit viel Feingefühl, was die Nervenkrankheit für sie verändert hat und wie sie trotz allem hoffnungsvoll ihre Zukunft anpackt. Dazu gehören auch ihr Mann und ihr Beruf und die Entscheidung, eine Familie zu gründen - trotz MS. Das Buch ist ein bewegender Erfahrungsbericht über den Verlauf einer Krankheit, die immer häufiger diagnostiziert wird. Betroffenen macht sie Mut für das alltägliche Leben mit MS. Interessierten und Angehörigen gibt sie einen Einblick in die Krankheit, Symptome und eine mögliche Therapie.

Julia Hubinger, geboren 1979 in München, wuchs in Dortmund auf. Nach ihrem Studium zog es sie ins Rhein-Main-Gebiet. Mit dreißig Jahren bekam sie die Diagnose multiple Sklerose, kurz darauf wurde sie zum ersten Mal Mutter und startete ihren Blog »Mama Schulze« über ihr Leben mit Kind und Krankheit. Mittlerweile ist sie Mutter von drei Kindern.

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Leseprobe

KAPITEL 1


»Hatten Sie schon einmal so ein Kribbeln und Taubheitsgefühl?«

Ich versinke in Gedanken. Hatte ich so etwas schon einmal? Was habe ich denn eigentlich gerade? Meine komplette rechte Körperhälfte ist taub und fühlt sich an wie in Watte gepackt. Von außen spüre ich alles, zum Beispiel, wenn mir jemand über die Hand oder den Arm streicht. Aber von innen fühlt es sich anders an. Anders als auf meiner linken Seite. Komisch ist das, und ich kann es kaum erklären. Oder bilde ich mir das nur ein? Ich bin verwirrt. Dazu kribbelt es an einigen Stellen meiner rechten Seite, mal stärker, mal schwächer. Angefangen hat es im rechten Daumen, und dann hat es sich ganz langsam ausgebreitet, von der Hand über das Handgelenk in den rechten Arm, hinauf in die Brust und so weiter bis zum Fuß.

»Das muss auch gar nicht an denselben Stellen gewesen sein. Hatten Sie schon einmal so unspezifische Gefühlsstörungen? Oder etwas anderes, mit dem Sie dann vielleicht beim Hausarzt oder Neurologen waren?«, fragt mich die Ärztin. Sie ist jung, vielleicht sogar jünger als ich. Sie erinnert mich an eine Freundin und ist mir sympathisch. Kurz vor dem Termin mit mir war sie noch schnell eine Zigarette rauchen, das kann ich riechen. Ich sitze mit ihr zusammen, um die MRT-Bilder von meinem Kopf zu besprechen.

»Ja, da war schon mal was«. Ich erinnere ich mich an eine leichte Gesichtslähmung, die mir mal zu schaffen gemacht hatte. »Vor sechs Jahren hatte ich schon mal ein Kribbeln am Trigeminusnerv. Das blieb etwa drei Wochen, dazu habe ich mich sehr schlapp gefühlt, und ich hatte eine Erkältung. Ich war in meinem ersten Praktikum in Hamburg, eine stressige Zeit. Der Neurologe meinte damals, wenn es wieder wegginge, bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen. Er erwähnte mal im Nebensatz, dass ich natürlich auch darauf bestehen könne, mich intensiver checken zu lassen. Aber das sei seines Erachtens nach nicht nötig. Nach circa drei Wochen war alles wieder weg, und ich habe mir keine weiteren Gedanken gemacht. Meine Hausärztin meinte etwa einen Monat später, man könne im Blutbild sehen, dass da was nicht stimme. Aber wenn ich schon beim Neurologen gewesen sei, bräuchte ich mir keine Gedanken zu machen.«

Die junge Ärztin schaut mich jetzt mit einem Stirnrunzeln an. Ein Stirnrunzeln von Ärzten ist nie gut, denn das bedeutet, dass irgendetwas für sie keinen Sinn ergibt. Und ist das der Fall, hat das etwas mit einer Krankheit zu tun. Das habe ich in den letzten Tagen gelernt, denn ich habe mich auf Anraten befreundeter Ärztinnen selbst in die Uniklinik Frankfurt eingewiesen, um endlich herausfinden zu lassen, was es mit meinem Kribbeln auf sich hat. Vorher habe ich bereits mehrere Wochen auf einen Termin beim Orthopäden gewartet. Und ohne beim Orthopäden gewesen zu sein, habe ich keinen Termin bei einem Neurologen bekommen, um mich dort checken zu lassen. Aber ich habe gemerkt, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Um nicht länger im deutschen Kassensystem mit seinen Überweisungen und Wartezeiten gefangen zu sein, packte ich also eine Reisetasche und wurde in der Uniklinik vorstellig, die mich aufgrund meiner Symptomatik direkt zur Abklärung dabehielt.

Jetzt bin ich Patientin der neurologischen Station. Denn irgendetwas ist mit meinen Nerven nicht in Ordnung. Eigentlich wollte ich mir mit meiner Einweisung nur die Bestätigung abholen, dass das Kribbeln und die Taubheit meiner rechten Körperhälfte »nichts Schlimmes« sind. Aber so langsam beginne ich, mir Sorgen zu machen. Die Ärzte runzeln zu oft ihre Stirn, und die Blutwerte sprechen eine deutliche Sprache. Auch die Lumbalpunktion, bei der Gehirnflüssigkeit aus dem Rückenmark entnommen wird, zeigt an, dass da »etwas« ist. Alles weise auf eine Autoimmunerkrankung hin, sagen die Ärzte, mit denen ich bisher gesprochen habe. Was das bedeutet, hat mir jedoch noch niemand erklärt.

Die junge Ärztin fragt mich weiter: »Gab es sonst noch ein Ereignis?«

Ich fange also erneut an, in meiner Erinnerung zu kramen. Bingo! Da war noch etwas.

»Vor zwei Jahren hatte ich ein Kribbeln in den Beinen. Das ging so wellenförmig durch die Beine. Immer mal wieder. Ungefähr wieder drei Wochen lang.«

»Waren Sie damit bei einem Neurologen?«

Ja, das war ich. Das war zu einer Zeit, in der ich viel Stress hatte. Mein Mann Paul und ich hatten gerade geheiratet, führten aber eine Wochenendehe. Er hatte einen Job als Vertriebsmitarbeiter in Stuttgart, ich eine mies bezahlte Stelle als PR-Beraterin in einer Agentur in Frankfurt mit noch mieseren Arbeitszeiten. Das war 2008, die Finanzkrise ließ viele der Agenturkunden aus dem Bankenbereich wegfallen, und der Druck auf uns Mitarbeiter stieg. Die ersten Kollegen wurden infolge der Krise entlassen, und auch ich als zuletzt eingestellte Mitarbeiterin zitterte um meinen miesen Job. Plötzlich war da wieder dieses Kribbeln. Diesmal in den Beinen. Der Hausarzt überwies mich an einen Neurologen. Und es kam dasselbe heraus wie vier Jahre zuvor: »Ruhen Sie sich aus, wenn das Kribbeln dann verschwindet, wird es nichts sein.«

Und nach insgesamt drei Wochen ging das Kribbeln weg, und ich vergaß die Angelegenheit. Bis heute.

Das erzähle ich der jungen Ärztin, und sie beginnt zu erklären: »Das passt zu den MRT-Bildern von Ihrem Kopf. Man sieht dort akute Läsionen, die sehr wahrscheinlich die Taubheit und das Kribbeln Ihrer rechten Körperhälfte verursachen. Und man kann auf den Bildern auch alte, vernarbte Läsionen sehen, die vermutlich die zwei Ereignisse der vergangenen sechs Jahre verursacht haben.«

BÄM! Läsionen? Bitte was? Irgendwie entwickelt sich das alles nicht in die Richtung, von der ich ausgegangen war. Läsionen? Was sind bitte schön Läsionen? Ist das Krebs? Aber nach dem ersten MRT hatte der Arzt doch gesagt, es sei kein Hirntumor! Von was redet die Frau dann jetzt?

Mein Mann Paul ist bei mir und streichelt meine Hand.

»Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon Sie sprechen«, antworte ich der Ärztin. Sie lächelt mich an (was sie mir übrigens noch sympathischer macht, denn alle anderen Ärzte schauen mich eher betroffen an, und das macht mir noch mehr Angst) und erklärt: »Läsionen sind Entzündungen an den Nervenenden. Sie verhindern die ungestörte Reizübertragung von Nerv zu Nerv, und dadurch kann es zu Beeinträchtigungen, wie dem Kribbeln und der Taubheit in Ihrem Fall, kommen. Bei Ihnen sieht man akute Läsionen, aber auch ältere.«

»Und woher kommen diese Läsionen?«, frage ich.

»Das wissen wir noch nicht. Meist ist es autoimmun, und wir wissen nicht, woher es kommt. Bei manchen Patienten tritt das öfter auf, manchmal ist es nur einmalig.«

Sie schaut auf die Uhr und muss schon zum nächsten Termin eilen. Zum Glück hat mein Mann ein wenig medizinisches Vorwissen, da er eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht hat. Darüber hinaus gibt es einige Ärzte in seiner Familie. Schließlich verstehe ich: Bei einer Autoimmunerkrankung greift sich das Immunsystem selbst an.

Panik macht sich in mir breit. Ich habe Angst! Diese Angst wird immer größer und nimmt plötzlich sehr viel Raum ein. Und ich habe hier auf der neurologischen Station der Uniklinik sehr viel Zeit, mich mit dieser Angst zu beschäftigen, denn ich habe ja nur meine Untersuchungstermine und dazwischen viel Leerlauf. In dieser Zeit beobachte ich andere Patienten der neurologischen Station oder befrage gegen den Rat der Ärzte Dr. Google. Diese Kombination verringert meine Angst nicht gerade. Zum einen sind die anderen Patienten zum Großteil sehr viel älter als ich und schleichen in Minischritten über die Flure. Wenn sie mich überhaupt registrieren, schauen sie mich – genau wie die Ärzte – betroffen und traurig an. »So jung und schon hier«, steht ihnen auf die Stirn geschrieben. Zum anderen kommen bei Dr. Google angsteinflößende Diagnosen heraus, sobald man »Körperhälfte taub« und »Autoimmunkrankheit« dort eingibt. Die Ergebnisse gehen von »Hirntumor«, »Rheuma«, »Schlaganfall« über »HIV« bis zu »ALS« (Amyotrophe Lateralsklerose – die Krankheit, die durch die »Ice Bucket Challenge« im Sommer 2014 weltweit Aufmerksamkeit erfuhr und unter der auch der berühmte Physiker Stephen Hawking leidet). Ein Schlaganfall ist es bei mir nicht, denn das haben sie schon getestet. Aber insbesondere die ALS macht mir Angst. Gegen die gibt es noch kein Medikament, und sie endet sicher mit dem Tod. Natürlich ist es bescheuert, Dr. Google um Rat zu fragen. Das weiß ich. Es macht mich verrückt und bringt mich auf Krankheiten, an die ich noch nie gedacht habe. Ich denke über Diagnosen und ihre Folgen nach, mit denen ich mich höchstwahrscheinlich gar nicht befassen muss. Aber da sitzt ein kleines Männchen auf meiner Schulter und fragt mich: »Und was, wenn doch? Was wird, falls es wirklich ALS ist? Oder HIV? Bei wem könntest du dich mit HIV angesteckt haben?«

Von den Ärzten hat niemand Zeit, um mit mir über meine Ängste und Gedanken zu reden und mir vielleicht etwas Last von den Schultern zu nehmen. Solange keine Diagnose auf dem Papier steht, ist dafür keine Zeit. Die ist für den Kassenpatienten einfach nicht vorgesehen.

Zum Glück habe ich zumindest ein Zimmer für mich allein, auf das ich mich zwischendurch zurückziehen kann. Dort weine ich viel. Denn ich habe Angst. Richtige, existenzielle Angst um mein Leben. Ich weine so viel wie noch nie. Zwischendurch kommt mein Paul in jeder freien Minute, die er sich von der Arbeit nehmen kann, bei mir vorbei. Er versucht, mich so gut es geht zu beruhigen und selbst Ruhe zu bewahren. Er glaubt wie immer an das Gute und beschwört mich, erst über die Folgen einer...

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