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Arbeiterbewegung und Streik im Spiegel der Literatur des 19. Jahrhunderts - Elizabeth Gaskell: 'North and South' und Emile Zola: 'Germinal'

AutorKathrin Ehlen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl85 Seiten
ISBN9783640946495
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft, Note: 2,3, Universität Paderborn (Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Westeuropa verband eine gemeinsame Kultur, die die industrielle Revolution hervorgebracht hat, der die Industrialisierung Kerneuropas entwickelte sich aufgrund der vorindustriellen Gewerbedichte, des Institutionenwandels und der Ausbildungs- und Erziehungsstandards unterschiedlich. Sie wurde dadurch begünstigt, dass viele zeitgenössische politische Bewegungen ähnliche Ziele hatten und war Teil der weltlichen Bewegung der bürgerlichen Emanzipation, die die Ausbreitung des Kapitalismus begleitete. Zur Vertretung der Interessen der Werktätigen entwickelten sich Arbeiterbewegungen, und die daran anschließenden Bewegungen für soziale Reformen und Veränderungen, die wichtig für die Bildung der persönlichen und gesellschaftlichen Menschenrechte sind.

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Leseprobe

2  Die soziale Lage in England


 

Die stabile politische Lage, günstige natürliche Verkehrswege, reiche Rohstoffvorkommen sowie die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte und ein funktionierendes Handels- und Kreditgewerbe begünstigten die industrielle Entwicklung in England.[12] Dazu kam, dass bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts technische Neuerungen wie die Dampfmaschine industriell genutzt wurden. Entwicklungen in der Baumwollindustrie, die „Spinning Jenny“ von James Hargreaves (1768), der „Waterframe“ von Richard Arkwright (1769) und die „Mule“ von Samuel Crompton (1799) erhöhten die Produktivität beim Spinnen und lösten Anfang des 19. Jahrhunderts die Vormachtstellung der Woll- durch die Baumwollindustrie ab[13], mit der Erfindung des mechanischen Webstuhls 1785 durch Cartwright war Handweben nicht mehr konkurrenzfähig.[14] Durch die Technisierung wurde die Baumwollfertigung, die vor allem in Lancashire angesiedelt war, zur Triebfeder der industriellen Revolution in England und lieferte in der Zeit von 1725-1845 fast die Hälfte der britischen Exportprodukte.[15] Andere wichtige Wirtschaftsbereiche waren schon damals vor allem der Zinn- und Kupferbergbau in Cornwall, die Kohle- und Eisenproduktion in Shropshire, und die Metallverarbeitung in South Staffordshire, dem Black Country. In South Lancashire profitierten auch benachbarte Sektoren (Maschinenbau, Kohleabbau, Kreditgeber) von der Baumwoll- und Leinenindustrie. Im 19. Jahrhundert setzte sich das Wachstum fort[16], als durch den Ausbau von Kanälen und vor allem Eisenbahnstrecken der Transport von Industriegütern erleichtert wurde. Bereits 1830 wurde die erste wichtige Verbindung zwischen Manchester und Liverpool eröffnet, und in der Folge löste nun 1840 die Produktion von Kohle, Eisen und Stahl die Textilindustrie in ihrer Vormachtstellung ab. London spezialisierte sich auf die Produktion von Gütern und Dienstleistungen für die anderen Regionen.[17]

 

Der Sieg über Napoleon 1815 bedeutete das Ende der Kontinentalsperre und öffnete der britischen Wirtschaft weltweite Märkte. Mit der Ausweitung von Handel und Produktion gewann die neue Gesellschaftsschicht der Kaufleute und Industriellen an Einfluss, für die das Motto „Each for himself and the law of England for all“[18] galt. Unter dem Einfluss des Utilitarismus wurden die traditionellen Werte in Frage gestellt, neue Gesetze sollten nach den Regeln der Vernunft den Staat ordnen. Die Folge war z. B. eine Verbesserung des Bildungswesens, damit jeder in die Lage gesetzt wurde, seine Interessen zu formulieren und sich so im Lebenskampf zu behaupten. Der Reform Act von 1832 führte dann dazu, dass die Rechte des Adels beschnitten wurden und sich das neue wohlhabende Bürgertum zusammen mit Freiberuflern und hohen Behördenmitgliedern[19] aktiv an der Regierung beteiligen konnte. Das Interesse der bürgerlichen Gesellschaft galt vor allem der Wissenschaft, weswegen ein Fabrikant oder Ingenieur auch immer darauf bedacht war, sein Wissen, z. B. in der „Britischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften“ oder der „Gesellschaft für die Verbreitung nützlichen Wissen“, weiterzuentwickeln.[20]

 

Während die Landwirtschaft im Süden an Bedeutung verlor, verlagerte sich das wirtschaftliche Schwergesicht in den Norden. Die alten patriarchalischen Strukturen in den Beziehungen der Grundeigentümer zu ihren Arbeitern wurden abgelöst durch lohnabhängige Tagelöhner.[21] Das bedeutete Landflucht und in der Folge ein Anwachsen des Industrieproletariats bei zunehmender Verarmung.[22] Angesichts dieser Situation setzten sich die Chartisten für eine weiterreichende Parlamentsreform mit mehr Rechten für die Arbeiterklasse ein, die in der People’s Charter 1832 niedergelegt wurde. Obwohl diese Vorlage bis 1848 dreimal im Parlament scheiterte, war sie doch für die Politik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtungweisend, vor allem für die Reform Acts von 1867 und 1884. Die neue hierarchische Gesellschaft sollte auf der Gleichheit der Menschen beruhen, trotzdem dominierte Geld über die Werte[23], weshalb die sogenannte „arbeitende Klasse“, die zunächst Handwerker, Heimarbeiter, Tagelöhner, Kleinbauern und Pächter, Dienstleute, Hausangestellte und Fabrikarbeiter umfasste, den untersten Rang einnahm. Erst später wurde der Begriff working class auf die Fabrikarbeiter eingeengt[24], deren wirtschaftliche Lage in den 1830er und 1840er Jahren immer schlechter wurde und somit ihr Ansehen in der Gesellschaft noch weiter herabsetzte.

 

Der durchschnittliche Arbeiter lebte am Rande des Existenzminimums, während der nationale Reichtum durch die Produkte seiner Arbeit wuchs. Dazu kam, dass die Disziplin und Monotonie der Arbeitsbedingungen, denen auch Frauen und Kinder unterworfen waren, die Menschen abstumpften und zu mechanisch funktionierenden hands degradierten.[25] Die patriarchalischen Familienverhältnisse der vorindustriellen Zeit, in denen Respekt und Moral etablierte Werte waren, lösten sich allmählich auf[26], die Fabriken wurden häufig zu Arbeitshäusern für die Kinder der armen Leute[27], Trunksucht und Prostitution breiteten sich aus.[28] In den frühen 1830er Jahren war fast die Hälfte der Arbeiter in der Baumwollindustrie jünger als einundzwanzig Jahre, und mehr als die Hälfte der Erwachsenen waren Frauen.[29]

 

Manchester kann als exemplarisch für die Industriestädte des 19. Jahrhunderts betrachtet werden.[30] Schlechte Bauplanung, Umweltverschmutzung, katastrophale hygienische Verhältnisse in Fabriken, Straßen und Wohnungen sowie mangelnder Unfallschutz führten zu früher Arbeitsunfähigkeit, zu Missbildungen und Krankheit. Es war eine Umgebung, der sich „nur eine entmenschte, degradierte, intellektuell und moralisch zur Bestialität herabgewürdigte, körperlich kränkliche Rasse […] behaglich und heimisch fühl[t]“.[31] Besonders verbreitet waren in den Baumwollzentren die Schwindsucht und andere Lungenkrankheiten, hervorgerufen durch den faserigen Staub in den Baumwoll- und Flachsspinnereien, aber auch Scharlach und Typhus waren eine häufige Todesursache.[32] Schon bei den Kindern traten durch mangelhafte Ernährung gesundheitliche Schäden auf, trotzdem mussten sie sehr früh zum Lebensunterhalt der Familien beitragen. Da sich die Familien oft nur durch die Mitarbeit aller vor dem Hunger retten konnten, war der Einsatz ungelernter Billigarbeitskräfte aus Irland ein Druckmittel der Fabrikeigentümer gegen Proteste aus der Arbeiterschaft.[33] Erst Anfang der 1850er Jahre verbesserten sich die Bedingungen, einerseits durch das Ausbleiben von Krisen, andererseits durch das Erstarken der Gewerkschaften, die ihre eigene soziale Identität entwickelt hatten.[34]

 

In den 30er und 40er Jahren versuchten Ärzte, Hygieneforscher, Benthamisten und Chartisten, angeregt durch offizielle Untersuchungen der Säuglingssterblichkeit, der mangelhaften Ernährungslage, der Ausbreitung von Krankheiten und ähnlichem, die Situation der Arbeiter zu verbessern, aber mit geringem Erfolg[35], obwohl die Berichte des Sadler Committee oder der Ashley’s Mines Commission, um zwei Beispiele zu nennen, eklatante Missstände aufdeckten.[36] Erst durch die Factory Acts von 1842 und 1844 wurden Nacht- sowie Frauenarbeit unter Tage verboten, die Arbeitszeit begrenzt und Hygiene- und Unfallverhütungsvorschriften ergänzt.[37] Allerdings konnten die Regelungen wegen unzureichender Kontrolle leicht umgangen werden und räumten, wie z. B. das Cottagesystem durch die Verknüpfung von Arbeitsplatz und Mietwohnungen, den Arbeitgebern noch mehr Macht ein.[38] Trotzdem bedeuteten Neuerungen wie etwa das Schulgesetz von 1843[39] oder die Ernennung von Beamten zur Überwachung der Hygienevorschriften (1847) einen großen Fortschritt.

 

Die Ausnutzung der Arbeitskräfte führte in Großbritannien schon früh zu Protesten und Zusammenschlüssen. So wurde bereits 1792 der erste Arbeiterverein gegründet, und 1802 fand ein Lohnstreik auf den Londoner Werften statt. Die blutig endenden Streiks 1808 in St. George’s Field bei Manchester, die Massendemonstrationen der „Blanketeers“ (1817) und „Peterloo“ bei Manchester (1817)[40] sowie weitere Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen wurden noch in den späten 1820ern von den vorindustriellen Gruppen der Handwerker und Heimarbeiter getragen.[41] Sie waren auch die Akteure in dem ersten größeren Arbeitskampf von 1811. Unter der Bezeichnung „Luddisten“ zerstörten sie in Lancashire Maschinenwebstühle und in Yorkshire Scheerrahmen um ihre Arbeitsplätze zu erhalten.[42] Der Staat reagierte auf die Proteste mit Streik- und Koalitionsverboten. Erst nach ihrer Aufhebung 1824 konnte das Gewerkschaftswesen in seiner Opposition gegen das Kapital erstarken und die Organisation von Streiks unterstützen.[43]

 

In der Zeit zwischen 1815 und 1848 entwickelten die Fabrikarbeiter ein eigenes Klassenbewusstsein[44], das in den älteren...

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