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| Beobachtungen zum politischen Klimawandel oder: Was für Deutschland auf dem Spiel steht
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Noch nie in der Nachkriegsgeschichte war die Bevölkerung der westlichen Welt so tief gespalten wie heute. Die einen wollen Weltoffenheit, Toleranz und sind von der Gleichwertigkeit aller Menschen überzeugt. Die anderen propagieren Abschottung, eine Rückkehr zum Nationalismus und Ungleichwertigkeit. Auch durch Deutschland geht im Jahr 2017 dieser Riss.
Wo immer Rechtspopulisten in jüngster Zeit an die Macht gelangt sind, sind die Folgen für Demokratie und Rechtsstaat fatal. Donald Trump ist mit einem Wahlkampf, in dem er auf Lügen, Rassismus und Frauenfeindlichkeit setzte, US-Präsident geworden. Und er scheint entschlossen, die so vielfältigen und freiheitsliebenden Vereinigten Staaten zu einer Festung der wütenden weißen Männer umzubauen. In Großbritannien hat eine nationalistische Kampagne zum Brexit-Votum und damit zum anstehenden Austritt aus der EU geführt. Ungarn wird unter Ministerpräsident Viktor Orbán zu einer, wie er es nennt, »illiberalen Demokratie« umgebaut. Denn von den Errungenschaften der liberalen Demokratie – wie Pressefreiheit, Minderheitenrechten oder Gewaltenteilung – hält Orbán wenig. In Polen hat die nationalkonservative Regierung das Verfassungsgericht kaltgestellt und damit das erste Verfahren der EU gegen einen Mitgliedsstaat wegen Schwächung des Rechtsstaatsprinzips auf sich gezogen. In Frankreich und den Niederlanden haben die Rechtspopulisten um Marine Le Pen und Geert Wilders mit ihrer Stimmungsmache gegen Muslime und Einwanderer sowie Plänen für eine wirtschaftliche Isolation massiven Zulauf – und bedrohen damit die friedliche Einigung Europas.
Der politische Klimawandel, den wir in so vielen Ländern erleben, ist auch eine Reaktion auf die besonderen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaften heute stehen. Die Globalisierung verändert unsere Arbeitswelt. Das hat nicht nur positive Seiten: Jobs werden ins Ausland verlagert oder gehen durch die Digitalisierung verloren.
Die Integration von Kriegsflüchtlingen aus Nahost und Afrika in die europäischen Gesellschaften ist mit großen Anstrengungen verbunden und nicht immer frei von Konflikten.
Weltweit nimmt die soziale Ungleichheit zu. Global operierende Konzerne häufen enorme Reichtümer an, während Mittelständler ums Überleben kämpfen und Dumpinglöhne für viele Arbeitnehmer zur Regel werden.
Der islamistische Terrorismus bedroht die Sicherheit auch in Deutschland – der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz hat es brutal gezeigt.
Viele Menschen sind in Sorge, ob wir künftig in Deutschland noch so leben können, wie wir es seit Jahrzehnten gewohnt sind – in Wohlstand, bei sozialer Sicherheit und innerem Frieden. Ich breche über niemanden den Stab, der sich solche Sorgen macht. Aber jeder trägt auch Verantwortung dafür, welcher Fahne er hinterherläuft.
Lange Zeit galt Deutschland als Ausnahme vom eben beschriebenen politischen Klimawandel. Hier konnten Rechtspopulisten kaum politisch Fuß fassen. Ihre Wahlerfolge waren insgesamt dürftig und beschränkten sich auf einige Länderparlamente. Die Lehren aus den Weimarer Jahren schienen gründlich nachzuwirken: In der Geschichte der Bundesrepublik hat es noch nie eine rechtspopulistische oder rechtsextreme Partei über die Fünfprozenthürde in den Bundestag geschafft. Doch allen Umfragen zufolge wird sich das 2017 ändern.
In Deutschland kanalisiert sich die Strömung der selbst ernannten »neuen Rechten« heute in der AfD und im Umfeld der Pegida-Kundgebungen. Sie grenzt sich ab vom altbekannten Rechtsextremismus, der Hitler verherrlichte, vom nationalen Umsturz träumte und sich als Bewegung ganz am Rand des politischen Spektrums verortete. Die neue Rechte hingegen zielt auf den gesellschaftlichen Mainstream ab. Sie behauptet, die wahre Stimme des Volkes zu sein, während angeblich ein Meinungskartell aus Mächtigen und Medien die unliebsamen Ansichten der Mehrheit unterdrückt.
Die AfD hat mehrere ideologische Wurzeln. Gegründet als Anti-Euro-Partei, stand sie anfangs für einen neoliberalen Marktradikalismus und bediente sich in der Gesellschaftspolitik beim Konzept einer »neuen Bürgerlichkeit«, das die biedere Adenauer-Republik der 1950er-Jahre zum gesellschaftlichen Idealzustand verklärte.[2]
Mittlerweile aber hat sich die AfD vor allem als Anti-Flüchtlings-Partei profiliert, als lautstarke Gegenstimme zur »Willkommenskultur« in Deutschland und als Pendant zu den neu-nationalistischen Bewegungen in einigen unserer Nachbarländer. Dabei zeigen sich immer wieder Überschneidungen mit dem rechtsextremen Milieu. Im Saarland hatten wir es zur jüngsten Landtagswahl mit einem AfD-Spitzenkandidaten zu tun, der mit Nazi-Devotionalien handelte und nichts Anrüchiges dabei fand. In Baden-Württemberg hat sich die AfD-Landtagsfraktion lieber gespalten, als einen notorischen Antisemiten auszuschließen. In Berlin machte die AfD einen Mann zum Abgeordneten, der sich einst rühmte, örtlicher »Leader« der rechtsextremen »German Defence League« zu sein.[3] Und aus dem sogenannten völkischen Flügel der AfD wird das Holocaustmahnmal als »Denkmal der Schande« beschimpft und das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus als »dämliche Bewältigungspolitik« abgetan.[4]
Insbesondere aber findet sich ein ideologisches Grundmuster der »alten Rechten«, das auch bei der neuen Rechten immer wiederkehrt: nämlich dass nicht alle Menschen gleich seien, sondern der Wert eines Menschen von dessen Hautfarbe, Herkunft oder Religion abhänge. Wo sich die Rechtspopulisten in ihrer Rhetorik nicht wesentlich von Rechtsextremisten unterscheiden, erlaube ich mir deshalb, in diesem Buch auch pauschal von den Rechten zu sprechen.
Die Methoden der Rechtspopulisten sind überall ähnlich: Sie schüren Ängste und ergehen sich in Untergangsszenarien. Sie propagieren nationale Abschottung und Feindseligkeit gegen Fremde. Sie hebeln die demokratische Streitkultur aus, indem sie sich jeder sachlichen Argumentation verweigern. Und stets präsentieren sie sich als Fürsprecher einer angeblichen Bevölkerungsmehrheit, die von den derzeit bestimmenden politischen Kräften missachtet werde.
Daher kapert die neue Rechte in Deutschland auch so gern die Bürgerrechtlerparole »Wir sind das Volk«. Das aber ist eine ungeheure Anmaßung; den Anspruch, den sie damit erhebt, kann sie nicht einlösen. Wie damals in Zwickau sichtbar wurde, vertreten die Rechten in unserer Gesellschaft keineswegs die Mehrheit, sondern nur eine lautstarke Minderheit. Die zeitweilige Dauerpräsenz von AfD- und Pegida-Funktionären in den Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zeigt zudem, dass von einer Missachtung ihrer Positionen keine Rede sein kann.
Aber die maßlose Übertreibung ist ohnehin eines der wichtigsten taktischen Instrumente der Rechtspopulisten. Sie bauschen reale Probleme gewaltig auf und verstärken damit bei ihren Anhängern Angst und Verunsicherung – vor allem wenn es um Zuwanderung und um Muslime geht. Und so wurde die Entscheidung der Bundesregierung, Kriegsflüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, von der neuen Rechten mindestens als ein »Gesetzesbruch«[5], wenn nicht als viel Schlimmeres dargestellt. Schließlich warnte schon Thilo Sarrazin als gesellschaftlicher Türöffner für die neurechte Bewegung: »Deutschland schafft sich ab«. Von einer »Invasion«[6]und einer »Flut«[7]war dann die Rede, als ob nicht Menschen in Not zu uns gekommen, sondern feindliche Soldaten in Deutschland einmarschiert wären oder eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen wäre. Die Aufnahme der Flüchtlinge war angeblich Teil eines von der Bundesregierung geplanten Komplotts zum »Bevölkerungsaustausch«[8]. Von den knapp sechs Prozent Muslimen in Deutschland soll nicht weniger drohen als eine »Islamisierung des Abendlandes«, und der AfD-Vizechef beteuert, er wolle verhindern, dass »der Kölner Dom eines Tages in eine Moschee umgewandelt wird«[9] – als ob das auch nur eine im Entferntesten realistische Befürchtung wäre.
Mit ihren Provokationen und Verschwörungstheorien vergiftet die Rechte die politischen Debatten. Die strategische Dauerbeschallung mit ihren Kampfbegriffen hat einen gefährlich zermürbenden Effekt, weil penetrant wiederholte Floskeln irgendwann ins Denken einsickern, egal wie falsch und verleumderisch sie sind. »Postfaktisch« war das Wort des Jahres 2016. Zur Begründung hieß es von der Jury, immer größere Bevölkerungsschichten seien in ihrem Widerwillen gegen »die da oben« bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen als Wahrheiten hinzunehmen.[10] Wie erfolgreich diese Methode sein kann, hat der Wahlerfolg von Donald Trump in den USA gezeigt.
Die spezielle Rhetorik der Rechtspopulisten dient dem Ziel, kulturelle Hegemonie zu erlangen. Sie wollen in gesellschaftlichen Debatten nach und nach tonangebend werden, indem sie hartnäckig in möglichst vielen Bereichen die eigenen Phrasen als gängigen Sprachgebrauch etablieren.[11] Die euphemistische Bezeichnung »besorgter Bürger« ist eben auch ein Mittel, um extremen Positionen das Anrecht auf einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu verschaffen.
Sorgen, Ängste, permanente Katastrophenwarnungen: Die neue Rechte ist auf schlechte Stimmung angewiesen....