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Authentizität im dokumentarischen Film und Fernsehen

Die Geschichtsdarstellung dreier Filmproduktionen rund um 'München '72'

AutorFranziska Ritter
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783640208654
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Film und Fernsehen, Note: 1,1, Hochschule Hannover, 80 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Diplomarbeit untersucht die komplexen Authentisierungsmechanismen, die im dokumentarischen Film und Fernsehen auf den Zuschauer wirken. Dabei liegt das Augenmerk auf den filmischen Strategien, mit denen die Medienschaffenden den Eindruck von Glaubwürdigkeit evozieren. Filme mit historischem Bezug bilden den Untersuchungsgegenstand. Die Analyse erfolgt anhand eines singulären historischen Ereignisses: der Geiselnahme der israelischen Sportler bei den Olympischen Spielen von 1972 in München. Mittels Systematischer Filmanalyse werden drei Produktionen, die dieses Geschehen thematisieren, auf ihre filmischen Gestaltungsmittel hin untersucht. Zu der Auswahl gehören der Dokumentarfilm 'Ein Tag im September' von Kevin Macdonald, die Dokumentation 'Der Olympia-Mord' von Sebastian Dehnhardt, Uli Weidenbach und Manfred Oldenburg sowie der Spielfilm 'München' von Steven Spielberg. Um die Glaubwürdigkeit der ausgewählten Filme umfassend beurteilen zu können, werden zudem der jeweilige Produktions- und Rezeptionshintergrund beleuchtet. Im Ergebnis enthält diese Arbeit einen umfangreichen Katalog authentisierender Gestaltungsmittel, die das Vertrauen des Publikums in einen Film steigern können. Wie sich zeigt, stellt der Code des Authentischen kein einheitliches System dar, sondern folgt teilweise gegenläufigen Strategien. Darüber hinaus belegt die vergleichende Filmanalyse, wie sich der Spielfilm dieser Authentizitätsmechanismen des Dokumentarischen bedient.

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Leseprobe

1 Einleitung


 

1.1 Relevanz des Themas


 

„Die Stunde Null des internationalen Terrorismus“[1] – so wird bezeichnet, was während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München geschah. Am frühen Morgen des  5. September drangen palästinensische Terroristen in das Olympische Dorf ein und nahmen dort elf israelische Sportler und Betreuer als Geiseln. Zwei von ihnen widersetzten sich den Palästinensern und erlagen noch vor Ort ihren Schussverletzungen. Die acht Geiselnehmer, Mitglieder der Terrorgruppe „Schwarzer September“ forderten die Freilassung von 232 in israelischer Haft sitzenden Palästinensern, doch die israelische Regierung lehnte Verhandlungen strikt ab. Die deutschen Behörden ließen daraufhin Terroristen und Geiseln auf den militärischen Flughafen Fürstenfeldbruck ausfliegen, wo die Geiselnehmer überwältigt werden sollten. Aber die Befreiungsaktion schlug fehl und endete in einer Katastrophe: alle neun Geiseln starben, fünf Terroristen und ein deutscher Polizist kamen ums Leben. Die drei überlebenden Palästinenser wurden wenige Wochen später mit einer entführten Lufthansa-Maschine freigepresst.

 

Was 1972 in München passierte, kann nicht nur als ein Angriff auf den israelischen Staat, sondern auch als Attacke auf den olympischen Gedanken verstanden werden. Die Geiselnahme von München wird daher auch als Olympia-Attentat bezeichnet, das das olympische Ideal von Völkerverständigung und Frieden durch Terror und Tod überschattete. „[…] vor 30 Jahren ging jäh ein Traum zu Ende“[2], sagte Bundesinnenminister Otto Schily anlässlich einer Gedenkveran-staltung für die Opfer von München im September 2002, „der Traum, die Olympischen Spiele der Neuzeit könnten auch in Zeiten des internationalen Terrorismus eine Oase des Friedens bilden. An seine Stelle trat ein Albtraum […].“ Vor allem bei den Deutschen saß der Schock tief, wollten sie doch die Nazi-Spiele von 1936 vergessen machen und der Welt das offene, demokratische Gesicht Deutschlands zeigen. Mehr als 25 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg wurden Juden ausgerechnet auf deutschem Boden wieder zum Opfer von antisemitischer Gewalt.

 

Im Gegensatz zu anderen terroristischen Angriffen war München 1972 das erste massenmediale Ereignis dieser Art. Die Connollystraße 31 im Olympischen Dorf war kurz nachdem die Nachricht von der Geiselnahme bekannt geworden war, von Dutzenden Kamerateams umstellt. Zuschauer aus der ganzen Welt konnten das Ereignis live am Fernseher verfolgen. Vielen prägte sich das Bild eines vermummten Geiselnehmers auf dem Balkon des israelischen Quartiers ein. „Von diesem Zeitpunkt an war die Welt nicht mehr so, wie sie war.“[3], sagt der damalige Pressereferent der Spiele von München Ulrich Pabst rückblickend. Die deutsche Regierung antwortete auf die Geschehnisse mit einer Ausweisungswelle gegen in Deutschland lebende Araber und mit der Gründung der Anti-Terrorismus-Einheit GSG 9. Israel beauftragte eine Mossad-Sondereinheit damit, die überlebenden Terroristen und Drahtzieher des Attentats aufzuspüren und sie zu liquidieren. Der Operation fielen mehr als ein Dutzend mutmaßliche Hintermänner palästinensischer Terroranschläge zum Opfer, darunter auch ein unschuldiger Norweger marokkanischer Herkunft.

 

Nichtsdestotrotz geriet die Geiselnahme von München vorübergehend in  Vergessenheit, wohl auch, weil die deutschen Behörden ihr eigenes Versagen nicht eingestehen wollten. Die Angehörigen der israelischen Athleten mussten 30 Jahre lang darum kämpfen, Einblick in die behördlichen Dokumente zu erhalten. Auf eine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung warten sie bis heute. Erst mit der Jahrtausendwende fand das Thema wieder ein öffentliches Interesse. Kevin Macdonald, Regisseur des Dokumentarfilms „Ein Tag im September“ (1999) stieß bei der Themenrecherche auf die Geiselnahme von München und stellte fest, dass die Geschichte immer noch eine Menge unbeantworteter Fragen in sich barg.[4] 2005 wagte sich Hollywood-Regisseur Steven Spielberg an das Thema und drehte den Spielfilm „München“, der gegen das Vergessen mahnen soll:

 

„One of the reasons I wanted to tell this story is that every four years there's an Olympics somewhere in the world, and there has never been an adequate tribute paid to the Israeli athletes who were murdered in '72 […]. I wanted this film to be in memory of them, because they seem to have been forgotten. The silence about them by the International Olympic Committee is getting louder for me every four years. There has to be an appropriate official acknowledgment of what happened.”[5]

 

Im gleichen Jahr, in dem Spielbergs „München“ in die Kinos kam, strahlte das ZDF die historische Dokumentation „Der Olympia-Mord“ von Sebastian Dehnhardt, Uli Weidenbach und Manfred Oldenburg aus. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und in Zeiten des internationalen Kampfs gegen den Terror ist das Thema aktueller denn je.

 

Noch vor der Fertigstellung dieser Arbeit folgte ein weiterer Dokumentarfilm von der amerikanischen Künstlerin Sarah Morris, die in erster Linie für ihre abstrakten Gemälde bekannt ist. In „1972“ porträtiert sie den damaligen Polizeipsychologen Doktor Georg Sieber, der mit seinem Szenario Nummer 26 eine nahezu exakte Vorhersage dessen lieferte, was sich später in der Connollystraße ereignete. Auch wenn Morris’ Dokumentarfilm nicht mehr in die vorgenommene Filmauswahl integriert werden konnte, verdeutlicht er die Relevanz des Themas. So lautet Siebers erster Satz im Film, der auch auf dem Filmplakat steht:

 

„Especially in this case, there won’t be a historical truth in the sense of a reality. Historical truth is only the sum of objective perceptions, interpretations and thoughts which can be checked by comparing dates and comparing statements and documents. But the real truth remains an ideal. A dream, something which isn’t real.”[6]

 

Sieber verweist mit diesem Ausspruch auf das Grundproblem der historischen Darstellung. Geschichte spiegelt nicht die echte Realität wieder, sondern kann sich dieser nur annähern. Genauso wenig ist es dem Dokumentarfilm möglich, die Wirklichkeit abzubilden. Doch „Bilder schaffen Wirklichkeiten“[7] – zumindest im Kopf des Betrachters. Historische Stoffe, die auf die Kinoleinwand projiziert oder im Fernsehprogramm ausgestrahlt werden, prägen das Geschichtsbild. Vor allem dem Dokumentarischen haftet die Vorstellung an, eine unverfälschte Wahrheit wiedergeben zu können. Journalisten und Dokumentaristen sollen die wahre Geschichte vermitteln, zeigen wie es wirklich war. Ob dieser Anspruch eingelöst wird, entscheidet der Zuschauer. Er beurteilt, für wie authentisch er das Dargestellte hält. Authentizität, zu deutsch Glaubwürdigkeit lautet das Schlüsselwort: „Die Sprache verrät deutlich, worum es eigentlich geht: nicht um Beweis, nicht um endgültige Sicherheit, sondern um Glauben und Vertrauen.“[8]

 

Die vorliegende Arbeit möchte die Authentizitätsmechanismen offen legen, die in diesem Prozess wirken. Im Fokus der Analyse stehen die filmischen Strategien, mit denen die Filmemacher beim Publikum den Eindruck von Glaubwürdigkeit erzielen. Da vor allem historischen Dokumentarformen die Illusion einer unverfälschten Wirklichkeitswiedergabe anhaftet, richtet sich das Interesse auf geschichtsdarstellende Filme. Anhand eines singulären historischen Ereignisses, der Geiselnahme von München 1972, werden verschiedene Produktionen mittels Systematischer Filmanalyse miteinander verglichen. Für die Untersuchung ergeben sich allerhand Fragen: Sind die Filme würdig, geglaubt zu werden? Welche gestalterischen Mittel setzen die Filmemacher ein, um ihren Authentizitätsanspruch zu unterstreichen? Im Rahmen der Filmanalyse wird neben Vertretern des Dokumentarischen auch ein Spielfilm untersucht, der über die Annäherung der Genres Aufschluss geben soll. Wie stark sind fiktionale Filme der historischen Wahrheit verpflichtet? Nutzen sie die gleichen Authentisierungsstrategien wie  Dokumentarfilme? Die ausgewählten Filme werden zusätzlich in einen Entstehungs- und Rezeptionszusammenhang eingebettet.

 

1.2 Motivation


 

Ich selbst, geboren 1985, habe die Geiselnahme von München nicht erlebt. Bevor ich den Dokumentarfilm „Ein Tag im September“ sah, wusste ich kaum etwas über die Geschehnisse der besagten Sommerspiele. Dennoch kann ich nachvollziehen, was im September 1972 in München geschah. Wie Millionen anderer Menschen habe ich am 11. September 2001 im Fernsehen verfolgt, wie die rauchenden Türme des World Trade Centers in New York einstürzten. Was für meine Generation 9/11 bedeutet, muss damals München 1972 gewesen sein. Beide Anschläge hatten neben dem Tod unschuldiger Zivilisten einen symbolischen Wert. Die Twin Towers standen sinnbildlich für den Kapitalismus und die westliche Zivilisation, die Olympischen Spiele verkörperten das Ideal von Frieden und Fairplay. Indem die Terroristen diese Ziele angriffen, attackierten sie auch unsere (westlichen) Werte. Joachim Fuchsberger, Stadionsprecher während der Olympischen Spiele in München, erinnert sich an „diese unbeschreibliche Hilflosigkeit“[9],...

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