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Das Bildungserbe der Reformation

Bleibender Gehalt - Herausforderungen - Zukunftsperspektiven

AutorFriedrich Schweitzer
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641199623
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Klärung und Orientierung zum Bildungsverständnis in der evangelischen Kirche
Die Reformation war nicht zuletzt auch eine Bildungsbewegung, und gerne betont die Evangelische Kirche darum ihr Bildungserbe. Aber: Hat dieses Bildungserbe angesichts heutiger Herausforderungen in der Praxis überhaupt eine Orientierungsfunktion?
Friedrich Schweitzer beschreibt die geschichtliche Entwicklung und die neuzeitliche Wirkungsgeschichte des Bildungsverständnisses im Protestantismus. Er benennt die zentralen Herausforderungen, vor die es sich im 21. Jahrhundert gestellt sieht und zeigt, wie das protestantische Bildungsverständnis neu gefasst und für die pädagogische und religionspädagogische Praxis heute fruchtbar gemacht werden kann.

Friedrich Schweitzer, geb. 1954, Master of Theology, Dr. rer. soc., Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, ist Autor immer wieder aufgelegter Veröffentlichungen zu Fragen der religiösen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.

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Leseprobe

Zur Einleitung: Herausforderungen – neue Chancen – Zukunftsperspektiven

Schon der Begriff provoziert: »Bildungserbe« – kann man Bildung erben?

Der Begriff soll auch provozieren – zu eigenem Nachdenken und zu Klärungsprozessen, die gerade in unserer Gegenwart in neuer Weise dringlich sind.

Denn während der Protestantismus sich anschickt, seine 500-jährige Geschichte zu feiern, steht er zugleich vor tiefgreifenden Umbrüchen, die nicht zuletzt im Bildungsbereich vor Augen treten. Ist der Protestantismus noch in dem Sinne eine Bildungsreligion, dass hier auch Gebildete Antworten auf ihre Fragen finden? Oder ist er eine Religion nur (noch) für Gebildete? Hängt die Zukunft des Protestantismus auch daran, dass das reformatorische Bildungserbe tatsächlich angetreten wird? Und welche Rolle kann und soll dieses Erbe über die Grenzen der Kirche hinaus heute noch spielen?

Solche Fragen deuten an, worum es in diesem Band gehen soll, aber auch, was von Anfang an ausgeschlossen sein muss. Gerade der gegenwärtige Horizont des Reformationsjubiläums fordert zu einer solchen Klärung heraus:

  • Berufungen auf ein »Erbe« tendieren häufig zu folgenlosen Selbstdarstellungen. Betont werden die eigenen Leistungen oder zumindest die eigene Leistungsfähigkeit, aber es stellt sich dann doch bald heraus, dass die damit verbundenen Ansprüche nicht eingelöst werden. Dem entspricht es, dass Selbstdarstellungen dazu neigen, sich selbst feiern zu wollen, und dass die Tradition, der man sich zugehörig fühlt, überhöht und verklärt wird. Schwierige Fragen oder Defizite hingegen werden tunlichst ausgeblendet, können dann aber auch nicht mehr bearbeitet werden.
  • Nicht weniger problematisch sind Besitzansprüche, die bei solchen Gelegenheiten gerne angemeldet werden. Wie von katholischer Seite mitunter festgestellt, liegen solche Ansprüche gerade beim Bildungsthema nahe. Spätestens dort, wo die Rede von einem reformatorischen Bildungserbe so verstanden wird, als wäre Bildung allein mit dem Protestantismus verbunden, fühlen sich andere Konfessionen und inzwischen auch andere Religionen gleichsam um ihr Erbe gebracht.
  • Ob geistiges Eigentum sich überhaupt vererben lässt, kann zudem grundsätzlich in Zweifel gezogen werden. Darüber hinaus legt die Bezeichnung von Traditionen als Erbe die Beschwörungsbefürchtung besonders nahe. Deshalb gilt: Ob und wo es vielleicht etwas zu erben gibt, muss kritisch geprüft werden. Nicht jedes Erbe ist auch zukunftsfähig, und vor allem gehört ein Bildungserbe niemand allein.

Nur wo solche Probleme nicht übergangen werden, kann auch die Frage nach neuen Chancen einleuchten, die sich mit einem bestimmten Bildungserbe verbinden. Dabei wird deutlich, dass auch diese Chancen beträchtlich sind und dass es sich lohnt, nach Möglichkeiten der Erneuerung zu fragen:

  • Für die Bildungsdiskussion der Gegenwart gilt weithin, dass historische Voraussetzungen und Zusammenhänge kaum mehr eine Rolle spielen. Bildung wird einerseits empirisch, nämlich in der Perspektive der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung begriffen und andererseits als Zukunftsaufgabe von gesellschaftlichen Anforderungen her bestimmt. Beides ist notwendig, reicht aber allein nicht zu, eben weil auf diese Weise die weiterreichenden Voraussetzungen gelingender Bildungsprozesse nicht in den Blick kommen. Insofern bietet die Frage nach dem reformatorischen Bildungserbe die exemplarische Chance, vergessene Zusammenhänge neu ins Bewusstsein zu rufen. Das gilt nicht zuletzt auch für die Erziehungswissenschaft, die viel stärker von weit zurückreichenden Traditionen lebt, als ihr heute in der Regel bewusst ist.
  • Für die evangelische Kirche spielen Bildungsaufgaben eine wichtige Rolle. Zugleich zeichnen sich jedoch gegenläufige Tendenzen ab: Vor allem demographische Veränderungen können dazu führen, dass die Kirche ihre Arbeit in Zukunft stärker auf ältere Menschen konzentrieren wird, während Bildungsfragen in erster Linie mit Kindern und Jugendlichen assoziiert werden. Durch den Religionswandel der Gegenwart treten andere Herausforderungen etwa der Kirchenbindung angesichts hoher Austrittszahlen in den Vordergrund. So gesehen verbindet sich mit dem Bildungsthema auch die Perspektive einer Selbstklärung im Blick auf die Zukunft: Welche Rolle soll Bildung für die Kirche spielen?
  • In einer zunehmend multireligiösen Gesellschaft kann der Bezug eines für die gesamte Gesellschaft maßgeblichen Bildungsverständnisses auf eine bestimmte religiöse Tradition immer weniger einleuchten. Religion wird auch in dieser Hinsicht zunehmend als Privatangelegenheit behandelt. Welche Gründe könnten dafür sprechen, gerade im Blick auf die Multireligiosität von einer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des reformatorischen Bildungserbes auszugehen?

In allen diesen Hinsichten muss also immer auch kritisch geprüft werden, was es zu erben gibt und ob ein Erbe überhaupt angetreten werden soll. Positiv ausgedrückt, geht es um die Aufgabe einer kritischen Selbstprüfung als Grundlage für zukunftsfähige Weiterentwicklungen. Insofern verweisen Traditionsorientierung auf der einen und die kritische Auseinandersetzung mit der Tradition im Dienste der Erneuerung auf der anderen Seite konstitutiv aufeinander. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Nur wenn eine Erneuerung erreicht wird, kann ein Erbe erfolgreich angetreten werden.

Deshalb müssen im Folgenden mehrere Interessen oder Ziele zugleich maßgeblich sein. So geht es durchaus um das Motiv einer Vergewisserung im Blick auf den Zusammenhang von Bildung, Reformation und Protestantismus: Worin besteht dieser Zusammenhang? Aber es muss eben auch darum gehen, welche Bedeutung Bildungsaufgaben für die Zukunft des Protestantismus haben und welche Schritte für eine Erneuerung des evangelischen Bildungsverständnisses erforderlich sind.

Ebenso muss das Motiv der Vergewisserung bewusst überschritten werden, wenn es um die gesellschaftliche Bedeutung des protestantischen Bildungsverständnisses gehen soll. Der Verweis auf die Tradition allein führt hier nicht weiter. Vielmehr stellt sich die Frage, was ein protestantisches Bildungsverständnis heute noch für die Gesellschaft austragen kann. Diese Frage zwingt erneut dazu, jede konfessionelle Verengung hinter sich zu lassen. Antworten werden hier nur überzeugen, wenn sie auch für andere Konfessionen und Religionen plausibel sind.

In dieser Zuspitzung wird erkennbar, dass überzeugende Perspektiven sich nur entwickeln lassen, wenn das Motiv der Reformation selbst fortgeschrieben wird. Dazu ist das Bildungserbe nicht nur kritisch und selbstkritisch zu betrachten, sondern die in diesem Erbe anzutreffende Ausrichtung auf eine Erneuerung muss auch für Gegenwart und Zukunft zum Tragen gebracht werden. Reformation bedeutet ja genau dies: eine Erneuerung für die Zukunft – durch Rückkehr zu dem, was aus dem Blick geraten ist.

Als 500 Jahre zurückreichende Größe stellt der Protestantismus dabei vor die Schwierigkeit, dass sich ein so langer Zeitraum in einer begrenzten und bewusst überschaubar gehaltenen Darstellung kaum im Einzelnen aufnehmen lässt. Erforderlich sind stattdessen Auswahl und Konzentration auf Wesentliches, woraus sich freilich nicht nur Nachteile, sondern auch besondere Chancen ergeben. Grundlegende Klärungen erwachsen oft weniger aus den Details als aus einer Betrachtung, die ohne eine gewisse Abstraktion von Einzelheiten nicht möglich ist.

Wie schon in dieser Einleitung erkennbar wird, kommen mehrere, sich teils überschneidende Begriffe und Bezeichnungen ins Spiel, wenn das reformatorische Bildungserbe in seiner geschichtlichen Entfaltung in den Blick genommen werden soll. Als »reformatorisch« werden im Folgenden ebenso die Entwicklungen im 16. Jahrhundert wie auch die davon ausgehenden und insofern weiterwirkenden Impulse angesprochen. Beim »Protestantismus« hingegen geht es um die sich erst in nach-reformatorischer Zeit herausbildende Gestalt des evangelischen oder eben protestantischen Christentums, zu dem über die Kirche hinaus auch gesellschaftliche und kulturelle Ausformungen gehören. Der Begriff »evangelisch« schließlich verweist auf ein bestimmtes Bekenntnis und also eine Konfession im Unterschied zu anderen christlichen Konfessionen (römisch-katholisch, orthodox usw.).

Durchweg erweist es sich dabei als hilfreich und notwendig, eine Verengung aufzulösen, von der fast die gesamte Beschäftigung mit der protestantischen Bildungstradition bis heute geprägt ist. Immer wieder wird bei Bildung nur an die Schule gedacht. Ein solches eingeschränktes Verständnis wird aber dem heute maßgeblichen Stand der Bildungsdiskussion schon lange nicht mehr gerecht. Bildung beginnt vielmehr mit dem Anfang des Lebens, und sie muss als ein lebenslanger Prozess verstanden werden. Mit dieser Einsicht lässt sich auch eine neue und angemessenere Perspektive gerade auf die protestantische Bildungstradition gewinnen. Denn dazu gehören neben Schule und Religionsunterricht auch zahlreiche Bildungsmöglichkeiten in Gemeinde und Gesellschaft sowie und nicht zuletzt die individuelle Selbstbildung.

Beim Bildungsthema geht es nie allein um Theorie, sondern immer auch um die Praxis. Kritische Selbstprüfung und Erneuerung sind keine allein akademische Angelegenheit. Für die Praxis führen sie zu der Frage nach sinnvoller Kontinuität und notwendigen Veränderungen. Im Blick auf die anzustrebende Erneuerung des evangelischen...

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