Die Differenz zwischen den staatlichen Einnahmen (T) und Ausgaben (G) innerhalb eines Jahres wird Primärhaushalt (Tt - Gt) genannt, wenn die zu zahlenden Schuldzinsen bei den Ausgaben nicht berücksichtigt werden. Der Saldo des Primärhaushalts gibt Auskunft darüber, wie viele freie Steuermittel dem Staat zur Verfügung stehen, um dem Kapitaldienst an seine Kreditgeber nachzukommen (Brender, Pisani und Gagna (2012)). Wenn die jährlichen Ausgaben (G) die Einnahmen des Staates (T) übersteigen, entsteht ein Haushaltsdefizit. Dieser jährliche Fehlbetrag wird über Kredite finanziert und erhöht den bisherigen Schuldenstand (Bt-1) kontinuierlich bis er durch zukünftige Haushaltsüberschüsse abgetragen werden kann (Kokert, Schäfer und Stephan (2014)). Ein negativer Primärsaldo (Tt - Gt) und die Verzinsung (1+it) der alten Staatsschulden (Bt-1) führen folglich zu noch höheren Staatsschulden im kommenden Jahr (Bt). Anselmann (2012) beschreibt die Gleichungen wie folgt:
Nach Brender, Pisani und Gagna (2012) verändern sich die Schulden nicht, wenn der primäre Haushaltsüberschuss exakt den zu zahlenden Zinsen entspricht, also (Tt - Gt) = itBt-1. Mit zunehmender Verschuldung steigen jedoch ceteris paribus auch die jährlichen Zinsausgaben. Diese nehmen im Laufe der Jahre einen immer größeren Anteil im Haushalt ein, sodass die dazu verwendeten Haushaltsmittel nicht mehr für die Finanzierung von Primärausgaben verwendet werden können. Um die Primärausgaben auf konstantem Niveau zu halten, muss sich der Staat also immer stärker verschulden. Werden keine Steuererhöhung oder Primärausgabensenkungen vorgenommen, schränkt sich der Handlungsspielraum zunehmend ein bis der Staatsetat komplett aus Zinszahlungen besteht (Anselmann (2012)).
Länder, die zur Schuldenfinanzierung mehr Kapital importieren als exportieren, geraten durch diese Nettoschuldnerposition gegenüber dem Ausland zwangsläufig in die Abhängigkeit der internationalen Kapitalmärkte. Politische Instabilitäten, hohe Staatsschulden oder Spekulationen können einen Vertrauensverlust und folglich eine Kapitalflucht der Investoren auslösen, die gesamtwirtschaftliche Konsequenzen hat (Anselmann (2012)). Dies wird umso bedenklicher, wenn man die rasante Entwicklung der globalen Auslandsverschuldung von 2 Billionen USD im Jahr 2000 zu 60 Billionen USD im Jahr 2011 vergleicht. Das entspricht einer Schuldenstandsquote von 4,57 % zu 72,5 % des globalen BIP (Chakrabarti und Zeaiter (2014)). Die Schuldentragfähigkeit eines Staates hängt jedoch nicht nur von der Schuldenhöhe gegenüber dem Ausland ab, sondern auch davon, ob die Verschuldung in der Eigen- oder Fremdwährung erfolgte. Auslandsschulden in eigener Währung können theoretisch durch die Geldschöpfung der eigenen Notenbank zurückgezahlt werden. Trotz der hohen Gefahr inflatorischer Entwicklungen ist die Rückzahlung von staatlichen Verbindlichkeiten in eigener Währung prinzipiell mit keinem Liquiditätsrisiko verbunden. Wird jedoch ein Großteil der Kredite in Fremdwährungen aufgenommen, müssen dessen Zins- und Tilgungszahlungen mit Devisen erbracht werden, die von der eigenen Notenbank nicht geschaffen werden können (Anselmann (2012)).
Die maximale Schuldentragfähigkeit eines Staates ergibt sich aus der Summe der diskontierten, maximalen Haushaltsüberschüsse aller zukünftigen Perioden (Bi und Traum (2012)). Vereinfacht ausgedrückt ist dies die maximale Summe an Steuern, die zukünftige Generationen jedes Jahr an den Staat zahlen wollen oder können (Brender, Pisani und Gagna (2012)).
Die Betrachtung absoluter Verschuldungswerte hat wenig Aussagekraft, da sie die Größe des Landes und somit ihre Rückzahlungswahrscheinlichkeit nicht berücksichtigt. Um die Tragfähigkeit der Schuldenlast einschätzen zu können, bedarf es neben der nominalen Staatsverschuldung zusätzlich der Wirtschaftskraft (Anselmann (2012)). Das Bruttoinlandsprodukt misst als periodenbezogener Produktionsindikator die gesamte Produktion von Waren und Dienstleistungen im Inland nach Abzug der Vorleistungen (Piekenbrock (2002)). Es eignet sich daher als Basis für staatliche Steuereinnahmen, die letztendlich die Erbringung des Schuldendienstes ermöglichen. Die relative Kennzahl der Schuldenstandsquote ist die Division der Schuldenhöhe durch das nominale BIP (Anselmann (2012)).
Die Schuldenstandsquote des aktuellen Jahres (Schuldent/BIPt) ist das Produkt der Verschuldungsquote des letzten Jahres (Schuldent-1/BIPt-1) und dessen jeweiliger Wachstumsraten im Zähler (1+d) und Nenner (1+r). Die Bruttoschulden des letzten Jahres vermehrten sich um die Wachstumsrate d. Die nominale Wirtschaftsleistung des letzten Jahres erhöhte sich um die Wachstumsrate r, die eine Funktion aus der realen Wachstumsrate (rreal) und der Inflationsrate (IF) ist (Kokert, Schäfer und Stephan (2014)).
Bei Annahme sonst konstanter Variablen steigt die Quote von Staatsverschuldung zu nominalen BIP, wenn sich die Haushaltsdefizite vergrößern, der durchschnittliche Schuldzins steigt, das reale Wirtschaftswachstum abnimmt oder die Inflationsrate sinkt (Kokert, Schäfer und Stephan (2014)). Wenn der Primärsaldo null ist, entspricht die Wachstumsrate der Bruttoschulden dem durchschnittlichen Zinssatz auf den Schuldenstand t-1 (Kokert, Schäfer und Stephan (2014)). Trotz ausgeglichenem Haushalt steigt das Schulden/BIP Verhältnis auch dann, wenn der Zinssatz der Schulden die Wachstumsrate der Wirtschaft übersteigt (Shambaugh (2012)). Umgedreht kann eine nominale BIP-Wachstumsrate, die höher als der durchschnittliche Kreditzinssatz ist, sogar das Schulden/BIP Verhältnis senken, obwohl ein primäres Haushaltsdefizit besteht (Brender, Pisani und Gagna (2012)).
Die staatliche Verschuldung wird von vielen als stabil angesehen, wenn sich die Schuldenstandsquote nicht verschlechtert. Dies impliziert, dass staatliche Schulden höchstens in der gleichen Geschwindigkeit wachsen wie das Einkommen der Steuerzahler. Sollte es also heute möglich sein einen primären Haushaltsüberschuss zu erzielen, um die Kreditzinsen zu zahlen, so kann bei einer unveränderten Schuldenstandsquote unterstellt werden, dass dies auch zukünftig möglich sein sollte (Brender, Pisani und Gagna (2012)).
Andererseits ist auch die Höhe der Schuldenstandsquote für die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen von Bedeutung. Sollte das Wachstum sinken ohne von niedrigeren Zinsen kompensiert zu werden, müssten Ausgabensenkungen oder Steuererhöhungen umso radikaler ausfallen, je höher der Schuldenstand ist (Brender, Pisani und Gagna (2012)). Selbst kleine Schocks könnten sofort zu einer Fiskalkrise führen, wenn Investoren das Vertrauen in eine Rückzahlung der Schulden verloren haben (Escolano (2010)). Reinhart und Rogoff (2010b) untersuchten 20 entwickelte Staaten zwischen 1946 und 2009 und kamen zu dem Ergebnis, dass Staaten mit einer Schuldenstandsquote von mehr als 90% im Durchschnitt um einen Prozentpunkt langsamer wachsen als solche Staaten mit geringeren Schuldenstandsquoten. Chadha, Turner und Zampolli (2013) fanden heraus, dass die Zunahme des amerikanischen Schulden/BIP Verhältnisses um einen Prozentpunkt den Forward Zinssatz in den Vereinigten Staaten zeitversetzt um circa zwei Basispunkte ansteigen lässt.
Sollten die Staaten kontinuierlich scheitern eine Lösung für ihre Fiskalprobleme zu finden, werden die Marktteilnehmer eine höhere Inflation erwarten (Chadha, Turner und Zampolli (2013)). Die Zentralbanken können durch ein Wachstum der Geldmenge die reale Kaufkraft des Geldes mindern und so das allgemeine Preisniveau erhöhen. Der reale Wertverlust wird dabei umso größer, je schneller das Geldangebot im Vergleich zur Geldnachfrage wächst. Hohe Zinsen reduzieren die Geldnachfrage und Inflation während niedrige Zinsen die Geldnachfrage und Inflation fördern sollte (Lemieux (2013)). Auch die Rentenmärkte können genutzt werden, um ein zu schnelles Geldmengenwachstum zu dämpfen. Die Regierung des Vereinigten Königreichs emittierte zwischen 1978 und 1984 mehr langlaufende Staatsanleihen als sie für die Finanzierung benötigte. Mit dem Verkauf von Staatsanleihen an Nichtbanken sollte Geldvermögen in Höhe von 5% des BIPs aus dem Markt gezogen werden, weil eine solche Vorgehensweise zur Dämpfung der Inflation effektiver erschien als ein Anheben der Zinsen (Chadha, Turner und Zampolli (2013)).
Bei einer intakten Lohn-Preis-Spirale werden höhere Preise aber auch zu höheren Nominaleinkommen führen. Je größer das Wachstum des nominalen Einkommens, desto einfacher wird es sein der hohen nominalen Steuerschuld nachzukommen (Brender, Pisani und Gagna (2012)). Während die reale Schuldenbelastung für den Staat sinkt, erleidet der Kreditgeber einen realen Wertverlust (Lemieux (2013)). Eine Preissteigerung kann somit die letzte Möglichkeit darstellen die intertemporale Budgetrestriktion einzuhalten und den staatlichen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen (Chadha, Turner und Zampolli (2013)).
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