Auch wenn die Begriffe Whistleblowing, Whistleblowing-System und Whistleblowing-Hotline oftmals synonym[33] verwendet werden, so weisen die einzelnen Begriffe inhaltlich doch sensible Unterschiede auf: Spricht man vom Whistleblowing, so meint dies das Publizieren innerbetrieblicher Informationen an Dritte, losgelöst von jeglichen festen Kommunikationsstrukturen. Ein Whistleblowing-System ist hingegen ein Angebot seitens des Unternehmens, einen Hinweis über einen bestimmten Meldeweg abzugeben. WB-Hs sind eine besondere Ausprägungsform eines Whistleblowing-Systems.
Um ein gemeinsames Verständnis für die Begriffe und deren Inhalte zu schaffen, soll im Folgenden detailliert auf die jeweiligen Spezifika sowie an geeigneter Stelle bereits auf ausgewählte Problemfelder eingegangen werden.
Der Begriff Whistleblowing stammt aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis und wird dort als „the disclosure by organization members (former or current) of illegal, immoral, or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action”[34], definiert. Seine etymologischen Wurzeln hat der Begriff im amerikanischen Ausdruck „to blow the/a whistle“; übersetzt wird dieser oftmals mit den Worten „die Pfeife spielen/blasen/trillern“, „ein Signal geben“ bzw. „Alarm schlagen“.[35] Übertragen steht der Begriff für das Publikmachen unmoralischer, illegitimer und rechtswidriger Verhaltensweisen in Organisationen, Unternehmen und Verbänden oder einzelner Personen.[36] Durch dieses Verhalten soll ein Bewusstsein für Gefahren, insbesondere aus rechtlich oder ethisch fragwürdigem Handeln, geschaffen werden. Ziel des Whistleblowings ist es, die als missständig begriffene Situation zu verbessern.[37] Nach der Auffassung von DEISEROTH sind vor allem vier Kriterien maßgebend, um einen Hinweis als echtes Whistleblowing einzustufen. Diese sind:
1. Revealing Wrongdoing: Bei der Mitteilung, die der Whistleblower macht, muss es sich um eine brisante Enthüllung handeln.[38] Diese Eigenschaft wird regelmäßig solchen Missständen oder Fehlentwicklungen zugeschrieben, die erhebliche Risiken für das Leben, die Gesundheit und die nachhaltige Entwicklung bzw. Sicherung der Ökosysteme bedeuten sowie das friedliche Miteinander der Menschen gefährden.
2. Going Outside: Mit Whistleblowing ist stets eine Meldung nach außen verbunden. In diesem Zusammenhang geht LOHRE davon aus, dass das „eigentliche Whistleblowing“[39] erst in Gang gesetzt wird, wenn der potenzielle Hinweisgeber nach der Konsultation von Kollegen bzw. Familienmitgliedern oder des Freundeskreises die Entscheidung trifft, in Aktion zu treten und andere innerbetriebliche oder externe Stellen zu informieren. Tendenziell wird sich der Whistleblower an externe Stellen wenden, wenn sein innerbetriebliches Alarmschlagen erfolglos war.[40]
3. Serving The Public Interest: Nach diesem Kriterium liegt Whistleblowing nur dann vor, wenn der Hinweis aus altruistischen Motiven zur Wahrung schutzwürdiger Rechtsgüter erfolgt und nicht der Realisierung eigener persönlicher oder ökonomischer Interessen dient.[41]
4. Risking Retaliation: Als letztes Kriterium weist DEISEROTH die Gefahr hin, dass der Whistleblower sich durch seinen Hinweis in eine Situation versetzt, die sowohl seine berufliche Laufbahn als auch seine persönliche Existenz gefährdet.[42]
Ob das letzte Kriterium tatsächlich erfüllt sein muss, um einen Hinweis als Whistleblowing einzustufen, soll in Frage gestellt sein. So bemühen sich insbesondere die USA um einen ausgeprägten Whistleblower-Schutz, der exakt jene Gefahr für den Whistleblower zu vereiteln versucht. Insbesondere seit Einführung des Dodd-Frank Act im Jahre 2010, wurde die rechtliche Position des Whistleblowers gestärkt. Seither kann dieser direkt auf gerichtlichem Wege gegen den Arbeitgeber vorgehen.[43] In Deutschland hingegen ist der Whistleblowerschutz, trotz zahlreicher Forderungen, noch nicht sehr weit vorangeschritten. Dennoch gibt es auch hierzulande einige Gesetze, welche die Rechte der hinweisgebenden Arbeitnehmer schützen.
Zusammenfassend lassen sich für das Whistleblowing vier konstituierende Eigenschaften ableiten: So muss der Whistleblower der Organisation angehören. Der beobachtete Missstand muss auf eine illegale, illegitime oder unmoralische Handlung durch Kollegen, Vorgesetzte oder den Arbeitgeber zurückzuführen sein. Außerdem wird durch den Hinweis kein eigener wirtschaftlicher Vorteil realisiert, vielmehr wird er aus altruistischen Motiven gegeben. Die Informationen müssen an Dritte offenbart werden, wobei die Empfängerstelle potenziell dazu geeignet ist, Einfluss auf die Situation zu nehmen und diese zu verbessern.[44]
Am Whistleblowing-Prozess sind mindestens vier Parteien beteiligt: Der Whistleblower, das Unternehmen, der Beschuldigte und die Empfängerstelle.[45] Deren Rolle soll im Folgenden kurz erläutert werden.
Whistleblower ist die Person, die den Hinweis gibt. Das im Deutschen am häufigsten verwendete Synonym ist „Hinweisgeber“. Nach LOHRE zeichnet sich der potenzielle Whistleblower durch ein ausgeprägtes Verständnis für Recht und Unrecht, Verantwortungsbewusstsein und Loyalität gegenüber dem Unternehmen aus. Er verfügt in der Regel über ein hohes Bildungsniveau, ein gutes Einkommen und ein gesundes Selbstbewusstsein.[46] Dem Whistleblower werden regelmäßig Vorurteile unterstellt. So wird ihm vorgeworfen, er würde arbeitsvertragliche (Neben-)Pflichten verletzen, das innerbetriebliche Vertrauensverhältnis gefährden und durch das Ausplaudern interner, sensibler und vertraulicher Informationen die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigen.[47] Mit diesen Vorwürfen gehen das Image des Nestbeschmutzers und die Stigmatisierung als Denunziant einher.[48] Häufig werden Whistleblower für ihr Verhalten sanktioniert, diskriminiert, schikaniert, gekündigt und bedroht.[49] Während in den USA der Schutz von Whistleblowern vor Entlassung oder sonstiger Diskriminierung in Sec. 806 SOX geregelt ist, mangelt es in Deutschland noch an entsprechenden Vorschriften.[50]
Deshalb kommt dem Unternehmen eine besondere Rolle im Whistleblowing-Prozess zu. Es sollte dem Whistleblower institutionellen Schutz bieten und persönliche Nachteile von ihm abwenden. Das Autorenpaar BERNDT und HOPPLER weisen ausdrücklich darauf hin, dass sich dieser institutionelle Schutz auch auf jene geäußerten Bedenken, die sich im Nachhinein als unbegründet herausstellen, erstrecken muss. Anderenfalls würde „dieses Instrument […] ins Leere“[51] laufen, schließlich könne man nicht erwarten, dass jeder Sachverhalt zutreffend bewertet wird.[52]
Beschuldigter ist der, dem ein illegales, illegitimes oder unmoralisches Verhalten zur Last gelegt wird. Grundsätzlich kann jedes Organisationsmitglied Beschuldiger sein. Die Autoren KYNRIM, KURZ und HAIDINGER erinnern daran, dass die Rechte des Betroffenen ebenso wichtig wie die Rechte des Hinweisgebers sind, denn auch er kann Opfer von Repressalien, Diskriminierung und ungerechtfertigter Kündigung werden.[53]
Empfängerstellen können sämtliche Stellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens sein, die dazu geeignet, sind Missstandsvorwürfe zu überprüfen und Abhilfe herbeizuführen.[54] Innerbetrieblich können sie Compliance-Beauftragte oder andere speziell geschulte Mitarbeiter, der Arbeitgeber, die Geschäftsleitung oder der Aufsichtsrat sein. Nicht geeignet erscheint hingegen die Personalabteilung. Diese Regelung wird damit begründet, dass die Daten des Hinweisgebers und Betroffenen immer technisch und organisatorisch von anderen personenbezogenen bzw. personenbeziehbaren Daten aufbewahrt werden sollten.[55]
Je nach Kontext können sich als externe Stellen Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden, Gewerkschaften und Berufsverbände, Ombudsmänner, externe Berater, Journalisten, Massenmedien aber auch Politiker und andere Interessensgruppen eignen.[56] SCHULZ unterscheidet in diesem Zusammenhang nochmals zwischen jenen Gruppen, die berechtigt sind, Hinweise entgegenzunehmen (z.B. Staatsanwaltschaft oder Polizei), und sonstigen Dritten (z.B. Presse oder Verbänden).[57] Ein Unternehmen,...